1936.02.04.+01. Wittenberger Tageblatt
Der Wallberg in Dobien
Muß nicht jedem Wanderer durch die Dobiener Gegend neben dem Dorfkirchlein der Steile Kegel des Wallberges mit den Eichen auffallen?
Er ist gar nicht besonders hoch, nur 108 Meter, überragt damit aber z.B. Wittenberg gegen 40 Meter, und das ist für unsere Gegend nicht wenig. In seiner auffallenden Form ist er gewiß nicht aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen; da haben Menschenhände mitgestaltet. Aber zu welchem Zweck? Wann? Wer?
So reizt er uns, einmal den Spuren nachzugehen, die er in der Geschichte hinterlassen hat; sie führen viel weiter zurück, als die meisten Vorübergehenden auf den ersten Blick ahnen.
2010.06.04. Mitteldeutsche Zeitung
1. Der Wallberg, eine Walburg.
Schon der Name ist genauere Betrachtung wert. Wallberge sind in Europa weit verbreitet, bis tief hinein in Vorderasien; meist werden sie Wallburgen genannt. Ein Unterschied zwischen Berg und Burg wurde früher bei Ortsnamen kaum gemacht. Darum schrieb man z.B. den Namen der Stadt Wittenberg in alten Zeiten häufig Wittenburg. Der Schreibung zufolge wollen viele Gelehrte in einer Wallburg eine alte Anlage zu kriegerischen Zwecken erblicken. Das stimmt oft, ist jedoch nicht das erste. Der alte Name hängt gar nicht mit dem Worte „Wall“ zusammen, ist vielmehr „Wal“ zu schreiben.
Dieses Wort begegnet uns in „Walhalla“, „Walküre“ und würde in unserer Zeit etwa mit „Himmel“ zu übersetzen sein, hat also eine religiöse Bedeutung. In Dobien sprechen viele den Namen kurz, sicher beeinflußt von der Schreibung auf dem Meßtischplatte (“Wallberg“); aber von Alten hört man die Aussprache „Moahlberj“ und „Woahlberj“ , und die letztere ist sicher die ursprünglichere, bezeugt schon 1699 durch den damaligen Dobiener Pfarrer Montanus, der das Wort mit „h“ schrieb, also Wahlberg. Diese Schreibung ist ausschlaggebend. Anmerkung des „Dobieners“: Meine Großmutter sagte immer „Mollberj“ „Wall“ wird in unserer Gegend überall wie im Hochdeutschen ausgesprochen, so daß die Schreibung „Wallberg“ auf dem Messtischblatte ganz und gar nicht der hiesigen mundartlichen Aussprache „Woahrberj“ oder „Moahlberj“ entspricht und als fehlerhafte Eintragung des Kartenzeichners gelten muß. Der Name „Wahlberg“ führt uns in eine noch viel ältere Zeit zurück, als es der Name „Wallberg“ tun würde, mindestens in diejenigen Jahrhunderte vor Christus, da die Germanen aus dem Norden bis in unsere Heimat vordrangen, sahen wir, um 500 v. Chr.. Sie verehrten ihre Gottheiten gern auf Höhen.
Eine Walburg war ihnen ein Abbild des gewaltigen Weltberges, den die von dem bösen Winterungeheuer gefangene Sommerjungfrau oder Sonnenfrau am Frühlingsanfang endlich wieder zurückgewann. Auf der Walburg waren zu Frühlingsbeginn darum fröhliche religiöse Feiern. In der ersten christlichen Zeit ersetzten die Priester die auf einem Berge thronende Frühlingsgöttin durch eine Heilige, nämlich die heilige Walburgis oder Walpurgis, ein recht bezeichnender Name, in dem man sofort den Namen des Berges selbst erkennt. Ihr Tag ist der 1.Mai.
