Was der Rische Bach erählt
Seit Urzeiten befindet sich meine Quelle auf der Höhe des Flämings, an der anhaltisch-preußischen Grenze auf dem Grundstück des Fleischermeisters Wilhelm Schwarze Straach, der vier Meter breite Grenzstreifen war noch vor nicht langer Zeit mit Schwarzdorn- und Rosensträucherr dicht bewachsen. Meister Franz Schwarze ließ meinen Quellbrunnen mit großen Natursteinen einfassen und ihn der Sicherheit halber mit einem starken Holzbelag zudecken.
Das Gelände, welches ich durchfließe, mein Niederschlagsgebiet, war ehemals, noch bis in die fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein, ein ungeheurer Sumpf der seit Jahrtausenden das ganze Erdreich mit seinen modernden Pflanzenresten, namentlich Binsen, in Torfmoore verwandelte und von einer schrankenlos üppigen, nie gelichteten Vegetation bedeckt war. In Norddeutschland bezeichnet man heute noch die Binse mit Rische (Rauschen!) daher mein Name. Ein bekannter Schriftsteller bezeichnet mich in einem seiner Romane mit dem mitteldeutschen Namen, Reute (Reete).
In Reinsdorf nehme ich den Krähebach und die Löbigkbäche auf. Kurz vor meiner Mündung in den „Streng“ vereinigte ich mich mit der Piesteritz, von Pystra (Flies, Bach), die von Reinsdorf aus dem „Vordersten Sieb“ kommt. Ums Jahr 1320 wurde ich nach Wittenberg geleitet, zum Antrieb der fürstlichen Mühle. Die Anlieger mußten. von dieser Zeit an Wasserzins zahlen. Wohl seit dieser Zeit sind auch der Faule und Trajuhner Bach durch die Stadt geleitet worden. An der Furt, nahe bei dem städtischen Elektrizitätswerk, treten wir vereinigt zutage und fließen in die Elbe.
Ganz in der Nähe meiner Quelle entstand eine Ansiedlung, das heutige Straach, früher Straucha, benannt wegen des vielen Strauchwerkes, das hier sich vorfand.
Ueber die Gründung des Ortes kann ich leider nichts Genaueres berichten. Es ist aber wohl anzunehmen, daß Albrecht der Bär 1150 hier deutsche Bauern ansiedelte, wie das um diese Zeit, urkundlich nachweisbar, in benachbarten Orten geschehen ist.
Über Straach selbst weiß ich viel zu berichten, hier will ich nur einiges anführen. Im Jahre 1820 hatte Straach sechs Bauernhöfe, einen Kossätenhof und eine außerhalb des Dorfes liegende Mühle. Die Straße nach Nudersdorf bog an der heutigen Molkerei nach links ab, führte an dem Höhenrücken entlang bis kurz vor Nudersdorf. Das änderte sich mit dem Bau der gradlinigen Chaussee 1867-68.
Mit sieben Meter Gefälle hielt ich die von Müller Gottfried Rückert erbaute Wassermühle im Betrieb. Der Nachfolger von Rückenrt war Christoph Bölke. Die Mühle wurde später neuerbaut und vergrößert durch Friedrich Bölke im Jahre 1860. Dessen Sohn Karl legte im Jahre 1898 Dampfkraft an. Der jetzige Besitzer ist der Schwiegersohn des verstorbenen Karl Bölke, Artur Buro aus Medewitz, welcher außer der Wasserkraft Dieselmotoren in Betrieb hat.
Die Nudersdorfer Mühle, die sogenannte „große Mühle“ im Dorfe, ist angelegt von August Reichsfreiherr von Leyser 1720; erneuert wurde sie im Jahre 1776. Die bei der Erbauung des Schloßes mit angelegte Mahl- und Schneidemühle ist1911 eingegangen.
Im Jahre 1795 kamen beide Mühlengrundstücke durch Erbpachtkontrakt an den Müller Johann Christoph Dreßler.
Dieser erbaute 1816 den Gasthof
zur „Grünen Birke“ und zwar einstöckig.
Damit verschwand das alte ehemalige Forsthaus im nahen Garten; nur der überdachte Keller
ist geblieben.
Der spätere langjährige Besitzer
des Gasthofes, Wilhelm Falkenberg, ließ das Haus mit Saal so herrichten, wie es sich heute präsentiert. Von Dreßler erwarb der Müller Leberecht Koch die „Große Mühle“ käuflich im Jahre 1816. Langjähriger Besitzer nach ihm war die Familie Lehmann, lauter große, kräftige Gestalten.
Diese Mahl- und Schneidemühle ist seit dem 28. Juni 1911 in
Besitz des Müllermeisters Ernst Bölke, der sie im Zwangsversteigerungstermin für 27 400 RM. erstand.
Sein Sohn Ernst und dessen Schwiegersohn Gerhard Noack
sind jetzt im Betriebe tätig.
Von dem sehr vielen, was ich urkundlich von Nudersdorf
berichten kann, will ich nur einiges weiter erzählen:
Als der Besitzer des Rittergutes, von Watzdorf, auf einer
Reise plötzlich starb, wurde das Gut von der Vormundschaft verkauft an den Pächter-Meyer für 38000 Taler.
An demselben Tage verkaufte dieser das Gut mit gutem Profit
an den anhaltischen Amtmann Johann Pfau im Jahre 1830.
Nach ungefähr sechs Monaten verkaufte dieser das Gut wieder durch Vermittlung seines Pächters Luther an dessen Bruder.
Nun sind sie Gebrüder Doktor der Medizin Gustav Luther und
Karl Wilhelm Luther, beide aus Dublin in Irland, Besitzer.
Sie ließen nun das letzte Holz fällen. Zwei Holzschläge,
von der Straacher Grenze bis zur Chaussee, an meinen
beiden Ufern für 20 000 Taler, vor der Chaussee links bis
zum Eichberg für 16 000 Taler und eine andere Strecke für
3 000 Taler. Auch wurde der ganze Eichberg und Papiermachergrund niedergelegt, so daß aus dem Holzreichtum allein die ganze Kaufsumme herauskam.
Auch verkauften sie Baustellen und kleine Gesindehäuser an
die Einwohner von Nudersdorf, das im Jahre 1885 als Kolonie,
Ort für sich, 31 Wohnhäuser und 275 Einwohner aufwies.
Auf dem Gute waren 14 Bewohner.
Der ganze Verdienst wurde aber durch den Bau eines Badehauses verschlungen. Dieser großartige, dreistöckige, aus roten Kunststeinen errichtete Bau stand unweit des Schloßes im Park
an meinem linken Ufer; daneben standen die Wirtschaftsgebäude mit dem großen Speisesaal.
