1930.10.25. Unser Heimatland
Kunst und Künstler, das sind oft recht subjektive, selten eindeutige Begriffe. Was der eine für Kunst erklärt, das bezeichnet ein anderer als Kitsch, und manch einer, den man als großen Künstler preist, wird von anderer Seite als Handlanger der Kunst oder gar als Stümper abgelehnt. Wenn ich darum hier von Wittenberger Künstlern spreche, so werde ich nur die wirklichen, allgemein als Künstler anerkannten Männer in den Kreis meiner Betrachtungen ziehen.
„Kunst geht nach Brot,“ sagt ein altes, leider nur zu wahres Sprichwort. Es kann daher nicht wundernehmen, daß man die Künstler da antrifft, wo ihrem Schaffen Anerkennung und Lohn zuteil wird, und es erklärt sich von selbst, daß die Blütezeit der Kunst in Wittenberg sich an den Namen eines Fürsten knüpft, der zu den größten Beschützern und Förderern der Kunst gehört – an den Namen Friedrichs des Weisen.
Unsere Stadt Wittenberg und ihre Umgebung bot zum Beginn seiner Regierungszeit wahrlich nichts Erhebendes.
„Man zieht drei Meilen weit über eitel Heide. Das Land ist gar sandig und anders nichts denn Steine,“ schrieb ein Reisender damals über die Wittenberger Landschaft, und noch 1508 urteilt ein anderer Reisender aus dem Reiche über Wittenberg selbst:
„Es ist ein arm ansehnlich Städtlein, kleine, niedere, häßliche, hölzerne Häuslein; einem Dorfe ähnlicher denn einer Stadt.“
Und aus dieser dürftigen Stadt, die um jene Zeit wohl kaum 3000 Einwohner zählte, schuf der vielseitig und hoch begabte Fürst, der in kluger Beurteilung der Dinge die Kaiserkrone ablehnte, um seine ganze väterliche Fürsorge seinem Stammlande zu widmen, eine Heimstätte für die Künste und Wissenschaften. Die Werte, die Friedrich der Weise hier für die Kultur seines Volkes schuf, kennzeichnen vielleicht am sichtbarsten den Grundzug seines Wesens.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern aus dem Hause Wettin verlegte Friedrich seine Hofhaltung zumeist nach Wittenberg, wo er an Stelle der alten, wenig ansehnlichen Hofburg ein Schloß erbaute, das als Hauptfeste der wehrhaften Stadt und zugleich als Fürstenwohnung dienen sollte. Zum Baumeister berief er Konrad Pflüger, Kunrad, der Steinmetz, wie er auch genannt wird. Er stand bei dem Kurfürften in festem Solde und hatte seine Befähigung bereits durch seine Arbeiten am Dom in Meißen und der dortigen Albrechtsburg bewiesen. In der Gotik aufgewachsen, besaß er die Kraft, sich von ihr zu lösen und Selbständiges zu schaffen, und diese seine Eigenart beries er auch beim Bau der anschließenden Schloßkirche. Die Baurechnungen sind uns erhalten. Von 1490 bis 1509 wurden 11 400 Schock vom Rentmeister ausgezahlt. Das wären nach heutigem Gelde etwa 600 000 Mark.
Um die innere Ausgestaltung war Friedrich mit großem Eifer und rührender Sorgfalt bemüht und scheute hierbei weder Mühe noch Kosten. Er drückte Schloß und Kirche sein Gepräge auf, so daß aus ihnen die ganze Eigenart seines weltumspannenden Geistes sprach. Leider haben die über Wittenberg sich entladenden Kriegsgewitter die kostbaren Kunftschätze bis auf den letzten Rest vernichtet. Doch haben wir von ihnen eine katalogartige Beschreibung. Im Wohnzimmer Friedrichs erblickte man die Bilder der Herzöge und Kurfürfen von Sachsen, deren Taten darunter stehende Reime rühmten. Die Wände des Schlafzimmers zeigten die Mappen der thüringischen und sächsischen Erblande und auserdem folgende Darstellungen: der Argonautenzug, die Befreiung ber Andromeda, Herkules und die Hesperiden, eine Darstellung des Rechts und des Unrechts sowie der verschiedenen Arten des Glücks.
