Wittenberger Bäckerinnung

1924.04.27. Wittenberger Zeitung

  Wittenberg, aus einer Burgwardei um 1250 entstanden, hatte eine Bürgerschaft, die sich aus den Burgbeamten und deren Nachkommen und zugezogenen Handwerkern zusammensetzte. Von Innungen ist um diese Zeit keine Rede, in der „Willkühr“, d.h. in dem von den Bürgern mit Bestätigung des Landesherrn selbstgewählten Willensrechte, deren Reste aus dem Jahre 1317 erhalten sind, heißt es, daß die vier „Gewerke“ eine Geschlossenheit bilden. Es waren dies die Gewandschneider, Bäcker, Schuhmacher und Fleischer, also die Hauptgewerbe. Sie bildeten ein „Companie“ und ihre Sprecher, wohl soviel wie Obermeister, sollten bei allen Ratsbeschlüssen mitwirken und ihr Urteil abgeben. Eigene Artikel hatten die Gewerke nicht, in der Willkür aber heißt es, „daß Meister und Lehrlinge nur aufgenommen würden, wenn sie von christlichen deutschen Eltern und nicht von Wenden stammten, ihre vier Ahnen von Vater und Mutter durften nicht wendischen Ursprungs sein“.
Ferner wird von den Bäckern besonders gesagt:

„Unsere gnedige (alte Schreibweise) Herren, H. Rudolph zur Sachsen und Lüneburg, Hertzog und sien Bruder Hertzog Albrecht unsere lieben gnedigen Herren haben getedingit, zwischen uns Bürger-Meister, Ratmann und ganzen Gemeine zur Wittenberg uf iner Site und den Beckirmeister uff die ander Site, Also das die Jahr Marckt die des Montagis von alder gewesen ist bliben sal, und der ander in der wochen sal abegeyn vnd nicht mer sien. Sie sollen backen mit sotanen Underscheid das das sie von eynen scheffeln größ bröt und von den andern scheffeln hellig bröt, gliche alzo bet backen sollen, und sollen das beide veile habin off den Benckin und in den husien, und sie sollen auch unser stadt brotes genung schicken alzo das es nicht broch wire, ouch sollen die Beckirmeister all Suntage vor uns uffs Guohus kommen und sollen das bey irem eide behalden und zcum heiligen swiren das sie is alzo gehalden haben, als vorgeschrieben steit‘ und das das grötz brot Helling brot un semmeln groß genung sien nach dem kornkauffe. Diese vorgeschrieben stircken vnd artikel die sollen zu unsers gnedigen Herren von Sachßen und uns bürgermeister und Ratmann irkenntnisse stehen, wenn sie das nicht mer wolten, so soll das besten, und sie sollen vier breit von eynen Pfennig backen alz sie von alter gethan haben. Actum in die St. Severinu ano: adincac dm. m. iii xvii“ (d. h. gegeben am 23. Oktober 1317)“.

Aber bereits 1350 machte es sich fühlbar, daß die „Willkühr“ nicht mehr für die Innungen ausreichte. Es entstanden da die ersten „Artikel“, ob für jedes einzelne Gewerk oder für alle vier, ist nicht bekannt; jedenfalls aber waren es jetzt fünf ?) Innungen.
Am 16. Oktober 1402 gab Kurfürst Rudolf dem Wittenberger Rat Gewalt,

„in Handwerkssachen die Waren zu taxieren und den Verkaufspreis fest zu setzen; damit die Käufer nicht übervorteilt würden, auch die Handwerksgenossen sich nicht gegenseitig iehre Rohprodukte teuer machten“.

