Wittenbergs Ackerbau vor 100 Jahren

1936.05.01. Wittenberger Zeitung

Der Feldbau reicht für das Bedürfnis nur eben aus, so daß bloß in guten Jahren etwas Getreide verkauft wird; demnach ist er, rücksichtlich der geringen Bevölkerung, offenbar in schlimmem Zustande, woran teils der schlechte Boden, teils auch die Indolenz des hiesigen Bauersmanns Schuld ist; denn von letzterem sagte schon Luther:
wenn der Bauer nicht muß, rührt er weder Hand noch Fuß.
Folge dieser Indolenz und Unempfänglichkeit für allen feineren Lebensgenuß, wie ihn der lommatzscher; altenburger und selbst größtenteils der gebirgische Bauer sucht, ist auch eigentlich das geringe Ansehen der hiesigen Dörfer, die – mit ausnahme der Bitterfelder Pflege und der Aue – meist ganz erbärmliche Hütten enthalten. Die Untertanen im Kreise hatten etwas über 11 000 Hufen, ziemlich überall von mittlerer Größe; demnach gehörten hier 12 bis 13 (im erzgebirgischen Kreise hingegen über 50) Menschen durchschnittlich zu jeder Hufe. Im Jahre 1778 sollen nur gegen 290 000 Scheffel Körnerfrüchte und gegen 30 000 Scheffel Erdäpfel erbaut worden sein, und damals mußte der Kreis noch alljährich einen Teil seines Bedarfs kaufen, den man 1779 auf 59 000 Taler anschlug. Aber der Feldbau hat sich doch auch hier merklich gebessert, und 1799 wurden als Ernte gegen 765 000 Scheffel Getreide und gegen 233 000 Scheffel Erdäpfel angegeben, als Einsaat aber 143 183 Scheffel. Was den Feldbau früher (denn jetzt hilft der Kleebau merklich) sehr zurückhielt, war, nebst den Hut und Tristgerechtsamen der Mangel an Futter und also auch an Dung; daher gab es Felder, deren Brachzeit sich bis auf acht, ja zehn Jahr ausdehnte, so daß sie fünfmal so lange unbenutzt blieben, als benutzt wurden; so schlimm ist es bekanntlich selbst im höheren Erzgebirge nirgends. Den Erdäpfelbau förderte besonders die Teuerung vor 52 Jahren. In der Aue baute man häufig zur Viehfütterung die großen englischen (Bedfordischen) Erdäpfel, die oft über ein Pfund schwer werden. In der Aue und das Bitterfeldische bauen auch viel Gerste und Weizen, und längs der brandenburgischen Grenze gerät der Winterweizen gar nicht übel. Weiter nach der Elbe hin baut man zwar im Roggenjahre fast nur Korn, aber von einer seltenen Güte, weshalb es auch im Handel sehr gesucht ist. Um Herzberg und im nördlichen Viertel des Belziger Amtes wird viel Hirse gebaut, in den meisten Gegenden auch viel Heidekorn, wodurch ein bedeutender Handel mit Heidegrütze veranlaßt wird.
Die Viehzucht ist, nach Verhältnis der Ausdehnung dieses Kreises, höchst gering und dabei auch von geringer Güte.
Ums Jahr 1785 zählte man hier gegen 135 000 Pferde, gegen 34 500 Ochsen, nur gegen 13500 Kühe, über 83 000 Schafe und gegen 100 500 Schweine. Die Pferdezucht ist bloß in der Aue gut, übrigens aber so schlecht, daß man oft vier und noch mehr derselben in die Wildbahn spannt , um eine Klafter Holz zu transportieren; der Landmann um Leipzig pflegt solche Pferde die Dübener Katzen zu nennen. Das Spannen in die Wildbahn ist hier Lieblingssache der Bauern, die mehr als zwei Pferde halten; wer aber bloß zwei hat, spannt sie gern vor (nicht an) die Deichsel.
Die Rindviehzucht wird besonders durch die schlechten und in den meisten Gegenden auch wenigen Wiesen beschränkt. Die Schafzucht ist zwar größtenteils veredelt, aber an Zahl doch gering, sobald man an das mittlere Sachsen denkt. Dagegen zeichnet diesen Kreis die Schweine und Gänsezucht aus, und auf den Stadtmärkten werden jährlich wohl bis 8000 Schweine verkauft; denn in der Liebe zu Speck und Schweinefleisch zeigt der Bewohner noch die alte niedersächsische Natur. Man liebt besonders die dunkelfarbigen, den wilden ähnelnden Schweine.
Die Bienenzucht ist durch den ganzen südlichen Teil des Kreises bedeutend, und veranlaßte sogar eine förmliche Beutnerinnung in Annaburg, die jedoch 1736 ihr Ende erreichte. Wenn der Sommer naht, schafft man die Beuten meist in die Heiden, in die Aue oder in die Bitterfelder Pflege. Das Wachs wird meist von Haus aus an die Aufkäufer abgelassen, und die Wachsmärkte, die einige Städte, besonders Schönewalde noch halten, haben daher wenig mehr zu bedeuten.
Von Wichtigkeit ist der Flachsbau, der zwar meist kurzen, aber sehr gesuchten Flachs liefert; das Amt Schweinitz steht hierin oben an, und die Oberlausitz bezieht von hier viel Flachs zu den feinsten Webereien. Im südwestlichen Teil des Kreises war sonst der Tabakanbau sehr beliebt, ist es aber, gleich dem Hopfen in diesen und anderen Gegenden, jetzt minder. In der nördlichen und mittleren Pflege betrieb man auch vor 30 Jahren die Maulbeerzucht, hörte aber damit bald wieder auf, als man den geringen Lohn davon vor Augen sah. In einigen, besonders den nordwestlichen Pflegen sammelt man auch viel Stachel- oder Wassernüsse, und verhandelt sie nach Berlin, Leipzig usw.
Die Fischerei übertrifft hingegen kaum das eigene Bedürfnis.
Um Jessen und Schweinitz zieht man einigen Wein für den Verkauf, der sich auch von den Genügsamen trinken läßt; viel geringer ist der Weinbau bei Wittenberg, Pretzsch, Gräfenhainichen, Wahrenbrück usw.
Der Gartengemüseanbau deckt nur eben das Bedürfnis, der Obstbau aber auch dieses nicht einmal, obgleich er sich seit 60 Jahren von Jahr zu Jahr gehoben hat, und in manchen Auedörfern wirklich von Bedeutung ist; besonders liebt man in der Aue Pflaumen.
Im Jahre 1804 wurden 3762 Obstbäume gesetzt.
Hier und da wird etwas Wau (Refeda, enthaltend Luteolin, das Färbemittel zum Gelb färben) gebaut. Auch könnte man ein anderes Färbematerial, eine Art Cochenille, mit leichter Mühe hier gewinnen – das jedoch nicht geschieht-, wenn man deshalb den häufigen Sclerantus perennis Linn. (beständ. Knäul) und das Heidekorn ausgrübe; denn an den Wurzeln dieser beiden Pflanzen sitzt in großer Menge der Coccus Polonicus, die deutsche Coccinelle, die eine gute, die Cochenille ersetzende, und ausdauernde Farbe liefert; das Insekt sieht rot oder violet aus und gibt einen blutroten Saft.

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