Lob des winterlichen Flämings

1957.01. Wittenberger Rundblick

Lob des winterlichen Flämings

Mitternachtswärts von Wittenberg streichen, das Urstromtal der EIbe begrenzend, die sanften Hügelketten des Hohen Flämings. Die dunklen Föhrenwälder mit ihren lieblichen Wiesentriften, ihren stillen Halden sind bis in die späten Herbsttage ein lockendes Wanderziel für Menschen, die noch der Zwiesprache mit der guten ewig jungen Mutter Natur fähig sind.
Nur in den kalten, trüben Wintermonaten, wenn die schweren Nordweststürme Regen- und Schneeböen über die Wälderbreiten jagen, scheint sich die herbe Schönheit der Fläminghügel völlig in einen grauen, abweisenden Mantel zu hüllen.
Wenn jedoch der Winter es ernst meint, dann legt der so bescheidene, schlichte Fläming sein zauberhaft glänzendes, weißes Festgewand an und lockt zu besonderen Entdeckerfreuden. Wohl dem wanderfrohen Naturfreund, der dann aus dem Dunst der Stadt fliehen kann und in die weiße, unberührte Schönheit dieser stillen Winterwälder eintreten darf!
Natürlich muß der Wandersmann Skier an den Füßen und Freude an einem zünftigen Langlauf im Herzen tragen. Für den echten Skifahrer gibt’s kein vorsichtiges Zögern. Da heißt es nur: los!
Laß auch du dich mittragen in den ersten schönen Wintersonntag!
Eine Handhoch Pulverschnee ist über Nacht auf die alte Schneedecke gefallen. Heraus die gewachsten Bretter! Hinein in die Bindung!
Du kannst heute – der Schnee ist noch unberührt und locker – vor der Haustür die Bretter anschnallen. Die ersten Versuchsschritte – es geht nach Wunsch!
Dann gleitest du im langen, zügigen Gleitschritt die Berliner Chaussee entlang, gegen Trajuhn hinauf. Dort oben empfängt dich böiger Nordost und bläst dir stoßweise die dünnen Schneeschauer um die Nase. Aber er kann dir die Freude an diesem weißen Wintertag nicht verkümmern.
Nimm ihn von der Seite, den unwirschen Gesellen! Die Felderbreiten da oben sind in eine nordische Schneelandschaft verwandelt worden, aus der ganz fern im dünnen Gestöber die Dächer eines Dorfes – es ist Thießen – unter ihrer Schneehaube hervorlugen. Ein hungriger Hase wird aus seinem Lager aufgescheucht und hoppelt gegen den beißenden Nordost davon. Ruhig und gelassen greifen die Skispitzen in den pulvrigen Schnee und ziehen ihre sanft geschwungene Doppelspur.
An dem Dörfchen Mochau geht es links vorbei, den dunklen Waldhügeln zu, die dir entgegenschreiten. Bald nimmt dich der weißschimmernde Winterwald in seine sanften Arme. Das Fauchen des steifen Windes ist zu Ende und nur das leise Zischen der Bretter begleitet dich mit seiner feinen lustigen Melodie:
„Zwei Bretteln, a g’führiger Schnee!“
“ … aber Schneeschuh für d‘ Haxen und a Klampfn für d‘ Händ „…
und all die frohen Lieder der Skikumpane von einst klingen im Herzen auf, während dich die braven Brettel im zügigen Gleiten an der Südflanke des Schwarzen Berges hinantragen und dir dann und wann ein Hügelchen Abfahrt beschieden ist.
Oben auf dem Sattel zwischen Schwarzem Berg und Michelsberg verhältst du für ein Dutzend Atemzüge.
Der weiße, sanft geneigte freie Nordhang des Schwarzen Berges schimmert im dünnen Gestöber auf. Die über den grauen Himmel jagenden lockeren Schneewolken lassen dann und wann einen leuchtenden Sonnenblick durchhuschen. Hier oben vermeinst du auf den breiten Hochflächen des Thüringer Waldes oder des Isergebirges zu stehen. Die Augen lassen Bild um Bild der sanft dahingleitenden weißen Zauberlandschaft ins Herz herein.
