Zeugen aus Wittenbergs Urgeschichte

Über Wittenbergs Vergangenheit liegen verschiedene Chroniken vor, die gewöhnlich mit dem Jahre 1174 beginnen. Was vor dieser Zeit liegt, ist meines Wissens unerforscht. Sicher ist aber, daß auch diese unerforschte Zeit ihre Geschichte hat. Als im Jahre 1905 die Schrebergärten vermehrt wurden, leuchtete man etwas in diese graue Vorzeit hinein. Man stieß beim Rajolen nämlich auf Brandstätten und auf Urnen. Bekanntlich ist die Feuerbestattung kein Kind der Zeit der Krematorien, also der Neuzeit, sie war vielmehr in alter Zeit bei manchen Völkerschaften allgemein üblich. Der Tote wurde vermutlich, wie die Ausgrabungen ergeben haben, an der Begräbnisstätte selbst verbrannt. Auch eine Art Erbbegräbnisse gab es zu dieser Zeit, und zu jedem Einzelbegräbnis oder Familienbegräbnis gehörte eine Brandstätte. Die Erde wurde gesiebt, und von der Brandstätte begann ein Kreis von denjenigen Kieselsteinen, die nicht durch das Sieb gefallen waren. In diesem Kreise befand sich der gesiebte Sand, der die Urnen mit der Asche barg. War es ein Erbbegräbnis, so standen die Urnen der Eltern dicht beieinander in oft westlicher Richtung. Die Urne eines Kindes stand auf den Rändern der Urnen der Eltern.

Wie gesagt, jene Zeit ist unerforscht, sicher ist sie aber germanischer Kultur. Die Begräbnisstätten stammen aus der Eisen– bis Bronzezeitalter. Jedenfalls kann also Wittenberg, wenn auch in anderer Form und unter anderer Benennung, verschiedene Jahrhunderte v. Chr. schon bestanden baben.

Die Beigaben bestanden aus Eisen und Bronzefiebeln (Sicherheitsnadeln). Außerdem befand sich in einer Urne ein interessantes Stück, vermutlich eine Art Sporenhalter.

Dieser bestand ganz aus Bronze und war z. T. fabrikmäßig mit einer Maschine (???) und z. T. mit der Hand hergestellt. Das ist das Sonderbare an dem Stück und läßt erkennen, daß die alten Germanen Wittenbergs betriebsam waren und nicht nur auf Bärenhäuten gelegen haben. Wenn man nicht annehmen will, daß das Stück von weither bezogen worden ist, so ist im Gegenteil zu vermuten, daß die uralten Wittenberger über Kenntnisse verfügten, mit denen sie sich vor den damaligen Kulturvölkern sehen lassen konnten.

A. W.

aus: Blätter für Heimatgeschichte vom 30.10.1923