Schon früher waren Reibungen zwischen Rat und den Handwerksmeistern vorgekommen. Die verschiedenen Innungen wollten ihre eigenen Ordnungen haben, nach welchen der Rat wohl die Obrigkeit sein, aber nicht das Kommando führen sollte. 1356 hatten die Gewandschneider es geschafft und sich eine eigene Artikel gegeben. Es war dies für sie um so leichter, als die meisten dieser Herren im Rat saßen. 1422 gingen nun die Bäcker, Fleischer und Schuhmacher vor und machte Ernst mit ihren Forderungen. Während der Verhandlungen starb Kurfürst Albert III., der letzte aus askanischem Stamm, am 27. November, und um Zeit zu gewinnen, verwies der Rat die Gewerke an den zukünftigen Landesherrn. Dieser, Friedrich der Streitbare, der erste Kurfürst aus dem Wettiner Hause, bestätigte bei der Erbhuldigung 1424 den drei Gewerken in Wittenberg die von ihnen vorgeschlagenen Innungsartikel. Das sind die ersten, für jedes Handwerk besonders lautenden, in unserer Stadt.
Vom Jahre 1439 ist im alten Wittenberger Stadtbuch ein Pergamentblatt erhalten, das wohl der damalige Stadtschreiber als Vorlage benutzte. Auf diesem hatte er sich notiert, was die neuen Mitglieder der Innungen zu zahlen hatten. Es gab demnach 1439 bereits elf Innungen in Wittenberg. Von den Bäckern sagt er:

„Item Ein Itzlich Becker der seyn werck gewynet, der sol dem Rathe gebenn, nach lute irer Briue ein halb schog gr. und Zwey pfund wachs.“

Es besagt also, daß der Rat nach dem Wortlaut ihrer Briefe 30 Groschen und zwei Pfund Wachs zu beanspruchen hat.
Um das Jahr 1449 erhalten auch die Bäckerknechte eine Gesellenordnung. Der Kurfürst Friedrich der Sanftmütige gibt in einer Urkunde aus diesem Jahr dem Rat Gewalt, Gesellenordnungen auszurichten, was dieser auch für die
„Corporationen der Mühlknappen-, Bäcker-, Schneider-, Schuster- und Leineweber-Gesellen“ tat.
Ordnung und Inhalt derselben sind nicht mehr erhalten, wohl aber kann man annehmen, daß es sich um Vorschriften für Arbeitszeit und Lebens­wandel handelte.
Der Verkauf von Backwaren geschah nicht im eigenen Hause, sondern mußte auf der „Brotbank“ geschehen. Aus der Urkunde von 1424 ersehen wir nicht, wieviel Meister oder Backstätten vorhanden waren, aber die Anzahl war beschränkt, der Einwohnerschaft ent­sprechend gehalten, und ehe nicht ein Platz frei wurde, konnte kein neuer Meister aufgenommen werden. Um 1500 gab es in Witten­berg 16 Innungsmeister und dementsprechend auch Verkaufsstellen auf der Brotbank. Diese befand sich zu der Zeit am Markt in einem städtischen Gebäude, aber nicht im Rathause. 1529 sind es 23 Meister und 1550 deren 29. Bis zum Jahre 1522 blieb die Brotbank in dem kleinen Hause am Markt, dann wurde letzteres zum Rathausbau gebraucht und abgerissen. Da zu dieser Zeit bei den Wittenberger Bildersturmunruhen die Knabenschule hinter der Stadtkirche verlassen wurde, so zogen die Bäcker mit ihrer Brotbank auf ein Jahr ein. 1524 bereits sind sie wieder am Markt in Bretterbuden. Dieser Zu­stand kann aber nicht lange gedauert haben, man sagte sich, daß auch im eigenen Hause des Bäckers eine Kontrolle stattfinden könne, und so gestaltete sich langsam die „Bäckerstube“ aus. Zu Ende des 16. Jahrhunderts wird kein Zins für die Brotbänke mehr erhoben, sondern Schoß von „Backstuben“. 1590 werden 32 Backstuben versteuert.
Diese von den besseren Wittenberger Innungen hatten einen eigenen Altar ihres Schutzheiligen in der Stadtpfarrkirche, dessen Kaplan aus ihren Mitteln uns erhalten wurde. Auch die Bäcker- Innung wollte etwas Besonderes für das Seelenheil ihrer Mitglieder tun, und so stiftete sie 1514 unter ihrem damaligen Obermeister und Stadtrat Paul Baitz eine „Bäcker-Commende“. Die Urkunde darüber, vom 22. November 1514, ist in dem Archiv der Stadtpfarrkirche noch vorhanden und besagt:

