Die Begleiterscheinungen des Winters zwangen notgedrungen, den Schifffahrtsbetrieb von Mitte Dezember bis etwa Mitte März einzustellen und einen geeigneten Hafen aufzusuchen.
Dem Schiffseigner kam es natürlich sehr entgegen, wenn er zufällig diese Winterpause mit seinem Kahn im Heimathafen verbringen konnte.
Da man die übrige Zeit des Jahres ohnehin keinen Urlaub machte, ging man diesem Zufall meist aus dem Wege und steuerte eben schon Anfang Dezember das Schiff in den Heimathafen.
Klappte dieses Unterfangen nicht, dann fuhr der Schiffer nach Hause, einer der Bootsleute blieb als Wache zurück.
Bis zur Jahrhundertwende war es noch Brauch, den Heimweg zu Fuß zurückzulegen.
In der Regel jedoch wurden die Bootsleute entlassen und im Frühjahr mit Beginn des Schifffahrtsbetriebes wieder eingestellt. Somit ersparte der Schiffseigner den ohnehin knappen Lohn von 120,— M im Monat.
Bei den großen Gesellschaften war es nicht anders, die Besatzungen der Dampfer durften noch die Dampfkessel und die Antriebsmaschine reinigen und wurden dann auch entlassen.
1926 finden wir in einem Dienstbuch eines Kleinwittenberger Schiffers als Entlassungsgrund „Winter“ angegeben.
Nicht alle Schiffer hatten eine Wohnung an Land, so waren sie oft froh, wenigstens ein Dach in ihrer „Blitze“ (Kajüte) über dem Kopf zu haben und die Schiffsjungen fanden die Möglichkeit, im Heimatort die Schifferschule zu besuchen.
Speziell im Wittenberger Hafen verdienten sich diese an Bord gebliebenen Schiffer gern den Lebensunterhalt bei der
Aktien-Bier-Brauerei Wittenberg AG Rothemark durch Eissägen im nahegelegenen Brauereiteich.
Das Arbeitsgerät glich einer Schrotsäge. An der einen Seite war ein Griff, an der gegenüberliegenden ein Gewicht.
Diese fast gleichgroßen Eisstücke wurden in der Brauerei bis zum Sommer in kautschukisolierten Kühlhallen gelagert und den Gastwirten bei Bedarf mitgeliefert.
In anderen Elborten halfen die Schiffer beim Kiepenflechten. Natürlich gab es auch schon genügend Arbeit an Bord.
Da manchmal bis zu zehn Kähne nebeneinander lagen, musste ein passierbarer (d. h. schneefreier) Weg garantiert werden.
Zum Lebensunterhalt gehörte auch Wasser, und das Wasserholen war meist eine artistische Angelegenheit, außerdem waren die Wasserstellen bis zu 1000 m entfernt.
Besonders schwierig war es, wenn das Schiff nur über eine Kaileiter zu erreichen war.
Große Bedeutung hatte auch im Hafen das Eissägen, um die nebeneinander liegenden Schiffe vor Schäden durch Eispressung zu schützen. Die eisfreie Rinne musste mindestens ca. 40 cm breit sein, täglich erneuert und zur Verhütung von Unfällen entsprechend markiert werden.
Feuerung war fast immer genügend an Bord, denn jeder Kahn hatte im Laufe des Jahres mindestens einmal Böhmische Braunkohle geladen und da fiel schon etwas „Schwund“ für den eigenen Bedarf ab.
Blieb noch Freizeit, dann gab es ja noch Winklers Gaststätte „Zum Elbhafen“, die speziell im Winter ein typisches Schifferlokal war.
Hier war auch die ankommende Post, sofern es sich nicht um Geldsendungen handelte, deponiert und das war schon Grund genug, jeden Tag mal vorzugehen und Schifferlatein mit den Berufskollegen zu spinnen.
Geldsendungen wurden immer vom Kleinwittenberger Postschaffner (Briefträger) direkt an Bord gebracht.
Die Kollegen der Hafenbahn halfen ihm dabei mit der Dampflok bei der Bewältigung des Fußweges, denn im ungünstigen. Fall waren ja 2 mal 1000 m zurückzulegen.
Durch moderne Schiffe hat sich die Arbeit an Bord heute geändert, sie ist angenehmer geworden.
Das Eissägen ist aber nach wie vor bei strengen Wintern eine zwingende Notwendigkeit.
Karl Jüngel †
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aus: Freiheit vom März 1980