Als aber die alte Sonnenreligion immer wieder im Volk durchbrach, suchte man es davon abzuschrecken, indem man die Nacht der Walburgis mit Teufels- und Hexenspuk verband. Wie die Sonnenfrau oder –Jungfrau durch eine Heilige ersetzt wurde, so behielten die christlichen Priester die bisherigen alten heiligen Stätten der Gottesverehrung nach dem Religionswechsel bei und sorgten dafür, daß hier nun eine christliche Kirche erbaut wurde zur Verehrung der neuen Gottheit. Daher befindet sich dicht bei der ehemaligen Walburg gewöhnlich eine Kirche. So ist es auch in Dobien. (Aehnlich war es übrigens auf dem Apollens- und auf dem Michelsberge, die beide früher Kapellen trugen.) 2. Der Wallberg und die alte Südnordhandelsstraße zur Ostsee
Vielleicht bereits seit uralten vorgeschichtlichen Zeiten, mindestens jedoch seit der Slawenzeit, also rund 1000 Jahren, führt eine Südnordstraße durch die Dübener Heide, von Düben über Kemberg, Pratau. Wohin ging sie weiter nach Norden? An die Ostsee, doch wohl unweit des Wallberges vorbei und über Belzig durchs Brandenburgische nach Vineta oder nach Wollin; – es ist noch nicht einmal ausgemacht, ob nicht die beiden letztgenannten Namen etwa gar denselben Ort bezeichnen; – später, als bald nach dem Jahre 1100 Stettin aufblühte, führte unsere Straße dorthin. Es handelt sich also um die spätere Straße Leipzig – Stettin.
Dieser wichtige Handelsweg ist mit ein Grund für die Anlage dreier Burgwarte in unserer Heimat, eben zum Schutz des Handels, wenn die drei auch nicht zur gleicher Zeit entstanden; Pratau, der älteste, zuerst genannt 965, zum Schutze des Elbüberganges, ferner Wittenberg und Dobien, beide zuerst erwähnt 1180. Gerade die Anlage der zwei Burgwarte Wittenberg und Dobien spricht dafür, daß damals und schon lange vorher die alte Handelsstraße über Wittenberg, wo sie eine ostwestliche kreuzte, durch das Dobiener Burgwartgebiet führte.
Nun aber beginnt ein Rätselraten. Wie ging die Straße nach Norden weiter? Da bestehen zwei Möglichkeiten, die uns durch die alte Flur- sowie alte Landkarten aufgedeckt werden. Nach der Karte des Amtes Wittenberg von Sautter, die die Zustände um 1750 wiedergibt, die Sautterschen Karten unserer Gegend sind nur ein Abklatsch der von Schenk herausgebrachten – führte unsere Straße fast genau nach Norden, vermutlich an der „Krähe“ vorbei, berührte zuerst Grabo und dann in unserem Kreise nur noch Kerzendorf und ging weiter nach Belzig. – Bei dem stellenweise trostlosen Anblick, den sie heute bietet, ahnt man etwas von der beschwerlichen Art des Reisens in alter Zeit, wo Achsenbrüche (Holzachsen!) und ähnliche Annehmlichkeiten den „gefahren“- Werdenden wirklich „Gefahren“ brachten. – Diese Straße führt zwar nicht nahe am Wallberge vorbei, aber doch durch den Dobiener Burgwartbezirk, stand also unter dem Schutze der Wallbergbesatzung.
aus: Archiv des HV WB
Doch finden wir auf ebenso alten Karten, z.B. der Karte des Wittenberger Konsistoriums von Johann Ehrenfried Bierenklee (1749) folgende Weiterführung: Wittenberg – Dobien – Nudersdorf – Straach – Großmarzehns – Raben – Belzig usw. Dieselbe Straße ist auch auf der ersten preußischen Karte unserer Gegend nach der Abtretung 1815 schon als Poststraße angegeben, während die erstgenannte nur als Landstraße erscheint (gedruckt 1816). Als Hauptstraße (Chaussee) hergerichtet wurde die Dobiener jedoch erst um 1865.
