Raubritter im Wittenberger Land

1956.06. Wittenberger Rundblick

Raubritter im Wittenberger Land
Zur Sicherung der deutschen und flämischen Ansiedler war nördlich von Wittenberg eine ganze Reihe von Burgwarden entstanden; denn das Land war noch unsicher, seitdem es durch Albrecht den Bären von den Wenden zurückgewonnen worden war. Der Burgenring fing schon in Wittenberg an. In Dobien lag der nächste Burgward, der auf einem Wallberg errichtet war. Das war wahrscheinlich eine uralte germanische Kultstätte, um fröhliche religiöse Feiern zu veranstalten. In wendischer Zeit mag sie ähnlichen Zwecken gedient haben. Der als Burgward ausgebaute Wallberg war durch Aufschüttungen erhöht und durch Gräben und Holzpalisaden befestigt worden. Er diente einmal als militärischer Stützpunkt zum Schutz und der Sicherung des sich entwickelnden Handels nach Norden auf der Handelsstraße, die in der Nähe vorüberführte, zum andern war er der Amtssitz. Aehnlich war es auch mit den Warden und Burgen in Ließnitz und Zahna, mit dem Rabenstein, dem Eisenhart in Belzig, den Burgwarden in Wiesenburg und Niemegk.
Die von Dobyn nannten sich das Geschlecht auf der Wallburg. Ob sie dem Ort den Namen gaben, oder ob sie sich nach der schon vorhandenen Siedlung nannten, wer kann das heute noch wissen? Sehr verschieden ist der Name des Geschlechts in den vorhandenen Urkunden geschrieben: Dobyn, Dobien, Dobbyn, Tobin, Thobin, Dübin, Dibin, Dybene, Dubene und Dybin. Der gelehrte Mönch schrieb den Namen ganz willkürlich, wie er ihn verstanden hatte, nach seiner eigenen Rechtschreibung. Man wußte schon, wer und welches Geschlecht gemeint war.
Die Burg muß in der Zeit zwischen 1135 bis 1160 angelegt worden sein. Erwähnt wird sie erstmalig in einer Urkunde von 1187. Um das Jahr 1200 saß schon die zweite Generation derer von Dobyn auf der Wallburg. Mit der Belehnung des Otto von Dobyn hatte sein Landesherr aber den Bock zum Gärtner gemacht. Statt den Verkehr auf der Handelsstraße zu schützen, überfiel er die Kaufleute und plünderte sie aus. Seine Standesgenossen der damaligen Zeit waren noch zuverlässig. Erst 150 Jahre später entarteten viele von ihnen. Der Dobyner war wirklich nur eine Ausnahmeerscheinung.
Aber ihm sind seine Räubereien schon nach einigen Versuchen schlecht bekommen. Nach 1200 war es, in Wittenberg residierte der Herzog Albrecht, der Sohn Albrechts des Bären; da rüsteten die Wittenberger Bürger einen Zug gegen den räuberischen Dobyner. Ein gar kleiner Haufen war es, der da dürftig genug bewaffnet loszog. Sie wollten aber Ruhe zu einer friedlichen Entwicklung ihres jungen Gemeinwesens haben. Die Wallburg überrumpeln zu wollen, daran dachten sie nicht. Sie wußten. daß der Ritter bei seinem schlechten Gewissen auf der Hut sein würde. Auf eine lange Belagerung konnten sie sich aber auch nicht einlassen. Sie stürmten mutig die nur schwach befestigten Anlagen. Ihrem herzhaften Angriffsgeist erlag der Dobyner. Der Ritter und ein paar Knechte konnten fliehen, ein Teil wurde niedergemacht, der Rest gefangengenommen. Alle Gebäude, meist aus Holz gebaut. wurden niedergebrannt, die Palisaden zerstört und der Wall wurde teils in den Graben geschippt.
Es war wieder Ruhe im Wittenberger Lande. Von dem Dobyner hat man nichts wieder gehört in Wittenberg.