In dem Gemach seiner Schwägerin, der Herzogin Sophie von Mecklenburg, sah man allerlei allegorische Gemälde von Treue, Liebe, Sittsamkeit und Keuschheit, während das Wohngemach seines Bruders folgende Bilder zeigte: Absalom, David und die Batseba, Pyramus und Thisbe, die Verspottung eines verliebten Greifes durch einen Narren, den ungetreuen Freund, Überfall eines Handelzuges durch Räuber.
Im Nebengimmer sah man: Herkules und Casus, Herkules und Nessus, Herkules und die stymphalischen Vögel, Centauren und Lopithen.
Im großen Saale fanden sich nachstehende Gemälde: Römische Jünglinge ehren die Greife, Scipio läßt alles, was der Belustigung dient, aus dem Lager entfernen, Torquatus läßt seinen ungehorsamen Sohn enthaupten. Auch die übrigen Räume waren mit Bildern aus der römischen Geschichte geschmückt, so daß das Wittenberger Kurfürstenschloß einer großen historischen Gemäldegalerie glich.
Im Jahre 1491 traf am kurfürstlichen Hof in Wittenberg „aus Niederland“ ein Maler „Meister Hans“ ein, der dann bei einem ansehnlichen Jahresgehalt in Torgau seinen Sitz erhielt und bis zum Jahre 1503 in Friedrichs Dienste blieb. Er begleitete 1494 den Kurfürsten nach den Niederlanden, nach Mecheln und Antwerpen, und wurde gleich darauf mit Wechselbriefen zu einer Reise nach Krakau ausgestattet. Es war der Niederländer Jan Gossaert, genannt Marbuse, dessen Bilder noch heute in Wien, Prag, München und Berlin zu sehen sind.
Nach seinem Fortgange berief Friedrich,,Meister Jakob, den wällischen Meister“ den Italiener Jacobo dei Barbari. Er war aus seiner Heimat Venedig nach Deutschland gewandert und in Nürnberg der Lehrer Albrecht Dürers geworden. „Ein Mann,“ so schreibt dieser, „Jakobus genannt, von Venedig geboren, wies mir Mann und Weib, die er aus dem Maaß (d.h. nach den Gesetzen der Proportion) gemacht hatte, und ich in dieser Zeit lieber sehen wollte, was seine Meinung wäre, denn ein neues Königreich.“
Aber Dürer erkannte mit seinem sicheren Blick bald das Handwerksmäßige in der Kunst des Italieners. Indem er lernte, überholte er bald seinen Lehrer und wuchs über ihn hinaus.
Die Nachrichten über die Beziehungen des Kurfürsten zu Albrecht Dürer treten zum ersten Male 1496 in den Rechnungsbüchern der kurfürstlichen Hofhaltung auf. In diesem Jahre erhält „ein Maler von Nürnberg für eine neue Tafel“ (ein auf Holz gemaltes Bild) 100 Gulden. Jedenfalls ist es das aus der Wittenberger Schloßkirche stammende dreiteilige Bild der das Kind anbetenden Maria, das heute in der Dresdener Bildergalerie hängt. Bald bringen die Rechnungen den Namen des Künstlers klarer. Im Jahre 1502 heißt es, der Nürnberger Beauftragte des Kurfürsten habe 26 Gulden gezahlt, „die er Albrecht Dürer auf Schrift meines gnädigen Herrn gegeben, vom Knaben, den er lernt.“
Also gab Friedrich dem Maler einen Knaben in die Lehre und zahlte für ihn das Lehr- und Kostgeld. Im Jahre 1503 kam Dürer selbst nach Wittenberg, wo er u. a. „am Gewölbe und in der kleinen Empore“ der Schloßkirche tätig war, und die Wandbilder in der“ geschnitzten Stub“ des Schlosses schuf. Daneben hat der große Meister für den Kurfürsten eine stattliche Anzahl anderer Bilder gemalt, so das Porträt des Fürsten, das heute im Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin hängt, und 1504 die als Altartafel für die Schloßkirche bestimmte Anbetung der heiligen drei Könige, jenes Wunderwerk, welches heute das Paradestück in der Tribuna der Uffizien in Florenz bildet. Vier Jahre später malte er für seinen Gönner die Marter der Zehntausend, eine figurenreiche Tafel, auf welcher inmitten bewaldeter Felsklüfte die persischen Christen unter dem König Sapor in grausiger Weise gemartert und hingemordet werden. Das Bild befindet sich heute in der Wiener Galerie. Damit hören die persönlichen Beziehungen Dürers zu Wittenberg auf. Aber auch nach seinem Scheiden von der Elbestadt wird die Verbindung aufrechterhalten; wiederholt werden Briefe und Geschenke gewechselt. Mit welcher Treue der Maler an dem Fürsten hing, kann man daraus erkennen, daß er noch 1524 das beste Bild Friedrichs des Weisen als Kupferstich schuf mit der Widmung:
Christo Sacrum:
Ille deí verbó magná pietáte favébat,
pérpetuá dignús pósteritáte cóli.
