Wanderung am Rischebach – Birkenbusch

1933.10.15. Wittenberger Zeitung

Von den Mühl – Fachbäumen und Merkpfählen – Birkenbusch

Der herrlichste Herbsttag hatte mich aus den engen Straßen der Stadt hinaus geführt, ja, er hat mich noch nicht einmal auf der einsameren Landstraße leiden mögen.
Ein herrlicher Herbsttag mit seinem Sonnengold und mit seinen prächtigen erdenen Farben will ganz in der Stille und Abgeschiedenheit bewundert werden!
So schritt ich dem Lauf des Rischen Baches dahin , weit und lang folgte ich seinen Krümmungen, bis in unsere „Nudersdorfer Schweiz“ hinein .
Wie freut sich das Herz über die viele , viele Schönheit rings umher.
Wie hängt es mit Liebe an den bewaldeten Höhen, an den stillen, lieblichen Tälern.
Wie ist es so stolz , eine solche Heimat sein eigen nennen zu dürfen!
Auf wie sonderbare Gedanken bringt doch ein munteres
Bächlein den Menschen ? der fragt :
Wo kommst du her ?. Wo gehst du hin ? .
Und das Bächlein antwortet nicht . Es ist doch die Natur selbst;
wie kannst du da fragen! Es fließt dahin und speist dabei so viele durstende Fluren . Es wird größer und stärker und trägt geduldig schwere Lasten auf seinem Rücken;
treibt mit seiner Kraft Räder und Mühlen .
Es verrichtet willig seine Dienste und gibt so vielen Menschen eine Nahrung . Es ist stille dabei und sagt keinem von uns , daß es aus dem finsteren Schoß der Mutter Erde kommt, um dann nach seinem Erdenwallen irgendwo und irgendwie wieder aufzugehen in das All der Schöpfung, in das große Geheimnis des Werdens!
Was fragt der Mensch danach !
Müßte er dieses nicht selbst wissen ?
Ist ihm nicht genau derselbe Weg von ewigen Geschick
vorgezeichnet !
Ach, was erzählt dem stillen Wanderer solch ein Bächlein nicht alles.
Aber seht, dort drüben in einem Tal lacht es im reinsten Gold und schönstem Weiß zu uns herüber.
Weiß die Stämme und goldig die Kronen, so steht der Nudersdorfer Birkenbusch vor uns.