Die Burg Ließnitz, die nach den urkundlichen Erwähnungen um dieselbe Zeit wie die Wallburg in Dobien erbaut wurde, war weit stärker befestigt. Es war eine Wasserburg, durch drei Wassergräben geschützt, außerdem mit starken Wällen und Holzwehren umgeben. Da gab es so um das Jahr 1350 neben den hölzernen Bauten der Knechtshäuser und Ställe das große steinerne Haus des Ritters Otto von Düben. Es gab einen hohen Wartturm aus Feldsteinen mit Quark und Ochsenblut gemauert, und ein Verlies im Turm für die Gefangenen war auch vorhanden.
Ob der Burgherr auf Ließnitz ein Nachkomme im Geschlechte derer von Debyn war, ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Nicht nur die Aehnlichkeit des Namens – die Variationen der Schreibweise des Namens kennen wir ja – deutet darauf hin, sondern auch die Aehnlichkeit seines Charakters und Schicksales zwingt uns geradezu zu der Vermutung, die wir allerdings nicht beweisen können. Wir wissen auch nicht, in wieviel Generationen die von Düben auf der Burg Ließnitz saßen.
Otto von Düben war verarmt und litt Not. Die Einnahmen zur Fortführung des einst so sorglosen ritterlichen Lebens waren immer geringer geworden. Seine Bauern in weiter Runde um die Ließnitzburg kamen immer weniger ihren Lehnsverpflichtungen nach. Viele, die ihm zinsten und für ihn frohndeten, waren schon geflüchtet vor seiner Willkür und seiner harten Hand. In die Städte waren sie gezogen, auch in Wittenberg und vor den Toren der Stadt saßen einige, sicher unter dem Schutz der Stadt und des Kurfürsten. Der Ritter mußte aber sich selbst und seinen Leuten in der Burg helfen, er mußte Mittel beschaffen. Da seine Bauern ihre „Pflichten“ vergaßen, selbst wenn er sie schlug oder in den Turm setzte, fühlte er sich auch nicht mehr an die alte Ordnung gebunden.
Es war auch keiner da, der ihm sein Tun wehrte, als er das Leben eines Räubers und Raubritters begann. Alle die großen und kleinen Räuber hatten gute Tage nach dem Untergange des Hohenstauferkaisers. Die Herzöge, früher mächtig und stark, waren machtlos. Es herrschten viele kleine und kleinste Grafen, Markgrafen und Herzöge. In ihren kleinen Gebieten kamen sich alle wie Könige vor, die sich von keinem Herzog, Kurfürsten oder Kaiser etwas sagen oder beschränken ließen in ihrer Selbständigkeit. Untereinander befehdeten sich die großen Herren und die Ritter auf ihren Burgen überall im Lande taten es nicht anders. Es herrschte das Faustrecht. Gewalt und Räuberei machten sich breit. Die Pfeffersäcke, die reichen Kaufherren, die Tölpel von Bauern zu überfallen, sie ihres Besitzes zu erleichtern galt als vornehm ritterlich und verdienstlich. Lösegeld von den Angehörigen der Händler, die in den Verliesen als Gefangene schmachteten, war eine lohnende Einnahmequelle. Die Putlitze und Quitzows, die Itzenplitze, Köckeritze und die von Lüderitz weiter im Norden, im Brandenburgischen, trieben es ganz toll.
Bei dem Ließnitzer, dem Otto von Düben, hatte es angefangen mit dem geglückten Ueberfall auf den großen Wagenzug des reichen Stettiners, der mit riesigen Warenmengen von der Leipziger Messe kam. Der Ritter und die Knechte hatten Geschmack daran gefunden. Es hatte fette und lustige Tage auf der Ließnitzburg gegeben.
Im Keller lagen noch ein paar Fässer Malvasierweines des ersten Beutezuges. Nach kurzem Ausruhen folgte dann ein Ueberfall auf den anderen auf die Wagenzüge und Dörfer. Scheu blickten sich die Kaufleute um, wenn sie auf der Straße nach Norden zogen. Auch die Umwege um die Burg Ließnitz nützten wenig. Der von Düben war überall, wo er Beute witterte, aus jedem Busch konnte er hervorbrechen. Schließlich wurde die Straße ganz gemieden, nachdem die wenigen Bewaffneten, die sie begleiteten, ihnen keinen sicheren Schutz mehr boten. Die Bauern flüchteten, manches Dorf lag schon wüst. Sogar während der Ernte drohten räuberische Ueberfälle, um das Korn, den Buchweizen und den Flachs samt den Wagen zu entführen. Bis vor die Tore und Mauern von Wittenberg dehnten sie ihre Ritte aus.