„Es hat der Magister der freien Künste Urban Thornow 200 Gl. laut seines Testaments zu einem Altar, der den Bäckern gehören soll, wenn diese aus ihren Mitteln auch noch 100 Gl dazu geben, gestiftet.“

Was auch mit Zustimmung des Rates geschah. Lange hat diese Stiftung aber nicht Bestand gehabt, denn bereits zehn Jahre später, 1524, wurden die Zinsen des Kapitals mit in den „Gemeinde-Kassen“ getan und zur Armenpflege verwendet. Urban Thornow, auch Dornow geschrieben, war ein Sohn des Wittenberger Ratsherrn und Bäckermeisters Hans Dornow, nachweisbar im Rat 1440. Ersterer hatte studiert, war Schulmann geworden und unver­heiratet gestorben.
Aus dem 15. Jahrhundert ist über die Wittenberger Bäcker wenig zu berichten, da weder die Innung noch das Ratsarchiv Akten aus dieser Zeit besitzt. Dagegen bieten die Rechnungsbücher der Stadt vom 16. Jahrhundert an eine reiche Ausbeute, man könnte alle Mit­glieder der Innung daraus zusammenstellen. Auch in den Betrieb können wir Hineinblicken; es kommen Bestrafungen vor für zu klein gebackene Waren, Weigerung der Obermeister, die Waren zu schätzen und für nicht genügend Vorrat gehalten zu haben.
Auch im Rate haben ein ganz Teil der Bäckermeister gesessen, von 1500 bis 1550 sechs: Gorres Reinicke, Matthies Rust, Hans Burchardt, Andreas Nymeck, Paul Baitz und Barthel Blume.
In den Jahren 1535 und 1536 war die Ernte um Wittenberg infolge von Wetterschäden eine nur geringe gewesen, und das Korn mußte von außerhalb geholt werden. Es kam noch hinzu, daß Herzog Georg von Sachsen, also das Ausland, Korn auf dem Fläming hatte aufkaufen lassen. Wenn auch keine große Verteuerung des Korns dadurch entstand, so mußte es doch von anderweitig (Borna, Ziegiesar usw.) geholt werden und dadurch wurde eine Erhöhung der Fracht merkbar. Die Bäcker hatten nach einer Verabredung unter sich — ohne Wissen des Rats — eine höhere Backtaxe eingeführt.
Infolge dieser Sache aber verlangten die Bäcker eine neue Ord­nung und Taxe ihrer Waren. Man berief sich auf andere Städte, sandte 1539 einen Boten nach Delitzsch zum dortigen Rat und ließ sich durch dessen Stadtschreiber eine Abschrift von der dortigen Bäcker­ordnung anfertigen. Aber erst 1569 wurde den hiesigen Bäckern eine neue Ordnung gegeben.
Wittenberg besaß noch keinen bestimmten Wochenmarkttag, nur die Jahrmärkte waren geregelt. Zum sogenannten Marktverkauf konnte man jeden Tag gehen, stellte seine Waren aus, verkaufte und zog wieder heim. Darüber hatten sich die Fleischer und Bäcker, vor allem aber die Universität beim Kurfürsten beschwert. So kam es, daß Wittenberg vom Kurfürsten August am 1. September 1569 eine neue Marktordnung bekam. Gewöhnliche Wochenmarktage durften nur noch am Mittwoch und Sonnabend sein. Der Marktverkauf begann im Sommer um 7 Uhr, im Winter um 8 Uhr und mußte nachmittags 3 Uhr beendet sein. Hierzu durften auch Handwerks­meister von außerhalb ihre Waren bringen, mußten aber zu Preisen der Stadtmeister verkaufen. Der erste Markt dieser Gestalt sollte mit dem 28. September genannten Jahres beginnen. 1585 wurde dieser Wochenmarkt noch um einen Tag, den Freitag, vermehrt. In der Urkunde vom 14. Januar wurde auch den Bäckern der freie Mehl­verkauf gestattet, jedoch mußte das dem Rat gemeldet sein, und die Verkäufer hatten dafür eine Extrasteuer zu entrichten.
Ein Vergleich der Preise von damals und heute für Brot und Semmeln ist leider nicht möglich, da nie das Gewicht der Ware an­gegeben ist. Vom Magistratsessen 1530 erfahren wir, daß

