Am 5. Mai d.J. sind 400 Jahre verflossen, seit Kurfürst Friedrich der Weise die Augen zum ewigen Schlummer schloß. Mit ihm schied ein Fürst aus dieser Welt, den die Geschichte als den edelsten, gerechtesten und klügsten seiner Zeit preist. Welch hohes Ansehen er überall genoß, beleuchtet wohl am besten die Tatsache, daß ihm die deutschen Kurfürsten nach dem Tode Kaiser Maximilians die deutsche Kaiserkrone antrugen, und sogar der Papst setzte sich nachdrücklich für seine Wahl ein. Friedrich lehnte sie ab; er fühlte sich nicht mächtig genug, um wirklich zu regieren, und wollte lieber Kurfürst von Sachsen bleiben, als nur zum Schein Kaiser heißen. Die nachfolgenden Ereignisse in Deutschland haben seinen Entschluß gerechtfertigt, wenngleich dieser von vielen nicht verstanden und gebilligt worden ist.
Die Früchte dieser heroischen Entsagung genossen die Bewohner seines Staates, denn obgleich sein Blick immer aufmerksam den Gang der Dinge im Reiche verfolgte, so kam diesem doch ungeteilt seiner landesväterliche Fürsorge zugute. In besonderem Maße hat die Stadt Wittenberg diese erfahren.
Bereits im ersten Jahre seiner Regierung ließ er an Stelle der durch Hochwasser zerstörten Elbbrücke eine neue eichene Brücke bauen, die bis zum Jahre 1637 stand, wo sie von den Schweden zerstört wurde.
Er war der erste Fürst aus dem Hause Wettin, der in Wittenberg zeitweise Wohnung nahm. Zu dem Zwecke erbaute er hier von 1490 bis 1499 an der Stelle der alten verfallenen Hofburg durch den berühmten Baumeister Conrad Pflüger aus Görlitz ein Schloß, dem die Albrechtsburg in Meißen als Vorbild diente, und das entsprechend seiner Doppelbestimmung als Fürstensitz und als Hauptveste der Stadt sich als ein mächtiger von zwei Rundtürmen gedeckter Bau drohend nach Westen zu erhob. Seine Innenräume ließ er durch namhafte Künstler ausschmücken, unter denen sich der Nürnberger Maler Albrecht Dürer und Venetianer Jalopo dei Barbari befanden.
Bald nach seiner Rückehr aus Palästina legte Friedrich den Grundstein zu dem stattlichen Neubau der Allerheiligen Kirche (Schloßkirche), die durch den obengenannten Konrad Pflüger gleichzeitig mit dem Schlosse vollendet wurde.
In dem Bestreben, das Gotteshaus im Innern würdig auszugestalten, wetteiferte er mit seinem Hallischen Bruder und seinem Nachbarn Albrecht von Brandenburg. Für die von ihm gesammelten Reliquien, von denen das von Lucas Cranach herausgegebene, „Heiltumsbuch“ 5005 aufzählt, ließ er durch den Goldschmied Peter Möller aus Nürnberg kostbare Behältnisse anfertigen. In langer Reihe standen
auf den Emporen der prächtigen Kirche die vielbewunderten Schätze, die am Tage Allerheiligen die Gläubigen zusammenriefen.
Das schönste Geschenk aber, was der für Kunst und Wissenschaft begeisterte Fürst seinem Lande bescherte, war die Gründung der Universität Wittenberg im Jahre 1502. Bei der Teilung der sächsischen Lande 1485 war der herzoglich-sächsischen, albertinischen Linie die Universität Leipzig zugefallen. So lag der Gedanke der Gründung einer eigenen Hochschule dem Träger der sächsischen Kurwürde nahe genug. Noch andere Gründe kamen hinzu, um den Gedanken zur Tat reifen zu lassen. Wittenberg, als der Hauptort des Kurkreises, erschien als die gewiesene Stätte hierfür. Unter den ersten Professoren, die für die neue Hochschule gewonnen wurden, waren Leuchten der Wissenschaft, vor allem der kurfürstliche Leibarzt Martin Polich aus Mellrichstadt in Franken, der erste Rektor der Universität, und der Augustinermönch und Theologe Johann Staupitz, der erste Dekan ihrer theologischen Fakultät, die der jungen Hochschule eine von dem mittelalterlichen, scholastischen Wesen möglichst freie Richtung gaben.
Kaiser Maximilian genehmigte unter dem 6. Juli 1502 die Errichtung der Hochschule und verlieh ihr für alle ihre vier Fakultäten alle die Vorrechte und Befreiungen, die den alten Hochschulen zustanden. Die sonst übliche päpstliche Bestätigung wurde erst 1507 eingeholt. Inzwischen erfolgte am 18. Oktober 1502 die feierliche Eröffnung der Universität, die durch ein Hochamt in der Stadtpfarrkirche eingeleitet wurde.