Es war in den Jahren 1853-55. In dem „Femegrund“ wurde eine stark, schwefelige Quelle entdeckt. Sie wurde eingefaßt und das Wasser in Röhren nach dem Badehause geleitet.
Die Ökonomie lieferte das Gut, ebenfalls die Wohnung.
Das Bad wurde bekannt und hatte von Jahr zu Jahr sich
mehrenden Besuch. Wie gern haben die Badegäste unter
den schattigen Bäumen an meinen Ufern gesessen und den lieblichen Weisen der Badekapelle gelauscht, bis es in der
Zeit der Aktiengesellschaft wegen der Ziegelei und des Kohlenbergbaues vernachässigt, einging.
Eine Zeitlang wurde das heilsame Wasser nach Berlin gebracht,
dort in Flaschen gefüllt und verkauft.
Einen traurigen Vorfall möchte ich erwähnen, der sich am
3. Juli 1876 auf dem Gutshofe ereignete.
Der derzeitige Besitzer, Baron
von Oppenfeld, hatte eines
Tages einen Grafen von Alvensleben zu Besuch.
Er war zu Pferde gekommen.
Am anderen Tage mußte der Reitknecht Karl Schulze aus Nudersdorf das hochedle Tier vorreiten im Hofe.
Dabei zeigte sich dieses sehr ungebärdig. Zuletzt, als es den schneidigen Kerl nicht aus dem Sattel bekam, überschlug es
sich mit ihm und begrub den Reiter unter sich.
Dieser zwanzigährige, hoffnungsvolle junge Mann wurde
dann mit zerschlagenen Gliedern und zerquetschtem Kopfe
tot vom Platze getragen.
Auch möchte ich im besonderen noch an die Familie Schleißner erinnern, welche das Gut im Jahre 1895 allein erhielten.
Diese wohlhabenden Herrschaften mit hochedler Gesinnung
und gemeinnütziger Denkungsart nahmen allerhand
Veränderungen vor.
Der Hofraum wurde angehöht, die alten massiven Wirtschaftsgebäude abgebrochen und durch ein neues
großes Grundstück ersetzt.
Die Wiesen wurden entwässert, was einen Kostenaufwand von 8000 Mark erforderte, eine bequeme Fahrstraße nach dem Vorwerk Gallun wurde geschaffen, auch wurden einige Fischteiche in der romantischen Ferme angelegt.
Die Dorfstraße wurde mit Eichen bepflanzt, die beim Abgange
der Familie Schleißner im Jahre 1911 der Gemeinde überlassen wurden. Das brachliegende Land an der Dorfstraße wurde an
die Anlieger verkauft, die davon schöne Obst und
Gemüsegärten schufen.
Viele Ländereien wurden aufgeforstet, so am Keilerberg
und an der Belziger Chaussee, dort auch der schöne
Eichenkamp.
Benno Roebellen ist der geistige Schöpfer und Verfechter
der Bahn Kleinwittenberg-Straach.
Fast zwanzig Jahre lang hat er an diesem Projekt gearbeitet.
Mit großer Zähigkeit und Geschicklichkeit hat er endlich die Konzession erlangt. Aber nicht nur dies, für die Brücken und Wassersdurchlässe stellte er der Bauleitung 100 000 Steine unentgeltlich zur Verfügung. Obendrein überließen die Herren Schleißner und Flinzsch unentgeltlich den auf ihrem Gelände
zum Bahnbau nötigen Grund und Boden, um ihre Freigebigkeit später leider zu bereuen!
Am 15. Juli 1911 wurde die Bahn eingeweiht, seit dem Jahre
1925 hat sie auch Personenverkehr bekommen. Roebellen,
der den langersehnten Schienenstrang vor seinem Hause
und durch sein Werk blinken sah, von dem er den Aufschwung seines Betriebes erhoffte, sah sich genötigt, die Ziegelei für
150 000 Mark zu verkaufen.
Graf Menno von Limburg-Stirum, geb. im Haag in Holland, Oberleutnant a. D. bei den Garde-Ulanen in Potsdam,
Besitzer des Gutes bis zum Jahre 1917, und Seine Gemahlin,
eine Amerikanerin, geb. Mary Newland aus Detroit,
wollten auf einem Luxusgute wohnen.
Das seinerzeit 1702 erbaute Schloß mit 60 Zimmern
wurde durch Anbau erweitert, die Zimmer vereinigt zu
saalartigen Räumen. Wasserleitung, Bäder, Zentralheizung,
diebes- und feuersicherer Tresor, elektrische Licht- und
Kraftanlage, letztere in der alten Ortsmühle untergebracht,
wurden geschaffen.
Das Milchhaus und die Autogarage durften nicht fehlen.
Sämtliche Arbeiten, mit Ausnahme der Maurerarbeiten,
wurden von Berliner Firmen ausgeführt.
Die Kosten für die Bauausführung überschritten die Summe
von 200 000 Mark.
Die Anwesenheit der gräflichen Familie hat Nudersdorf viel
Nutzen gebracht. Mit dem großen Dienstapparat zogen gute Steuerzahler ein, der Graf selbst als mehrfamer Millionär.
Die Gemeinde erhob 1 Prozent von sämtlichen Kaufsummen als Umsatzsteuer, und so zog sie auf diese Weise ziemlich 3000 Mark ein. Damit war sie in der Lage, das Gemeindehaus bar zu bezahlen.
Der Vorteil von der neuen Herrschaft waren nur die Steuern.
Und wie sah es weiter aus?
Die Felder lagen brach, das Vorwerk Gallun verfiel; man sah,
der englisch- irische Landsitz wurde immer echter.
Während des Krieges war die Herrschaft auswärts.
Im März des Jahres 1917 kaufte der Bankier Waldemar von Bötticher das Anwesen für 500 000 Mark.
Im Jahre 1922 ging das Gut an die drei Gebrüder Colsmann
über, Großindustrielle Mailand, Zürich und Berlin.
Im Jahre 1932 stand leider der schöne Besitz wieder zum
Verkauf durch die Schweizer Bank.
Die Grundstücke sind parzelliert. Das Vorwerk mit etwa
600 Morgen ist im Besitz des Kaufmanns Otto Schubert
aus Wittenberg. Dieser umsichtige, spekulations- und kapitalkräftige Mann legt überall tatkräftig Hand an.
