Wittenberg vor, während und nach dem I. Weltkriege

Neun Jahre sind nun seit dem Ausbruch des I. Weltkrieges verflossen, der für uns einen so unheilvollen Ausgang nehmen sollte. Noch klingen die Ereignisse lebhaft in uns nach, noch erinnern wir uns der gewaltigen, großen Erhebung des deutschen Volkes gegen seine Feinde, die ihm den Untergang geschworen hatten, noch stehen die Begebenheiten während der schweren Kämpfe vor unserm geistigen Auge ebenso die erschütternden Tatsachen beim Ende des Krieges. Aber auch sie werden erblassen, wenn einst – der festen – Überzeugung dürfen wir trotz allem uns hingeben – wieder bessere Verhältnisse für uns kommen werden. Sie festzuhalten, sie unvergessen zu machen, das soll der Zweck dieser Zeilen sein.

Der Verfasser.

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Blätter für Heimatgeschichte vom 29.09.1923
Lokalgeschichtliche Erinnerungen von A.T.

Es war Ende Juni 1914.
Ruhig und friedlich floß das Leben in Stadt und Land dahin – kein Wölkchen am politischen Himmel.
Wittenberg erfreute sich wie viele andere Städte mittleren Umfangs einer zwar langsamen, aber sicheren Fortentwickelung, dle, später zwar oft angefeindet und verspottet, doch den Vorzug einer gewissen Stetigkeit hatte, jebenfalls aber den, daß sich selten jemand um das, was kommen konnte, „graue Haare wachsen Iieß“. Bei Kaffee und Kuchen, bei Pökelknochen und Sauerkohl – den Leib- und Magengerichten der Altwittenberger (die Portion 30, 35 oder wenn es hoch 45 Pfennige; „nicht zu fett!“) flossen dle Tage ohne sonderliche Aufregung dahin.
Daß die Gaststätten trotzdem dabei auf ihre Rechnung kamen, geht aus den zahlreichen Empfehlungen sowohl der bürgerlichen Lokale hervor, wie aus den vielen Ankündigungen von Konzert und Ball, Vereinskränzchen und sonstigen Vergnügungen, die in den hiesigen Lokalblättern von damals ganze Selten füllten.
Und wie billig waren auch die übrigen Artikel des täglichen Bedarfs! Wittenberger Geschäfte boten damals ua.:
– Straacher Molkereibutter Stück 65 Pfg,
– Sommer-Malta-Kartoffeln 2 Pfund 32 Pfg.,
– neue Vollheringe 2 Stilck 15 Pfg.,
– frische Eier Mandel 110 Pfg.,
– Schock 430 Pfg.,
– neue saure Gurken (große Ware) Stück von 8 Pfg. an; weiter:
– Herrenräder 32,50 M,
– Damenräder 45 M,
– ein zweitüriger Kleiderschrank koftete 30 M.,
– eine Kommode 25 M. usw. –
Prelse, dle uns heute märchenhaft erscheinen.
Ein Glas gutes Bier war um die fabelhafte Summe von 15 Pfg. zu haben! Die Liste ließ sich noch erheblich verlängern, aber warum soll den Leser der Mund „wässerig gemacht“ nach Sachen, die uns heute unerschwinglich dünken !

So kam der 28 Juni heran, ein schöner warmer Sommersonntag, an dem alles, jung und alt, arm und reich hinauszog, um in den zahlreichen Gärten in und um Wittenberg sich einige Stunden sonntäglicher Erholung hinzugeben.

Wie damals stets bei gutem Wetter, so waren auch an dlesem Sonntage die Gartenlokale in der Umgebung zahlreich besucht;
von den Gartenlokalen nenne ich an Hand der Zeitung vom 28. Juni 1914 folgende :
– Balzers Konzert-und Festsäle,
– Muths Konzert- und Festsäle,
– Gartenlokal Hotel Kaiserhof,
– Konzerthaus Kaisergarten,
– Konzert- Etablissement Bürgergarten,
– Konzerthaus Schweizergarten,
– Thells Garten,
– Gartenlokal „zum Weinberge“,
– „Goldener Stern“,
– „Sichlers Garten“,
– Schützenhaus,
Gartenlokal „zum grünen Tal“
neben den zahlreichen Ausflugsorten nahe der Stabt.
Von einem derselben am Spätnachmittage heimkehrend, kam mir eilig ein Depeschenbote des hiesigen Postamts entgegen, ein Telegramm mir überreichend mit der Nachricht von der gemeinen Mordtat serbischer Schergen an dem österreichischen Thronfolgerpaare:

„Serajewo, 28. Juni.
Erzherzog Franz Ferdinand Österreich, Ungarns Thronfolger, wurde Sonntag früh bei einer Fahrt durch die Straßen Serajewos nebst seiner Gemahlin Herzogin von Hohenthal von einem serbischen Studenten durch Revolverschüsse ermordet.“

Die ungeheure politische Tragwelte dieser Nachricht wohl ermessend, stellte ich sofort in der damals im Hinterhause des Grundstücks Bürgermeisterstraße 14 befindlichen Buchdruckerei der „Allgemeinen Zeitung“ ein „Extrablatt“ her, einst etwas ganz ungewohntes, zumal an einem Sonntage, zog ein reichliches Dutzend derselben auf der Handpreffe ab und verteilte sie auf dem Wege nach dem Markte zu in den besuchteren Lokalen der Stadt, deren es ja damals erheblich mehr gab als heute, und kam mit den letzten Blättern bis zum Pschorrbräu in der Schloßstraße (heute Zigarren und Weinhandlung von von Gustav Runze Nachfolger), einem vor allem von den den zahlreichen Offizieren der hiesigen Garnison (Infanterie Regiment Graf Tauentzien von Wittenberg (3. Brandenburgisches) Nr. 20 und Reitende Abteilung Torgauer Feldartillerie Regiments Nr. 74) gern besuchten Lokale.
Es waren nur wenige Offiziere anwesend; diese jedoch erfaßten die Bedeutung der Ermordung des Österreichisch ungarischen Thronfolgers fofort, und einer der Herren, der heute schon längst, „vom Blei erfaßt im blutig wilden Streite“, in Frankreichs Erde ruht, rief alsbald:
„Das ist der Krieg, das ist der Weltkrieg!“
Leider sollten ihm die Ereignisse der nachfolgenden Wochen nur zu sehr recht geben. Noch lange blieb der Kreis, der sich nach und nach erheblich erweiterte, in lebhafter Erörterung des folgenschweren Ereignisses noch beisammen, bis einer der der Offiziere, der bald nach dem Beginn der Kämpfe seine Vaterlandstreue mit dem Tode bezahlen mußte, zum Abschied sagte:

„Meine Herren, wir stehen vor sehr ernsten Ereignissen, ja schließlich vor einem Weltkriege! Gebe ein gütiges Geschick, daß wir ihn siegreich überstehen. An uns allen soll es nicht fehlen.“

Doch folgen wir den Tatsachen, die vor allem uns in Wittenberg interessieren:
Die wirtschaftliche Verhältnisse unserer alten Lutherstadt waren damals recht günstige;
die industriellen Werke in und um Wittenberg erfreuten sich einer recht lebhaften Beschäftigung, und das dieser befriedigende Geschäftsgang sich auch auf den einheimischen Handel erstreckte, dafür erbrachte die Ausgabe der „Wittenberger Allgemeinen Zeitung“ vom 1.Juli 1941 beredtes Zeugnis ab:
nicht weniger als sieben volle Seiten Anzeigen
(die 5 gespaltene Kleinzeile kostete 15 Pfg. der Monatsbezug 50 Pfg.)
vor allem Ankündigungen von „Inventur-Räumungs-Verkäufen“, welche an diesen Tagen ihren Anfang nahmen. Derartige umfangreiche Ausgaben – 12 Seiten – sind seitdem nicht erreicht worden!