„eine Ochsenzunge 1 Groschen 6 Pfennig kam, ein Hase 4 Groschen, eine Metze Mehl 2 Groschen 4 Pfennige, 15 Kuchen zu backen wurde mit 6 Groschen 3 Pfennig bezahlt, für Brot und Semmeln 23 Groschen ausgegeben, ohne Angabe der Maße“

Auch Feste zu feiern verstanden unsere Bäcker des 16. Jahr­hunderts. Alle besseren Veranstaltungen fanden damals im Rathaus­saal statt. So heiratete 1589 die Witwe des Bäckermeisters Simon Blum, deren Familienangehörige über 200 Jahre in Wittenberg das Bäckerhandwerk hochhielten, den Bäckergesellen Christoph Spies, gebürtig aus Goltze. Die Hochzeit fand auf dem Rathaussaal an 8 Tischen mit 96 Personen statt. Am meisten war das eigene Handwerk ver­treten. — So der Chronist.
Aus dem 17. und 18. Jahrhundert ist von der Wittenberger Bäcker-Innung wenig zu berichten, weil weder das Stadtarchiv noch die Innung selbst Akten aus dieser Zeit besitzen. 1612 erhalten die Mehlhändler eine Ordnung über den An- und Verkauf des Mehls. Die Händler wollten den Bäckern den Verkauf schmälern, sogar ganz verboten wissen, es wurden aus Bäckern und Mehlhändlern zwei Gewerbe gemacht.
Am 12. Juli 1693 erhielt die Bäcker-Innung eine neue Ordnung. Kurfürst Johann Georg lV. war 1691 zur Erbhuldigung in Witten­berg gewesen, bei welcher Gelegenheit die Bäcker um eine Aenderung ihrer Statuten gebeten hatten, und diese wurden nach ihren Angaben dann 1693 bestätigt. Im großen und ganzen war diese Ordnung der alten nachgearbeitet und nur zeitgemäß den Geldverhältnissen entsprechend ausgestattet. Das Aufdingen eines Lehrlings kam nun einen Taler, das Lossprechen 12 Groschen. Wer Meister werden will, muß drei Jahre gelernt und sechs Jahre als Geselle gearbeitet haben. Wenn er nun das Handwerk muthen, d. h. gewinnen will, so soll er das zuvor anmelden, hernach bei einem Meister in Witten­berg zwei Jahre arbeiten, dann bei der Morgensprache einen Taler geben, bet der folgenden Morgensprache das Geld für einen erledigten Brotscheren erlegen. Heiratet er eine Witwe oder Meisterstochter, so ist das letztere nicht nötig. Ist dies in Ordnung, so kann er mit etlichen Meisterstücken sein Handwerk beweisen.
Hat der Jungmeister sein Meisterstück bestanden, so wird er von den Obermeistern dem Rat vorgestellt. Ist er dem gefällig, so wird er zum Bürger angenommen. Jedem, dem Rat wie dem Gewerk, muß er vier Gulden zahlen. Heiratet er eine Witwe oder Meisters­tochter, so zahlt er nur die Hälfte, eines Meisters Sohn aber nach alter Gewohnheit nur sechs Groschen. Alle aber sind verpflichtet, den Beisitzern, zwei Ratspersonen und zwei vom Bäckerhandwerk für Versäumnis je einen Taler zu geben.
Die Morgensprache war nun auf Montag nach St. Pauli Be­kehrung (25. Januar und Mittwoch nach Pfingsten festgesetzt. Auch war bestimmt:

„wenn das Korn im Preise stiege, sollen die Bäcker 4 Wochen warten, ehe sie höhere Preise für die Backwaren fordern, auch 4 Wochen Zeit nach dem Preisfall zum erhöhten Preise zu ver­kaufen“.

