Das Johannesfest und seine Sitten und Gebräuche

1929.07.22. Unser Heimatland

Volkssitten und Volksgebräuche sind Erbteile aus der Väterzeit und sollen von den Nachkommen als solche gewertet und geachtet werden. Es tut diesem Erbgut keinen Abtrag, daß er zu einem guten Teile seine Wurzeln in der heidnischen Vorzeit hat. Um dem Christentum leichter Eingang im Volke zu verschaffen, knüpften seine Verkündiger in weiser Vorsicht an den alten Götterglauben, die Götterfeste und die dabei beobachteten Gebräuche an, denen sie christliche Namen und christliche Deutung gaben.

Zu der Zeit, wo die alles belebende Sonne den höchsten Stand am Himmelsgewölbe erreicht hatte, feierten unsere heidnischen Vorfahren zu Ehren des Lichtgottes das Fest der Sommersonnenwende. Die christlichen Sendboten wandelten es in das christliche Johannisfest zu Ehren Johannis des Täufers, und das Rad, welches man drehte, um damit das heilige Opferfeuer zu entzünden, wurde zum Feuerrad, daß man unter Jubel den Berg hinabrollt oder in der Form des Johanniskranzes an die Hauswand hängt. Aus dem Opferfeuer selbst entstand das noch heute allgemein gebräuchliche Johannisfeuer. Auch einige der beim Opferfeuer beobachteten Reinigungsbräuche haben sich in Resten erhalten: Augenkranke müssen in die lohenden Flammen sehen, um Heilung zu finden, schwächliche Kinder und schwache Haustiere werden durch den Rauch des Feuers gestärkt. Nimmt man von letzterem ein glimmendes Scheit für den Herd mit, so bringt dies dem Hause Glück. Wenn man die Asche des Johannisfeuers auf den Acker streut, so bringt dieser reiche Frucht. Der Kampf des Lichtes mit der Finsternis spiegelt sich in verschiedenen Bräuchen beim Johannisfeuer wieder.

Es wurde bereits auf das Johannisfeuerrad hingewiesen, welches man noch heute in manchen Gegenden als lohende Holzscheiben durch die Luft schleudert oder vom Berge ins Tal rollt, ohne natürlich etwas vom Ursprung dieses Brauches zu wissen. An der Mosel knüpft sich daran der Glaube, daß es eine gute Weinernte gibt, wenn das Feuerrad ohne vorzeitiges Erlöschen in den Fluten des Flusses verzischt. In früheren Zeiten umgab man das Rad mit Blumen oder Knochen, um gegen Krankheit oder Unglück während des Jahres geschützt zu sein. Die gleiche Bedeutung legt man dem aus Kornblumen, Feldmohn und Raden geflochtenen und mit Rosen geschmückten Johanniskranze bei, den man namentlich in Thüringen an das Haus hängt.

Der Johannistag selbst galt bis weit ins Mittelalter hinein als ein Tag des Unheils. Weit verbreitet ist noch heute der Aberglaube, daß man am Johannistag nicht im Flusse oder See baden dürfe, um nicht zu ertrinken. Ein alter Hallorenglaube weissagt jedem Schwimmer an diesem Tage den Tod in den Fluten der Saale. In dem Gedicht ,,Der hungrige Teich“ erzählt der Dichter Borries Freiherr von Münchhausen, daß den Pfarrer von Göderup ein Grausen vor dem „hungrigen Teich“ überkam, als der Johannistag glühend über den Marschen lag“. Und: „Drei Tote fordert Sankt Johann gut,“ beginnt Wolfgang Müller von Königswinters Gedicht „Die Johannisopfer“.

In Ostpreußen namentlich wird eine alte Volkssage erzählt, nach der in der Johannisnacht die Haustiere, vor allem die Pferde, die Sprache und das Wissen um verborgene Schätze erhalten.

„Wisse!
Oft hat die Johannisnacht den Pferden Weisheit und Rede gebracht,“

singt der ostpreußische Dichter Kurt Mikkoleit in seiner Dichtung Johannisnacht“, in der er dann weiter schildert, wie der reiche, aber geizige Fischerwirt Michel Sakut als Strafe für seine Geldgier den Tod unter den Hufen des ausschlagenden Hengstes findet. Auch Hermann Sudermann weist in seinem Drama „Johannisfeuer“ auf den Volksglauben hin, der sich an die Johannisnacht knüpft.