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Blätter für Heimatgeschichte vom 16.10.1923
Lokalgeschichtliche Erinnerungen von A.T.

Es erscheint angebracht, in den Erinnerungen an die Vorkriegszeit noch weiter zu blättern. Wenn wir jemals wieder emporkommen wollen aus dem Jammer und Elend unserer Zeit, so dürfen wir jene Tage des wirtschaftlichen Höchststandes nicht vergessen.

Die Stadtverwaltung unserer damals noch nicht kreisfreien Lutherstadt wurde geleitet von dem Ersten Bürgermeister Dr. Schirmer, dem erst später bei seinem Ausscheiden aus dem Amte, dem er ein Menschenalter in pflichttreuer Tätigkeit vorgestanden hatte und der heute noch im wohlverdienten Ruhestande unter uns weilt – wir kommen hierauf noch zurück – der Titel Oberbürgermeister verliehen wurde.

Richtigstellung:
(In Berichtigung tragen wir nach, daß dem Bürgermeister Dr. Schirmer nicht bei seinem Ausscheiden, sondern durch Königl. Erlaß d. d. Großes Hauptquartier, den 3. August 1917 der Titel „Oberbürgermeister“ verliehen ist und das derselbe nicht während des Krieges, sondern während des Waffenstillstandes nach Ablauf der zweiten Amtszeit zum 29. November 1918 auf seinen Antrag in den Ruhestand getreten ist.) 

Ihm zur Seite stand Bürgermeister Dr. Thelemann, der dann während des Krieges Nachfolger des ersteren wurde und später (1920) als Regierungsrat an das Finanzamt Hannover ging und heute Oberregierungsrat in Berlin ist.
Weiter waren im Magistratskollegium tätig
– Stadtbaurat Deutschmann (jetzt in Aken),
– Stadträte Bethke,
– Else,
– Holzhausen,
– Leonhardt,
– Merker,
– Ökonomierat Dr. von Spillner,
– als juristische Mitarbeiter die Assessoren Ehaus und Schmidt.

Das Amt des Stadtverordneten-Vorstehers bekleidete
– Fabrikbesitzer A. Bickel,
– Stellvertreter war Möbelfabrikant Lauter,
weitere Mitglieder waren
– Mittelschullehrer Belding,
– Rentier Blumenthal,
– Möbelfabrikant Wilhelm Essebier,
– Kaufmann Paul Friedrich,
– Kaufmann Wilhelm Gerecke,
– Zimmermeister Hermann Graf,
– Rentier W. Gerhardt,
– Rentier Gerischer,
– Schlossermeister Paul Gresse,
– Rentier Emil Große,
– Bankier Hermann Gröting,
– Kaufmann Gustav Holzhausen,
– Fletschermeister Fritz Kärnbach d. Ältere,
– Kaufmann Paul Knoke,
– Sanitätsrat Dr. Krüger,
– Oberpostsekretär Lehmann,
– Justizrat Ledien,
– Fabrikbesitzer A. Pape,
– Dachdeckermeister Ernst Quilitzsch,
– Kaufmann G. Schneider,
– Fleischermeister F. Schulze,
– Gemüsegärtner Ferd. Schulze,
– Rentier F. Schildhauer,
– Professor Dr. Schwarze,
– Rentier Tettenborn,
– Rentier Walter und
– Rentier Wollschläger.

Von ihnen sind inzwischen verstorben:
Blumenthal, Gerecke, Große, Gröting, Ferd. Schulze und Schwarze, während zu Stadträten gewählt wurden:
Essebier, Friedrich, Gerecke, Gresse, Schneider, F. Schulze, diese (mit Ausnahme von Gerecke) erst von der Anfang 1919 neugewählten Stadtverordneten Versammlung.
Als Stadträte sind heute noch tätig Friedrich und Schulze, als Stadtverordnete Belding, Lehmann und Schildhauer. Stv. Mühlenbesitzer Strobach war im Juli 1914 verstorben.
Die Stadtverordnetenwahlen erfolgten damals noch nach dem Dreiklassenwahlsystem von denjenigen wahlberechtigten großjährigen männlichen Einwohnern, welche das „Bürgerrechtsgeld“ an die Stadt gezahlt hatten.

Eine der wichtigsten Vorlagen, welche damals die städtischen Körperschaften beschäftigten, war

der Umbau des Rathauses.

Die Beratungen fanden durchweg in geschlossenen Sitzungen statt, sodaß in den Zeitungsberichten nur wenig über diesen hochwichtigen Gegenstand zu finden ist.

Der Um- und Ausbau unseres altehrwürdigen Rathauses sollte nach den Plänen des Regierungs- und Baurats Zelle ???, den Fachberater für den Bau, 300 000 Mark kosten.
Heute, wo der Bau infolge des äußerst schadhaften Zustandes des Gebäudes mit zwingender Notwendigkelt in den Vordergrund rückt und wo vor allem der Westgiebel, der sich im Laufe der Jahre um reichlich einen Meter nach Osten gesenkt hat, dringend zur Erneuerung mahnt, würde diese Summe bei unserer vollständig entwerteten Währung einen fabelhaften Betrag er geben, an dessen Aufbringung aus städtischen Mitteln beim besten Willen nicht denkbar ist. Das war auch damals schwer, und so nahm man in Aussicht, die gesamten Kosten oder wenigstens einen erheblichen Teil derselben durch eine Lotterie aufzubringen, für welche die Genehmigung kurz vor dem Krlege in sicherer Aussicht stand.
Auch später, nach dem Kriege, ist die Rathauserneuerung, wenigstens in ihrem äußeren Teile, mehrfach Gegenstand von Besprechungen der städtischen Körperschaften gewesen.
Innere Um- und Ausbauten sind im Laufe der Zeit unter Aufwendung geringer Mittel in zweckentsprechender Weise durchgeführt worden.
Unserm jetzigen Oberbürgermeister Wurm gelang es zwar vor längerer Zeit, erneut die Genehmigung für eine Lotterie zum Besten des Rathausumbaues in sichere Aussicht gestellt zu erhalten, doch setzte dann die trostlose Entwertung unseres Geldes so stark ein, daß an eine Verwirklichung der Pläne nicht mehr zu denken war.