(zu deutsch: Er war dem Gotteswort in Ehrfurcht tief ergeben,
drum soll die Nachwelt ihn zu ew’gem Ruhm erheben.)
Albrecht Dürer blieb nur wenige Jahre in Wittenberg – der deutsche Wandertrieb ließ ihn nirgends lange an einem Ort verweilen. Dagegen wurde ein anderer Künstler hier seßhaft und heimisch:
Die Zeitgenossen pflegten ihn zu den bedeutendsten Malern seiner Zeit zu rechnen und stellten ihn in eine Reihe mit Dürer und Holbein. Die Nachwelt hat dieses Urteil nur teilweise bestehen lassen, und erst unserer Zeit war es vorbehalten, Cranach wieder als einen Meister der nordischen Kunst zu feiern, deren Merkmale Größe, Kraft und Wahrheit sind. Mit all feinen Schöpfungen steht er fest auf dem Boden der deutschen Heimat; seine Menschen sind einfach, bieder, ja zuweilen derb und knotig; seine Tiere sind die des deutschen Waldes, und in den Wiesen und Wäldern, Feldern und Flüssen, Bergen und Burgen erkennen wir sächsisch. thüringische Landschaften.
Lucas Cranach, der Ältere, wie er zum Unterschied von dem Sohne, seinem Nachfolger in der Kunst und den Wittenberger Besitztümern, bezeichnet wird, ist im Jahre 1472 in dem bambergischen Städtchen Kronach geboren, wo er von seinem Vater, der Formenschneider und Kartenmaler war, in den ersten Malerkünsten, unterrichtet wurde. Sein eigentlicher Familienname war wohl Sunder oder Sünder, worauf auch sein bereits auf den ersten Bildern angebrachtes Malerzeichen, die geflügelte Schlange, hinweist, die später sein Wappenbild wurde. Nach der Sitte seiner Zeit hat er sich aber schon früh nach seinem Heimatort genannt. Un- deutliche Unterschriften wie „Luc. Mahler“ führten sogar zu der Annahme, er habe ursprünglich Müller geheißen. Jedenfalls hat sich Cranach sehr früh schon auf die Wanderschaft begeben; er hat niederländische und rheinische Meister aufgesucht und sich auch in Wien aufgehalten. Ob er schon 1493 von Kurfürst Friedrich dem Weisen auf seiner Wallfahrt nach dem heiligen Grabe mitgenommen worden ist, um alles Merkwürdige aufzuzeichnen, ist nicht erwiesen, wohl aber, daß er vor seiner Berufung als Hofmaler nach Wittenberg die Schlösser der sächsischen Fürsten mit seinen Malereien schmückte. So soll er in Koburg einen Hirsch so naturgetreu gemalt haben, daß Jäger und Hunde sich dadurch täuschen ließen.
Im Jahre 1504 verheiratete sich Cranach mit Barbara Branglier, der Tochter des Bürgermeisters von Gotha, und wurde bald darauf von Friedrich dem Weisen mit „jährlich einhundert güldene Dienstgehalt und die Winter und Sommer Hofkleidung uff seyn Leib„ als Hofmaler nach Wittenberg berufen. wo der Künstler sogleich eine rege Tätigkeit entfaltete.
Neben der Ausmalung bei Wittenberger und des Torgauer Schlosses und der Schloßkirchen beider Orte entstanden eine Reihe der besten Tafelbilder. Aus dem Jahre 1504 stammt die köstliche „Ruhe auf der Flucht„, die jetzt kostbarer Besitz des Kaiser-Friedrich-Museums in Berlin ist. Das folgende Jahr beginnt er den großen Annen-Alter, jetzt eine Hauptzierde ber Städelschen Sammlung in Frankfurt, dann folgt ein Kreuzigungsbild in Wien, der Katharinen-Altar in Dresden, die Verlobung der heiligen Katharina in Merseburg, der Fürstenaltar in Wörlitz u.a.
