Am 28. 11. 1890 fand die Nachwahl von Abgeordneten für
den Deutschen Reichstag statt, in Wittenberg für den Wahlkreis Schweinitz-Wittenberg, nach einem „Wahlkampf“, der bereits
im Februar des gleichen Jahres begonnen hatte.
Für die Bürger bestand „Wahlpflicht“ und der Kaiser hoffte
„… auf die verständnisvolle Unterstützung aller …,
welche das Heil des Vaterlandes nicht im Umsturz des Bestehenden, sondern in einer besonnenen, zielbewußten Fortbildung und Pflege unserer staatlichen Verhältnisse erblicken.“
Die Konservative, die Freikonservative und die Nationalliberale Partei hatten sich zu einem Wahlbündnis vereinigt, gegen
„… überholte Freiheitsideale der Revolutions- und Confliktsjahre
von 1848 bis 1866…“, gegen
„… die Umsturzpläne der Sozialdemokratie.“
Die Bürger unserer Stadt wurden aufgefordert, nicht den Umsturzaposteln der Sozialdemokratie die Hand bei diesen
Wahlen zu reichen.
In den kleineren Provinzialstädten und auf dem „platten Lande“
sollten man nicht den „Irrlehren“ ihrer Parteiführer folgen.
Diese Parteiführer kamen während des Wahlkampfes nicht ein einziges Mal im „Wittenberger Tageblatt“ zu Wort.
Wahlberechtigt war in unserer Stadt jeder Preuße, der das
24. Lebensjahr am Wahltag vollendet hatte, aber nur dann,
wenn er seit 6 Monaten in Wittenberg seinen Wohnsitz hatte.
Er mußte außerdem im Besitz der Bürgerlichen Ehrenrechte
und durfte nicht Empfänger der „Armen-Unterstützung“ sein.
Im Stadtgebiet gab es 10 „Urwahlbezirke“ mit ingesamt
13.885 „wahlberechtigten Seelen“, die 53 Wahlmänner zu
wählen hatten mit unmittelbarer Stimme für die Reichtagswahl.
Dr. Wolfgang Senst †
aus: Wittenberger Bürgergeschichten