Da der Umbau des Rathauses eine Verlegung der städtischen Büros  notwendig machte, war vom Magistat das nahegelegene „Gesellschaftshaus“ (auch Zentralhotel genannt) von der Besitzerin desselben, der Patzenhofer Brauerel in Berlin, für 7 000 Mark jährlich gemietet worden.
Auch diesen Plan zerstörte der Krieg, und das „Gesellschaftshaus* wurde dann ein Massenquartier für Soldaten.
Die Verwaltung desselben wurde dem jetztigen Besitzer des Gasthofs „Zur Eisenbahn“ W. Sucker übertragen, während der Vorbesitzer des „Gesellschaftshauses“ (oder wie es dessen Vorgänger Gustav Christen genannt hatte: „Zentral Hotel“) mit Namen Otto, ein Opfer des Krieges wurde.
Nach dem Kriege ist dann das Grundstück mit dem damit verbundenen Scharrenstraße 2 in den Besitz des Verlages der „Wittenberger Zeitung“ übergegangen und zu einem neuzeitlichen Geschäftshause ausgebaut worden.
In den Räumen, in denen früher frohe Geselligkeit und heitere Lebenslust herrschten, wo Terpsichore und Gambrinus ihr Zepter führten, da walten jetzt die Jünger Gutenbergs ihrer schwarzen Kunst und rollen die Schnellpressen im Dienste eines Berufs, der heute allerdings mehr als viele andere unter der Not der Zeit leidet. Auch die Eiche, dle gleichzeitig mit der Luthereiche gepflanzt wurde und deshalb als ihre Schwester bezeichnet wird – sie soll sogar von derselben Mutter stammen stammen – mit Ihrem seltsamen, früher zur Aufnahme eines kleinen Orchesters dienende Astgebilde grünt noch in kraftvollem Leben.

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Blätter für Heimatgeschichte vom 12.11.1923
Lokalgeschichtliche Erinnerungen von A.T.

War so die Aufmerksamkeit der Einwohnerschaft infolge der Beratungen der städtischen Körperschaften durch den Um- und Ausbau des Rathauses in erheblichem Maße in Anspruch genommen, so beschäftigte noch ein anderer Plan die Öffentlichkeit: die Errichtung eines Bismarck- Erinnerungszeichens auf einem hochgelegenen Punkte des Kreises Wittenberg.
Auf der einen Seite eine Gruppe angesehener Einwohner, an deren Spitze Kommerzienrat Joly stand, welche den Apollensberg, diese schön gelegene Höhe nahe dem Dorfe Apollensdorf, mit prächtigem Rundblick auf das Tal der Elbe bis weit in die Dübener Heide hinein, und nach Norden hin die dunklen Waldungen des Flämings, – dle andern, nicht minder einflußreich, unter ihnen recht viele Wittenberger, befürworteten vor allem die Errichtung des Erinnerungszeichens auf dem „Napoleonsberge“ bei Teuchel, auch „Napoleonshöhe“ genannt, jener Höhe an der südlichen Seite des Dorfes Teuchel gelegen, von der man ebenfalls eine fesselnde meilenweite Aussicht auf die Stadt Wittenberg und ihre historischen Baulichkeiten genießt, ebenso wie einen herrlichen Rundblick über die Elbe und weit darüber hinaus; für diesen Plan bemühte sich vor allem der rührige Vorsitzende des hiesigen Krieger- Vereins, Lehrer Zimmer (jetzt Stadtrat).
Diese Pläne wurden streitig gemacht durch die Bestrebungen mehrerer kleinerer Städte: Zahna, Kemberg, Pretzsch, Schmiedeberg, die alle das Bismarck-Denkmal beanspruchten.
Der Strelt der Meinungen ging hin und her, es fanden mehrfach Besichtigungen der vorgeschlagenen Orte statt; gegen den Apollensberg wurde angefährt die Nähe des Hubertusberges mit seinem Bismarckturme und die Notwendigkeit, den Apollensberg als Naturdenkmal – es wachsen dort vielfach Pflanzen, welche sonst In dieser Gegend nicht wieder vorkommer, auch will man Ruinen alter Klöster dort gefunden haben – zu schützen, sowie die Schwierigkeiten einer Verbindung mit einem größeren Orte.
Für den „Napoleonsberg“ – von hier aus soll 1813 die damalige Festung Wittenberg von Preußen und Russen beschossen worden sein – sprach die Nähe der Stadt Wittenberg, deren historische Bedeutung als Lutherstadt und die voraussichtlich ohne Schwierigkeiten zu bewerkstelligende Freigabe des Ortes durch den Besitzer.
Für den letzteren Plan waren sogar schon die Ziegelsteine von der nahegelegenen Teucheler Ziegelei gestiftet worden. Noch ehe der Streit entschieden werden konnte, war der Krieg ausgebrochen, der keinen der Pläne zur Verwirklichung gelangen ließ. –

Und noch eines Umstandes aus der Vorkriegszeit muß hier gedacht werden: des musikalischen Lebens der Stadt Wittenberg.
Träger desselben waren die Kapelle bes 20. Infanterie- Regiments unter der sach-, und fachkundigen Leitung des Obermusikmeisters Grimmig und – mehr als jenes, das mehr der volkstümlichen Musik sich widmete – Kgl. Musikdirektor Straube mit seinem Kunstverständnis, mit großer Liebe zur Sache und seltenem Opfermut ins Werk gesetzten Künstler- Konzerten.
Mit herzlichem Bedauern muß es jeden Musikliebhaber erfüllen, daß sich weder das eine noch das andere halten konnte.
Der Materialismus der Zeit und dann die Not des Volkes, vor allem jener Krelse, denen ein tieferes musikalisches Empfinden elgen war: der gebildeteren Schichten der Einwohnerschaft, sle haben alle Regungen, wieber einmal ein besseres Konzert hier zu veranstalten, vernichtet.
Wohl haben im vorigen Sommer noch mehrere Konzerte des früheren 20 er Musikkorps, von dessen Mitgliedern jetzt noch zahlreiche hier in anderen Berufen tätig sind, stattgefunden, und jeder einsichtige Freund besserer Musik wird es dem Leiter dieses Orchesters, Jahnke, Dank wissen, daß er es überhaupt noch soweit möglich machen konnte, diese Konzerte – oft für ihn und die Mitglieder der Kapelle recht undankdar – zu ermöglichen. Musikdirektor Straube aber, der erfreulicherweise heute noch in Wittenberg weilt, gibt seiner ganzen Liebe zu der edlen Musika außer in seinen Berufspflichten fast ausschließlich in der Leitung des Oratorien- und Kirchenchors Ausdruck.
Was er hier geleistet hat und noch leistet, das läßt sich nicht mit wenigen Worten ausdrücken, jeder Wittenberger mit einigem Kunstsinn wird uns zustimmen, wenn wir dem verdienten Manne an dieser Stelle aufrichtige Anerkennung und herzlichen Dank sagen für sein selbstloses Wirken für die Erstarkung des musikalischen Lebens unserer Stadt zugleich mit den besten Wünschen für ferneres Wohlergehen.
Obermusikmeister Grimmig, dessen Verdienste auf dem gleichen Gebiete keineswegs verkannt werden dürfen, der die 20er Kapelle zu hohen künstlerischen Leistungen emporführte, hat bald nach dem Kriege den Staub Wittenbergs von den Füßen geschüttelt und ist nach Schlesiens Bergen verzogen.