Wir müssen sie uns mithin um 1750 genau so elend vorstellen wie die andere. – Nun haben wir die Wahl zwischen beiden. Da nach Dr. Helmut Schmidt Burgwarte „an Punkten, die seit langem Verkehrs- und kultische Mittelpunkte waren“, gegründet wurden, so hat die über Dobien führende Straße viel mehr für sich als die andere; denn dann handelt es sich hier bei Dobien um um beides, um einen verkehrsreichen Ort und um eine Stätte der Gottesverehrung. Zudem ist diese Straßenführung kürzer als die andere; endlich kommt durch sie auch der Burganlage des Rabensteins, an dessen Fuße der Weg vorbeiführt, eine erhöhte Bedeutung zu, obwohl der Rabenstein nie Burgwart war. Somit spricht alles mehr für die Straße von Wittenberg über Dobien und Straach. Von ihr wird noch im fünften Teile die Rede sein.
Das folgende gehört streng genommen nicht hierher; doch hat es sicher Reiz, einmal zu hören, wie die „Stadt“ beschaffen war, der die Reisenden auf der berühmten Straße zustrebten, wie der Geschichtsschreiber Adam von Bremen ums Jahr 1075 die alte Ostseehandelsstadt beschreibt, mag sie nun Vineta geheißen haben oder Wollin. Der Name „Vineta“ ist durch ein Verschreiben aus „Jumneta“ entstanden. Adam berichtet: An der Mündung (der Oder), wo sie sich ins Skytische Sumpfmeer (Ostsee) ergießt, bietet die prächtige Stadt Jumne den Barbaren (den Nordländern, Wikingern) und Griechen (griechisch = katholischen Russen) eine berühmte Heimstatt. Zum Ruhme dieser Stadt werden große und kaum glaubliche Dinge berichtet, daß ich darüber gern einiges mitteile. Es ist entschieden die größte Stadt, die es in Europa gibt. Die Bewohner sind Slawen und andere Völker: Griechen und Barbaren (siehe oben!). Auch die sächsischen Zuwanderer (also aus der Bremer Gegend) haben gleiches Wohnrecht, sofern sie ihr Christentum bei ihrem Aufenthalt nicht zur Schau tragen. Denn alle befinden sich noch im heidnischen Irrglauben. Aber in Sitte und Gastfreundschaft gibt es kein ehrlicheres und gütigeres Volk. Die Stadt strotz von Waren aller nordischen Nationen, und nichts geht ihr ab von den Annehmlichkeit und Seltenheit.
Ob wohl diese „größte Stadt Europas“ mit ihren Strohbuden auch so großen Eindruck auf uns Heutige machen würde? Wie anerkennend spricht der christliche Bremer Domherr von den Sitten und der Gastfreundschaft der heidnischen Slawen! Schließlich verdient auch noch erwähnt zu werden, daß auch der erste Hohenzollern auf der alten Südnordstraße einst in sein neu übernommenes Land zog. Dem Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg, dem späteren Kurfürsten Friedrich I. von Brandenburg, war zunächst die Statthalterschaft in der Mark Brandenburg übertragen worden. Er zog 1412 zum ersten Mal dorthin. Am 12. Juni war er in Leipzig und reiste dann über Düben, Kemberg, Wittenberg, Belzig nach Brandenburg, wo er am 21. Juni eintraf, auf dieser Reise sicherlich nicht ahnend, wie durch seine und seiner Nachkommen Tatkraft die verachtete „Streusandbüchse des Heiligen Römischen Reiches“ noch einmal das Kernland und der Kraftmittelpunkt Preußens und ganz Deutschlands werden sollte.
3. Die Walburg wird Wallburg
Vor etwa 1000 Jahren reichte Deutschland von den Rheingegenden her nur noch bis an die Elbe-Saale-Linie. Das ganze heutige Ostdeutschland war nach der Völkerwanderung Slawenland, Wendenland geworden, unser Kreis ebenfalls. Da begann unter Kaiser Heinrich der I. (919 – 936) und Otto I (936 – 973) die deutsche Rückeroberung dieses ursprünglich deutschen Ostens, die Kolonisierung und Germanisierung, die zu den schönsten Erfolgen führte und mit Recht als die Großtat des deutschen Mittelalters gilt.
