In vielen Orten unserer Heimat läuten mittags 12 Uhr die Glocken. Mancher hat sich Gedanken gemacht, welchen Zweck das Geläute hat. Meistens wird angenommen, dass den Leuten auf dem Felde die Mittagspause angezeigt werden soll oder Ähnliches. Aber der Ursprung und eigentliche Zweck dieser Glockenklänge ist ein ganz anderer.
Im 15. Jahrhundert wurde Europa und damit die christliche Welt durch die Türken hart bedrängt. Sie eroberten 1453 Konstantinopel und machten dem oströmischen Kaisertum ein Ende und richteten sich selbst häuslich ein. Sie drangen immer weiter gegen die Donau vor und waren nahe daran, Ungarn zu erobern.
In dieser geschichtlichen Stunde hat sich das Volk Ungarns, des „Regnum Marianum“, für die Idee des Kreuzes eingesetzt, Blut und Leben reichlich auf dem Altar des Glaubens und des Vaterlandes dargebracht. Es sah seine Mission darin, gegen die vordringende heidnische Macht des Islam die Vormauer Europas zu sein.
Die Gefahr aber schien viel größer zu sein, als dass die ungarische Nation sie allein abwenden konnte. Darum forderte Papst Kallistus III. schon im Jahr 1455 die ganze christliche Welt zur Hilfeleistung auf und ließ nachher auch seine rufende Stimme im Interesse des gefährdeten Europas hören. Aber seine Legaten stießen meistens auf Gleichgültigkeit oder wenig Verständnis. Bald musste er einsehen, dass von den irdischen Fürsten und Mächten nicht viel zu erwarten war.
In dieser kritischen Lage nahm der Papst seine Zuflucht zu den überirdischen Gewalten und veröffentlichte am 29. Juni 1456 seine „Bulle der Gebete“, in der er das tägliche Mittagsläuten anordnete (Das Abendläuten zu Ehren der Muttergottes findet sich fast überall bereits im 14. Jahrhundert – 1327 für Rom von Papst Johannes vorgeschrieben. Das Morgenläuten entwickelte sich fast gleichzeitig, in Deutschland im 15. Jahrhundert, doch stand beides noch nicht in unmittelbarem Zusammenhang. Das Mittagsläuten kam am spätesten auf, vor allem aufgrund der im Artikel beschriebenen Ereignisse. Die heutige Form des „Angelus“ wurde, gefördert von den Päpsten, erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts allgemein üblich.) Das Ziel der Bulle war, einen Kreuzzug des Gebetes zu organisieren, um anstatt der menschlichen Solidarität die Hilfe des Himmels zu erflehen und zu sichern.
Die Bulle wurde in Rom am 29. Juni 1456 in feierlicher Weise veröffentlicht. Der Papst selber zelebrierte die heilige Messe in der Basilika des Apostelfürsten, und der Kardinal von Venedig las den Text der Bulle dem Volk vor. An diesem Tag erklang das Mittagsläuten in der Ewigen Stadt zum ersten Mal in der Geschichte.
Das Mittagsläuten aber hat sich in vielen Orten erhalten
bis auf den heutigen Tag.
Gefunden im Archiv Günter Göricke †
Bearbeitet und ergänzt Elke Hurdelbrink