Das Bild Wittenbergs aus der Vorkriegszeit würde nicht vollständig sein, würde hier nicht des volkstümlichsten Heimatfestes gedacht werden: der Wittenberger Vogelwiese!
Und heute im tiefsten Wittenberger Elend unserer Zeit, wird es verstanden werden, wenn hier behauptet wird, so wie damals Ist das Schützenfest nicht wieder gefeiert worden.
Wohl ballten sich Ende Juli 1914 am politischen Himmel dunkle Wolken gefahrdrohend zusammen, wohl sahen viele der nahen Zukunft mit ernsten Bedenken entgegen, doch glaubten wohl nur wenige, daß der Krieg so nahe bevorstand. Und doch mußte die Vogelwiese, die erst am Sonntag, 2. August enden sollte, vorzeitig abgebrochen werden. Noch war der Hauptfesttag, der Donnerstag, mit dem üblichen Aufgebot von Parade unter dem Kommando des um die Schützengesellschaft hochverdienten Vorsitzenden, Schützenoberst Paul Friedrich (unserm jetzigen Stadtrat), mit festlichem Ausmarsch unter klingendein Spiel mit fliegenden Fahnen, mit feierlicher Proklamation des neuen Schützenkönigs (Schneidermeister Wilhelm Stein, voriger Schützenkönig war der Kaufmann Kurt Schmiedicke) programmäßig verlaufen, da trafen am Freitag und Sonnabend früh ernstere Nachrichten über kriegerische Verwickelungen zwischen Österreich- Ungarn und Serbien ein. Bereits am 30. Juli stellte die“ Wittenberger Allgemeine Zeitung“, wie damals unsere Zeitung hieß, die Lage als eine hochernste hin, und diese schloß mit dem bekannten Bismarckwort:
„Wir Deutsche fürchten Gott und sonst nichts in der Welt!“ Achtundvierzig Stunden später befanden wir uns bereits im Kriegszustande!

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Blätter für Heimatgeschichte vom 26.11.1923
Lokalgeschichtliche Erinnerungen von A.T.

In der Ausgabe vom Sonntag, den 2. August 1914, schrieb dle „Wittenberger Allgemeine Zeitung“:
„Die Entscheidung ist noch heute zu erwarten, und gleichzeitig erschienen die Bekanntmachungen über die Erklärung des Kriegszustandes im Bezirk des IV. Armeekorps ebenso wie in ganz Deutschland mit den weiteren Anordnungen des Kommandierenden Generals Sixt von Armin.
Bereits am Morgen des vorhergehenden Sonnabends war eine Sonderausgabe der genannten Zeitung erschienen, in der das Ultimatum Deutschlands an Rußland und die gleichzeitige Anfrage an Frankreich über dessen Haltung im Falle eines deutsch – russischen Krieges gestellt wurde.
Gerade die letztere Ausgabe, die bereits früh 6 Uhr zur Ausgabe gelangte, er regte erhebliches Aufsehen, da die Bevölkerung in Stadt und Land immer noch an eine nichtkriegerische Beilegung des Konfliktes geglaubt hatte.

In der letzten Zeit hatte auf den Kasernenhöfen sowohl bei der Infanterie als auch der Artillerie eine ungemein rege Tätigkeit geherrscht, überall wurden die Vorkehrungen zu dem bevorstehenden Kriege getroffen, die sich wesentlich von denen vor den Manövertagen unterschieden.
In ruhiger Sicherheit, ohne sinnlose Überstürzung wurden die Anordnungen ausgeführt, und „es ging alles wie am Schnürchen“.

Eine der ersten Anordnungen der örtlichen Behörden war die, daß die Elbbrücke unter militärischen Schutz gestellt und einer strengen Bewachung unterzogen wurde. Man ging hierbei von der Ansicht aus, daß es den Feinden durch Spione möglich sein könnte, die wichtigen Eisenbahnlinien als der Zufuhrstraßen zu sprengen und zu zerstören.
Der Schutz wurde zunächst ausgeübt durch bewaffnete Eisenbahnbeamte und dann, als diese durch den vermehrten Dienst in Anspruch genommen wurden, durch die hiesige Schützengesellschaft. Und mit welchem vorbildlichen Pflichtgefühl hat diee ihre Aufgabe erfüllt!
Wie man von dem vorzeitig abgebrochenen Schützenfeste gekommen war, mit allen Orden und sonstigen Abzeichen, an denen denen die Schützen besonders der älteren Jahrgänge keinen Mangel leiden, mit der grau-grünen Jägerjoppe und weißen Hosen, so übernahmen sie, nachdem sie auf dem Rathause zu ihrem verantwortungsvollen Dienste durch Bürgermeister Dr. Schirmer feierlich verpflichtet worden waren, ihren Dienst.
Da war ihre Vereinigung, die man bisher nur so gewissermaßen als Vergnügungsverein gehalten hatte, doch auch mal mit einer vaterländischen Aufgabe betraut, an deren Lösung sie mit Eifer und Ausdauer heranging, und tatsächlich ist die Brücke auch keinem Angriff ausgesetzt gewesen, obwohl vom Anfange des Krieges mehrfach die übertriebensten Gerüchte in der Stadt verbreitet waren.
Es ist dabei mehrfach zu Schießereien gekommen, deren Ursachen jedoch meist eine recht harmlose Aufklärung erhielten.
Hierüber ließe sich noch recht viel schreiben, jedoch fehlt es dazu an Raum.
Die verschärften Maßnahmen der Behörden drohten sogar eine vollständige Sperrung der Brücke an, ebenso sollte alles Gesträuch in der Nähe der Brücke entfernt werden.
Tatsächlich war es in den ersten Augusttagen auch nur belm Vorliegen ganz besonderer Gründe möglich, die Elbbrücke zu passieren, und nicht gerade gering waren die Fälle, in denen angesehene Wittenberger Einwohner angehalten und zurückgewiesen wurden.
Das Aussichtspersonal befolgte eben seine Vorschriften auf das Genaueste, und diese ließen Ausnahmen nicht zu.
Das Betreten der Elbwiesen war nur den mit polizeilichen Ausweisen versehenen Personen gestattet.
Eines der in ganz Deutschland verbreiteten Gerüchte war das, daß Frankreich einen großen Goldtransport – es sollte sich um 80 Milionen Francs handeln – quer durch Deutschland an seinen Verbündeten Rußland zu senden sich vorgenommen haben sollte. Was wurde damals nicht alles erzählt!
Einer wußte immer mehr als der andere; zuerst sollte der Transport mit Automobilen bewerkstelligt werden, dann durch zahlreiche als – Maurer verkleidete Radfahrer.
Einer weiteren Nachricht zufolge sollte der Transport dieser gewaltigen Summen erfolgen, indem das Gold in den Gummireifen der Autos versteckt worden wäre, und was der sensationellen Meldungen jener Zeit mehr waren.
Und was war der Erfolg dieser durch nichts erweisbaren Berichte, die getragen durch die amtlichen Nachrichtenstellen Verbreitung fanden?
Nichts! Eine recht üble Nachwirkung fanden diese Gerüchte ua. in dem Städtchen Pretzsch, wo Polizei Anfang August die Meldung zuging, daß – wohlgezählte 25 Kraftfahrzeuge (?) mit französischen Offizieren in preußischen Uniformen dort die Elbe passieren würden, um das Geld nach Rußland zu bringen.
Die Polizei ließ dort sofort sämtliche befahrbaren Straßen verbarrikadieren und von bewaffneten Einwohnern bewachen, die Fähre wurde militärisch besetzt. Aber so unüberlegt waren die Franzmänner ja nicht – sie haben das Gold – wenn überhaupt – sicherlich auf sicheren Wegen nach Rußland gebracht.