Um 940 ist unsere Heimatgegend von der Saale her bis zur Elbe und Schwarzen Elster durch Markgraf Gero erobert worden. Die Elbelinie spielte jetzt eine hervorragende Rolle. Nicht umsonst wurde sie für damalige Verhältnisse außerordentlich gut durch viele kleine Befestigungsanlagen gesichert; sie ging nie wieder verloren. Wir hören in der frühesten Urkunde aus dem Jahre 965. Die über unsere Heimat berichtet, die Namen von 17 Burgwarten im Gau Rizizi, die fast sämtlich an der Westseite der Elbe liegen: Svsili (Susili, jetzt Wüstung zwischen Klieken und dem Sieglitzer Berg), Wörlitz, Grodisti (Burgstall bei Seegrehna?), Eutzsch, Pratau, Rackith, Ressuzi (Kemberg oder bei Kemberg?), Trebitz, Klöden, Pretzsch, Uuazgrinie (höchstwahrscheinlich Axien), Prettin, Dommitzsch, Elsnig, Zwetau, Torgau, Süptitz, Unser Wittenberg und Dobien suchen wir darunter vergebens. Sie gab es damals noch nicht, wenigstens nicht als Burgwarte; denn dort war noch slawisches, mindestens noch nicht festerobertes deutsches Gebiet. Sonderbar, von den Burgen „An der Saale hellem Strande“ und am Rhein sagt und singt alle Welt; die Burganlagen an unserem heimatlichen Strome kennen selbst die Leute aus der Heimat nicht und wissen nichts von ihrer einstigen Bedeutung. An der Stelle dieser Anlagen ragen heute vielerorts Schlösser gen Himmel. – War denn der Teil unseres Kreises nördlich der Elbe bei diesen deutschen Eroberungen ganz vergessen worden? Sein Besitz scheint hin und her geschwankt zu haben. Jedenfalls kam er erst zwei Jahrhunderte später zurzeit Albrecht des Bären (1134 – 1170) fest in deutsche Hände. In einer Urkunde des Klosters Leizkau (zwischen Zerbst und Magdeburg)um 1187 werden in unseren Gegenden als Besitz des Klosters mit aufgeführt die Burgwarte Cossewig, Wittenburg, Dobin, Zane und Elster. Dies ist die erste Erwähnung von Dobien als Ort (auch von Wittenberg und Elster). Dobien stand hiernach in geistlicher Beziehung unter dem Kloster Leizkau und hatte Abgaben dorthin zu leisten. Die deutschen Befestigungsanlagen, die Burgwarte in den genannten Orten, werden nicht lange vorher angelegt worden sein. In dieser Zeit des ersten Auftretens der vorstehenden rechtselbischen Burgwarte werden ferner genannt: Niemegk, Rabenstein, Belzig, Wiesenburg u.a.. Alle diese „Burgen“ bezeichnen ein weiteres Vordringen der Deutschen in slawisches Gebiet über die Elbelinie hinaus, sind Meilensteine in der Rückeroberung des Landes zwischen Elbe und Spree, wodurch die Elbelinie ihre Bedeutung einbüßte. Bei der Betrachtung der Landkarte fragt man sich unwillkürlich: „Warum bekam in dem ganzen nördlichen Teile des Wittenberger Kreises mit nur vier Burgwarten neben Wittenberg, Elster und Zahna gerade Dobien einen solchen?“ Für die Anlage der Befestigungen an der Elbe war natürlich die Lage am Flusse ausschlaggebend, so bei Wittenberg und Elster. Sicher suchte man die Burgwarte einigermaßen gleichmäßig in der Gegend zu verteilen. Das mag neben anderen Gründen für Zahna wichtig gewesen sein. Da aber erscheint uns Dobien doch reichlich nahe bei Wittenberg und weit ab von den nächsten weiter nach Norden gelegenen Burgen Rabenstein und Niemegk. Ob für Dobien nicht seine Bedeutung, die es durch das religiöse Heiligtum wohl für die ganze Gegend einst besaß, und sogar durch die ganze Slawenzeit hindurch bewahrt zu haben scheint, ausschlaggebend geworden ist? Beachtenswert für die Wahl als Burgwartort wird nebenbei noch die durch sein Burgwartsgebiet führende und Schutz heischende Südnordhandelsstraße gewesen sein, wie schon oben gesagt. 4. Wie sah ein solcher Burgwart damals aus?