Aber auch eine große Zahl Holzschnitte entstanden in den ersten fünf Jahren seiner Wittenberger Tätigkeit, die, dem Geschmack der Zeit entsprechend, religiöse Begebenheiten darstellen. Die Vergnügungen und Unterhaltungen seiner fürstlichen Gönner schildert er in einer großen Hirschjagd, in einer Eberjagb, mehreren Turnierbildern und erwirbt sich damit ihre besondere Anerkennung. Wie sehr Friedrich der Weise Meister Lucas schätzte, bewies er dadurch, daß er ihn 1508 in den Adelstand erhob und ihm
„ein schwartz Schlangen mit zween schwartz Fledermausflügel, auf dem Haubt ein rote Cron und in dem Mund ein gülden Ringelein“
als Wappenzeichen verlieh. Mißgünstige haben diese Ehrung dem Meister abgesprochen, und zwar deutete man das LVC auf dem Holzschnitt „Jesus und die Samariterin“ als Abkürzung von Lucas..
Wichtiger aber als diese äußere Ehrung, von der Cranach übrigens nur auf dem vorgenannten Holzschnitte und auf einem Bildnis der Kurfürstin Margarete in Wörlitz Gebrauch macht, ist es jedenfalls, daß der Kurfürst als Reichsverweser seinen Hofmaler auf eine Reise nach Nürnberg mitnahm, damit dieser den von seiner zweiten Italienfahrt heimkehrenden Kunstgenossen Dürer begrüßen könne. Und noch im gleichen Jahre entsandte er ihn, überzeugt von ,,Meister Lucas bewährtem Urteil und Verstand„, mit geheimen Aufträgen an Kaiser Maximilian nach den Niederlanden.
Friedrich der Weise war ein treuer Sohn seiner Kirche, und so hatte er in katholischer Frömmigkeit eine große Anzahl von Heiligtümern gesammelt – 5005 Partitel werden aufgezählt – zu deren silbernen und goldenen Behältern Cranach die Zeichnungen lieferte. Dieses ,,Heiltumsbuch“ bildet heute den wertvollsten Schatz der Wittenberger Lutherhalle. Um die gleiche Zeit entstand das „Passional“ – 14 Blätter, auf denen das Leiden Jesu, und 12, auf denen die Marter der Jünger Jesu dargestellt wurden.
An Gemälden hat der Künstler von 1509 bis 1520 ganz hervorragende Werke geschaffen, zu denen die verschiedenen prächtigen Madonnenbilder, die Verlobung der heiligen Katharina und die Anbetung gehören. Auch im Kupferstich versuchte er sich von 1509 ab. Der bekannte Stich Kurfürst Friedrich der Weise und sein Bruder Johann sowie drei Lutherbilder zeigen diese Seite seiner Kunst. Die Vielseitigkeit seines Könnens, aber auch die Anerkennung, die ihm durch Kaiser Maximilian zuteil wurde, bezeugen auch die acht mit Feder und Tusche ausgeführten Randzeichnungen in dem sogenannten Gebetbuch Kaiser Maximilians, die durch die Schlange und die Jahreszahl 1515 sich als Schöpfungen Cranachs ausweisen.
Cranach war im Leben nicht einer jener lyrisch angehauchten Schmachter, wie sie die romantische Dichtung aus den Künstlern jener Zeit machen will. Sein breites, lebensfrohes, etwas spießbürgerliches Gesicht hätte dies schon lehren können.
