Wittenberg läßt seine Straßen pflastern

1936.10.01. Wittenberger Zeitung

Im Jahre 1505 hatte der Rat von Wittenberg vor, die
„Stadt uff kunfftigem Sommer von neuhem zu pflastern und mith Steynen zu ubirsetzen“.
Dies erfuhr der Zwickauer Steinsetzer Hermann. Da er gerade keine Arbeit hatte, so gedachte er, diesen Auftrag zu erhalten. Er eilte deshalb aufs Rathaus und bat um eine Empfehlungsschrift,
„das solch arbeith an yn komen mochte“.
Der Stadtschreiber kam dem Meister entgegen und bescheinigte ihm,
„daß wir yn bey uns zu vil malen zu dergleichen gebraucht und keine mangell an seiner arbeith gespurdt haben“ und fügte die Bitte an,
„yn annehmen und ime dy arbeith vor eyne andern gonnen,“
indeme er sich –
„sunder tzeiffel – gen euch also halden und lon und dangk von euch irwerben werde.“

Der Meister Hermann reiste nun nach Wittenberg und legte dem dortigen Rate folgendes Schriftstück vor:
Unser freuntlich dinste zuvor! Ersame weyse gunstige und guten freunde! Wir werden von gegenwertigen zeiger – Hermann, Stainsetzer, unsern mithbuger – umb vorschrifft anersucht; der bericht uns, wy an yn gelange, das yr furhettet, euer stadt uff funfftigen sommer von neuhem zu pflastern und mith steynen zu ubirsetzen, mith anhangender bethe, yn derhalben an euch zu verschreyben, das solch arbeith – vormittelst unser vorbethe – fur eine andern an yn komen mochte. So wir yn dan bey uns zu vil malen zu dergleichen gebraucht und keine mangell an seiner arbeith gespurdt haben, wir auch nicht gewußt, seine bethe zu versagen, bitten wir freuntlichen: Wuhe deme also were, wollet yn – umb unsern willen – annehmen und ime dy arbeith vor eyne andern gonnen; indeme er sich – sunder tzweiffel – gen euch also halden und lon und dangk von euch irwerben werde.
Datum 3 (Tage!) post Reminstere Anno 1505.
Solche Förderungsschriften waren damals üblich und notwendig. Ob nun Meister Hermann den Auftrag erhielt, geht aus dem Bande alter Briefkonzepte nicht hervor; ist auch nicht so wichtig. Viel aufschlußreicher ist, daß sich ehedem ein Steinsetzer nur in aufblühenden Städten ernähren konnte. Und das war damals im silberreichen Erzgebirge ganz gewiß der Fall. Jedoch nicht auf die Dauer. Auch da mals haben wirtschaftliche Krisen böse gehaust und nicht bloß manchen „Silberherrn“ wieder arm gemacht, sondern vor allem die abhängigen Handwerker zeitweise aufs Trockne gesetzt. So ist zu verstehen, daß der Zwickauer Steinfetzer wieder einmal ohne Aufträge war und sich auswärts nach Arbeit umsehen mußte. Sie winkte ihm in der kurfürstlichen Residenz Wittenberg, die seit 1502 eine Universität besaß!
Obwohl im Aufblühen begriffen, konnte diese Stadt aber noch keinen eigenen Steinsetzer ernähren. Meister Hermann ist ganz gewiß nicht der einzige Bewerber gewesen. Eine Steinsetzer-Innung darf unter diesen Umständen in keiner Stadt angenommen werden.

Paul Uhlig

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