Birkenbusch um 1970
aus: Archiv des HV WB

Jener Birkenbusch, der Jahrhunderte hindurch bestanden hat und seinen schönen deutschen Flurnamen auch noch heute uns in der Tat zeigt. Es sieht fast aus. als komme der Rische Bach aus ihm heraus, als würde er hier geboren.
Er scheint eine treue Freundschaft mit dem Birkenbusch geschlossen zu haben! Und beim näherkommen sehen wir auch, daß hier, verträumt und fast von aller Welt vergessen, ein altes Haus im Schatten der vielen vielen Bäume seinen Platz gefunden hat. Dieses Haus steht schon lange hier; man sieht es ihm an.
Man sieht es an dem Fachwerk und an den Ziegeln, die einmal groß und ein andermal klein ausgefallen sind.
Sie wurden in einer Zeit geformt und gestrichen, in welcher man noch nicht mechanisch arbeitete, in welcher es noch keine Maschine gab.
Vor dem alten Haus sitzt auf einem Bänkchen ein Greis . Er schmaucht behaglich seinen Tabak aus einer Pfeife und zieht das Käppchen von seinem weißen Haupte, als ich vorüber schreiten wollte .
„Bleiben Sie ein wenig hier, mein Herr, und ruhen Sie sich für den weiteren Weg! “
so lud er mich freundlichst ein. Immer soll man einem alten Menschen folglich sein und immer soll man ihm eine Ehre bezeigen. So setzte ich mich zu dem freundlichen alten Mann. Der schmauchte sein Pfeifchen; und wir erzählten zunächst vom Wetter; dann von den schlechtenZeiten, von der Politik und gelangten dahin, daß die vergangenen früheren Jahre doch die schönsten Zeiten gewesen wären!
Bis ich dann fragte:
“ Was ist das für ein interessantes altes Gebäude, vor dem wir sitzen? “ Das ist die Birkenbuscher Papiermühle „.
Ich hatte gar nicht erst Zeit, meine Freude darüber auszusprechen, als der alte Herr schon wieder weiter erzählte:
„Ja , in dieser hat man in alten Zeiten die Papiermasse gestampft und gebreiet und dann in Formen gegossen, die dann später mit dem kursächsischen Wappen geziert als ,,Stempelbogen“ in den Verkehr gingen und überall große Verbreitung fanden!
Der Rische Bach dort war unsere Kraftquelle.
Er trieb das große Mühlrad und damit auch die inneren Gänge.
Dort, wo im Bach noch jetzt die kleine Stromschnelle zu bemerken ist, da hat der „Fachbaum“ gelegen.
Der Fachbaum, der zur Mühle wie das Mühlrad gehörte; denn er bewirkte, daß das Wasser als Kraft immer gleichmäßig auf das Mühlrad einwirkte. “ Ein schönes Wort, der Fachbaum!“
„Wenn es Ihnen lehrreich sein sollte, bitte, kommen Sie mit in mein Stübchen hinein! Dort kann ich Ihnen noch eine ganze Anzahl alter Urkunden zeigen, die von der Legung des Fachbaumes und von der Setzung des Merkpfahles sprechen.
Diese Urkunden gehörten zu jedem alten Mühlbetrieb, wie heute die Steuerkarte und der Führerausweis zum modernen Auto! “
Gern folgte ich der Einladung des alten Herrn.
Und während er sein Pfeifchen schmauchte und durch das offene Fenster das uralte Rauschen und Plätschern des Rischen Baches an mein Ohr drang, blätterte ich in einem Stoß vergilbter Papiere.
Da las ich, wie der ehemalige Königliche Landrat in Wittenberg von Jasmund, am 6. Mai 1840 an das Königliche Landgericht in Wittenberg schrieb, daß der Müller Schumann auf seiner sogenannten Nudersdorfer Papiermühle einen Markpfahl stoßen muß und er schlage zu dem selbigen Behufe einen Termin vor mit dem Ersuchen, das weitere Nöthige in dieser Beziehung gefälligst anordnen zu wollen.
Den ober- und unterhalb liegenden Müller werde er nach eingegangener Rückäußerung zur Stelle citiren sowie auch die nöthigen Arbeitsleute und Gerätschaften in Bereitschaft halten“.
Bevor nun der Landgerichtsrat Berghauer aus Wittenberg einen Termin bestimmte, schrieb er an den Müller Schumann in Nudersdorf:
„Der Müllermeister Schumann hat sich hierunter zu erklären, ob er mir zum Montag einen bespannten , verdeckten Kutschwagen schicken oder mir die Besorgung der Fuhre überlassen will“ .
Müllermeister Schumann hat in dicker Steilschrift unter diese Aufforderung geschrieben :
Überlasse die Herren Deputirten, das Fuhrwerk sich selbst zu
besorgen“.
Dann folgte eine auf schönem blauen Papier mit bunten Farbstiften angefertigte Zeichnung des Wittenberger Bauinspektors Gause, die die Örtlichkeit genau festhielt und mit genauen Maßen versehen war. In großen Kanzleibuchstaben fand ich dann weiter Bogen für Bogen beschrieben :
„Ausfertigung für den Birkenbuschmüller Schumann!
Verhandelt auf der Birkenbuscher Papiermühle bei Nudersdorf
am 23. Juni 1840.
Es war durch Verabredung mit dem Königl. wohllöbl. landrätlichen