Gleich im ersten Halbjahre ihres Bestehens sind 416 Studierende in die Matrikel eingetragen; sie kamen z.T. von weither, aus Ungarn, aus Schweden, aus den Ostseeprovinzen, aus England, auch manche Mönche und Weltpriester und Träger adeliger Namen sind unter ihnen. Ihre Blütezeit aber erlebte die Wittenberger Hochschule als Luther und Melanchthon – ersterer seit Herbst 1508, letzterer vom 20. August 1518 an – ihre Lehrtätigkeit begannen. So durchaus verschiedenartig auch der Charakter der beiden großen Männer angelegt ist, so fühlten sich doch beide gleich von Anfang an mächtig zu einander hingezogen. Gemeinsam gingen beide, der Theologe und der Humanist, an die Reform der Universität, der sie klar und zielbewußt das Gepräge ihres Geistes gaben, und wobei ihnen der weitherzige und weitblickende Kurfürst seinen Beistand leistete. Die Wittenberger Hochschule trat damit in den Mittelpunki der geistigen Interessen Deutschlands, ja der gesamten abendländischen Christenheit. Die Zahl der Stundenten wuchs beständig. Spalatin erzählt als Augenzeuge, daß 400 Zuhörern zu Luthers und gar 600 zu Melanchthons Füßen saßen.
In wahrhaft großzügiger Art sorgte Friedrich der Weise für seine Gründung. Bis zum Jahre 1507 wurde die Universität aus seiner Hofkasse unterhalten, und für die Folgezeit stattete er sie reichlich mit Einkünften und Privilegien aus, sodaß sie nach dieser Seite hin keinen Mangel litt.
Die gleiche väterliche Fürsorge wandte er seinen Erblanden zu. Er war der Schutzherr aller Verfolgten und Bedrängten, der nicht litt, daß einem seiner Untertanen ein Unrecht geschah. Mochte auch unter denen, derer sich Friedrich aus landesherrliche Pflicht mit Wärme annahm, manch Unwürdiger sein, wie der Dominikanermönch Johann Tetzel, der vom kaiserlichen Gericht in Innsbruck mit Fug und Recht verurteilt worden war, dessen Auslieferung er aber durchsetzte weil er ein sächsisches Landeskind war.
Spalatin, der Hofprediger des Kurfürsten und sein berufenster Geschichtsschreiber, hat uns viele Züge seiner Güte und Milde aufbewahrt. Obwohl Friedrich unvermählt blieb, zeigte er große Liebe zu den Kindern. Sah er eine fröhliche Kinderschar, so ließ er diese beschenken. Bei einer solchen Gelegenheit sagte er zu seinem Diener Thomas Wagenknecht:
„Lieber, gib ihnen, denn heut oder morgen werden sie sagen:
!Es zog einst ein Herzog von Sachsen vorbei und ließ uns Kindern allen geben.“
Unter den vielen Verdiensten dieses seltenen Fürsten ist es vor allem eins, das ihm die Unsterblichkeit und den unvergänglichen Dank der evangelischen Christenheit sichert:
Schützend und fürsorgend hielt er seine Hand über Martin Luther und setzte allen Versuchen seiner Gegner, den gefürchteten Mann in ihre Hände zu bekommen und ihm den Prozeß zu machen, ein entschiedenes – Nein – entgegen. Mochte dabei auch die Sorge des Landesherrn um Erhaltung dieses berühmten Professors für seine Universität oder auch politische Gründe mitbestimmend sein, in erster Linie war es doch die Tatsache, daß sich zwischen ihm und seinem Schützling eine persönliche Glaubensgemeinschaft anbahnte. Daß er nach außen hin zurückhält und sich den Anschein des kalten, gleichgültigen Beobachters gab – er kam nie mit Luther persönlich zusammen! – zeigt nur seine politische Meisterschaft. Er mußte so handeln, wollte er schwere Verwickelungen vermeiden. Aber gerade seine Politik des Zauderns und Abwartens hat die Reformation gerettet.
Wie sehr er im Herzen zu Luthers Lehre hinneigte, beleuchtet am besten die Tatsache, daß er vor seinem Abscheiden statt der römischen Sterbesakramente sich von seinem Spalatin das Abendmahl nach evangelischer Weise reichen ließ.
Jeder, der das Leben und Wirken Friedrichs des Weisen vorurteilslos betrachtet, wird der von Melanchthon verfaßten lateinischen Grabschrift zustimmen, welche die Messingplatte auf seiner Gruft vor dem Altar der Schloßkirche schmückt, und die in deutscher Uebersetzung lautet:
Wanderer,
wer du nur auch mit flüchtigem Auge das Grab schaust,
Hemm ein wenig den Schritt hier an dem heiligen Ort:
Friedrich bin ich genannt, der als Herzog des glücklichen Sachsens
Heiliges Haupt empor hoch zu den Sternen erhob.
Der, als Deutschland ganz in den Kriegen der Bürger entbrannte,
Dem Volk, dem er gebot, einzig den Frieden bewahrt
Aber, nachdem ich erlag den Jahren des greisen Alters,
Birgt den entfesselten Leib hier ein geringes Gewölb.
Preis und Ruhm des, was ich getan, wird lange die Nachwelt, Bleibet sie dankbar nur, wieber und wieder erneu’n.
Bei der 400 jährigen Wiederkehr seines Todestages wird sich vor allem unsere Heimat dankbar dieses edlen Fürsten erinnern, von dem das Wort gilt:
Das Gedächtnis des Gerechten bleibt in Segen!
Richard Erfurfh †
aus: O du Heimatflur! vom 24.04.1925