Die Gemarkung Wolfswinkel mit dem schönen Holzbestand
von etwa 100 Morgen hat der Kreis angekauft behufs Schaffung einer Siedlung. Im Schloß selbst ist ein Arbeitsdienstslager untergebracht. Nudersdorf hat seit 1877 eine eigene Schule,
die im Jahre 1929, vom 1. Februar an, in eine dreiklassige mit
zwei Lehrern umgewandelt wurde.
Nudersdorf hatte im Jahre 1855 als Kolonie Ort für sich,
31 Wohnhäuser und 275 Einwohner, auf dem Gute waren
14 Bewohner.
Bei der Zählung am 1. Dezember 1900 hatte es 258 Einwohner
in 45 Häusern mit 58 Haushaltungen.
Bei der Zählung am 16. Juni 1933 sind amtlich 458 Personen
gezählt worden.
Das alte, in der bezeichneten Nr. 1 beschriebene Schloß hat vermutlich nach den gefundenen Fundamenten zu schließen,
der Schule gegenüber gestanden, an der einzigen Dorfstraße.
Daran schloß sich der Schloßgarten, der bis an meine Ufer reichte. Die mächtigen Linden am Teiche sind noch lebende Zeugen aus dieser Zeit. Bei der Separation im Jahre 1834 wurde die zweite Dorfstraße gradlinig durch den Ort gelegt, auch der Weg am Kirchhof entlang geschaffen. Dabei wurde der in einer Senke liegende Eingang zu der Grabkapelle zugeschüttet.
In dieser kleinen Kapelle, im Geviert von vier mal vier Meter,
sind drei wunderbare Epitaphien (Grabsteine) mit meist lateinischen Inschriften der in der Gruft ruhenden drei Mitglieder der Familie Leyser aufgestellt.
Um die Kapelle herum sind außerdem mehrere Grabgewölbe,
wie bei den Einebnungsarbeiten vor einigen Jahren einwandfrei festgestellt wurde. In der Nähe von Nudersdorf, in der Talmulde rechts am Wege nach Grabo, hatte sich nach dem Gefecht bei Teuchel am 2. Oktober 1760 ein Teil der Reichsarmee festgesetzt, weil sie einen neuen Angriff der geschlagenen und bis nach Coswig zurückgedrängten preußischen Truppen vermutete.
An dem im Jahre 1816 erbauten Gasthause kreuzen sich zwei
alte Handelsstraßen, die Berlin-Zerbster und die Wittenberg-Belziger Straße. Und hier war es, wo bei der Durchreise,
namentlich fürstlicher Personen, die Vorspannpferde (Relais) gewechselt wurden. Preußische und anhaltinische Fuhrleute in ihren blauen Kitteln und den hohen gelben Gamaschen hielten
hier ihre Pferde, deren Geschirr mit blankem Messing und
Dachsfell besetzt war, zur Auswechslung bereit.
Die Reisewagen wurden bei ihrer Ankunft schnell mit sechs bis
acht frischen Pferden bespannt, die Fuhrleute bestiegen die Sattelpferde, und fort gings in flottem Tempo durch die
hügelige sandige Landschaft. So ein Tag der Durchreise
fürstlicher Personen war immer ein Fest für die Einwohner, namentlich für die Jungen, weil diese außerdem Gelegenheit
hatten, für kleine, den Fihrleuten geleistete Dienste,
einen Obulus zu bekommen.
Die Mühlen auf Birkenbuscher und Braunsdorfer Gebiet sind sämtlich von dem Müller und Mühlenbauer Karl Schumann angelegt worden, und zwar in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts als Mahlmühlen und zwar unterschlächtig. Hier will ich nicht unerwähnt lassen, daß der Neffe von Schumann auch so ein Tisterkopf (??) war wie sein Onkel. Schulze hatte nämlich eine Uhr aus Papiermasse hergestellt, welche nicht nur die genaue Zeit in Stunden und Minuten, sondern auch die Tage, Monate und Jahre anzeigte. Von Schumann erwarb die oberste Mühle der Papiermacher Görgaß. Von diesem kaufte sie im Jahre 1868 der Fabrikant August Bickel aus Merseburg. Im Jahre 1879 übernahm sein Sohn Karl den großen Betrieb für 80 000 Mark. Dieser ließ Dampfkraftmaschinen einbauen und sonstige neue Apparate zur Herstellung von Schrenzpapier. Pächter war eine Zeit lang, von 1893 bis 1895, Hardenstein aus Sachsen, der Pleite machte. Im Jahre 1906 ging das wertvolle Grundstück über in den Besitz des Papiergroßhändlers Alexander Flintsch. Dieser hob den Fabrikbetrieb auf und schuf sich in dem Wohnhause und dem angrenzenden Gelände, das er so reizvoll gestaltet hat, einen Ruhe- und Erholungssitz. Die zweite, vom Gutsbesitzer Wilmersdorf erworbene Mühle wurde vom Tuchfabrikanten Trautmann aus Wittenberg in eine Tuchwalke umgestellt. Die Trautmanns sind die älteste Familie, welche dem Tuchmacherhandwerk bis zuletzt treu geblieben ist. Seit 1553 in Wittenberg ansässig, wird als erster Tuchmachermeister ein Trautmann 1657 genannt. In den 200 Jahren bis 1865 sind von den Trautmanns 20 Tuchmachermeister. Der letzte war der Obermeister August Trautmann, gestorben 1902. Von 1863 an ist die Mühle umgestellt zur Papierfabrikation. Im Jahre 1876, bei der Aufteilung des Gutes, kaufte die Mühle der Fabrikant Gustav Morizz aus Nudersdorf. Außerdem erwarb er angrenzende schöne fruchtbare Ländereien und den bewaldeten Gorrensberg. Der Wasserbetrieb wurde oberschlächtig eingerichtet. Fabriziert wurde Schrenzpapier, dieses wurde später in einer besonderen Trockenanlage durch Warmluft schnell versandfertig gemacht. Gustav Moriz jun., der vom Jahre 1896 an Besitzer wurde, erwarb Bahnanschluß an die Fabrik 1911. Auch kaufte er das anliegende Ödland auf und schuf dort einen reizvollen Garten. Im Jahre 1928 verpachtete er den technisch und kaufmännisch sauberen Betrieb an die Firma Inhaber Ernst Görs GmbH., Leipzig, Europahaus.
Seit 1932 ist diese Firma Besitzer.
In Braunsdorf selbst fließe ich auch durch den Garten
des ehemaligen Allodialgutes mit 600 Morgen Besitz.
Von den Besitzern dieses „Freien Erbgutes“ kann ich
der Reihe nach genau anführen:
– Wilmersdorf,
– Scheller,
– Braune,
– Häring.