Sie benutzten diesen Anlaß und die sich auch sonst überall bemerkbar machende Nervosität dazu, der Einwohnerschaft eine größere Ruhe, Besonnenheit und Umsicht dringend anzuraten.
Es entsprach wirklich nicht den deutschen Charaktereigenschaften, wenn solche Gerüchte und deren Folgerungen Handlungen auslösten, wie sie in der Verfolgung von ber Spionage verdächtigen Personen zeigten.
Auch hier in Wittenberg sind derartige Fälle zu verzeichnen gewesen, es wurden mehrfach Verhaftungen vorgenommen, und nicht immer ging die Abführung der wegen Spionageverdachts Festgenommenen ohne eine unerwünschte Mitwirkung des Publikums vor sich.

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Blätter für Heimatgeschichte vom 09.12.1923
Lokalgeschichtliche Erinnerungen von A.T.

Unter den wirtschaftlichen Maßnahmen behördlicher Institutionen sind zu erwähnen die verschiedenen Diskonterhöhungen der Reichsbank.
Bereits am 31. Juli erhöhte sie den Diskont um 1 Prozent (von 4 auf 5 v. H., bzw. Lombard von 5 aus 6 v. H.)
Eine weitere Erhöhung un 1 v. H. erfolgte bereits einen Tag später, am 1. August.

Nicht im Sinne dieser Vorkehrungen lag es, daß schon vor dem Ausbruche des Krieges ein heftiger Ansturm auf die öffentlichen Kassen, vor allem die Sparkassen und hier in Wittenberg der Stadtsparkasse einsetzte, der damals Sparkassendirektor Brauer vorstand.
Selbst den fortgesetzten eindringlichen Mahnungen der Behörden zur Ruhe und Besonnenheit war es nicht möglich, hierin Wandel zu schaffen. Vielfach ist es vorgekommen, daß Sparer ihre Einlagen heute abholen, um sie morgen wiederzubringen.

Die Befürchtung, hier vielfach bei Ausbruch des Krieges gehegt, daß der Krieg eine furchtbare Arbeitslosigkeit hervorrufen würde, erfüllte sich glücklicherweise nicht.
So erzählte mir ein alter Freund, den seit einigen Tagen die kühle Erde deckt, daß er drauf und dran war, zu den Angehörigen seiner Schwiegertochter nach Wartenburg zu gehen, um dort sich in der Landwirtschaft zu betätigen.

Es kam anders. Bereits am 4. August 1914 erschien in der „Allgemeinen Zeitung“ ein Arbeitergesuch der Sprengstoffwerke Reinsdorf, wie folgt lautend:
„Die Sprengstoffwerke Reinsdorf bei Wittenberg haben große Mobilmachungsaufträge für Heer und Flotte.
Wer dem Vaterlande nicht mit der Waffe dienen kann, dem ist Gelegenheit geboten, hier seine Kraft in den Dienst der Vaterlandsverteidigung zu stellen. Es werden Kriegszulagen gezahlt, Arbeiter, tüchtige Schlosser, Rohrleger, Klempner, Elektriker, überhaupt Handwerker, für dauernde Beschäftigung eingestellt.“
Ein weiterer Aufruf, unterzeichnet von Albert Knopf,
Dr. von Spillner und Richard Witthöft – ersterer der während des Krieges verstorbene Besitzer der Knopfschen Dampfmühle, letzterer Direktor der Wittenberger Steingutfabrik, bald nach dem Kriege verstorben, Dr. von Spillner, der wohibekannte Direktor der landwirtschaftlichen Winterschule -, bezweckte die Sicherstellung der Ernte, die als eine Grundbedeutung der Ernährung von Volk und Heer hingestellt wurde.
„Mehr als je gilt es in dieser ernsten Stunde, daß Landwirtschaft und Industrie Hand in Hand arbeiten“.

Aber nicht nur die Sprengstoffwerke Reinsdorf waren mit reichlichen Aufträgen versehen, andern Industrien ging es ähnlich. Fahrräder, Autos, Nähmaschinen wurden sofort in großer Zahl benötigt, und zwar waren es anfangs und soweit angängig, durchweg deutsche Fabrikate, welche bevorzugt wurden wurden.
In Wittenberg zB. wurden Fahrräder in großer Zahl bei der Firma Otto Schubert, die damals ihr Geschäft in der Collegienstraße hatte, entnommen. Inwieweit sich der Krieg im weiteren Verlaufe auf die wirtschaftlichen Verhältnisse auswirkte, das zu erörtern, wird sich im Laufe der Erörterungen noch mehrfach Gelegenheit bieten.

Gleich zu Beginn des Krieges erschien das Verbot von Mitteilungen über Truppen- und Schiffsbewegungen, die sich später zu einer vollständigen Unterbindung der freien Meinung der Presse erweiterte. Wer so wie Schreiber dieses im Dienste der siebenten Großmacht, der Presse, tätig war und der täglich, stündlich das Verbot dieser oder jener Nachricht im Kriege entgegenzunehmen hatte, der wird die ungeheure Wichtigkeit gerade dieser Bestimmungen für das öffentliche Leben ermessen.
Gewiß, es wäre nicht richtig gewesen, der Presse die zügellose Ausbeutung dieser ober jener Nachricht zu gestatten, zahlreiche Beispiele aus der Nachkriegszeit lehren es, wie weit die Sensationspresse zu gehen pflegt.
Die Zensur der Zeitungen und ihre Beaufsichtigung hätte sich in der Hand besonnener und ruhig wägender Personen, welche gründliche Einsicht in das ganze, so ungemein empfindliche Getriebe der Presse besaßen, dle aber auch über hinreichende Objektivität verfügten, die Leser über die wahre Stimmung des Volkes wie des Heeres rechtzeitig zu unterrichten – wahrlich, wir wären nie so tief gesunken, wie es tatsächig geschehen ist.
Eine der ersten Nachrichten, welche nicht gebracht werden dürften, war die, daß mehrere hundert Angehörige der Kriegsmarine in Zivilkleidung durch Mitteldeutschland nach Konstantinopel fahren würden, wo sie, wie jeder Unbefangene sich denken konnte, in Diensten des osmanischen Reiches Verwendung finden sollten.
Daß derartige Nachrichten untersagt waren, ist verständlich, denn damals brauchte es niemand zu wissen, daß die Türkel bereits in die Vorbereitungen zum aktiven Eingreifen in den Krieg verstrickt war. Wie weit die Auslegung ber Zensurvorschriften jedoch ging, das lehrte besser als alles andere der Umstand, daß, als im August 1915 hier ein Unglück in den Sprengstoffwerken Reinsdorf sich ereignete, den hiesigen Zeitungen der Abdruck selbst der kürzesten Nachricht untersagt war, und nur größere Zeitungen brachten nichtssagende Mittellungen über den Unfall.
Die Folge davon war, daß sich hier, wo doch jedes Kind von dem Vorkommnis Kenntnis hatte, sich die übertriebensten Gerüchte über eine Zahl der Opfer des Unglücks breitmachten, die bei weitem den tatsächlichsten Verhältnissen bei weitem nicht entsprach.
Und über die trostlose Lage vor allem auf dem Gebiete der Volksernährung durfte kein Wort gebracht werden, nichts von der Stimmung im Heere und vor allem was noch wichtiger gewesen wäre – in der Marine.
Als dann die Nachrichten über den Zusammenbruch draußen und innen kamen, da war der Durchschnittsmensch, der Daheim geblieben war und hier seinen Kohl baute, auf das höchste überrascht.