Wie in seiner Kunst, so hielt er sich auch im Leben an das Wirkliche, Tatsächliche und Nützliche. Im Jahre 1520 taufte er vom Universitätsrektor Dr. Martin Pollich die Apotheke (die heutige Adlerapotheke), die er mit 84 heizbaren Zimmern und 16 Küchen ausbaute, wozu er 22 000 Steine brauchte. Fleiß, Klugheit, Kunst und die weise Ausnutzung günstiger Umstände machten ihn bald zum reichsten Mann in Wittenberg. Im Jahre 1528 besaß er bereits vier Häuser in der Stadt, dazu mehrere Gärten und Felder. Bei Gelegenheit der Umlage einer Türkensteuer schätzte sich Cranach 1528 folgendermaßen ein:
„700 Schock oder 2000 Gulden das große Haus,
– die Apotheke – 280 Schock oder 800 Gulden
– das große Haus am Markt (das später Merkersche Haus) – 210 Schock oder 600 Gulden
– das Haus an der neuen Gasse,
– die Windmühlen genannt 52 Schock 30 Groschen oder 200 Gulden – das kleine Haus an der neuen Gasse – 63 Schock oder 180 Gulden – – zwei rodemärkische Hufen 56 Schock oder 160 Gulden
– die Breite – 12 Schock oder 36 Gulden
– ein Hof und ein Garten vor dem Elstertore 14 Schock oder 40 Gulden
– das Zhimne Haus mit Garten- 14 Schod oder 40 Gulden
– die Bude hinter der Mauer-3 Schock 30 Groschen oder 10 Gulden – – Martin Beyermachers Garten.
In Summa 1405 Schock 36 Groschen.“
Hierfür hatte Cranach 1000 Gulden als zweite Rate der Türkensteuer zu zahlen. Wenn man bedenkt, daß es sich um eine Selbsteinschätzung handelt – und in Steuersachen pflegte sich schon damals niemand zu hoch einzuschätzen – so kann man wohl behaupten, daß der Wert nicht zu hoch angegeben war. Außerdem besaß Cranach noch ein Haus in Gotha, das ihm seine „versilberte“ Hausfrau, Barbara Branglier, zugebracht hatte, und es gehörte ihm später das Rittergut Wachsdorf, sowie Acker in der Rodemark, wie damals die heutige Rothemark hieß.
Wundernehmen kann uns der Reichtum Cranachs nicht, denn er wußte seine Kunst sowohl als auch jede sich ihm bietende Gelegenheit mit kaufmännischem Sinne auszunutzen, um sein Vermögen zu vermehren. Die ihm privilegierte Apotheke brachte ihm eine ganz bedeutende Einnahme. Wer in der Stadt und Umgegend – ganz abgesehen von den eigentlichen Arzneien – Zucker, Pfeffer oder sonstiges – Gewürz, Rhabarber, Farben u. a. haben wollte, mußte sein Geld zu Meister Lucas tragen. Die übrigen elf Weinhandlungen Wittenbergs führten Rhein-, Franken-, Gorrendorfer, Jenaer und Kotschendorfer Wein. Wer jedoch feurigen süßen Wein trinken wollte, der mußte ihn von Cranach holen, der allein diesen führen durfte. So war sein stattliches Haus zugleich Kunstwerkstätte, Warenlager und Gastwirtschaft. Und in letzterer ging es durchaus nicht immer friedlich zu. Allein im Jahre 1519 mußte Andre, der Schenke von Meister Cranach, zweimal Buße an den Rat der Stadt zahlen, einmal weil er einen Aufruhr im Weinhause erweckt hatte, und dann, weil er einen Gast ins Gesicht schlug. Daß Cranach die städtischen und die Malerarbeiten am kurfürstlichen Hofe übernahm, erscheint selbstverständlich.
Daneben aber leistete er Wittenberg wertvolle Dienste in den verschiedensten Ämtern. Er ist ihr Stadtkämmerer gewesen, saß wiederholt im Ratsstuhl und wurde 1537 Bürgermeister.
Unter den ersten, die Martin Luther als Freund und Helfer und Förderer seines Werkes zur Seite traten, befand sich Lucas Cranach. Mit seinem erfahrenen offenen Blick
Wundernehmen kann uns der Reichtum Cranachs nicht, denn er wußte seine Kunst sowohl als auch jede sich ihm bietende Gelegenheit und sicherem Gefühl erkannte er in dem schlichten, aber mutigen Mönche den Propheten einer neuen Zeit. Seine Kunst baut sich auf dem richtigen und gesunden Gedanken auf, daß das, was wahr ist, auch schön sein muß.