Er war nicht nur ein militärischer Stützpunkt mit einer kleinen deutschen Besatzung, sondern auch Sitz der deutschen Verwaltung. Mit dem Namen Burgwart bezeichnet man zweierlei, erstens eine Befestigung, zweitens den Verwaltungsbezirk, der einige umliegende Dörfer mit umfaßte. Die Befestigung müssen wir uns in der Ebene sehr einfach vorstellen: Man hub einen mehr oder weniger kreisrunden Graben aus; die ausgeworfene Erde bildete im Innern des Kreises am Graben entlang einen Wall, der dann durch aufgestellte Planken und Bohlen steilwandig gemacht wurde. Oben darauf errichtete man eine Bohlenwand. Das war die ganze Befestigung. Im Innern dieser Anlage erhoben sich armselige Strohbuden zum Wohnen. Zu Kriegszeit war Platz für das Vieh vorhanden, das man als wertvollsten Besitz schützte. An Ställe war es damals noch nicht gewöhnt. In hügeligem und bergigem Gelände wurden auch Höhen für Befestigung benutzt. Hier in Dobien war die Anlage auf dem heutigen Kirchberge; als letzte Zuflucht diente der kegelförmige Wallberg hinter der Kirche. Er war, wie der viele Lehm oben und die Form andeuten, wohl ein wenig erhöht und dann befestigt worden. Die dort aufgefundenen Scherben weisen auf die Zeit etwa zwischen 1200 und 1400. Deutlich erkennt man noch jetzt den Graben um den Wallberg herum, wenn er auch gerade in letzter Zeit leider stark gelitten hat, und den Damm außerhalb des Grabens. Da nämlich unmittelbar am inneren Grabenrande der steile Bergkegel in die Höhe strebt, warf man das beim Grabenbau ausgeworfene Erdreich nicht am Innen- sondern am Außenrand des Grabens auf und befestigte den so entstandenen Wall mit Pfahlwerk. Durch Holzversteifung werden hier die Wall- und die Grabenwände ebenfalls senkrecht hergerichtet worden sein, so daß ohne Wasser ein nicht zu verachtendes Hindernis entstand. Oben hat man den Hügel geebnet; er trug damals gewiß ein turmartiges Gebäude, dem Anschein nach nur aus Holz, Lehm usw.: wenigstens ist von Steinen keinerlei Spur mehr vorhanden.
Ähnlich wie hier beschrieben, müssen wir uns die „Städte“ des Städtegründers Heinrich I vorstellen. Zu umfangreichen Stadtmauern usw. nach späterer Art und Weise und zum Bau größerer Ortschaften, die sich mancher fälschlich den heutigen Städten ähnlich denkt, wäre in seinen neunjährigen Waffenstillstande mit den Ungarn bei den damaligen Arbeitsmitteln nicht Zeit gewesen. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhange die Angabe Thietmars von Merseburg über die Anlage der Befestigung von Liubusua (Lebusa) innerhalb von 14 Tagen. 5. Kampf der Wittenberger am Wallberg
Schon um das Jahr 1200, zur Zeit Herzog Bernards, des Sohnes Albrecht des Bären, unternahmen die Wittenberger Bürger – es wird eine recht geringe Zahl gewesen sein; denn Wittenberg war damals noch sehr klein ; – einen Kriegszug gegen die Dobiener Burganlage,
aus: Archiv des HV WB
weil der dortige Ritter mit seinen Knechten die auf der alten Handelsstraße nach der Ostsee hin und her reisenden Kaufleute beraubte und damit den Verkehr über Wittenberg arg schadete. Auf eine lange Belagerung ließ man sich zu der Zeit nie ein. An eine Überrumpelung wird kaum zu denken sein, da die Dobiener in so gefährlichen Zeiten und bei schlechten Gewissen sicher auf ihrer Hut gewesen sein werden. Wenn die Wittenberger trotz der verhältnismäßig starken Befestigung die Burg einnahmen, so kann das nur ihrem herzhaften Angriffsgeiste zugeschrieben werden. Wir Wittenberger von heute können die Reste der Burganlage daher mit einem gewissen Stolz auf unsere heldenmütigen Vorfahren betrachten. Sonderbar berührt, daß es bereits in jenen Zeiten Raubritter gegeben haben soll. Sie kamen doch erst nach der Glanzzeit des Ritterwesens auf, die zwischen 1100 und 1300 lag, also nach 1300. Es handelte sich hier um Räubereien, wie sie vor der eigentlichen Raubritterzeit eben vereinzelt vorkamen. In Dobien wurden schließlich die zum Schutze der Handelsstraße Berufene zu ihren größten Schädigern. Man hatte den Bock zum Gärtner gesetzt.