Zu bemerken wäre hier noch, daß der amtliche Nachrichtendienst damals wie auch heute noch dem Wolffschen Telegraphen-Büro  (Continental-Telegraphen-Compagnie) in Berlin übertragen war, die ihr Privileg narürlich gehörig ausnutzte.
Alle Bemühungen anderer Büros, vor allem der Telgraphen-Union, ebenfalls zur Verbreitung der amtlichen Nachrichten zugelassen zu werden, scheiterten, und erst später ist eine Milderung hierin eingetreten, die jedoch bis heute noch nicht zur Aufhebung des Privilegs des Wolff- Büros geführt haben.
So gab man den freien Wettbewerb, dem Grundsatz:
„Freue Bahn dem Tüchtigen“ freien Lauf, und wie damals, so ist es geblieben bis heutigen Tages.

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Blätter für Heimatgeschichte vom 25.12.1923
Lokalgeschichtliche Erinnerungen von A.T.

Zu der bereits erwähnten Goldtransporten nach Rußland schreibt Lehrer Otto Rösenberger in Pretzsch in der soeben im Verlage von W. Höffler daselbst erschienenen Geschichte der Stadt und des Schlosses Pretzsch:
Die Brücken wurden bewacht.
Kommandant der Eisenbahnbrücke über den Mühlbach bei Splau war der Stadtmusikdirektor Schmidt, der das für den Verkehr so bedeutsame Bauwerk mit einem Fähnlein von Aufrechten mit seinem Leben zu verteidigen gewillt war.
Die Jagd nach dem Gold brachte jung und alt in Aufregung.
In Autos sollte das Gold über die Elbe geführt werden.
Pretzsch war einer der Punkte, die hauptsächlich für den Übergang in Frage kamen.
Deshalb wurde eine Wache zusammen gestellt, ein Kommandant vom Fährhaus ernannt und Wachdienst eingerichtet.
Nachts wurde die Fähre ein Stück vom Lande verankert, damit im Falle einer Überraschung die feindliche Gesellschaft in die Elbe fuhr. Doch leicht war auch die Überraschung nicht möglich; denn an der Gasanstalt, am Bahnübergang der Flockenfabrik und in der Torgauerstraße an der der Bergbrauerei von Winkel standen Doppelposten mit geladenem Gewehr, dle Befehl hatten, sofort zu schießen, falls das Auto aus Anruf nicht hielt.
Zwei Damen, zwei Herren, (der eine davon ein Oberlehrer aus Schleswig- Holstein) und zwei Kinder wurden hier zum 65 Male wohl festgehalten und hochnotpeinlich revidiert.
Die Revision wurde gründlich vorgenommen im „Stern“.
Der Wunsch, endlich mal Spione zu fassen, war sledend heiß.
Die Herren hatten dunklen Teint, die Damen auch.
Stimmen wurden laut:
„Das sieht doch in Blinder, daß das Ausländer sinn!“
„Das is klor, das sinn Franzosen!
„Das sinn verkledde Männer.“
Laien erboten sich zur Feststellung.
Die Herren protestierten:
„Hler sind doch die Papiere!“
„Ach, Ihre Papiere, wer weeß, wo er die her hat.“
Der Arzt kam. Große Erwartung. Einer der Männer geht austreten, natürlich unter gehöriger Bedeckung.
Ein ganz Schlauer sucht den Abort ab und findet: einen Dolch.
So schwingt kein Indianerhäuptling den Skalp des Besiegten, wie er den Dolch.
Wie ein Lauffeuer verbreitet sichs:
„Er hat einen Dolch in den Abgrund geworfen.“
Die Frauen werden immer wilder auf dem Platz.
Die Gaststube wird gesperrt.
Als der Dolch da ist, ertönts in der Gaststube und eine Hand legt sich beunruhigend auf die Schulter der Reisenden:
„Im Namen des Gesezes erkläre ich Sie für verhaftet. Sobald Sie den Versuch machen zu fliehen, wird der Mann ohne Anruf auf Sie schießen!“
Und auf und ab, auf und ab, immer das Auge nach dem Feind, wandert der Posten mit schußbereitem Gewehr im Bewußtsein der Macht über Leben unb Tod.
Das Verhör geht weiter.
Nach mehrstündigem Aufenthalt kann das Auto mit seinen Insassen weiterfahren. Doch iee meisten der enttäuschten Zuschauer sagen sich noch einmal beim Abschiednehmen ihre wahre Meinung:
„Wissen Se, richtig war mich das mit die nich!“
„Nee, nee, na, jute Nacht!“ – So ging der Eifer der Dahelmgebliebenen, dem Vaterland bei jedem Dienst hilfreiche Hand zu bieten. Jeder feine Mann trug einen Schießprügel, ob er schoß oder nicht, war egal.
Es wurde auch ohne Funktion oder ohne Munition der Schein gewahrt.
Von Wittenberg war eine Gruppe Infanteristen unter Führung eines alten, kriegsfreiwilligen Unterofiziers nach Prezzsch gekommen, um die Fähre auch mit zu bewachen.
Bald entstand ein Unglück, da das Auto auf Anruf nicht hielt.
Der abgegebene Schuß kratzte jedoch nur die Straße zwischen dem alten und dem neuen Fährdamm auf.

Eines Abends ist eine herrliche Mondscheinnacht. Am Fährhaus sitzen unten hinter Weidenbüschen, dem harmlosen Passanten unsichtbar, die Wachen verstreut.
Ich spiele mit dem Unteroffizier einen Skat.
Buchdruckereibesitzer Höffler ist Kommandant.
Das Telefon, das Tag und Nacht geöffnet war, klingelt.
Höffler bittet mich, nachzusehn, was los ist.
„Hier Wache am Fährhaus Pretzsch.“
„Hören Sle bitte: dle Autos haben das Gold an Radfahrer abgegeben, die in Maurerkleidung kommen! Jeder Radfahrer ist festzunehmen und zu untersuchen. Haben Sie verstanden!“
„Jawohl.“
Ich wiederhole. „Danke-schön.“
„Bitte sehr.“
Jetzt ging dle Jagd auf die Radfahrer und Maurer auch noch los. – Es ist ungefähr nachts ½12 Uhr. Die Wachen an den Straßen nach Wittenberg, Schmiedeberg und Torgau müssen sofort benachrichtigt werden. Höffler bittet mich, da kein anderer „abkömmlich“ ist, mit seinem Rade gleich mal rum zufahren.
Ich schwinge mich drauf und fahre los, ohne zu ahnen, daß ich, da ich einen gelben Kakhianzug trage, genau auf den Steckbrief passe.
Ich fahre zuerst nach der Bergbrauerei.
Die Wache wacht richtig.
Auf meinen Anruf: „Wache?“ Iösen sich von 2 Baumstämmen zwei gewehrtragende Männer.
„Die Autos haben das Gold“ usw.
„Also, Ihr wißt Bescheid!“
„Jawohl.“
„Gott strafe England!“
„Er straf es!“ – Sie klemmen sich wieder an ihre Baumstämme, ich fahre hinten rum gleich zur Schmiedebergerstraße.
Derselbe Wortwechsel. Weiter an der Domäne rum – Bahnhofstraße  – Post nach der Wittenbergerstraße.
Ich klingelte, rufe Wache. Einer Einer stürzt vor:
„Halt! Absteigen! Halt! Halt!“
„Du, ich bins doch!“
Ich höre noch ein erschrecktes, gebieterisches Halt!, fahre gegen etwas unsichtbares, (nennen wir es einstwellen mal x), überschlage mich in Form eines Salto mortale mortale und liege lang auf der Straße. Und mein Rad steht hinter mir solo.
Haben die Menschen ein Seil von einem Baum am Drescherhaus rüber nach der Kastanie an Götterts Ecke gespannt! –
„Ich habe dir doch gesagt, sollst anhalten,“ ist der Trost der Wache für mich. Ich teile ihr meine Neuigkeit mit den Goldradfahrern mit und fahre zurück nach dem Fährhaus.