Allein nicht immer feindselig ist das Geschehen des Johannistages für den Menschen. Es gibt eine Anzahl Bräuche, welche schalkhafte Züge aufweisen und als zukunftkündendes Omen gelten. Eine solche Gestalt ist der Droll aus Shakespeares „Sommernachtstraum“, der die Menschen neckt, so daß sie über ihn erbost sind, dessen Tun sie aber schließlich doch lächelnd verstehen:

„Der auf dem Dorf die Dirnen zu erhaschen,
Zu necken pflegt, den Milchtopf zu benaschen,
Durch den der Brau mißrät, und mit Verdruß
Die Hausfrau atemlos dann buttern muß,
Der oft bei Nacht den Wanderer mißleitet,
Dann schadenfroh mit Lachen ihn begleitet.“

Geheimnisvolles lebt und webt um die in Mondschein und Nebel träumende Johannisnacht, wenn des „Elflands ferne Silberhörner“ erklingen oder der ,“Sunnmendmann“, der gute Geist artiger Kinder, „über Berge und Wälder köstliche Gaben herführt“ (Martin Greif).

Dem Tau in der Johannisnacht und dem in dieser stillschweigend geschöpften Quellmasser spricht der Volksglaube, ähnlich wie dem Osterwasser, segenspendende Kräfte zu. Der Tau schafft reiche Fruchtbarkeit, und wer das Gesicht mit dem Johanniswasser wäscht, dem verschwinden daraus Sommersprossen und andere verunzierende Flecken. Kocht man im Johanniswasser bestimmte Kräuter, so erhält man einen heilkräftigen Trank.

Vielfach spielen in der Liebe der Geschlechter die Gebräuche des Johannistages eine bedeutsame Rolle. Bekannt ist der Sprung über das Johannisfeuer, der nicht bloß gegen Krankheiten schützt, sondern auch als Beweis von Mut und Kraft gilt und der Siegessprung ist, die Geliebte zu erobern. Vielfach wird vom Burschen und Mädchen der Sprung gemeinsam gewagt. Auch über den Hochzeitstag kann man vom Johannisfeuer mancherlei erfahren:

„Stieben die Flamma lustig für,
summa ma vor ‚d Heierstür.
Sengt das Feuer goua d’Houa (Haar),
feier ma im annern Jouha (Jahr).
Kummt der Rauch von unten raus,
wird nix mitten Hochzeitsschmaus.“

Blumen und Kranz spielen ebenfalls eine große Rolle am Johannistag.

„Ein Kränzlein zu Johanni schaff‘ ich mir wohl herbei,
in das sein eingeflochten der Blumen neunerlei.
Das schieb‘ ich unters Kissen, wenn es noch dunkel kaum;
ist mir der Liebste sicher, erscheint er mir im Traum.“

(Martin Greif.)

     In der Johannisnacht zur Mitternachtsstunde kann das Mädchen am Kreuzweg das Antlitz des erwählten Liebsten erblicken. Das Mädchen mindet Blumen zum Kranze und spricht dabei:
„Den ich schau durchs Kränzelein, der soll mir der Liebste sein.“
Es gibt aber auch noch andere Mittel, um etwas über den Zukünftigen zu erfahren. Man bringt in der Johannisnacht im Ofen das Wasser zum Kochen, und das Mädchen spricht dabei:

„Heiliger Johannis, sag‘ mir an,
was ich bekomme für einen Mann!“

In manchen Dörfern herrscht der Brauch, am Johannistage Birkenwasser zu sammeln. Vermischt man es mit Quellwasser, so kann man darin das Bild des zukünftigen Bräutigams erblicken. Auch in stillen Teichen spiegelt es sich im Mondschein der Johannisnacht wieder. Nur dürfen die wißbegierigen Mädchen den Gang dahin nicht den übermütigen Dorfburschen merken lassen, sonst fahren diese aus dem Versteck hervor und schrecken die Schönen.

Es weht unstreitig viel Volkspoesie um die Johannisbräuche, und man sollte sie zu erhalten suchen. Man darf sich dabei nicht auf den Standpunkt stellen, daß sie alberner ober gar schädlicher Aberglaube sind, der nicht in unsere „aufgeklärte Zeit“ gehöre. In unserer nüchternen, materialistisch gerichteten Gegenwart sollte man sich vielmehr dieser vom Zauber der Poesie umrankten Gebräuche freuen, denn in ihnen spiegeln sich Gemütswerte unseres Volkes wieder, die wir uns erhalten wollen.

Richard Erfurth.

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