6. Der Sitz der adligen Famile „von Dobien“ am Wallberge (?) Ob die ritterliche Familie „von Dobien“, die im Mittelalter in unseren Heimatgegenden eine Rolle spielte, ihren Stammsitz in Dobien hatte, wie es scheint, oder ob sie aus dem anhaltischen Dorfe Düben oder der Stadt Düben stammt, wird sich schwer entscheiden lassen. Doch spricht vielmehr für Dobien als für die anderen Ortschaften; denn die Glieder dieser Familie treten auf unter den verschiedenen Schreibweisen: Dobin2) (1179), Dobyn, Dobbin, Dobbyn, Tobin, Thobin (Dübin 1262), während die beiden Düben in diesen alten Zeiten vorkommen in den Schreibweisen: Duben (1197), Dibene, Dybene, Dubene, Dybin (Düben 1348). Diese beiden Gruppen der Namensformen scheinen unser Dobien deutlich von den beiden anderen unterscheiden zu lassen. Somit darf man wohl nicht ohne weiteres die Familien „von Düben“ mit denen „von Dobien“ gleichsetzen, obgleich Zusammenhänge möglich sind. Die letzten (eingeklammerten) Schreibungen könnten noch am ehesten Zweifel aufkommen lassen, kommen jedoch in den mir vorliegenden Urkunden nur einmal vor, dazu erst in etwas späteren Jahren, sind darum nicht ausschlaggebend. Aus der Familie „von Dobien“ treten folgende Vertreter auf: Otto (Urkunde des Bischofs von Halberstadt) 1179 Otto (Halberstädter Domherr) zwischen 1186 und 1232 (Ob es sich bei beiden um dieselbe Person handelt?) Werner zwischen 1194 und 1249 Gumbert 1197 Albert (Meißner Domherr) 1230 Dietrich oder Theodorich, erscheint als Magdeburger Domherr zwischen1228 und 1242, in anderer Würde (Cantor) zwischen 1245 und 1258 Otto (Magdeburger Domherr) zwischen 1267 und 1271. Da diese adlige Familie aus Dobien stammen wird, so werden es Glieder der an und auf dem Wallberge ansässigen Familie sein. Wenn in alten lateinischen Urkunden zwischen Vornamen und Familiennamen das Wörtchen „de“ (= von, aus) steht, so ist durchaus nicht gesagt, daß es sich um eine adlige Familie handelt. Oft steht zwischen beiden Namen bei solchen, die bestimmt als adlig nachweisbar sind, kein „de“. Aufblühende Städte zogen Landbewohner an, ja sogen ganze Dörfer auf, die wir in der Nähe der betreffenden Stadt nur noch als Wüstungen kennen (z.B. bei Wittenberg: Schmalbeck, Annendorf). So tritt 1340 im Wittenberger Stadtbuche ein „Petrus de Dobbin“, auf; entweder ist es ein Glied der obigen adligen Familie, oder es handelt sich um einen ganz gewöhnlichen „Peter aus Dobien“, wie es dadurch wahrscheinlich wird, daß um diese Zeit auch ein „Arnoldus de Smedeberch“ (aus Schmiedeberg) und ein „Paulus de Boldenstorp“ (aus Apollensdorf) erscheinen, also aus Ortschaften, die wohl keiner adligen Familie den Namen gegeben haben. Es war die Zeit, da noch nicht zwei Namen für jeden Menschen üblich waren, da der Vorname allein noch ausreichte. Durch solche
aus: Archiv des HV WB
Bezeichnungen und Unterscheidungen – weil es schließlich in einem wachsenden Orte zu viel Peters oder Arnolde usw. gab -, wurden mit der Zeit Ortsnamen zu Familiennamen.