So zeigen auch seine Lutherbilder, welche die Zahl von 20 überschreiten, nicht das, was man einen schönen Mann nennt, „keinen Apoll und keinen Zeus, kein weichherziges Christusideal mit gescheitelten Locken und schön frisiertem Spitzbart:
Es ist eine kernige, eckige deutsche Erscheinung, voll Kraft und voll Sonderbarkeiten, ein starkes Ich, mächtig als solches, zielklar in der Ausgestaltung seines innersten Lebens, auf sich gestellt und nur sich und seinem Gott verantwortlich und dem Geist, der in ihm lebt, dem Geist der Größe und der Wahrheit, die nicht vor dem Tode und vor der Umbildung der eigenen tiefsten Empfindungen zurückscheut, die, nachdem sie sich selbst überwand, die Welt zu erschüttern vermochte.“
(Cornelius Gurlitt.)
Wie innig das Freundschaftsband zwischen dem Reformator und dem Maler war, bezeugt der Brief, den Luther bald nach seinem Aufbruch von Worms „dem fürsichtigen Meister Lucas Cranach, Maler zu Wittenberg, seinem lieben Freund und Gevatter“ schrieb. Und als Luther seine Käte heimführte, war Meister Lucas einer der Trauzeugen. Er hob auch seine Kinder aus der Taufe, und beider Frauen hielten nach dem Beispiel ihrer Männer treu zusammen.
Von noch größerer Bedeutung als Cranachs Lutherbildnisse, die zu Hunderten in die Welt gingen und die Herzen für die Person des kühnen Gottesstreiters gewannen, waren für das Werk der Reformatoren die mit den Bildern Cranachs geschmückten Lutherschen Schriften. In seinem weitläufigen Hause hatte Meister Lucas eine eigene Druckerei eingerichtet, aus der eine große Anzahl Lutherscher Schriften in die Welt ging, die allerdings aus begreiflichen Gründen weder Orts- noch Zeitangaben enthielten. Im September 1522 erschien die erste Ausgabe von Luthers Übersetzung des Neuen Testaments.
Sie zeigt am Anfang der einzelnen Bücher große Anfangsbuchstaben mit kleinen Bildchen, die sich auf den betreffenden Evangelisten bzw. Apostel beziehen, und in der „Offenbarung St. Johannes“ 21 Holzschnitte aus Cranachs Werkstatt. „Die ganze Heilige Schrift„, die 1535 bei dem „Bibeldrucker“ Hans Lufft in Wittenberg erschien, trägt Bilder, die wahrscheinlich Cranachs Meisterhand selbst entstammen. Die von Nicolaus Wolrab in Leipzig 1540 gebruckte Lutherbibel zeigt ebenfalls eine Reihe von Evangelisten-Bilder, von denen das von Johannes außer einem schön gezeichneten Adler Cranachs Wappenbild und die Zahl 1540 trägt. Das Bild des Evan- gelisten Markus trägt unverkennbar die Züge Meister Cranachs.
Es würde zu weit führen, an dieser Stelle alle die zahlreichen Bilder aufzuzählen, die aus Cranachs Malerwerkstatt in Wittenberg hervorgingen. Zwei Werke hat der Meister immer wieder malen müssen – Jesus, der Kinderfreund, 1529 für die Naumburger Wenzelskirche und nach alten Rechnungen 1539 und 1542 zweimal auf „Tuch“ und ferner 1545 für die Paulinerkirche in Leipzig, außerdem Christus und die Ehebrecherin, von dem das in der Münchener und in der Budapester Sammlung die bekanntesten sind.
Mehr als 30 Jahre hielten sich Cranachs Schöpfungen auf gleicher Höhe, aber noch immer rastete der 65jährige Meister nicht. Doch scheint die Kraft allmählich zu ermatten; nur selten erfreut er noch durch ein neues eigenes Werk seiner Hand. Jedoch begehrte man bei fürstlichen Hochzeitsfesten, Leichenbegängnissen und Thronbesteigungen immer wieder des Künstlers Rat und seinen Pinsel. Bedauerlicherweise ist von all den Ausschmückungen und Ausmalungen, welche die Rechnungen aufführen, nichts erhalten geblieben. Nur die in der Fürstengruft zu Meißen befindliche große „Beweinung“ und das 1539 für die Kirche zu Schneeberg in Sachsen geschaffene Altarwerk mit Abendmahl und Weltgericht sowie das 1546 entstandene vierteilige Altarbild in der Wittenberger Stadtkirche sind Zeugnisse seiner nie alternden Kunst.
