1927.01.04. Wittenberger Tageblatt
Wittenberger Bier
In den Zeitungen erscheinen wieder die Anzeigen über den Anstich
von „Bockbier“. Bei dieser Gelegenheit sei daran erinnert, dass einst
das Wittenberger Bier einen bedeutenden Ruf genoss; namentlich erfreute sich der „Guguck“ einer allgemeinen Beliebtheit. Wie herzstärkend dieses Gebräu war, das zeigt folgendes Ereignis: der berühmte Astronom, Professor Johannes Stöffler in Tübingen hatte
eine Konjunktur von Saturn, Jupiter und Mars im Zeichen des
Sternbilds Fische dahin gedeutet, dass im Februar 1524 eine allgemeinen Sündflut kommen werde. Die Sorge über den
rohenden Weltuntergang war auch in der Lutherstadt Wittenberg
sehr groß und man traf umfassende Anstalten, dem nahenden
Unglück nach Möglichkeit zu entgehen. Viele flüchteten sich auf
die Stadt umgebenden Höhen. Der Bürgermeister Hohndorf aber
begab sich auf den wohlverwahrten Dachboden seines Hauses und
ließ sich ein Viertel Gebräude „Guguck“
(Es galt in Preußen: 1 Gebräude = 41,22 Hektoliter),
der damals im 172 Häusern der Stadt bereitet wurde, dahin bringen, denn – wie er sagte – „beim guten Trunke zu leiden.“
Als aber die Tonne Leer getrunken war, und die gefürchtete Sündflut noch nicht kommen wollte, da verließ Hohndorf sein hohes Asyl und übernahm wiederum mutig die Leitung der Stadt. Die Brauerei bildete von alters her einen wichtigen Erwerbszweig von Wittenberg. Das Vorrecht zu ihrer Ausübung war an bestimmte Häuser gebunden, deren Besitzer die Bezeichnung „Brauerbe“ trugen. Ihnen waren bestimmte Steuerleistungen und militärische Dienstleistungen auferlegt. So heißt es im „Erbbuch“ vom Jahre 1513:
„Jeder Brauerbe muss von einem jeglichen Gebräu, so er tut,
ein Ungelt (Steuer) entrichten, die zu drei Vierteln an den Kurfürsten, zu einem Viertel an die Stadt fällt.“
Diese Steuer betrug in der Stadt Wittenberg 20 Groschen und brachte dem Amte Wittenberg jährlich 200 Silbergroschen ein. Für die militärische Ausrüstung hatte nach dem genannten „Erbbuch“ in Wittenberg jeder Brauerbe einen Brust- und Rückenharnisch, eine Sturmhaube und eine Schiene für den linken Arm, ferner einen langen Spieß, eine Hellebarde oder eine Büchse und einen langen Degen bereitzuhalten. Nach dem „Grimmischen Vortrage“ vom Jahre 1555 hatte Wittenberg das alleinige Recht, in den diesseits wie jenseits der Elbe gelegenen Dörfern Bier auszuschenken, und zwar bei zehn Gulden Strafe und Beschlagnahme des fremden Bieres, „welches in Wirtshäusern und Haushaltungen etwa anlässlich von Hochzeiten, ernten und dergleichen“ ausgeschenkt wurde.
Es waren dies folgende 34 Dörfer:
Pratau, Dabrun, Melzwig, Wartenburg, Rackith, Lammsdorf, Eutzsch, Pannigkau, Klitschena, Seegrehna, Bietegast, Elster, Reinsdorf, Braunsdorf, Schmilkendorf, Grabo, Piesteritz, Straach, Mochau, Euper, Köpnick, Teuchel, Wiesigk, Labetz, Dietrichsdorf, Zörnigall, Külso, Iserbegka, Berkau, Hohndorf, Prühlitz, Trajuhn, Thießen, und Dobien. Neben Wittenberg durften auch Kemberg, Schmiedeberg und Zahna brauen, doch muss diese ihre Brauzeit genau der in Wittenberg anpassen, nicht früher beginnen und auch nicht später aufhören. Kemberg besaß damals bedeutende Hopfenpflanzungen, und der Kemberger Hopfen war auf den Hopfenmärkten sehr gesucht.
Aber auch in Wittenberg wurde Hopfen angebaut, worauf der
Name des an der Bruchstraße gelegenen „Hopfengartens“ hinweist.
Im Jahre 1513 besaßen in der Stadt Wittenberg 172 Häuser die Braugerechtigkeit; 1801 Tag des 133 ganz und zwölf halb berechtigte Häuser und 1845 waren 146 ganz und neun halb brauberechtigte Häuser vorhanden. Weißbier zu brauen wurde 1703 zuerst beschlossen und in den Jahren 1709, 1721, 1722 und 1727 wiederholt als eine in der Landesverfassung und den Steuerausschreibungen begründete Sache nachdrücklichst angeordnet.
Die Gewerbefreiheit bereitete wie so manchem anderen so auch dem Brauprivileg in Wittenberg ein Ende.
Auch fehlten den Brauberechtigten die sich fortgesetzt verbessernden maschinellen Einrichtungen.
Wie sich die älteren unserer Lesererinnern werden, erfreute sich das „Rothemärker Weißbier“ lange Zeit eines wohl begründeten Rufs, aber auch das später in Rothemark gebraute „Aktienbier“ war mit Recht beliebt.
Überarbeitet von Elke Hurdelbrink