Doch reiß dich los von den lockenden Bildern! Dein heutiges Ziel liegt nahe vor dir. Weiter gleiten die braven Brettl. Nach einigen 100 Metern mußt du im Grätschschritt die steile Südost-Schulter des Michelsberges erklimmen. Dann spurst du nach einigen Metern flacher Abfahrt die letzte Stufe des Steilwegs empor und stehst nun tief atmend nach der letzten Anstrengung auf dem halbverwachsenen Gipfelrund des Waldberges. ­-
Einsamkeit! Beglückende Stille der weißen, unberührten Schneelandschaft!
Du atmest dir das kräftig klopfende Herz ruhig. – Gipfelrast!
Wenn es auch nur ein bescheidener Waldhügel ist. Dies birgt für dich alles, was an Schönem und Lockendem in dem einsamen Einzelgang einer solchen Skiwanderung beschlossens ein kann.
Die winterliche Stille des Flämingwaldes faßt dich tiefer und stärker als der Duft eines Sommertages. Kein Hauch der aufgeregten Welt dringt in diese Wintereinsamkeit. Wenn du hineinhörst in die tiefe, friedvolle Stille, vermeinst du das Herz der Allmutter Natur schlagen zu hören. Rast und Umschau, dazu eine bescheidene Stärkung für den hungrigen Magen lassen dich die 10 Grad Kälte bald wieder verspüren.
Nun kommt die Belohnung für den Aufstieg:
eine kurze Abfahrt in die erste flache Mulde an der Südflanke des Berges. Dann führt dich die alte Anstiegspur zurück zum kurzen Steilhang vor dem breiten Sattel zum Schwarzen Berg:
es ist das einzige zünftige Stück der ganzen Fahrt und wird daher besonders genossen.
Nun tragen dich die braven Skier auf dem führigen Pulverschnee
gemach in leichter, fast pausenloser flacher Abfahrt wieder an den Waldeingang vor Mochau zurück, an den Beginn des Anstiegs.
– Du wendest dich noch einmal um zu den sanft dahinstreichenden Waldrücken, die im stahlgrauen Duft verdämmern.
Dank dir, du föhrenduftender, Frieden und Freuden spendender Fläming, du heimatlicher deutscher Wald!
Doch nun heißt es eine günstige Route für die Heimfahrt wählen!
Im flachen Bogen wird der Südwestteil von Mochau umfahren.
In mühelosem Gleiten tragen dich die Bretter die flache sanft abfallende Talmulde des Krähebaches entlang durch die tief verschneite Landschaft dahin, an mancher von den Hängen herabsteigenden Waldzunge vorüber bis zur Grüntalmühle, die in tiefem Schnee geduckt vor dir auftaucht.
Die Talsohle wird überquert.
Nun mußt du noch einen letzten Waldhang hinansteigen.
Eine gut gelegte Skispur führt am Westrand des ehemaligen Exerzierplatzes entlang dem im Nachmittagsschimmer auftauchenden Teuchel entgegen.
Hier, am Nordende des Talbodens, lockt ein abgefahrene Hang zum Abschluß noch zu einigen Christianiaschwüngen, die den sportlichen Endpunkt setzen an diese herzerfrischende winterliche Wanderung.
Am Stadtrande mußt du die Bretter abschnallen und sie geschultert durch das letzte Straßenstück heimtragen.
Lärm, Autohupen, Motorenbrummen, Benzin- und Öldüfte!
Aber was tut dir das!
Du spürst in dir das herrliche Gefühl, einen Tag lang den Körper durchtrainiert zu haben.
Tief im Herzen wird die Freude an diesem weißen Wandertag weiterleben. Dafür sei dir Dank, du guter, alter Fläming mit deinen tiefverschneiten zauberhaften Winterwäldern.

Dr. Wilhelm Schramm