Täglich finden wir in unserer Tageszeitung „Freiheit“ Anzeigen, die zu den Fastnachts- veranstaltungen einladen.
Dieser uralte Brauch ist in seiner ursprünglichen Form kaum noch vorhanden, und man ist der Ansicht, daß auch das Zempern mit all seinen Erscheinungsformen mehr und mehr zurückgeht. Mit den Volkskundeforschern zusammen hat der Verfasser kürzlich im Bezirk eine Rundfrage durchgeführt, die diese Tatsache bestätigte. Grund dafür ist nicht zuletzt die Veränderung der sozialen Verhältnisse auf dem Lande, die gleichzeitig auch die Beziehungen der Menschen zueinander verändern, umformen oder sogar völlig neue Erscheinungen zum Brauch werden lassen. Heute sind Fastnachten, die nach meinen Feststellungen in unserem Kreise mehr zum niederdeutschen Brauchtum zu rechnen sind, als wirkliches dörfliches Fest nur noch vereinzelt anzutreffen. Das bezieht sich sowohl auf die Jugend- als auch die Männerfastnachten.
Schon längst wurden die Flämings-Klemmkuchen von den allgemein üblichen Pfannkuchen und anderem Gebäck abgelöst. Hin und wieder finden wir aber auf den Dörfern bis in die Gegend bei Wittenberg alte Klemmeiseen. Dieses Hausbackgerät wurde bei uns fast ausschließlich zu Fastnachten gebraucht. Auf schnell brennendem Holzfeuer wurden 100 bis 200 der knusprigen Klemm- oder Eierkuchen gebacken, deren Erwähnung in Wittenberg schon bis ins 16. Jahrhundert zurückgeht. Noch vor einigen Jahren wurden diese schmackhaften Sachen in manchem Flämingsdorfe gebacken, und vielleicht holt dieser oder jener auch in diesem Jahre wieder einmal das alte „Isen“ hervor, um den in einem Eimer nach altem Rezept zubereiteten Teig zwischen die „Backen“ (Eisenplatten) zu klemmen, um dann schnell hintereinander die dünnen, mit vielen Ornamenten versehenen Klemmkuchen zu backen. Schneller als dies hier erzählt werden kann, werden dann die herrlichen, knusprigen Rechtecke verzehrt. Niemand macht sich dabei darüber Gedanken, wie schwer das Handhaben der alten Eisen mit einem Gewicht von etwa sieben bis neun Kilogramm ist und mit welcher Schnelligkeit alles getan werden muß. Jedes Stück dieser Eierkuchen ähnlichen Gebilde hat auf der Vorder- und auf der Rückseite figürliche Darstellungen, die erhaben heraustreten und niemals sich gleichen. Bei der Fülle der von mir erforschten Eisen ergab sich niemals eine Gleichheit der Eisen beziehungsweise der Vorder- und Rückseite. So haben wir es deshalb hier mit einer Volkskunst zu tun. deren Erzeugnisse von dem schöpferischen Schaffen der einfachen Menschen auf dem Dorfe Ausdruck geben. Der Dorfschmied, der sich besonders der Herstellung dieser großen Eisen annahm, gestaltete die Ornamentik aus seinem Lebensbereich heraus, deshalb finden wir in Meißeltechnik eingeschlagene Pferde, Hähne, Pflüge, Windmühlen, aber auch Rosetten, Kreuze, Malzeichen, den sächsischen Rautenkranz und die Kurschwerter der Wettiner (siehe Abbildung) und vieles andere. In einem Dorfe sah ich, vom Schmied eingeschlagen, die erste Lokomobile im Dorf mit einem Mann, der sie bedient (1904), und ein anderes Kucheneisen zeigt uns einen Fastnachtstanz voller Bewegung und Darstellung der im Dorfe bekannten Personen.
So werden diese alten Eisen als echte dörfliche Volkskunst, besonders dadurch, daß der fast unvergängliche Werkstoff sie bis heute uns erhalten hat, zum hervorragenden Beispiel dafür, wie unsere Vorfahren mit den ihnen dazu zur Verfügung stehenden handwerkstechnischen Mitteln einfache Gebrauchsgeräte schön gestalteten. Ihr Wert liegt in der Einmaligkeit und ist deshalb zu erhalten.
Das Heimatmuseum (Melanchthonhaus) in Wittenberg ist führend in der Erforschung dieser volkskünstlerischen Erzeugnisse und besitzt eine große Anzahl dieser mitunter recht seltenen Stücke aus den verschiedensten Jahrhunderten; laufend kommen neue hinzu, die hier erforscht, registriert und wissenschaftlich weiter bearbeitet werden, um einen Beitrag zur volkskundlichen Forschung in der DDR zuleisten,
An alle diejenigen, die sich von den Klemmeisen trennen wollen und die die Gewißheit haben wollen, daß ihre von Generation zu Generation überlieferten Eisen nicht verlorengehen, sei deshalb die Uebergabe an das genannte Museum geraten. Hier sind sie gut aufgehoben und werden gepflegt und erhalten.
Heinrich Kühne†
aus: Wittenberger Rundblick vom 27.01.1962