Letzterer ließ den Saalanbau und den Park verschönern.
Leider dauerte die Herrlichkeit nicht lange.
Im Jahre 1876 wurde das Gut von den drei Gebrüdern
Markus – Berlin angekauft und parzelliert.
Die Ziegelei kaufte Wilhelm Trübe. Den Stammhof erwarb
der Zeugarbeiter Hüfnersohn Wilhelm Eiserbeck, wegen
seines langen Vollbartes in Jägerkreisen Rübezahl genannt,
und dieser richtete in den 1606 erbauten Gutshause
den Gastwirtsbetrieb
,,Zur grünen Tanne“ ein.
Der Fabrikant August Bickel erwarb 111 Morgen am Dornheckenberg und an der Belziger Chaussee, die er regelrecht mit Kiefern aufforsten ließ.
Braunsdorf wurde im Dreißigjährigen Krieg verwüstet.
Erst 1687 wurde es wieder aufgebaut, und vier Hüfner
und drei Kossäthen siedelten sich an.
Im Jahre 1687 wird Andreas Schwerdt als Kommunenschulze genannt und Martin Tiacinus als Gerichtsschöppe.
Die Kirche wurde aufgebaut vom Kreisamtmann Christian Zahn
aus Wittenberg, nachdem sie vorher 50 Jahre lang wüst gelegen.
Am 15. Mai 1687 hielt Pfarrer Friedrich Montanus (1682-1729
in Dobien) die erste Predikt darin. In diesem Jahre ist gewiß auch
die Linde gepflanzt worden!
Im Jahre 1839 wurde die Kirche wieder gründlich renoviert, Gottesdienst war deshalb für die Gemeinde in Dobien. Der Gutsbesitzer Wilmersdorf stiftete eine Altarbekleidung aus blauem Tuch mit Silberfransen. Die beiden Hüfnerwitwen Johanna Christiane Schering und Witwe Eiserbeck schenkten zwei kostbare Vasen mit Kunstblumen. Mahlmüller Schumann strich die Kanzel an und stiftete einen blauen Behang. Am 28. Juli fand wieder Gottesdienst statt. Die Kirche ist 1886 wieder renoviert worden. Im Jahre 1901 wurde von dem Hüfner und Gemeindevorsteher Wilhelm Schering ein kleines Harmonium geschenkt.
Braunsdorf hatte im Jahre 1855 22 Wohnhäuser und 158 Einwohner. 1933 hatte es 354 Einwohner. Die jetzt von etwa 70 Kindern besuchte einklassige Schule wurde im Jahre 1925 gebaut. Der neue Kirchhof wurde 1914 angelegt au dem Grundstück des Hüfners Wilhelm Schering.
Gepflasterte Straßen und rege Bautätigkeit haben den Ort vorteilhaft verändert.
Die sogenannte Unterste Mühle an der Dobiener Grenze ist die älteste der Mühlen. Sie ist erbaut in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts(18 .Jh.). Im Jahre 1856 erwarb sie der Müller Rudo aus Reinsdorf; von diesem kaufte sie Müller, „Müller-Müller“ genannt. Hermann Moritz aus Nudersdorf, den nächste Besitzer, baute sie aus zur Papiermühle. Der Betrieb florierte. Bei der Auseinandersetzung seiner Kinder ging die Mühle über in den Besitz des Fabrikanten Karl Thieme aus Colditz i.S. Angefertigt werden, wie es bisher schon geschah, Pack- und Tütenpapier in Rollen von 1,40 Meter Breite, sogenannte Schrenzpapiere.
Hier, von meinem rechten Ufer aus, bis zum Gallunweg, befand sich im Jahre 1813 das Hauptlager der Kosaken. Von hier aus durchstreiften sie die Umgegend und hatten stets Posten aufgestellt auf dem Kosaken-(Redouten- d. h. kleine Schanze) berg, dem Wallberg in Dobien und dem Gallunberg. Eines Tages statteten mehrere dieser verwegenen Gesellen der Witwe Schering einen Besuch ab. Diese hatte gerade Pflaumenmuskuchen gebacken. Davon brachte sie große Stücke auf den alten Familientisch, der heute noch in der Familie Schering in Gebrauch ist, und goß auch jedem ein Glas Wutki (Trinkbrandwein) ein. Kaum aber hatte sie den Rüden gekehrt, da warf ihr einer der Uebermütigen ein großes Stück Kuchen ins Genick. Sie aber kuragiert, drehte sich um und haute dem Missetäter, dem braunen Helden, mit der Steinernen Schnapsflasche dermaßen auf den Balg, daß er auf den Stuhl zurücksank. Als Entschädigung für „diesen Streich“ ließen sie einen großen, mit Honig gefüllten Topf mitgehen, den sie auf dem Futterboden ausspioniert hatten.
Nun fließe ich auf der Dobien-Reinsdorfer Grenze entlang bis zur nächsten Mühle, die auch von Schumann, und zwar 1836, gebaut worden ist. Sie war lange Jahre im Besitz des Müllers Neudeck aus Vockerode. Von diesem kaufte sie Ferdinand Bollmann. Dieser baute eine Turbine ein, die aber nicht den Erwartungen entsprach. Sein Sohn Fritz regelte den Betrieb wieder durch oberschlächtiges Wasserrad, später noch dazu mit Dampfkraft. Fritz Bollmann erwarb 1903 die rechte Seite vom Fichtenberg mit gutem Holzbestand und Tonflöz, das von der Firma Wilkendorf, Coswig, gemutet wurde. An der Bahn wurde ein Speicher errichtet. Der Bruder Gustav Bollmann führte den Betrieb weiter und hatte auch greifbaren Vorteil durch die in der Nähe errichtete Sandwäsche, wie solche auch in Nudersdorf errichtet worden sind von der Wittenberger
Kristall-Glas-AG. GmbH.
Auf den angrenzenden Braunsdorfer und Reinsdorfer Wiesenflächen wurde außer dem Stechtorf auch
Raseneisenstein- Eisenerz, in großen Mengen gefunden
und gehoben.
Das Erz mußte vertragsweise nach dem Hüttenwerk
Lauchhammer geliefert werden, und zwar unentgeltlich.
Das Material wurde an der Dresdener Straße in Kähne geladen
und verfrachtet. Für den vollbeladenen Wagen wurden aber
4 Thlr Fuhrlohn bezahlt. Vereinigt mit dem Krähebach fließe
ich durch das Grundstück, Park des ehemaligen Freigutes in Reinsdorf, früher Rehnstorf, Dorf am Rain, (Rehn), entlang. Reinsdorf ist vermutlich eine Gründung des Rittergeschlechts der Bremer, die hier eine Wasserburg errichteten und an die
z.B. noch der „Bremer Lug“ bei Apollensdorf erinnert.
