Wittenberger Gewerbeverein und Arbeitsmarktberatung

So wie in unseren Tagen das Arbeitsamt leistete im Jahr
1891 der Wittenberger Gewerbeverein einen Beitrag zur Einsatzvorbereitung von Frauen im öffentlichen Leben bzw.
für eine berufliche Tätigkeit.
Die erste Veranstaltung dieser Art war gut besucht, der
Vortrag des Referenten, eines Dr. Pohlmeyer aus Berlin,
fand aber nicht die volle Zustimmung seiner Zuhörerinnen.

Er führte u.a. aus:
– „…auf dem Arbeitsmarkt wird nur das Zuschneiden und Musterzeichnen gut bezahlt“,
– “ …zum Lehrerinnen- und Erzieherinnenfach ist wenig zu rathen, ebenso nicht zur Stütze eines Haushaltes“ .
Bewährt haben
– „… sich Eisenbahndienste mit weiblichen Hilfskräften“.
Bei der Verwendung in „Telegraphendienst
– …“ ist die weibliche Zunge ein großes Hindernis“,
die
– „…Verschwiegenheit des Mannes sei vorzuziehen.
Die Xylographie (Holzschneidekunst), die Malerei, das
Kunststicken entspräche eigentlich dem weiblichen Charakter,
auch der Samariterdienst bewegt das Innerste der Frauenherzen“.

Zur Frauennatur
– “ … past so recht das Apothekenwesen mit seinem Kochen
und Destillieren, seinen Mischen und Wägen, seinem Reiben
und Rühren und seinen tausend Feinheiten.“

Frau Weber aus Kleinwittenberg forderte in der
folgenden Aussprache Frauen- und Kinderärzte als eine
„sittliche Notwendigkeit“.
Dagegen hatte der Referent allergrößte Einwände:
– „…der Gedanke Frauenhand und blutige Hände bei Operationen seien schwer zu fassen.“
Bei kranken Kindern brauchten Mütter selbst Prost.

Er sagte abschließend zu den Wittenberger Frauen von damals:
– „… erzieht vor allen eure Töchter zu richtigen Hausfrauen, Gattinnen und Müttern, daß sie nie wieder in demselben Sinne
auf ihre Kinder wirken.“
Das meinen wir heute u.a. auch, aber nicht ausschließlich und überbetont.
Schon damals gefielen den Wittenbergerinnen solche
rückständigen Orientierungen nicht, aber auch nicht
dem Veranstalter, dem in guter Absicht handelnden
Wittenberger Gewerbeverein.

Dr. Wolfgang Senst †

aus: Wittenberger Bürgergeschichten