Wehrhafte Bäcker

In alteingesessenen Bäckereien unserer Stadt und unseres Kreises mit einer langjährigen Familientradition findet sich auf dem ausgehängten Meisterbriefen der Vorfahren oftmals noch dieses alte Bäckerwappen.

Es zeigt einen hellblauen Grund mit goldgelber Brezel unter einer mit Rubinen besetzten goldenen Krone. Es zeigt auch vier goldbraune Brötchen und 2 zur Mitte gewandte Löwen stützen die Brezel und halten gekreuzte Schwerter. Dieses Wappen erinnert daran, daß die Bäcker des „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“ 1346 einen bedeutenden Beitrag bei der Verteidigung der Stadt Wien während des Türken-Krieges geleistet haben. Kaiser Karl IV gestattete deshalb den Bäckerzünften in Anerkennung ihres Einsatzes Schwerter, Löwe und Krone als Zeichen bewiesenen Wehrhaftigkeit und ihres Mutes in ihrem Wappen zu zeigen.
In einem alten Bäckerlied heißt es hierzu:

„Wir backen die Semmeln
schön braun und weiß
und herzen die Mädchen
mit ganzem Fleiß.
Wir üben auch das Ritterspiel,
wozu man uns nur brauchen will.
Der Kaiser Karl IV,
Mehrer im Römischen Reich,
die Bäckerburschen Zierde,
macht sie dem Adel gleich.“

Die Entwicklung eines osmanischen Großreiches mit
beweglichen, schlagkräftigen Truppen, einem straffen
Aufbau des Staates und einen beständig drohender
werden Landraub brachten jeder Kommune im
damaligen deutschen Reich die Türkensteuer, die für Verteidigungskosten erhoben wurde, aber auch den
kriegerischen Einsatz von Angehörigen der Zunfte.

Die Bäckerzunft in Wittenberg bestand seit 1317, sie gehörte
ab 1350 zum „Vierergewerk“,
das den Rat der Stadt stellte
(Gewandschneider, Fleischhauer, Schuhmacher/Gerber und Bäcker). Die Bäcker regelten damit auch in gemeinsamer Verantwortung mit anderen Innungen den kriegerischen Einsatz von Personen, Ausrüstungsfragen, die Kostendeckung
durch Umlage auf Freieund Unfreie.
Für die männlichen Bewohner der Stadt gab es sogenannte
„Mann- und Türkenschießen“ die auf den Einsatz in Feldzügen vorbereiten sollten.
Ab 1412 beschäftigte der Tat der Stadt ständig einen Harnisch-Meister und jeder Besitzer der Bürgerrechte mußte ein Schwert, einen Harnisch und eine Armbrust besitzen.
Schon vor 1400 besaßen Wittenberger Handwerker 39 Harnische, 47 Eisenhüte, 73 Hellebarden, 362 lange Spieße, 51 Armbrüste und 484 lange Degen und Messer.
Uns Heutigen genügen die ersten Zeilen des Bäckerliedes.
Wer lässt sich schon gern zu „Ritterspiele“ heranziehen.

Dr. Wolfgang Senst †

aus: Wittenberger Bürgergeschichten