Wanderer, sei wachsam und hüte dich vor „Frauen-Volk“

Wittenberg ist eine Reise wert!
Täglich können wir jetzt die Touristen aus nah und fern in der Altstadt beobachten. Mit modernen Verkehrsmitteln kommen sie hierher. Vor Überraschungen und Unzulänglichkeiten ist man auch heute im Zeitalter der Technik nicht ganz sicher. Doch alles läßt sich ertragen und zum Schluß bleiben immer die schönen Erinnerungen an frohe Ferientage und noch lange zehrt man von all dem Gesehenen und den Erlebnissen.
Reisehandbücher und Prospekte dienen uns schon vor Beginn der Reise zur Orientierung, doch sie sind ganz anders gestaltet, als einer der ersten Reiseberater in deutscher Sprache aus dem Jahre 1651. Die Ungenauigkeit seiner beigefügten Landkarten wollen wir dem Verfasser Martin Zeiller verzeihen, gibt er doch gute Ratschläge, denn man muß

„eines guten, starken Leibes, auch nicht zu alt, noch zu jung sein. Schön ist es, wenn der Reisende Schwimmen beherrscht und Kochen. Das Gepäck soll wenig sein, denn zuviel würde nur die Räuber anlocken.“

Daß diese noch ihr Unwesen trieben, wissen wir aus vielen Sagen aus der Dübener Heide, und die St.- Wolfgangs-Kapelle am Ausgang der Altstadt von Kemberg (heute an der Leipziger Straße) war der Ort, wo man den Schutzheiligen noch einmal um Hilfe anflehen konnte, bevor man die große Reise durch den dunklen Wald zwischen Kemberg und Düben antrat.

Ein starker Stecken gehörte ferner zur Ausrüstung wie heute der Schlüssel zum Kofferraum des Autos, weil man ihn dringend zum Überspringen der Gräben benötigt, zum Bergsteigen und zum Abdrängen der wilden Hunde. Die Bärsäule bei Weidenhain erzählt uns heute noch von Bären am Rande der Dübener Heide. Trifft man auf einen solchen oder auf Wölfe, da hilft nur eins:

„In Gegenwart eines Bären lege man sich auf die Erde und halte den Atem stark an sich, als ob man todt wäre.“

Handwerkgesellen, Kaufmannsbediente und auch arme Künstler konnten sich den Luxus einer Reise mit der Kutsche nicht leisten.
Sie „ritten auf Schusters Rappen“. Mit dem Felleisen auf dem Rücken (velis = lederner Reisesack) und einem fröhlichen Lied auf den Lippen ging es in die herrliche Natur bis zum nächsten Ort. Dort traf man frohe Menschen, die etwas in den Kneipen von der Außenwelt hören wollten. Bald war man in Stimmung in fröhlicher Zecherrunde. Die jungen Wandersleute hatten aber auch ein Auge für die Schönheit der jungen Damen und manches alte Volkslied berichtet uns vom Abschied unter Tränen.

Doch auch das läßt sich vermeiden, wenn man vorher im Reisehandbuch nachgelesen hat.
Aber was ist das für graue Theorie, wenn man den Rat hört:

„Unverschämtes Küssen und Betasten ist als Gift zu fliehen.
Rede mit der Magd im Hause nicht mehr als die Noth erfordert,
sey zwar gut Freund mit ihr; gewöhne dich aber nicht dieselbe unverschämt zu küssen oder sonst unziemlich anzugreifen, noch weniger aber gar zu ihrem Bette zu nahen. Wenn du es aber so weit kommen lässest, so bist du schon gefangen, und wirst nicht leicht wieder aus dem Netz kommen. Denn das Frauen-Volk ist wie der Vogel-Leim, wer demselben zu nahe kommt, der muß entweder Federn lassen oder er wird gar gefangen.“

Heinrich Kühne †

aus: Freiheit vom 22.07.1978