Von der Luthereiche

Von der Luthereiche in Wittenberg
aus: Archiv des HV WB

Der Fremde, der den klassischen Boden der Lutherstadt Wittenberg betritt, erblickt als erstes Gedenkzeichen der Reformation die weit ausladende Luthereiche in der Gegend des ehemaligen Elstertores.
Der Baum bezeichnet ungefähr die Stelle, an der Martin Luther am 10. Dezember 1520 die päpstliche Bannbulle verbrannte und damit auch äußerlich die Trennung von der römischen Kirche vollzog.

Luthereiche um 1900
aus: Archiv des HV WB

Der eigentliche Ort dieses weltgeschichtlichen Vorgangs liegt etwas weiter südlich, nahe der Sedaneiche, da wo man die Kleider der an der Pest Verstorbenen zu verbrennen pflegte – eine nicht eben schmeichelhafte symbolische Bewertung jenes päpstlichen Dekrets. Der jetzige Standort der Eiche ist nahe der Lage der damaligen Festungswerke und nach mündlichen Überlieferungen gewählt worden.
Wer die erste Luthereiche pflanzte, kann nicht gesagt werden. Der stark herangewachsene Baum wurde im Jahre 1813 von den Franzosen, denen man die kursächsische Festung Wittenberg ausgeliefert hatte, rücksichtslos gefällt. – Edle Bundesgenossen!

Luthereiche
aus: Archiv HV WB

Von 1817 an fanden wiederholt Versuche statt, eine neue Luthereiche zu pflanzen, doch gingen die Bäume immer wieder ein. Erst die am 25. Juli 1830 – dem 300-jährigen Gedenktage der Übergabe der Augsburgischen Konfession – gepflanzte Eiche hat Wurzel gefasst und sich kräftig entwickelt. In der Christnacht des Jahres 1904 wurde sie von ruchloser Hand auf dreiviertel ihres Umfanges bis auf das Splintholz angesägt. Durch Anlegen eines kunstgerechten Verbandes gelang es aber, den denkwürdigen Baum zu retten. (siehe halbe Höhe Umzäunung)

Die Eiche wurde am 25.Dezember 1904 schwer verletzt, dann eingezäunt.
aus: Archiv des HV WB

Die Spuren jener Freveltat sind noch heute am Stamm sichtbar. Leider ist es nicht gelungen, den oder die Täter zu entdecken; auch die von der Stadtverwaltung und dem Wittenberger Zweigverein des Evangelischen Bundes zu diesem Zwecke ausgesetzte Belohnung hatte keinen Erfolg. Mehrmals wurde der Platz Luthereiche einer durchgehenden Umgestaltung und Verschönerung unterzogen. Bei dieser Gelegenheit möge an dieser Stelle eine Sage Platz finden, die sich an die Pflanzung der ersten Luthereiche knüpft:
Ein Wittenberger Student liebte ein braves Mädchen, das eine Waise war und im Hause der Großmutter lebte. Seine Liebe wurde von dem Mädchen herzlich erwidert, aber die Großmutter wollte nichts von einer Verbindung der beiden wissen, da der Student zu den Anhängern Luthers gehörte, während sie fest am Papst und der katholischen Kirche hing. Als nun vollends Luther vor dem Elstertore die päpstliche Bannbulle verbrannte und jener Student in besonderem Maße sich dabei betätigte, da kannte der Zorn der Alten keine Grenzen. In echt weiblicher Neugier konnte sie es sich aber doch nicht versagen, nach der Stelle zu gehen, wo der Frevel geschehen war. Und so wanderte sie denn am Abend jenes bedeutungsvollen Tages am Arme ihrer Enkelin, ihren eichenen Krückstock in der Hand, hinaus vor das Elstertor.
War es nun Zufall oder geheime Verabredung – sie trafen dort den Studenten, und das Mädchen bat den Geliebten, doch den Hergang der Sache zu erzählen. Die erbitterte Alte aber ließ ihn nicht zu Worte kommen und goss die volle Schale ihres Zornes über Luther, seine Anhänger und den Studenten im Besonderen aus. Und indem sie ihren Eichenstock in den Boden stieß, schloss sie ihre Strafpredigt mit den Worten: „Eher wird dieser alte Stock wieder grünen, als dass der Frevel dieses Augustinermönches ungestraft bleibt und erst dann“ – so setzte sie mit einem bösen Seitenblick auf den Jüngling hinzu – „wird meine Lore mit euch Hochzeit halten.“
In den nächsten Tagen aber konnte man sehen, wie der Student aufmerksam den Eichenwald der Propstei durchforschte. Er fand dort auch einen jungen Eichenstamm, den er sorglich mit den Wurzeln aushob, durch Beschneiden den Krückstock der Alten täuschend ähnlich machte und in verschwiegener Nacht an dessen Stelle pflanzte.
Als nun der Frühling ins Land kam, trieb der Stamm Knospen und Blätter. Die Großmutter der Lore wurde durch dieses vermeintliche Wunder mit ihrem Stabe so ergriffen, dass sie ihren Segen zum Ehebund des jungen Paares gab. Im gleichen Sommer noch hat Doktor Martin Luther den jungen Doktor mit seiner Lore in der Wittenberger Pfarrkirche getraut.

Bearbeitet: Elke Hurdelbrink

Quelle: O du Heimatflur – Unser Heimatland
1. Jahrgang 05  1924 von Richard Erfurth.

zurück zu Infoblätter zur Stadtgeschichte