Genau erinnerlich sind mir die Besitzer seit 1770.
Es sind dies Friedrich Kärnbach; dessen einziger Sohn,
Friedrich August, starb am 26. März 1801, 24 Jahre alt.
Sein Grabmal steht noch, und zwar rechts am Eingange der Kirche. Ferner Bräsigk, Walther, Bretschneider und seit 1850 Georg Heinrich von Freyberg, zugleich Besitzer der Rothemark,
seit 1868 Burkhard von Freyberg.
Dann seit 1896 ein Verwandter, Hermann von Freyberg.
Über diese Familie kann ich folgendes mitteilen:
Sie tritt in Erscheinung ums Jahr 1200, und zwar auf ihrer Stammburg bei Chur in der Schweiz, wo auch die Ruinen
noch vorhanden sind.
Ein Ahnherr sollte einstmals Verrat üben. Da er sich aber weigerte, wurde er gefoltert und gequält, so daß ihm ein Bein abgenommen werden mußte.
Diese Prozedur ertrug er geduldig „wie ein Lamm“.
Und so bekam er für sein tapferes Verhalten die Freiherrnwürde
mit den damit verbundenen Rechten. Im Familienwappen ist ein Bein mit Oberschenkel und darüber ein springendes Lamm zu
sehen. Die Herren von Freybergs waren teils Militärs,
meistens aber Landwirte, begütert in Ramsin, Elsdorf,
Groß- und Kleinmöhlau in Anhalt,
in Brandenburg: Liepe, Belzig, Boßdorf-Carlshof.
Die katholische Linie der Familie von Freyberg hat ihren Stammsitz in Ahnendingen, einem großen Dorfe bei Ulm. Die mir bekannten zahlreichen Familienglieder waren vorwiegend aus geistigem Gebiete hervorragend tätig.
Im Dreißigjährigen Kriege wurde auch Reinsdorf arg heimgesucht von den Pfortischen und Schliebnerschen Räuber Horden. Die Kirche wurde zerstört, ebenso alle Gehöfte verbrannt. Erst nach 50 Jahren siedelten sich sechs Hüfner und die Gutsherrschaft wieder an. Die Kirche wurde wieder aus- und ausgebaut im Jahre 1697. Der Altars und Kanzelschmuck mit den zwei Wappen rührt noch aus dieser Zeit her.
Im Herbst 1813 kam eines Tages ein größerer Trupp Soldaten aus der Festung Wittenberg und setzten sich im Gutspark fest. Ihre Vorposten schoben sich im Dorfe lang vorwärts. Als diese nun oben im Dorfe, gegenüber der Schule waren, kam plötzlich eine Anzahl Kosacken angebraust, überritten die Posten; blitzschnell herab von den kleinen struppigen Pferden, schnitten sie den Unglücklichen am Boden liegenden mit ihren kurzen Schwertern das Gesicht kreuzweise durch, schnell auf die Pferde, und fort stoben die verwegenen Gesellen. Auch in den Cammingärten wurde den Franzosen übel mitgespielt.
Im Jahre 1903 wurde das Gut parzelliert. Das Herrengut kauft Fritz Schach und ließ die Wirtschaftsgebäude abbrechen. Die Reihe schöner Linden ließ er pflanzen. Das von Heinrich von Freyberg erbaute Herrenhaus blieb stehen. Der Hofraum ist in einem schönen Park umgewandelt worden. Auch wurden die lezten Spuren des Wallgrabens beseitigt.
Nach Schach waren
– Bötticher, Wittenberge,
– Baurat Körner, Berlin-Grunewald und
– Professor Grabitz, Besitzer.
Seit 1916 gehört der schöne Besitz den Reinsdorfer Werken. Augenblicklich dient er als Wohnsitz des Direktors Doktor Neumann.
Im Jahre 1926 kaufte die Gemeinde das Stammgut mit zirka 40 Morgen Liegenschaften von den Gottfried Möbiusschen Erben für 35000 RM. Die Familie Möbius war dort seit 1833 ansässig. Gottfried Möbius, langjähriger Ortsvorsteher, erreichte das
seltene Alter von 95 Jahren.
Sein Bruder Wilhelm wurde 94 Jahre alt. Im Jahre 1813 und in
den folgenden wohnte der Pfarrer Thalwitzer in Reinsdorf.
Seine Frau liegt links am Eingange der Kirche begraben (siehe Denkmal). Seit 1903 hat Reinsdorf auch eigne Schule mit zwei Lehrern. Der Ort, der 1855, 31 Wohnhäuser und 201 Einwohner zählte, ist nach der letzten Zählung mit 777 Personen verzeichnet. Den Ausschwung verdanken die Ortschaften in der Nähe den großen Industriezentren.
In Reinsdorf befand sich früher auch eine Ziegelei, in welcher, unter dem Besitzer Dannenberg, die Häusler Werner und Wassermann als Ziegelstreicher tätig waren. In der Nähe ist auch der von dem Unternehmer Andre aus Dessau angelegte, längst verlassene Kohlentagebau. Der manchem so geheimnisvolle, alte Mummelsee auf dem Gelände der Siedlungsgesellschaft Sachsenland ist ebenfalls ein verlassener Kohlentagebau aus den 1870er Jahren. Die Kohle wurde mittels Feldbahn nach der Belziger Straße gefahren und dort weiter befördert.
Und nun etwas von dem benachbarten Riesenberg.
Seiner Zeit lebte in hiesiger Gegend ein Mann, der über gewaltige Körperkraft verfügte, aber ebenso über einen kaum stillbaren Appetit. Der Mann war geistig minderwertig, aber sonst harmlos. Man benutzte ihn gern zu schweren Arbeiten, wie Steinesprengen, starte Bäume aus dem Moor herausbefördern usw.
Er wurde allgemein der Riese genannt, und da er sich sein Asyl im dichten Gesträuch des Berges aufgeschlagen hatte, so gab man dem Berg den Namen. Im Jahre 1860 legte der Gastwirt Mittmann aus Wittenberg dort eine Wirtschaft an. Der Betrieb wurde aber nach einigen Jahren wieder eingestellt. Im Jahre 1864 bewirtete Mittmann die aus dem Dänischen Kriege zurückkehrenden Truppen der Wittenberger Garnison.
