Vom Luthersbrunnen

1914.06. 24. Wittenberger Tageblatt

Vom Luthersbrunnen.
Zu den in der gegenwärtigen Jahreszeit am meisten besuchten Ausflugsorten in der Umgebung unserer Stadt gehört der Luthersbrunnen. Unsere Leser dürften daher einige geschichtliche Mitteilungen über diesen interessieren. Ueber die Entstehung seines Namens und seine älteste Geschichte weiß der alte Wittenberger Skribent Balthasar Menzius in seinem Büchlein de Eccles. Saxon p. 10 folgendes zu berichten:
„Als Luther mit der Uebersetzung der Bibel beschäftigt war und das 4. Kapitel des Johannesevangeliums vom Jokobsbrunnen ins Deutsche übertragen wollte, ist er mit Philipp Melanchthon, Kaspar Krutziger, Mattheo Aurogallo und etlichen verständigen Bürgern und Handwerksleuten aus Wittenberg öfters zu einem Brunnen vor dem Elstertore gegangen, und da hat er von der lebendigen Springquelle an der Elbe öfters Gelegenheit genommen, von dem samaritischen Brunnenwasser deutlich und einfältig zu schreiben. Nun ist bekanntlich die Luthersche Uebersetzung des Evangeliums Johannes wie überhaupt die des Neuen Testaments schon Anno 1522 zu Wittenberg, Straßburg, Augsburg und Grimma gedruckt worden. Daraus folget, „daß zum wenigsten Anno 1521 der Brunnen bereits von Luther besucht sein muß.“ Soweit Menzius. Die Brunnenquelle wurde in den Jahren 1680 bis 1690 in Stein gefaßt und war besonders zur Universitätszeit ein beliebtes Ziel der Spaziergänger. Bis zum Luthersbrunnen pflegten die Studenten ihre von Wittenberg scheidenden Lehrer, welche die Straße nach Dresden einschlugen, zu begleiten. So hielt der Reichshofrat Balthasar von Werner bei seiner Abreise nach Wien am 8. August 1729 seine denkwürdige Abschiedsrede an die ihn begleitenden Schüler. Auch der zum Rektor in Görlitz gewählte berühmte Magister Christian Baumeister richtete hier die letzten Abschiedsworte an seine Wittenberger Begleiter. Auch ihren scheidenden Komilitonen gaben die Studenten bis zum Luthersbrunnen das Geleite, wo gewöhnlich noch ein Abschiedstrunk genommen wurde. Der Rat der Stadt Wittenberg hatte am zweiten Jubelfeste der Reformation 1717 an und über der Quelle Wohn- und Wirtschaftsgebäude errichten lassen. Der darin untergebrachte Ratsförster erhielt die Weisung, alle Ankommenden gut zu bewirten und ihre Namen zum Andenken in ein besonderes Buch schreiben zu lassen. Der letzte direkte Nachkomme Luthers besuchte jedenfalls am 18. August1730 den Brunnen. Es findet sich von ihm folgende Eintragung in dem bezeichneten Buche: Martin Gottlob Luther von Hoheburg bei Wurzen, Divi D. Martini Lutheri Trinepos. – Die vom Rate über der Quelle angebrachte lateinische Inschrift lautet in deutscher Uebersetzung:
„Unter Gottes des Allmächtigen und Allgütigen Beistand ist dieser Brunnen von dem teueren Gottesmann Luther, dessen Namen er noch trägt, oftmals besucht und gefeiert, dann aber durch Menschen und der Zeiten Unbill zu wiederholten Malen verwüstet, endlich bei der zweiten Jubelfeier in Jahre 1717 vom Schutte gereinigt und auf Kosten des Wittenberger Magistrats neu überbaut worden. Der Bürgermeister war J. P. Keil aus Oelsnitz im Vogtlande, von den Bauherrn L. Kettner und G. Zimmermann“. Die darunter stehenden lateinischen Verse lauten in deutscher Uebersetzung:
„Wer du nur auch, Leser, den Schritt zum Hause gelenkt hast,
Weigere die Danksagung nimmer bem gültigen Gott.
Mehr wert ist’s aus Luthers lebendigem Borne zu kosten,
Als wer jegliche Bucht sämtlicher Meere besucht“.
Wie unsere Leser sich erinnern werden, haben die städtischen Behörden vor kurzem die erforderlichen Mittel zur Renovierung des Luthersbrunnens bewilligt.

aus: Wittenberger Tageblatt 1914

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