Mancherlei herbe Schicksalsschläge mögen lähmend auf sein künstlerisches Schaffen eingewirkt haben. Sein hoffnungsvoller ältester Sohn fand in Italien einen plötzlichen Tod; ihm folgte einer seiner drei Schwiegersöhne und 1541 seine treue, fürsorgliche Gattin Barbara. Im Jahre 1544 überließ der 72jährige den umfangreichen Besitz und die Werkstatt seinem zweiten Sohne, der als Lucas Cranach der Jüngere in den Spuren des Vaters wandelte und dessen Werk fortsetzte. Ein schwerer Schlag war für den mehr und mehr vereinsamten Mann der Tod seines Freundes Martin Luther. Nach seinem Heimgange schuf er für die Universität Wittenberg ein Bild des großen Reformators, wie es nicht schöner und ausdrucksvoller sein kann, und in dem in der Berliner Staatsbibliothet befindlichen Stammbuch Cranachs, das eine Sammlung von Miniaturporträts auf Pergament und eigenhändige Denksprüche von Luther, Melanchthon, Bugenhagen, Justus Jonas, Spalatin u. a. enthält, finden wir Luther in ganzer Gestalt, so wie er fast in allen Bibeln zu finden ist, und das Millionen Menschen betrachten, ohne zu wissen, daß es eine Schöpfung Cranachs ist.
Als in der unglücklichen Schlacht auf der Lochauer Heide Kurfürst Johann Friedrich in die Hände Karls V. fiel, da bemühte sich Cranach im Vertrauen auf die alten Beziehungen zum Kaiser, seinem fürstlichen Herrn die Freiheit zu erwirken, und da ihm das nicht gelang, folgte er ihm freiwillig in die jahrelange Gefangenschaft, alle Unbill der Haft mit ihm teilend. Und als dieser endlich die Freiheit wieder erlangte, da folgte ihm der treue Mann in seine thüringische Residenz Weimar und ließ sich im Hause seines Schwiegersohnes Dr. Brück nieder, um in der Nähe seines Kurfürsten zu sein.
Den Schlußstein im Schaffen des nunmehr 80jährigen Meisters bildet sein letztes herrliches Werk:
das Altarbild in der Stadtkirche zu Weimar – ein Bekenntnis seines unerschütterlichen Glaubens und ein Zeichen der Liebe und Treue zu seinem Freunde Luther und dessen Lehre.
Am 16. Oktober 1553 beschloß der begnadete Künstler sein langes, reichbewegtes und gesegnetes Leben. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem St. Jakobikirchhofe, wo ihm die Söhne seines fürstlichen Freundes den schweren Grabstein errichteten, der jetzt der Kirchenmauer eingefügt ist und in den Vorübergehenden das Gedenken an den unsterblichen Künstler und edlen Mann wachruft.
Damit sind aber die Namen auf der Künstlerliste Friedrichs des Weisen noch nicht erschöpft. Unter ihnen finden wir auch den Lehrmeister Albrecht Dürers, den Nürnberger Maler Michael Wohlgemuth. Für ihn sind in den Jahren 1488 und 1489 verschiedene Posten in dne Rechnungen notiert. Das Bild des Kurfürsten, welches er malte, ist leider verlorengegangen; aber in der Marienkirche in Zwickau ist ein bedeutendes Werk seiner Hand erhalten das gotisch umschnörkelte Altarbild „Die heilige Familie„.
Einer der Meister, welche die Zimmer im Wittenberger Kurfürstenschloß ausmalten, war Hans Amberg, „der Maler und Tischler“. Für seinen Anteil bekam er die Summe von 300 Gulden ausgezahlt. Weiter lesen wir in den Rechnungen den Namen des Augsburger Hans Burgkmaier, der im Jahre 1506 dem Kurfürsten eine „Tafel“ mit zwei Heiligen verkaufte. Der Maler Ambrosius aus Halle lieferte vier Figuren. Es folgen weiter Maler aus Köln, Erfurt, Stendal, Meißen, Mühldorf, München. Ihnen schließen sich Glasmaler, Kupferstecher und Kartenmaler an – kurz, ein ganzer Stab von Künstlern, welcher das Wittenberger Schloß und die Schloßkirche belebte.