7. Der Wallberg unter Wittenbergs „Herrschaft“
Um 1300 war bei oder auf dem Wallberge bereits eine Kirche, wahrscheinlich schon lange vorher, da in der Regel jeder Burgwart eine Kapelle für die deutschen Krieger hatte. 1301 erfolgte ein Besitzwechsel. Dorf und Kirche gingen durch Schenkung der Witwe des Herzogs Albert II (der 1298 in einer Schlacht gefallen war), namens Agnes, und ihres Sohnes, des Herzogs Rudolf der I, in den Besitz des Wittenbergers Hospital zum heiligen Geist über. Dieses sollte dafür alljährlich Gedächtnisfeiern für Herzog Albert abhalten. Das Hospital lag in der Gegend des heutigen Lutherhauses. Es sollte von nun an zehn Arme mehr als bisher aufnehmen und am Gedächtnistage alle seine Insassen neu kleiden sowie festlich mit Hühnern, Fischen und Semmeln bewirten. Semmeln? Zu dieser Zeit war die aus Amerika stammende Kartoffel natürlich vollständig unbekannt. An ihrer Stelle gab es bei den Mahlzeiten Brot. Um jedoch das alljährliche Gedächtnismahl festlicher zu gestalten, wurden von den fürstlichen Stiftern Semmeln vorgeschrieben. Der letzte Rest des eben beschriebenen Besitzwechsel ist das Patronatsrecht über die Dobiener Kirche, das der Wittenberger Magistrat noch heute ausübt, wobei wir offen lassen, wann und wie dieses Recht vom Hospital zum heiligen Geist an die Stadt übergegangen ist.
8. Dobien kommt zum Amte Wittenberg
Die alten Gaue aus der Slawenzeit verloren nach und nach an Bedeutung; ihre Namen wurden vergessen. Wittenberg und Dobien scheinen zum Gau Ciervisti(Zerbst) gehört zu haben. Es entstanden neue Verwaltungskörper, die Vogteien, Pflegen oder Ämter. Vielfach wuchsen sie aus mehreren – oft zwei – Burgwartbezirgen zusammen.
aus: Archiv des HV WB
Aus den beiden Burgwarten Wittenberg und Dobien entstand entstand auf solche Weise später – aber lange vor 1500 – das Amt Wittenberg.
9. Noch ein Streitfall über den Wallberg
sei zum Schlusse angeführt. Kurz vor 1700 war der Dobiener Wallberg schön bewaldet. Der Damalige Dobiener Pfarrer Johann Friedrich Montanus berichtet am 18.Januar 1699, daß der „Wahlberg“ durch seinen Baumwuchs geradezu „des Dorfes einzige Zierde“ gewesen sei. Gewesen sei? Ja, leider hatten die Bauern allerlei Gehölz, auch Eichen, dort
aus: Archiv des HV WB
niedergeschlagen, obwohl ihnen das vom Wittenberger Rat schon unter dem Vorgänger des Pfarrers verboten worden war. Am 23. März 1700 berichtet Montanus dem Rat, daß bisher „bereits 50 Schock Erlen- und Birkenholz, 12 Schwelleichen, 16 kleine Eichen auf dem Wallberge geschlagen worden seien und man jetzt wieder Erlen und Birkenholz zu fällen angefangen habe“. Jedenfalls – und das scheint die Hauptsache zu sein – verlangt der Pfarrer als Besitzer zweier Hufen auch einen Anteil. Als nun der Rat entscheidet, die Bauern seien dem Pfarrer seinen Anteil zu geben verpflichtet, widerspricht der Dobiener Schulze: Der Pfarrer bekommt nichts! – Leider erfahren wir nicht, wie dieser Streit ausgelaufen sein mag. Heute zieren wieder eine Anzahl Eichen den Wallberg, den altehrwürdigen Zeugen aus Dobiens grauer Vorzeit, besonders aus der Zeit der alten germanischen Sonnenreligion und der Wiedereindeutschung des Ostens.
P. Hinneburg