Der Riesenberg liegt auf der „Wittenberger Tonmark“.
Auf seinem Rücken findet man die seltene Küchenschelle
„Pulsatilla vulgaris„.
Der in Reinsdorf befindlichen „Hohe Mühle“ bin ich seit langer Zeit dienstbar. Sie war seit 1569 Universitätsmühle, wurde 1640 zweimal arg geplündert. Seit 1813 ist sie in Besitz der Wittenberger Tuchmacherinnung als „Tuchswalke“.
Langjährige Pächter waren die Familien Rudo, Meyer und Julius Neumann. Der schon oben erwähnte Rudo ist 1775 eingewandert. Er bebaute das Grundstück, auf welchem heute die „Obstweinschenke“ flotten Betrieb hat. Nach ihm waren Besitzer:
– „Pelz-Möbius“,
– Dr. Forkert,
– Hauptmann von Boehn,
– Rudolf Winkler,
– Fritz Schach,
– Liebe,
– Vater Keim und augenblicklich
– Fritz Roloff, „Onkel Fritz!“
Julius Neumann aus Wittenberg, der das Mühlengrundstück kaufte, richtete eine Mahlmühle ein, die dann später sein Schwiegersohn Matthias Ditgen an Gustav Buder weiterverkaufte.
Ditgen erbaute das neue Gasthaus. Die „Hohe Mühle“ mit Schankgerechtigkeit, schönem Garten und mit einem Schießstand, war ehemals der besuchteste Ausflugsort der Wittenberger, auch das Offizierkorps der Garnison verkehrte gern dort.
Die Neumühle ist angelegt worden von Lukas Kranach,
dem Schwiegervater von
Kanzler Brück, und war lange Zeit im Besitz der Nachkommen.
Von den Besitzern der spätern Zeit kann ich nur nennen:
Koch, der Mahl- und Schneidemühlen betrieb hatte, wie er
heute noch existiert, dann Eduard Knopf, ein äußerst rühriger, spekulativer Mann, der alles neu aufbaute.
Sein Sohn Albert führte den Betrieb weiter. Nach dessen Tode ist sein Schwiegersohn Werner Junge, vom Rittergut Freienwalde, Besitzer.
Oft habe ich Trauerzüge an meinem linken Ufer vorbei ziehen sehen. Sie kamen aus dem nahen Piesteritz. Der Ort, der zur Zeit eine evangelische und eine katholische Dorfseite hatte, gehörte zur Hälfte nach Dobien und beerdigte seine Verstorbenen 300 Jahre lang nach dorthin, und zwar bis zum Jahre 1829. Beim Tode der Frau des Ortsrichters Schwerdt regte dieser die Anlage eines eigenen Kirchhofes an. Ein solcher wurde dann auch geschaffen, und zwar links am Eingange des Dorfes.
Seit einigen Jahren ist er planiert, weil die Beerdigungen auf dem neuen großen Friedhofe erfolgen.
Das Rittergut Rothemark hatte zur Zeit auf meinem rechten Ufer einen mächtigen Eichenwald, der sich von der Piestritz aus bis in die Nähe der Festung hinzog; links war mehr Nadelwald, hundertjährige Kiefern. In dem Laubwalde, in welchem sich auch das vielbesuchte, „Pfeiferhäuschen“ befand, ergingen sich namentlich viel die Wittenberger Studenten. Und wie manchem sinnigen Beschauer mag zum Bewußtsein gekommen sein beim Anblick der gewaltigen Eichbäume:
„Ja, das mächtige Rauschen der deutschen Eichen hat es zu allen
Zeiten den Heiden angetan, als wenn Götter zu ihnen sprächen
und im Geheimnis des Waldes ihren Willen offenbarten!“
Diesen umfangreichen Waldbesitz ließ der damalige Besitzer, von Freyberg, abschlagen und roden. Mit Wehmut sah ich da die stolzen Kronen zur Erde sinken. Die gewaltigen Stämme wurden auf der Elbe verfrachtet, meistens nach Schiffswerften, und sollen einen Erlös von 7000 Thaler gebracht haben. Ein großer Teil des Geländes wurde unter den Pflug genommen, und gar bald sah man dort wogende Kornfelder, kraftstrotzende Weizenäcker, lichtgelbe Gerstenbreiten und dunkelgrünen, goldigen Haferswald. Ein anderer großer Bezirk wurde wieder regelrecht aufgeforstet und zwar nur mit Kiefern, später auch mit Fichten. Diese Ausforstung vollzog sich in größerem Umfange noch unter dem nachmaligen Besitzer, seit 1872, G. Kelch, der auch das Gut neu ausbauen und eine Brauerei und ein Marmorwerk einrichten ließ. Die von Georg Kelch geschaffenen Rieselwiesen haben nicht lange vorgehalten. Die Anlage, die heute noch wüst liegt zwischen meinem linken Ufer und dem Neumühlenweg, ist ein geegnetes Anschauungsobjekt für derartige Anlagen, namentlich bei Schulwanderungen beachtenswert.
Bei dieser Gelegenheit wäre auch die seltene, am Rande es Neumühlenweges wachsende Osterluzei, Aristologia Clematis näher in Augenschein zu nehmen.
Georg Kelch ließ auch größere Strecken Schonung niederlegen
und die Flächen mit Waldblatterbsen – Lathyrus silvestris – besäen.
Sie sollten 20 Jahre lang dauern! Bald aber wurde wieder aufgeforstet. Heute noch findet man im Bergwald einzelne dieser Futterkräuter. Die im Jahre 1900 erbaute Grabkapelle ist jetzt
von einem ehrbaren Handwerker angekauft und zu Wohnzwecken eingerichtet worden.
Im Jahre 1818 wurde mein Lauf von preußischen Truppen an
der Neumühle gehemmt, und so floß ich wieder gemeinsam mit
der Piestritz, wie ehemals nach dem Streng.
Das an die Piestritz angrenzende Reinsdorfer Gelände, 300 Morgen groß, die „Kemmelsberge“, den Hüfnern Melzwig und Rückert gehörig, wurden im Jahre 1874 von dem Privatmann Mertens, Wittenberg für 15 Thaler pro Morgen angekauft und umgehend mit großem Nutzen an den Militärfiskus weiterverkauft. Das zu Munitionslagerei und zu Schießübungen dienende Gelände wurde im Jahre 1876 aufgeforstet. Diese Aufforstung mit Kiefern besorgte im Auftrage der Militärbehörde Gutsbesitzer Burkhardt von Freyberg zu Reinsdorf. Heute ist ein großer Teil des Gesländes in einen schönen Park und Sportplaz umgewandelt worden von der Besitzerin, der Gemeinde Piesteriz. Der andere Teil gehört den Reinsdorfer Werken.