Es würde den Rahmen dieses Aufsatzes überschreiten, wollte ich näher darauf eingehen. Nur noch auf einige bedeutende Künstler sei kurz hingewiesen. Der Schöpfer des berühmten Rothenburger Blutaltars, Tilman Riemenschneider, dieser große Plastiker, schnitzte 1506 auf der Höhe seiner Kunst ein großes Kruzifix für die Wittenberger Schloßkirche. Für diese schuf der Mainzer Konrad Meit zwei Madonnen, und ein Nürnberger Meister war es, Paul Möller, der für Friedrich die kostbarsten Reliquienbehälter aus Gold verfertigte und mit Edelsteinen besetzte.
Allen bekannt ist der wertvolle Taufstein in unserer Stadtkirche, der in dem so schön erneuerten Gotteshause am Eingang zum Seitenschiff des Altarraums, das in eine Taufkapelle umgewandelt wurde, seinen Platz erhalten hat. Es ist ein Werk Hermann Vischers, eines älteren Verwandten des berühmten Peter Vischers in Nürnberg. Wie die Inschrift besagt, wurde er im Jahre 1457 verfertigt und gilt als ein Hauptwerk des Meisters. Die künstlerische Ausstattung des in Bronze aufgeführten reichgegliederten Aufbaus; die fesselnde Gestaltung der zahlreichen Figuren machen das Ganze zu einem höchst beachtenswerten spätgotischen Denkmale Alt-Nürnberger Kunst.
Zu den kostbarsten Erzbildwerken unserer Schloßkirche gehört die Gedenkplatte in der Nähe des Sakristeieinganges, welche die Krönung der Maria darstellt und eins der hervorragendsten Werke Peter Vischers aus Nürnberg ist. Wie uns die Unterschrift meldet, wurde sie zum Andenken des 1521 gestorbenen letzten Probstes der Schloßkirche Hennig Göden von dem Hildesheimer Domherrn Matthias Meyer aus Dankbarkeit errichtet.
Von Peter Vischer stammt auch das lebensgroße bronzene Reliefbild Friedrich des Weisen in der Nordwand, links vom Altar, welches der Meister im Auftrage des Kurfürsten Johann des Beständigen schuf. Das gegenüber an der Südwand stehende Reliefbild Johanns des Beständigen, welches Johann Friedrich seinem Vater errichtet, ist von Hans Vischer, einem Bruder Peter Vischers, 1534 angefertigt.
Auch aus neuerer Zeit besitzen wir in Wittenberg manches bedeutsame Kunstwerk. Alle aufzuzählen, würde zu weit führen.
Es sei nur hingewiesen auf die Bronzetür unserer Schloßkirche mit ihrem reichverschlungenen Laubwerk von Holbein und den musizierenden neun Chorknaben von Drake, an das Innere der erneuerten Kirche, an dem die verschiedensten Künstler beteiligt sind. Ich erinnere ferner an das von Schadow geschaffene Lutherdenkmal und an das von Drake modellierte Melanchthon -Denkmal, sowie an das große Wandgemälde in der Aula unseres Melanchthon-Gymnasiums, das Woldemar Friedrich malte.
Doch haben die letztgenannten Künstler nicht oder doch nur vorübergehend in Wittenberg selbst gewirkt.
Nicht vergessen werden soll der Schöpfer unseres Kaiser Friedrich-Denkmals, der Bildhauer Hans Arnold.
Zwar hat auch er nicht in Wittenberg selbst geschaffen, aber er ist ein Kind unserer Stadt, der Sohn des Kaufmanns Arnold, der in der Schloßkirche ein Materialwarengeschäft besaß und den älteren Wittenbergern wohl noch bekannt ist. Mit Recht ist darum diesem heimischen Künstler in dem Museum unseres Vereins für Heimatkunde eine besondere Abteilung eingeräumt worden, in der eine größere Anzahl seiner Modelle und Entwürfe Aufstellung gefunden haben.
Die Lutherstadt Wittenberg ist also kunstgeschichtlich durchaus nicht so unbedeutend, als es dem Fernstehenden erscheinen mag. In ihr liegt sogar zu einem guten Teile die Entscheidung zwischen zwei Kunstepochen. Hier vollzog sich im wesentlichen die Abkehr von den verfallenden Formen der Gotik zur Renaissance. So darf unsere Stadt den Ruhm beanspruchen, eine Pflanz – und Pflegestätte deutscher Kunst zu sein, die weithin anregend und fruchtbringend gewirkt hat und also nicht bloß auf dem Gebiete der Religion, sondern auch im Kunstleben eine Mission erfüllte.