Hier werden auch die „Kuchenbäcker“ genannt. Es darf kein Fremder die Kuchenbacken vornehmen, er gehöre denn der Innung an, wohl aber steht es jedem Bäcker frei, Butterhörnchen und Pfeffer­kuchenwerk zu backen und feil zu halten. Es sollen auch nicht mehr als 24 Backstuben in Wittenberg sein.
Wann die Verordnung herauskam, daß Sonntags nur zwei Bäcker backen durften, ist nicht mehr bekannt. 1823 aber war dies zu wenig, und es kam eine neue Verordnung heraus, daß jeden Sonntag vier Bäcker frische Waren liefern durften.
Die vier Bäckermeister, welche an den Sonntagen frische Back­ware liefern, sollen jedesmal den Sonnabend vorher in diesem Blatte angezeigt werden. Sonntag den 2. März haben das Frischbacken: 1. Meister Voigt, Collegiengasse Nr. 55, 2. Meister Nenz, Collegien- gasse Nr. 103, 3. Meister August Haupt, am Markt Nr. 23, 4. Meister Kratz sen., Coswigergasse Nr. 300.
Beweis, daß auch damals die Sonntagsruhe vorhanden war.
Dieses Ankündigen des „Frischbackens“ geht bis zum 30. No­vember 1845. Da machte am 6. Dezember der Bäckerobermeiper Gottl. Triebel bekannt: „In Folge der neuen Gewerbe-Ordnung vom 17. Januar d. Js. hört das Sonntags- oder Reihebacken auf.“
Die Gewerbefreiheit hatte die Innung aufgelöst.
Als im November 1823 die Prinzessin Elisabeth, Preußens zu­künftige Königin, in Wittenberg von den preußischen Hofbeamten zum Empfang in Berlin, abgeholt wurde, bildeten sämtliche Witten­berger Innungen und Korporationen bei der Ankunft und Abfahrt mit ihren Fahnen Spalier. Ob nun die Bäcker-Innung schon früher eine Fahne besaß, ist nicht nachweisbar; zu dieser Feierlichkeit aber schaffte sie sich eine an. Die Fahne war mit Oelfarbe auf Seide gemalt und ist heute noch vorhanden. Aber sie hat unter Witterungs­einflüssen und unsachgemäßer Aufbewahrung schwer gelitten. 1891 schenkten die Frauen der Innung der Fahne ein Fahnenband.
Auch eine Leichenkasse bestand, seit wann, ist nicht zu ermitteln, die Akten darüber fehlen. Sie war für die Meister mit ihren Fami­lienangehörigen. 1884 wurde sie, wohl weil zu geringfügig und daher nicht mehr zeitgemäß, aufgelöst. Ein jedes Mitglied erhielt aus der vorhandenen Kasse 34 Mark 14 Pfennig ausgezahlt. Fastnachtsbrezeln wurden schon immer gebacken und durch Ver­käufer in den Gastwirtschaften verkauft, aber bei der Menge der Bäcker war kein Verdienst dabei. 1852 wurde dann beschlossen, daß jedes Jahr nur zwei Bäcker Brezeln backen durften. Die Reihen­folge wurde ausgelost. Wollte nun der eine oder der andere Aus­geloste sein Recht nicht benutzen, so wurde das in der Quartals­versammlung zu Neujahr verauktioniert und dem Bestbietenden über­lassen. Es kamen 18 bis 22 Taler für ein solches Brezelbacken her­aus. In der Familie Kratz wurde das Backen der Brezel eine Spezialität. Ein Bäckermeister Kratz war jedes Jahr dabei, ein Kollege hatte ihm gegen Entschädigung immer das Recht abgetreten
Aus der neuesten Zeit wäre nur noch zu berichten, daß 1851 ein neues Statut, den Gewerbevorschriften entsprechend eingeführt wurde. An den beiden Lutherfeiern 1883 und 1892 beteiligte sich die Innung in corpore an den historischen Festzügen. Ja, 1883 stellte sie einen eigenen Wagen mit Backofen. Bei der staatlichen Aufforderung 1898, ob „Freie“ oder „Zwangs-Innung“, entschieden sich die Innungsmitglieder für eine Freie Innung, was sie auch heute noch ist. Am 21. Mai 1908, am Tage nach einer Versamm­lung, verbrannte im Mittmannschen Lokale ein Teil der alten Innungslade aus dem Jahre 1669; gerettet wurden Schloß und Be­schläge, die dann an der 1908 neu angefertigten wieder Verwendung fanden.
