1927.11.14. Unser Heimatland
Wenn wir an schönen Sommertagen durch unsere heimischen Wälder wandern, so erfreuen uns am murmelnben Bache die nickenden zierlichen Wedel des Farnkrautes,
Wie würde er aber staunen, wenn er die Vertreter dieser Pflanze
in den feuchten Wäldern der heißen Zonen zu Gesicht bekäme,
wo baumförmige Farne von 15 m Höhe mit riesigen Wedeln eine gewöhnliche Erscheinung sind.
Aber was sind selbst diese Farnriesen im Vergleich mit ihren Brüdern in der Vorzeit!
In der geologischen Entwicklung unserer Erde gab es einst eine Periode, in welcher den Farnen die Herrschaft unter den Pflanzen zukam, wo sie in großen, unermeßlichen Wäldern das Land bedeckten.
In jener fernen Zeit fanden sie in reicher Fülle alles das vor, was sie zu einer üppigen Gestaltung brauchten. Über dem eben aus dem Urmeer emporgehobenen Festlande lagerte eine tropische, reich mit Wasserdämpfen und Kohlensäure angefüllte Atmosphäre, welche Farnkräuter wachsen ließ, gegen deren Riesengestalt selbst die größten der heutigen Vertreter in der heißen Zone als Zwerge erscheinen.
Aber nachdem sie lange, lange Zeit hindurch als die schönsten unter den Kindern Floras das grüne Pflanzenkleid der Erde gebildet hatten, verschwanden sie, um anderen die Herrschaft einzuräumen. Das feste Land sank unter dem Spiegel des Urmeeres, und die herrlichen Farnenwälder wurden von den mächtigen Meereswellen überflutet und von den festen Bestandteilen des Meeres, die sich aus diesen niederschlugen, begraben.
Der Druck dieser Erdschichten ist im Laufe der unmeßbaren Zeit so stark gewesen, daß die unter ihnen ruhenden Farne in steinharte Kohlen verwandelt wurden. In welcher üppigen Entfaltung und Menge die Farnkräuter damals vorhanden waren, beweisen die mächtigen Steinkohlenflöze, aus denen der Bergmann häufig die schönsten Abbrücke der zierlichen Wedel an das Tageslicht fördert, als Urkunden über die Entstehung der Steinkohle und zugleich als Denkmünze der Schöpfung.
Der Name Farn befindet sich bereits im Althochdeutschen, doch ist hier die Bedeutung desselben dunkel.
Ein Zusammenhang mit dem Worte „fahren“ ist schwer anzunehmen, wenngleich einige ältere Botaniker die Pflanze „Waldfahren“ nennen; vielleicht wollen sie damit auf deren schnelle Entwicklung hinweisen.
Eine Farnart führt den Namen Engelsüß, weil sie nach dem Volksglauben den Menschen von den Engeln als Heilmittel gegen Schlaganfälle gegeben sein soll.
Die Bezeichnung „süß“ bezieht sich auf den Geschmack der Wurzel. Unser größter europäischer Farn heißt Adlerfarn, weil der untere Teil des Wedelstiels auf der Durchschnittsfläche eine dem Doppeladler ähnliche Figur zeigt.
Die eigentümliche Art und Weise der Farnkräuter ist es, die von jeher die Verwunderung der Menschen erregt hat.
Als Kryptogamen treiben sie weder Blüten noch Früchte wie die übrigen Pflanzen und vermehren sich trotzdem.
Da unsern Vorfahren die Kenntnis der Sporenkörper und die Entstehung der Pflanze aus diesen fremd war, so fand der Aberglaube hier leichtes Spiel; man brachte die Pflanze mit den bösen Geistern, ja, mit dem Teufel selbst in Verbindung.
Dem rätselhaften Samen schrieb man die wunderbarsten Kräfte zu. Wer ihn besaß, erfreute sich unverwelklicher Jugend und bekam solche Kraft, daß er soviel arbeiten konnte wie zwanzig Männer. Auch besaß der Farnkrautsamen nach dem Volksglauben die wunderbare Macht, unsichtbar zu machen.
Einst ging ein Bauer in der Johannisnacht umher, um ein entlaufenes Fohlen zu suchen, und als er durch ein Gehölz ging, fiel Farnkrautsamen in seinen Schuh.
Als er nach Hause kam, fiel es ihm auf, daß die Hausbewohner gar nicht auf ihn achteten.
Als er nun rief: „Ich habe das Fohlen nicht gefunden!“
da erschraken alle heftig, weil sie zwar seine Stimme hörten, aber ihn nicht sahen. Er wurde erst wieder sichtbar, als er die Schuhe ausgezogen hatte.
