Vom einstigen einzigen Wittenberger Postbote

1988.12.31. Freiheit

Vor 150 Jahren hatte die Stadt Wittenberg rund 8000 Einwohner. Sie wohnten in 618 Häusern, wobei man erwähnen muß, daß sich diese Zahl auch auf die Vorstädte, einschließlich Friedrichstadt, bezieht. Diese Haushaltungen wurden durch den einzigen hiesigen Postzusteller, den Briefträger E. G. Baumgart, betreut.

Postbote
aus: Archiv HV WB

Er war stadtbekannt, und er selbst kannte natürlich alle Einwohner und ihre Familien, wußte, wer die meisten Briefe bekam und woher sie den Weg nach Wittenberg. fanden. Sie waren alle noch aus handgeschöpftem Büttenpapier und in Briefgröße gefaltet, dann mit Siegellack verschlossen und mit einem Petschaft versehen. Das Porto stand vorn auf der Anschriftseite und war in den meisten Fällen bereits vom Absender bezahlt, Briefmarken gab es noch nicht. Ging nun das Jahr zu Ende, dann setzte sich der Briefträger Baumgart an den Tisch, nahm Tinte und Federkiel und schrieb bedächtig Vers an Vers, bis das ganze Blatt voll war. Für wenige Gro- schen ließ er die Neujahrszettel drucken. Neben den besten Wünschen zum Jahreswechsel konnte man sich auch dabei orientieren, zu welchen Zeiten die Ankunft und die Abfahrt der hiesigen Postkutschen stattfanden. Jede Wittenberger Familie nahm gern die gedruckten Glückwünsche des Postboten entgegen, dafür erhielt er dann als kleine Gegengabe einige Groschen ausgehändigt und manchmal auch hier und da ein Schnäpschen. Ich kann hier nicht alle Strophen wiedergeben, doch ist der letzte Hinweis recht bezeichnend, wenn man las:

,,Ich weiß es, Sie verschmähn sie nicht.
Ob auch die wird mir doch zuteil.
Und dafür wünsch ich Glück und Heil!“.

Heinrich Kühne

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