In der Schatzungsstraße sind meine Ufer schön mit Steinen eingefaßt, und fast täglich sind fleißige Hände mit dem Reinigen
von Gemüse beschäftigt. Hier möchte ich auf zwei Grundstücke
bzw. Wohnhäuser aufmerksam machen, die bei der letzten Zerstörung der Vorstädte durch Brand am 6. April 1813
unversehrt blieben. Es sind dies Nr. 18, das „Haubenschlößchen“, Willy Schwarze gehörig, und Nr. 6, das Wohnhaus von Karl Schulze. An der Speiserbreite vorbei fließe ich bis zur Clausstraße, nach
dem Bürgermeister Clauß benannt, der von 1432 bis 1438 in Wittenberg amtierte, unter der festen Brücke hindurch.
Hier ereignete sich seiner Zeit ein recht trauriger Fall.
Es war an einem hei?en Sommertag um die Mittagszeit.
Da setzte sich ein alter Mann aus Dobien, der Häusler Schüßler,
der in Wittenberg Besorgungen gemacht hatte, auf den Brückenrand. Da duselte er ein und fiel rücklings hinab in mein
tiefes Bett. Als er am andern Ende zum Vorschein kam, war er tot.
Die nun folgende Mühle war ehemals Bienengräbers Färberei. Müller Bollmann, Bruder des Reinsdorfer, baute sie um zur Mahlmühle.
Christian Strohbach, der nachmalige Besitzer, gründete neben
ihr eine Mühlenbauanstalt. Die jetzigen Besitzer sind Gebrüder Lehmann aus Dabrun-Lammsdorf, Pächter ist Ernst Friedrich.
Die Bruchmühle, deren letzter Besitzer Nizschke war, ist von
der Stadt angekauft und außer Betrieb gesetzt worden.
An der Berliner Straße, Eingang Bachstraße, hielt ich eine kurfürstliche Walkmühle in Betrieb. Im Jahre 1420 befahl
Kurfürst Albert III. den Wittenberger Tuchmachern, in seiner Walkmühle am Rischen Bach alle ihre Tuche zu walken.
1472 kaufte die Tuchmacherinnung diese Walkmühle.
In dieser Innung waren ums Jahr 1500 etwa 35 Meister vereinigt.
Im Jahre 1760 wurde diese Mühle zerstört, die wieder aufgebaute 1813 ebenfalls wieder zerstört und beseitigt. Heute noch heißt der Geländestreifen an der Berliner Chaussee, „Walkmühlenbreite“.
Der Herzog August von Sachsen bestätigt die am 19. Mai 1547 erfolgte Belehnung der Tuchmacherinnung mit der Walkmühle
im Jahre 1554. Solche Belehnung erfolgte stets nach dem Regierungsantritt eines anderen Kurfürsten, so auch von
Johann Georg am 25. Januar 1632.
Im Jahre 1817 verlieh König Friedrich Wilhelm III. der Tuchmacherinnung nach Vortrag der Deputation, deren
Sprecher Johann Jakob Holtzhausen war, die Hohe Mühle. Holtzhausen ist 1808 nach Wittenberg verzogen.
Hermann Holtzhausen, Stadtrat a. D., war der letzte Tuchmachermeister der ehemaligen Tuchmacherinnung.
Die Walkmüller zahlten Pacht, mußten aber auch kleine Unterhaltungskosten selbst tragen. Für jedes Stück Tuch
bekamen sie Walkgeld. Auch für Einquartierung, die es wegen
der Festung Wittensberg so häufig gab, mußten die Walkmüller
in Friedenszeiten die Kosten selbst bestreiten.
In Kriegszeiten bekamen sie ums Jahr 1800 5 Silbergroschen
für den Mann aus der Innungskasse. Streitigkeiten kamen aus diesem Grunde oft vor die Innung.
Außer den genannten Mühlen kann ich noch nennen die
Fabriken, wie sie sich seit 1830 bezeichnen:
Die größte von ihnen war die von Liepe in Piesteritz
(jetzt Steingutfabrik),
Trautmann in der Juristenstraße und Dobien.
Tamm in der Töpfergasse Nr. 4, später Liepe, in Labetz und Dobien, Gebrüder Reinsberg im Grundstück Nr. 59 in der Collegienstraße. Außer der schon erwähnten Bienengräberschen Färberei war
noch die von Gerischer am jetzigen Klosterhof.
Prädikow, im 17. Jahrhundert eingewandert, hatte seine Fabrik
in der Schloßstraße.
Hans Tamm wird schon 1675 genannt.
1782 kam Christian Lamm aus Loburg hinzu.
Louis Tamm, gestorben 1908, war der letzte Obermeister
der Innung.
Im Jahre 1880 wurde mein Lauf von der Bachstraße aus
direkt durch die Neustraße nach der Jüdenstraße gelegt,
und zwar mit einem Kostenauswande von 1268 Mark.
Vorher floß ich, im Bogen um das heutige Gymnasium herum
und wurde auf einer hölzernen Arche (überdecktem Trog)
durch den Wall hindurch nach der Poststraße geleitet.
Dort, an dem Grundstück Nr. 16, welches der Tuchfabrikant
Liepe bewohnte, bog ich, in Richtung Jüdenstraße hin, ein.
Fabrikant Liepe war ein origineller Herr, der es gern hörte
und sich sehr geschmeichelt fühlte, wenn ihn die Jungens
mit den Worten grüßten:
„Guten Tag, Herr Liepe, an die Bache!“
Da bekamen sie gewöhnlich einen kleinen Obulus überreicht.
Wenn sie aber sagten:
„Guten Tag Bachliebe“, und das geschah von weitem, erregten
sie starkes Mißfallen, und sie hatten gelegentlich mit einer
,,Wucht“ (Schläge) zu rechnen.
In der Jüdenstraße fließe ich am Kirchplaze vorüber, dem ehemaligen Kirchhofe.
Am 16. Juni 1772 fand hier die letzte Beisetzung statt.
Die anliegende Superintendentur wurde Ende des 17. Jahrhunderts unter Bürgermeister Quenstädt erbaut.
Auch das alte Gymnasium, jetzt Buchdruckerei Friz Wattrodt,
Inh. Heinrich Haecker, ist mir noch lebhaft in Erinnerung.
Es war weit und breit berühmt und wurde durchschnittlich
von 300 Schülern besucht, selbst von Grafen und Prinzen.