Amte und dem Königl. Bauinspektor, Herrn Gause, der heutige Tag
zur Legung des Fachbaumes und Regulierung des Markpfahles bei der, nach dem Brande wieder neu aufgebauten hiesigen Mühle bestimmt worden. Der unterzeichnete Deputierte des Königl. Landgerichts zu Wittenberg verfügte sich daher und trat in dem vom Brande verschonten kleineren Seitengebäude ab, woselbst sich der Herr Regierungsreferendar Piper als Verweser des Landrathsamtes in Wittenberg und der Königl. Bauinspektor Herr Gause, daselbst eingefunden hatten. Die bei dem Geschäft betheiligten Personen, als der Besitzer der Mühle, daran der Fachbaum gelegt wird, Herr Karl Schumann; der Besitzer der Obermühle, Müllermeister August Kärnbach aus Nudersdorf, und der Besitzer der Untermühle, sowie der umliegenden Grundstücke, Herr Gustav Willmersdorf aus Braunsdorf waren vom wohl löbl. Landrathsamte vorbeschieden worden und
erschienen vor dem Protokolle.
Das Werk war zeithero oberschlägig und soll oberschlägig bleiben und das Wasser hatte zeithero einen Stand von 2 Fuß auf dem Fachbaum.
Herr Schumann beabsichtigt, in Zukunft einen Wasserstand von 1 Fuß und einem fünf, zehnfachen zehntheils Zoll auf dem Fachbaum zu haben und die Wehrhöhe von zehn und einem 16tel Zoll zur Vergrößerung des Wasserrades zu benutzen.
Auf die ihnen gemachte Mitteilung und Verdeutlichung von diesem Vorhaben, erklären der Obermüllermeister Kärnbach sowohl als der Untermüller und Besitzer der anliegenden Grundstücke Herr Willmersdorf, daß sie gegen dessen Ausführung keine Einwendung zu machen hätten, sondern die Legung des Fachbaumes und Regulierung des Spiegelpfahles nach diesem Plane erfolgen könne.
Demgemäß ward von Seiten des Herrn Bauinspektors zur Abwägung vorgeschritten :
Der zeitherige Wasserstand auf dem Hauptfachbaum war, wie gesagt, 2 Fuß und mit dieser Höhe im Ausgleich ward der Spiegelpfahl, von der äußeren Kante des Fachbaumes in einer Entfernung von 27 Fuß, oberhalb eingerammt.
Dieser Markpfahl von Eichenholz, 11 Fuß 5 1/4 Zoll lang,
6 und 1/4 Zoll stark und viereckig.
Der Kopf derselben ist mit einer kupfernen Haube versehen, oben in der Mitte mit einem und an den Seiten mit acht dergleichen Nägeln befestigt und zeigt die Oberfläche der kupfernen Haube auf dem Pfahle den zuhaltenden Wasserstand an.
Der neue Fachbaum ist von kiefernem Holz, 7 Fuß lang, 9 Zoll breit, 10 1/4 Zoll hoch, ist auf dem alten Fachbaum, der liegen bleibt, weil der Fachbaum und die angegebenen Zelle erhöht werden soll , genau aufgepaßt und mit dem selben verbunden.
An der darauf gesetzten linken Griessäule ist die zu haltende Wasserstandshöhe im Ausgleich mit der Oberfläche des Spiegelpfahles durch zwei eingeschlagene kupferne Nägel markiert und beträgt hiernach die Wasserstandshöhe auf dem Fachbaum 14
(abgeändert in 13 1/4 Zoll).
In der Grundmauermappe des Mühlhauses ist in einer Entfernung
von 2 Fuß 1/4 Zoll von der Oberkante derselben nach unten zu gerechnet, eine eiserne Klammer eingeschlagen.
Selbige ist 1 Fuß 1 5/8 Zoll lang, 1 1/2 Zoll breit 3/8 Zoll stark,
die beiden in der Mauer befindlichen Spitzen sind 4 1/2 Zoll lang.
Von der Oberkante dieser Klammer, 4 Fuß 2 1/2 Zoll heraufwärts
in senkrechter Höhe, ist derjenige Punkt, welcher der oberen Kante des Fachbaums in der Waage liegt.
Damit war das Geschäft beendigt , jedoch war zu bemerken, daß die Wasserstandshöhe auf dem Fachbaum nicht 14, sondern 13 1/2 Zoll beträgt.
Beim Verlesen wird die Verhandlung durchaus genehmigt, jedoch bemerkte der Obermüllermeister Kärnbach:
Ich genehmige zwar die heute stattgefundene Regulierung des Spiegelpfahles, da ich jedoch nicht übersehen kann , ob mir die veränderte Lage des Fachbaumes Stau in meine Räder bringen wird, so behalte ich mir neue weitere Anträge in einem solchen Falle bevor. Dieser Vorbehalt ward nicht bestritten , aber es bemerkte der Bauinspektor: damit die Meinung nicht erregt werde, als sei der Wasserstand verändert, muß ich hierbei amtshalber offenkundig machen, daß dieses durchaus nicht der Fall ist und vom ursprünglichen Wasserstande 10 1/2 Zoll dem Fachbaum zugetheilt sind.
Schließlich ist zu gedenken, daß an dem vorliegenden
Mühlenwerke verschiedene Wasserstände nicht stattfinden und
daß die Haube auf dem Spiegelpfahle mit den Buchstaben G. S.
und der Jahreszahl 1840 bezeichnet ist.
Der Herr Bauinspektor sagte die nachträgliche Hergabe einer Handzeichnung in Bezug auf den Wasserstand zu den Akten zu.