Inzwischen haben um 12 Uhr dle Wachen gewechselt.
Im Halbdunkel der Nacht sehe ich in den Büschen dle Spionen-Jäger, die nach Leuten in meiner Kleidung fanden.
Zur Sicherheit klingele ich 50 m vor dem großen Weidenbusch noch einmal und fahre im flottem Tempo nach Fährhaus.

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Blätter für Heimatgeschichte vom 13.01.1924
Lokalgeschichtliche Erinnerungen von A.T.

Während am Anfang des Krieges die sog. „Extrablatt“ – Nachrichten in regelloser Folge eintrafen, um sofort in Druck zu gehen, bildete sich nach und nach die alltägliche Nachrichtenherausgabe heraus, in der die amtlichen Berichte der Obersten Heeresleitung veröffentlicht wurden; sie trafen meist am zeitigen Nachmittage hier ein, durften aber erst nach 2 Uhr nachmittags ausgegeben werden, zumeist jedoch wurde es mehr oder weniger später, was besonders bei den wichtigeren Meldungen der Fall war.

Die ersten Extrablätter wir wollen diese Bezeichnung der Kürze wegen beibehalten wurden ohne Numerierung herausgegeben;
erst nach einigen Tagen nach Kriegsbeginn wurde die fortlaufende Numerierung eingeführt.
Viele Wittenberger bestellten die Extrablätter gesammelt zum Zwecke der Aufbewahrung, als Erinnerung an eine große Zeit, und da diese Bestellungen gewissenhaft ausgeführt wurden, so sammelten sich in den Magazinen, auf den Böden o. dgl. ganze Stöße von Extrablättern an, die – es handelte sich um mehrere hundert Nummern – viel Platz wegnahmen. Ihr Ende – um das gleich vorweg zu nehmen – ist dann rascher vor sich gegangen als erwartet werden durfte: als die Rationierung des Zeitungspapieres erfolgte, bei der über jeden Bogen Rechenschaft abgelegt werden mußte, als die Extrablätter nur noch im kleinsten Format erscheinen durften, da hörte auch der Sammeleifer der Extrablätter Freunde auf, und heute erinnern sie sich wohl nur noch dunkel jener Neigung.
Es hatte sich eine richtige Extrablatt-Industrie entwickelt; da gab es Sammelmappen dafür, geschmückt mit dem Eisernen Kreuze und anderen soldatischen Enblemen, Drucke mit schwarz-weiß-rotem Rande u. dgl. mehr.

Da alle Zeitungen auf einen frühzeitigen Eingang der Berichte der Obersten Heeresleitung Wert legten und sogar die kleinsten unter ihnen, so mußte die Post im Verein mit den Zeitungsverlagen Mittel und Wege suchen, eine rasche Übermittelung der Nachrichten durchzuführen, und das geschah, indem man vom Fernsprechamte aus die Berichte mehreren Zeitungen gemeinsam und zu gleicher Zeit übermittelte.
Das führte sich allmählich ganz gut ein und gab auch zu beträchtlichen Ausständen keinen Anlaß, sofern die Aufnahmeorte nicht garzu entfernt lagen.
Vor allem erfolgte die Abgabe an die beiden Wittenberger Zeitungen gemeinsam, und es entspann sich dann nach dem Abschluß der Meldungen ein Wettbewerb, welche von beiden zuerst die Drucklegung fertigstellte und zur Ausgabe brachte.
Der Erste zu sein, beeinflußte nicht nur das materielle Ergebnis, sondern lag auch in Prestigegründen.
Von der kostenlosen Ausgaben der Extrablätter war man bald abgekommen,  und so wurden sie meist mit 5 Pfg. abgegeben, ein recht geringer Betrag, der aber bei guten Nachrichten noch eine reichliche Deckung der Unkosten bot, ja unter Umständen auch noch einen mehr oder weniger beträchtlichen Gewinn abwarf, der den Zeitungen wohl zu gönnen war.

Es dürfte auch für den Laien nicht uninteressant sein, einen Blick auf die technische Herstellung der Extrablätter zu werfen.
Gewöhnlich ertönte ein längerer Anruf vom Fernsprechamte, wenn die freundliche Maid „vom Amte“ zurief:
„Der Wolff kommt!
(Gemeint war das Wolffsche-Telegraphen-Büro in Berlin, dem dadurch alle Zeitungen tributpflichtig waren, abgekürzt :
„W. T. B.“ oder „W. Tel B.“)

Dieser Anruf verwandelte das Büro des Schriftleiters wie die Setzerei in eine Stätte regster geistiger und körperlicher Tätigkeit. Das ein für allemal feststehenbe Klingelzeichen wurde alsbalb nach der Setzerel gegeben, wo mehrere Setzer sofort die Vorbereitungen zum Satze der Meldungen trafen:
die Winkelhaken (Instrumente zum Setzen) wurden „gestellt“ (auf die bestimmte Breite eingerichtet), die Schriftkästen mit den für die Meldungen bestimmten Typensätzen bereitgestellt.
Inzwischen war der Fernsprechdienst bereits in vollem Gange:
ein Angestellter nimmt die Meldung auf, notiert sie in gewöhnlicher Schrift auf einen Notizblock, ein zweiter steht ihm zur Seite, reist Blatt für Blatt ab und übergibt es einem Lehrlinge zur Beförderung nach der Setzerei.
Weshalb wurden die Meldungen nicht stenographisch aufgenommen werden manche unserer Leser fragen.
Dazu hätte gehört, daß jeder Setzer das betreffende Stenographiesystem beherrschte, was jedoch nicht der Fall war und sich bei dem fortwährenden Wechsel des Personals infolge der Einberufungen auch nicht durchführen ließ.
Trozdem hatte sich im Laufe der Zeit eine Art Kurzschrift herausgebildet, die eine rasche Aufnahme der Meldungen ermöglichte.

In der Setzerei nahm ein Setzer die erste „Schiebung“, dh. das erste Manuskript (gleich Handschrift), der Vorlage in Empfang und setzte sie schleunigst ab, der zweite die folgende und so fort, bis die Meldung zu Ende war.
Der Faktor oder wer sonst die Aufsicht führte, gab die Überschrift an, welche meist dem wichtigsten Teile der Meldung entsprach, oder setzte sie schließlich selbst ab.
Das mußte natürlich alles klappen, jede Störung, jeder Irrtum mußte entschieden vermieden werden, und trotzdem ist viel, viel davon in die Welt gegangen.
Die Eile machte es notwendig, daß keine Korrektur gelesen werden konnte, und hieraus erklärt sich manch grober, sinnentstellender Fehler.
Sogleich nach Fertigstellung des Satzes wanderte dieser in die Druckerei, wo dafür bereits eine Schnellpresse bereit stand;
die sonstige Drucklegung mußte natürlich ebenfalls sorgsam vorbereitet sein, und so war es möglich, daß meist wenige Minuten nach Abschluß des Ferngesprächs fertige Extrablätter zur Ausgabe gelangten.