Am 15 Januar 1915 trat durch Reichsgesetz das Nachtbackverbot in Kraft. Kurze Zeit darauf, am 15.x März 1915, begann die Zwangswirtschaft für Brotgetreide, der bald die für Vieh, Fette, Kartoffeln usw. folgten, so daß die Abgabe sämtlicher Nahrungs­mittel rationiert wurde. Für die Abgabe des Brotes an den Ver­braucher hatte der Magistrat jeder Haushaltung ein Brotbuch aus­gestellt, worin die Menge der Brotabgabe genau verzeichnet werden mußte. Jeder Empfangsberechtigte konnte 2000 Gramm Brot für eine Kalenderwoche erhalten. Mehrabgaben wurden bestraft. Später löste die Brotkarte das Brotbuch ab, da die Karte dem Verbraucher mehr Freiheit in der Wahl der Verkaufsstelle ließ. Die Zwangs­wirtschaft für Brot wurde im Herbst 1921 gelockert, indem neben Kartenbrot auch Weißgebäck im freien Handel abgegeben werden durfte. Brot mußte auch zu gewissen Zeiten gestreckt werden. Hier­zu wurden Kartoffeln oder in wenigen Fällen Gersten- und Hafer­mehl geliefert. Die Beimengung dieser Streckung wurde behördlicherseits genau festgelegt und nachgeprüft. Auch hier traf den Säumigen harte Strafe, wenn die vorgeschriebene Streckungsmenge im Brote nicht erreicht oder gar überschritten wurde. Einige Zeit später, bei Kartoffelknappheit, 1917, wurde die Beimengung verboten und dafür das 2000-Gramm-Brot auf 1500 Gramm verkleinert. Schwerarbeiter erhielten Zulagekarten in wöchentlicher Höhe von 500 bis 750 Gramm. Die Brotzwangswirtschaft endigte als letztes Glied am 15. Oktober 1923. Die Zeit der Zwangswirtschaft verlief für unser Gewerbe nicht immer reibungslos, und mancher harte Strauß mußte mit den Behörden ausgefochten werden. Auch zeigte sich der Kreisausschuß nicht immer bereit, die notwendige Verdienstspannen dem Gewerbe zu bewilligen. Hier hat zielbewußtes Handeln der Innung in allen Fällen reichen Erfolg gehabt, der dem Führer nur durch treue Gefolgschaft der Innungsmitglieder und Geschlossenheit in allen gemeinsamen Fragen beschieden sein konnte. Die Innung ist stets bemüht gewesen, erträgliche Verhältnisse für das Gewerbe herbeizuführen. Die Mitgliederzahl wächst ständig und betrug im April dieses Jahres 90 Köpfe.
Möge der Bäcker-Innung Wittenberg auch fernerhin ein kräftiges Blühen und Gedeihen beschieden sein.
500 Jahre haben die Bäcker unserer Stadt in Treue zu ihrer Innung gehalten; durch trübe und frohe Tage ging es aufwärts und vorwärts, wenn auch nicht ohne zeitweise schwere Hemmung. Heute kann nun trotz der ernsten Zeit, in der wir leben, mit stolzer Freude und dankbarer Erinnerung an die alten Meister, das Fest des 500 jährigen Bestehens der Innung gefeiert werden Es soll ver­bunden sein mit der Weihe einer neuen Fahne. Möge ihre be­deutungsvolle Inschrift:

„In schwerer Zeit zu Recht und Freiheit“

noch lange den in der Innung geeinten Meistern Leitstern und Wahlspruch sein zum Gedeihen des Handwerks, zum Wohle unserer Stadt und zum Segen unseres geliebten deutschen Volkes und Landes!

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