Vorgelesen, genehmigt, unterschrieben.
(Es folgen 7 Unterschriften).“

So erfuhr ich, zwar etwas umständlich, aber genau die Legung des Fachbaumes und die Setzung des Spiegel- und Merkpfahles an der Birkenbuschmühle. Sogar die Kosten der Sache mit 4 Thalern 16 Silbergroschen und 3 Pfennigen wurden mir nicht verschwiegen.,, Warum man das alles so umständlich machte?“ sagte mir der alte Mann noch auf meine Frage, damit man einem jeden gerecht sein wollte!“] Dankbaren Herzens verabschiedete ich mich am späten Abend von dem alten Müllermeister. Rüstig schritt ich wies der der Stadt zu und hatte dabei meine Gedanken bei den Fachbäumen und Merkpfählen. Sie waren mir heute Symbol dafür geworden, daß doch manches Unscheinbare und Kleine auch in unserer Heimat eine Vergangenheit, eine Geschichte hat. Später erfuhr ich noch, daß der Ursprung des Setzens der Fachbäume und Merkpfähle ein uralter Brauch ist und daß er zuletzt seinen Niederschlag fand in dem Vorfluth Edict“ des 1. sächsischen Königs
vom 15. November 1811.
Auch folgende Fachbaum – Legungen sind mir noch bekannt geworden:
– am 18. Juli 1833 an der Schumann’schen Mühle bei Reinsdorf.
– am 24. November 1840 an der von den Tuchfabrikanten Tamm und
Liebe ,,in der Nähe von Dobien dem Dorfe gegenüber“ errichteten
neuen Walkmühle ,
– am 19. November 1841 an der von dem Kaufmann Eduard Bambach,
aus Wittenberg bei dem Dorfe Bülzig erbauten Walkmühle,
– am 16. September 1842 daselbst , die Walkmühle wurde. hier als „Fabrik“ bezeichnet,
– am 3. Mai 1844 auf der Tamm’schen Wollspinnerei bei dem Dorfe Labetz, am 7. September 1844 in der Bruchmühle bei Wittenberg, neben dem Sichlerschen Garten , dem Müller Sacher gehörig ,
– am 14. Juli 1845 an der großen Mühle in Nudersdorf, dem Mühlenbesitzer Moelfel gehörig,
– am 8. August 1845 in der Tamm’schen Spinnfabrik bei Schmilkendorf,
am Krähenbach,
– am 3. Dezember 1845 in der Sacher’schen Mühle bei Schmilkendorf , ebenfalls am Krähenbach,
– am 6. März 1846 in der kleinen Mühle bei Hohndorf,
Besitzer Gottfried Gallien,
– am 12. Juni 1846 noch einmal in der Birkenbusch Mühle
bei Nudersdorf,
– am 18. Oktober 1850 an der Fournier – Schneidemühle am
Jahmoer Mühlbach, Besitzer Müllermeister Letz,
– am 6. Juni 1851 an der Walkmühle bei Braunsdorf, Besitzer Oberamtmann Voigt aus Klieken.
– am 27. Mai 1852 an der Wassermühle des Meisters Alperstedt
in Klitschena,
– am 19. März 1861 an der heiligen Geist – Mühle vor dem
Jüterboger Tor in Zahna ,
– am 27. September 1864 an der Buder’schen Mühle in Braunsdorf .

Eine heimatliche Betrachtung – von Robert Ernst