An der Spitze der Anstalt stand in der Mitte des vorigen Jahrhunderts der Direktor Schmidt, ein Fürst unter den
Gelehrten, eine ehrwürdige, amtungsvolle Erscheinung
trotz seiner kleinen Figur.
Unter ihm wirkten Männer wie Stier, Wentrupp, Hartung,
Bernhard, Becker, die fast alle als Direktoren gestorben sind.
1813 waren in den Räumen 80 gefangene preußische Offiziere untergebracht.
1806, nach der unglücklichen Schlacht bei Jena und Auerstedt,
sah ich auch den französischen Kaiser Napoleon I.,
welcher die Türme bestieg, die Gegend besichtigte und dann
den Befehl gab zur Befestigung Wittenbergs.
Bei der Volkszählung 1855 hatte Wittenberg 553 Wohnhäuser
und 8970 Einwohner.
Die am 1. Dezember 1880 vorgenommene Volkszählung
hatte folgendes Ergebnis:
Im Stadtbezirk wurden gezählt 878 Wohnhäuser mit
2734 Haushaltungen und 13448 Einwohnern (einschließlich 1304 Militärpersonen).
Früher floß ich offen durch die Stadt. Über mein Bett führten
meist schmale Holzstege, die manches Opfer kosteten.
Jedes Kind mußte einmal in
„die Bache“ gefallen sein,
ehe es vollwertig angesehen wurde. Auch mancher ehrsame Bürger, der in etwas unsichern Verhältnissen aus dem von Louis Meyner, Maiwalds oder Bergers Lokal heimwandelte, hat dann
dieses unfreiwillige Bad wiederholt.
An uns Bächen wurde gescheuert und gewaschen Gefäße
und Töpfe, auch der intimsten Art, entleert und gespült.
Die Gerber spülten ihre Felle, die längere Zeit in der Flut
gelegen hatten und dort mürbe geworden waren.
Die Färber die Garne, die Korbmacher, die namentlich
hinter der Mauer viel wohnten, legten die Weiden in das
Wasser vor ihren Fenstern.
Eine unsaubere Sache war stets die Säuberung meines Bettes.
Diese wurde in der Mitte des vorigen Jahrhunderts (um 1850)
von dem Arbeiter Fritzsche vom vom Bauamt und von Frauen ausgeführt. Der Unrat blieb nicht liegen, wie es anderwärts
geschah, sondern wurde in Schlammwagen fortgeführt.
Außerhalb der Stadt wurde diese Arbeit verrichtet von meist
jungen Leuten aus den der Stadt verpflichteten Dörfern.
Und diese Arbeit war immer ein reines Fest für diese jungen kräftigen Burschen. Da wurde auch allerhand Kurzweil
getrieben und mancher große Hecht und viele Schlammbeitzker wurden gefangen.
Vor dem Rathause speise ich die Fischbehälter der Kleinmittenberger Fischermeister, die heute noch ihre
Fischerei-Gerechtigkeit ausüben von Clöden bis zur
anhaltischen Grenze.
1452 haben sie die Innung gegründet mit den Wittenberger Fischern. Die Amtsfischerei befand sich vor dem Schloßtore.
1557 erhielt die Wittenberger Fischerinnung eine neue Ordnung. Am Ende der Coswiger Straße liefere ich schon seit 1320 die Kraft mit für die ehemals fürstliche Mühle. Die erste Amtsmühle wurde 1640 durch eine Feuersbrunst zerstört, ebenso vier Häuser in der Coswiger und zwei in der Pfaffenstraße. Dabei kam ein Müllerknappe in den Flammen um. Die Mühle wurde in größerem Maßstabe wieder aufgebaut, hochparterre mit einem mächtigen Dach. In den untern Räumen war das Steuerbüro längere Zeit mit untergebracht. Nach der Entfestigung Wittenbergs wurde die Mühle von dem Müller Eduard Knopf, der sie käuflich erworben hatte, abgebrochen und die heutige Mühle neu ausgebaut. Bei diesen Arbeiten wurde auch der nach der Schloßkirche führende Gang zugemauert. Auf dem Schloßplatz, wo die Steuerkontrolle aussgeübt wurde, spielten sich zuweilen recht heitere Szenen ab.
Im Jahre 1883-84 wurde das städtische Wasserwerk, dessen Schaffung 400 000 Mark kostete, eröffnet. Vor Straach, auf
den Wiesen, die vor einigen Jahren von der Stadt Wittenberg
an die Besitzer gegen Wiesen im Lug am Luthersbrunnen eingetauscht worden sind, befinden sich drei Tiefbrunnen und
ein Sammelbrunnen.
Ganz in der Nähe meiner Quelle sollte auch ein solcher
Tiefbrunnen angelegt werden.
Der Fleischermeister Franz Schwarze, der Besitzer des
Grundstücks willigte nicht ein, und zwar im Interesse der Müller, obwohl ihm 6000 Mark geboten wurden.
Die Stadt Wittenberg ließ nun Ende des Jahres 1893 das Wasser des Bullerbaches bei Straach, das bis das hin von mir
aufgenommen wurde, dem städtischen Wasserswerke zu
dessen Verstärkung zuführen.
Die sich dadurch benachteiligten Müller der von mir betriebenen Mühlen reichten Klage ein. Der langwierige Prozeß zog sich hin
bis zum Jahre 1902, und zwar zu ungunsten der Stadt.
Von den entstandenen Kosten wurden der Stadt ein Drittel,
den Klägern aber zwei Drittel aufgelegt.
Die Stadt legte Berufung ein und hatte den Erfolg, daß in
letzter Instanz 1907 der Kläger mit seinem Anspruch
abgewiesen wurde.
Er hatte außerdem 23/24 der Prozeßkosten zu tragen,
während der Stadt Wittenberg nur 1/24 auferlegt wurden.
Meine Wasserflut ist belebt von Hechten und Schlammbeizkern,
im Oberlaufe auch von Regenbogenforellen.
Der Fischotter treibt sein Unwesen mehr als man denkt.
Hat doch Fabrikbesitzer Eduard Schumann allein 37 teils
schwere Exemplare gefangen.
So sei hiermit ein gut Teil „Heimatkundliches“festgelegt,
und zwar auch vieles, was man sonst nicht verzeichnet findet. Kenntnis der Heimat, das ist das, was uns diese lieber und
werter macht, und aus dieser die Männer und Frauen schafft,
welche die Kraft und den Willen haben, sich zur wahren Volksgemeinschaft zusammenzuschließen zum Aufbau
des deutschen Vaterlandes.
Arno Stadelmann †