Den Vertrieb besorgten meist Schulknaben, Söhne weniger bemittelter Eltern, deren Väter zumeist zum Heeresdienst einberufen waren. Der Knaben, welche einen bestimmten Prozentsatz von dem Verkaufe erhielten, war damit Gelegenheit geboten, zum Unterhalt der Familie beizutragen, mehrfach hat Mutter auch den Jungen das Geld in der Sparbüchse angelegt und später den Konfirmationsanzug gekauft.
In der ersten Zeit und besonders beim Eingange besonnders wichtiger Siegesnachrichten befaßten sich auch Erwachsene mit dem Vertriebe der Extrablätter, sie fuhren mitunter in die umliegenden Dörfer und Städte, und da ist es sogar vorgekommen, daß ein mißgünftiger Kollege in Zahna, der sich selbst den Wolff-Dienst nicht leisten konnte, einen dieser Verkäufer bei der Polizei anzeigte, weil er keinen – Wandergewerbeschein besaß, und tatsächlich ist der junge Mann dann in eine Strafe von 50 M. genommen worden.
Die Zahnaer werden nun wissen, weshalb sie später keine Extrablätter mehr erhielten.

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Blätter für Heimatgeschichte vom 12.03.1924
Lokalgeschichtliche Erinnerungen von A.T.

Ein besonderes Kapitel für sich bildet die Belegung der Stadt mit Einquartierung.
Bei Beginn des Krieges opferbereit und freudig aufgenommen, wurde sie im Laufe der Zeit, besonders als die Nahrungsmittelkrise sich immer mehr verschärfte, zu einer großen Belastung, umso mehr als die Entschädigungen recht geringe waren.
Lange mußten auch die Quartiergeber die Verpflegung stellen. Vielfache Bemühungen der städtischen Körperschaften um Erleichterungen blieben erfolglos, und erst – wenn ich nicht irre, im Mai 1915 – begann ein Abbau der Einquartierungskosten.
In Friedenszeiten waren die Wittenberger Hausbesitzer ja mehr oder weniger auf Einquartierung eingerichtet; viele derselben, besonders in den älteren und größeren Grundstücken, hatten ihre besonderen Einquartierungsstuben, andere wieder, welche Stallungen besaßen, mußten Pferde in Quartier nehmen.
Die besseren Familien erhielten Offiziere.
So wurden bereits am 2. August 1914 hier Quartiere für 260 Offiziere, 5741 Mann und 235 Pferde angefordert.
Und das ging fast ein ganzes Jahr hindurch, oft sogar noch in größerer Zahl. Welche ungeheuren Opfer das der Einwohnerschaft auferlegte, läßt sich zahlenmäßig garnicht nachweisen, übersteigt aber durch die lange Dauer der Belastung Millionen, die ja zumteil durch eine erhöhte geschäftliche Tätigkeit wieder ausgeglichen wurde.

Auch die Stadt hatte dadurch erhebliche Opfer zu bringen.
Das Einquartierungsamt wurde zu einer ständigen Einrichtung im Rathause ausgebaut, die alle Häude voll zu tun hatte.
Da ist es erklärlich, daß dort auch Irrtümer vorkamen, und mehr als einmal ereigneten sich Verwechselungen der Quartierzettel, das gab dann wieder Einsprüche und sonstige Wetterungen ohne Zahl.
Und wie viele Beschwerden gab es im Laufe der Zeit!
Was in den ersten Tagen, Wochen und Monaten gern und ohne Murren als ein unvermeindliches Übel, wenn nicht gar als ein Opfer, für des Vaterlandes Wohl und Wehe dargebracht, angesehen wurde, wuchs sich dann zu einer Last, zu einer Bedrückung heraus, die nicht immer ohne Widerspruch ertragen werden konnte. Verschärst wurden diese Umstände noch durch manchmal recht unberechtigte Ansprüche der Soldaten an ihre Quartiergeber hinsichtlich der Unterbringung und Verpflegung. Meist war es nicht böser Wille, sondern das tatsächliche Unvermögen der Quartierwirte. Einwohner mit drei Zimmern mußten Quartiere hergeben, und wer noch ein paar mehr hatte, wurde in der Belegungsmöglichkeit noch in erheblich höherem Maße gesteigert.
Bemitteltere Einwohner halfen sich in der ersten Zeit dadurch, daß sie ihre Einquartierung in Gasthäusern o. dergl. unterbrachten und Iieber einen Zuschuß zahlten, als sie in der eigenen Haushaltung aufzunehmen.

Aus diesem Gedanken heraus wurde das Massenquartier im damaligen „Gesellschaftshause“ (auch „Zentral-Hotel“ genannt, jetzt Eigentum der „Wittenberger Zeitung“), das von der Stadtverwaltung als Reserve für das schon damals für den Umbau reife Rathaus gepachtet worden war, eingerichtet und bis April 1919 als solches mit erheblichen Opfern unterhalten.
Zeitweise wurde dasselbe auch als Unterkunftsraum für Arbeiter der Stickstoffwerke in Piestertz benutzt.
Ein Gegenstück fand dieses Massenquartier in dem „Arbeiterinnenheim“ in der Knaben- Bürgerschule in der Jüdenstraße für die Arbeiterinnen der Sprengstoffwerke bei Reinsdorf. Ob sich in diesem die Merkmale eines langen, rücksichtslosen Gebrauchs durch hunderte von Bewohnern in gleichem Maße bemerkbar machten, wie im Gesellschaftshause, ist mir nicht bekannt geworden.
In dem letzteren sah es bei der Übernahme durch den jetzigen Besitzer geradezu fürchterlich aus, und es bedurfte langer, gründlicher Säuberungsarbeit, um die Spuren einigermaßen zu beseitigen.
Das eine Urteil läßt sich über die Einquartierung sagen, daß Wittenberg sich hierin in geradezu vorbildlicher Weise betätigt und schwere Lasten getragen hat.
Wer eine Geschichte der Stadt Wittenberg während des Krieges schreibt, muß auch dieses Umstandes gedenken.
Mit der Einquartierung zusammenhängt auch ein anderes:
Die bis ins Ungeheuerliche gestiegene Vermietung möblierter Zimmer an Militärs, Beamte und Angestellte.
Die Frauen der zum Heeresdienst einberufenen Wittenberger konnten ja garnicht besser tun, als ihre Wohnungen in dieser Weise auszunutzen. Sie verdienten damit einen nicht zu unterschätzenden Zuschuß zu den Kosten für den Haushalt.
Zum Lobe unserer Kriegerfrauen muß es gesagt werden, daß sie sich durchweg in diese oft recht ungewohnte Einrichtung ohne Gefähr und ihrer Ehre hineinfanden, und wenn wirklich vereinzelte Fälle anderer Art vorgekommen sein mögen, so waren das doch nur sehr wenige, über die den Stab zu brechen, meine Aufgabe nicht sein soll.

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Adolf Tietze †

aus: Blätter für Heimatgeschichte vom 19.09.1923 ff.