Legte man den Farnkrautsamen zum Gelde, so sollte er bewirken, daß dieses troz aller Ausgaben nicht weniger wurde.
Überhaupt soll der Teufel dem Besitzer dieses Samens bei allen Dingen behilflich sein.
So berichtet folgende Geschichte:
Ein Bursche hatte sich einst durch den Teufel Farnkrautsamen zu verschaffen gewußt;
infolgedessen konnte er jagen wie er wollte; so jagte er zum Beispiel mit seinen Pferden die steilsten Abhänge hinab, ohne Schaden zu nehmen.
Als er eines Tages mit dem gefüllten Erntewagen in die Scheune kam und niemand zum Abladen vorfand, fuhr er mit dem Wagen die Leiter zum Boden hinauf und warf dort die Garben ab.
Der Bauer kam zufällig dazu, aber ängstlich schwieg er still, denn hätte er nur ein Wort gesprochen, so wären Kutscher, Pferde und Wagen rettungslos heruntergestürzt.
Der zauberkräftige Samen war jedoch sehr schwer zu erlangen. Ganz unsicher war man darüber, wann er zur Reife gelangte;
die einen sagten, in der Johannisnacht,
die andern in der Christnacht.
In jedem Falle mußte man ihn nachts von 11 bis 12 Uhr sammeln. Aber gerade dieses Einsammeln hatte seine große Schwierigkeit, denn der Samen reifte nicht allmählich wie bei anderen Pflanzen, sondern ganz plötzlich. In demselben Augenblicke aber fiel er funkelnd wie feuriges Gold mit großer Kraft zur Erde und verschwand, so daß er nicht wieder gefunden werden konnte.
Die Kraft, mit der er dem Boden zustrebt, soll so groß sein,
das er selbst metallene Mörser, mit denen man ihn auffangen wollte, durchschlug;
nur ein kohlschwarzes Bockfell vermag ihn aufzufangen.
Am sichersten aber erhielt man ihn vom Teufel selbst, dem man sich allerdings verschreiben mußte.
Zu diesem Zwecke durfte man in der ganzen Adventszeit nicht beten, kein Weihwasser berühren und nicht in die Kirche gehen. Hingegen mußte man sich stets mit teuflischen Gedanken beschäftigen.
In der Christnacht stellte man sich dann vor Mitternacht auf einen Kreuzweg, über welchen schon Leichen nach dem Friedhofe getragen worden waren.
Hier erschienen dem Betreffenden dann eine Menge Gespenster, unter denen bekannte und unbekannte Verstorbene waren, und suchten ihn von seinem Vorhaben abzubringen.
Er durfte aber kein Wort sprechen und nicht lachen, sonst wurde er sofort vom Teufel zerrissen.
Hatte er bis zum zwölften Glockenschlage die Probe bestanden, so erschien der Böse und gab ihm eine Tüte mit Farnkrautsamen.
Von einem Burschen wird erzählt, daß er den oben erwähnten Knecht gebeten habe, ihn bei der Gewinnung von Farnkrautsamen in der Christnacht zu begleiten, was dieser auch tat.
Der Führer zog einen Kreis, gebot dem andern tiefes Schweigen und las wunderliches Zeug aus einem kleinen Buche.
Von halb zwölf Uhr vernahm man das Getöse des wilden Heeres; dann hing ein großer Mühlstein an einem dünnen Faden über beiden.
Hierauf erschien ein vierspänniger Wagen, dessen Fuhrmann sie,
um sie zum Sprechen zu veranlassen, nach der nächsten Ortschaft fragte.
Dann glitt eine große Holzschüssel heran und fragte, ob sie dem Wagen nachkommen könne.
Das erschien aber dem Burschen so komisch, daß er laut lachen mußte, wofür ihm der andere eine kräftige Ohrfeige verabreichte, weil er mit seinem Lachen das Erlangen des Farnkrautsamens vereitelt hatte.
Aber nicht nur der Samen, sondern das ganze Kraut galt als wunderkräftig.
Schritt ein Wanderer über dieses hin, ohne es zu beachten, so verlor er den Weg und konnte sich nur dadurch wieder zurechtfinden, daß er die Schuhe wechselte, oder
– wenn es eine Frau war –
daß sie die Schürze löste und verkehrt vorband.
Deshalb hieß das Farnkraut in Thüringen auch „Irrkraut“.
Blühendes Farnkraut hing man gern über die Tür,
damit es Glück ins Haus bringe.
In der Mitternachtsstunde des Walpurgistages verwandelte sich alles Wasser in Brunnen und Flüssen und Bächen in Wein, doch nur der konnte ihn schöpfen, der blühendes Farnkraut bei sich trug.
R. B.