Freßkahle in Wittenberg

Zu den größten Sehenswürdigkeiten, die im städtischen Archiv in Wittenberg gezeigt werden, gehört „Freßkahles -Magen“.

Jakob Freßkahle war ein Kohlgärtner zu Wittenberg. Er lebte um das Jahr 1728 und hat durch seinen sonderbaren Appetit sich einen weltberühmten Namen gemacht. Die Natur scheint ihn nicht gerade zu diesem derben Appetit gezwungen zu haben, aber für ein Stück Geld war er sogleich bereit, alles was man verlangte zu verzehren, z.B. einen ganzen Schöps oder ein Ferkel, dann wieder einmal acht Schock Pflaumen mit den Kernen, ferner vier Metzen Kirschen. Dies zeigt von starkem Hunger, aber sein Appetit verschlang auch irdene Tiegel, Krüge, Schüsseln und Teller, ja, sogar einmal einen halben Ofen. Ferner zerquetschte er Glas und Kieselsteine mit den Zähnen. Und wenn er in die Bürgerhäuser kam bat er um eine Kieselsuppe. Man gab ihm dann eine gute Brühsuppe mit Brot. Gewöhnlich ließ er die Steine liegen, verlangte man es aber, so aß er sie.

Ein anderes Mal verschlang er einen ganzen Dudelsack, sodaß der Spielmann die Flucht ergriff, aus Furcht, daß die Reihe an ihn selbst kommen möchte. Lebendige Tiere, Vögel, Mäuse und dergleichen verschlang er, sodaß die Laute dieser Geschöpfe aus seinem Bauch heraus vernommen wurden. Einmal verschluckte er in Gegenwart von sieben, später deshalb eidlich vernommenen Zeugen, ein ganzes Tintenfaß aus Eisen und Zinn zugleich mit Feder, Federmesser, Tinte und Sand.

Ebenso außerordentlich war seine Stärke mit den Zähnen selbst. Er zog einstmals aus einem Rade mit den Zähnen allein alle die großen Nägel, womit es beschlagen war. Vermittels einer bloßen Leine trug er mit den Zähnen den größten Amboß von einer Schmiede weg, den kaum zweiSchmiedegesellen bewegen konnten. Auf seinem Rüden trug er einst vier derbe Bauern aus dem Dorfe Pratau in die Stadt ohne auszuruhen.

Dies trieb er bis ins sechzigste Jahr. Dann fing er aber an, mäßig zu leben bis auf neunundsiebzig Jahre.

Als nach seinem Tode sein Leichnam geöffnet wurde, ward das Innere seines Magens mit langen rauhen Haaren bewachsen gefunden.

Noch heute nennt man in der Provinz Sachsen einen Menschen, der auffällig viel ißt, einen „Freßkahle.“

Richard Erfurth †

aus: Graetze, Sagenbuch des preußischen Staates.