Keiner hinderte das Tun des Otto von Düben. Man schrieb anno domini 1358, da riß den Wittenbergern die Geduld. Die Stadt, die sich entwickelt hatte und aufgeblüht war, bangte um ihren Handel und um die Sicherheit ihrer Lehnsdörfer, die ins Schloß und in die Stadt lehnten. Die Bauern hatten ebensoviele Klagen wie die Kaufleute vor das Gericht gegen den Ließnitzer eingebracht.
Sie rückten mit sechs Fähnlein, Reisigen und Bürgern, die aus dem Arsenal des jungen Kurfürsten Rudolf II. ausgerüstet worden waren, gegen die Burg Ließnitz vor. Bauern von Trajuhn. und Teuchel, von Köplitz, Jahmo und Mochau, von Euper und Woltersdorf schlossen sich dem Kriegszug an, mit Knüppeln, Flegeln und Mistgabeln bewaffnet. was sie grad zur Hand hatten, als sie den Zug marschieren sahen. Sie hatten unter dem Ließnitzer gelitten und hatten eine große Wut auf ihn.
Im Sturm nahm der Wittenberger Kriegshaufen die Burg trotz der festen Wälle und Gräben. Der betrunkene Otto von Düben – sie hatten gerade eines ihrer wüsten Feste gefeiert mit Fressen und Saufen wurde gefangen genommen und genau so verprügelt wie das andere Raubgesindel. Nur drei der Ritterknechte, die sich wenigstens tapfer zur Wehr gesetzt hatten, wurden erschlagen. Die Burg brannten die erbosten Bauern völlig nieder. Auch am Steinhaus des Ritters richteten sie solche Zerstörungen an, daß es zu dem Trümmerhaufen paßte, nur der Wartturm widerstand ihrer Zerstörungs- und Kampfeswut.
Burg Ließnitz war eine grobe, wüste Stätte geworden, nachdem man auch den Wartturm abgetragen hatte. Viele Bauern holten sich später Steine zum Aufbau ihrer Häuser und Katen. Nach der Sitte der Zeit wurde der Pflug dann über die wüste Stätte gezogen und Salz in die Furchen gestreut. Seitdem galt der Ort als grobe, das heißt verfluchte Stätte.
Der gefangene Ritter war nach Wittenberg gebracht worden, wo er lange Zeit im Turm saß, bis man ihm und den Knechten den Prozeß machte. Er mußte Urfehde schwören, dann wurde er entlassen und mit Schimpf und Schande aus der Stadt und dem Lande gejagt, nachdem man ihm unter der Androhung, ihn zu hängen, verboten hatte, sich jemals wieder in Ließnitz anzusiedeln.
Fast 200 Jahre waren ins Land gegangen. Die grobe Stätte der einstigen Burg lag noch immer wüst. Die alten Begebenheiten waren längst vergessen worden, da tauchte in der kurfürstlichen Kanzlei im Wittenberger Schloß ein Herr auf, der sich Graf Thylo von Thümen nannte. Er wies unter Vorlegung alter Pergamente urkundlich ein Besitzrecht auf die grobe Stätte Ließnitz nach und bat um die Genehmigung, darauf ein Haus zu errichten. Mit der verbrieften Genehmigung reiste er nach einigen Wochen wieder aus Wittenberg ab. Als der Schreiber des Kanzlers ihm die Urkunde überreicht hatte, wurde er gefragt, wie er das Haus nennen wolle. Er antwortete und lächelte dabei mokant: „Haus Grobstätt“, und der sächsische Kanzlist trug in einen dicken Folianten ein: „Kropstädt“. Er war ein Sachse und hatte den Namen so verstanden.
Aus dem schlichten Haus Kropstädt war schon gar bald ein Schloß und ein Rittergut geworden. Und die Bauern, die sich so nach und nach neben dem Schloß angesiedelt hatten, waren bald wieder seine Leibeigenen, die bei dem Grafen Thylo von Thümen zehnteten und frohnen mußten. Seinen Besitz verstanden er und die ihm folgenden Geschlechter immer mehr zu vergrößern, alles auf ganz legale Art. Er versuchte es eben auf diese Weise, denn er war ja kein Raubritter wie sein Ahn, der Otto von Düben.
Als 1945 mit dem Spuk einer bevorrechtigten Ausbeuterklasse ein Ende gemacht wurde, umfaßte das Rittergut einen Besitz von 6200 Morgen Wald und Ackerland. Ja, sie hatten es schon verstanden, zu Macht und Ansehen, zu Geld und Besitz zu kommen, illegal und legal, mit Raub und verbrieften Sonderrechten. Es erben sich bei uns solche Gesetze und Rechte nicht mehr wie eine ewige Krankheit fort. Die von Düben und die Grafen von Thümen und wie sie sich alle nennen, haben ausgespielt, die Bodenreform hat sie hinweggefegt.

 

Erich Hesse

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