So mancherlei vom alten Brauchtum hat sich über den ganzen Fläming erhalten. Wie viel schöne Sitten und Gebräuche haben sich bis in unsere Zeit hinüber gerettet, und wenn uns auch großenteils
nur die allerletzten Überreste erhalten geblieben, so sollte uns die Erinnerung an früher antreiben, das, was wir heute noch an verschiedenen Orten beobachten zu erhalten. Auch das ist Geschichte unserer Vorfahren, Geschichte, oft eng begrenzt auf eine kleine Dorfgemeinschaft. Was finden wir da alles an uralten, germanischen Bestandteilen, nur umgeändert und umgemodelt im Laufe der Jahrhunderte und vom Christentum beeinflußt!
Es ist nicht immer leicht, den eigentlichen Kern von späteren Zutaten zu trennen, aber befriedigend ist der kleinste Gewinn, der kleinste Erfolg, der dann zu weiterem Nachforschen antreibt.
Vieles erblickt man ja leicht, ich denke an all die schönen Bräuche, die sich an kirchliche und weltliche Feste, an Feiern im engsten Familienkreise, an den Jahreslauf anknüpfen, zu deren Pflege und Erhaltung von verschiedenen Seiten unermüdlich gearbeitet wird. Vieles erblickt man aber leider nicht, nämlich all das, was mit übernatürlichem, geisterhaftem zu tun hat. Das erhält sich oft in recht einfacher, einfaItiger Form; es ist meist ganz unsinnig, und man glaubt wirklich nicht, im 20 Jahrhundert zu leben.
Ich kann an dieser Stelle natürlich nur wenige Proben bringen, aber einen richtigen Eindruck gibt uns auch dieser Auszug. Die hier folgenden Beispiele sind keineswegs auf den Fläming beschränkt; sie sollen nur die Erscheinungsformen für den Fläming zeigen.
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- Patengeschenk
- Das erste Lebensjahr
- Hochzeit
- vom „Anbinden und „Schnurhalten“
- Todesfall
Patengeschenke
Übernimmt jemand bei einem Kinde die Patenschaft, so muß er sich bei der Taufe „was merken lassen“.
Man gibt Geld in beliebiger Münze und steckt es meist unter das Kopfkissen, damit das Kind klug wird (Polenzko, Griebo, Blönsdorf, Dahnsdorf, Elster, Langenlipsdorf, Mügeln, Welsickendorf) oder auch noch unter die Füße, damit es im Leben sicher steht
(Baruth, Kropstädt).
Auch unter die Mitte des Rückens wird es gelegt; so kann der Täufling in Zukunft aufrecht stehen (Leitzkau).
Ferner wird vielfach noch ein Patenbrief beigegeben (Meinsdorf, Kreis Zerbst, Rädigke) in Hohenseefeld findet er auf dem Kissen seinen Platz, in Ihlow neben dem „Kopffühl“ (Kopppähel).
Oft verlangt es der Brauch, daß Münzen jeder Art, vor allem auch Pfennige gegeben werden, sonst wird das Kind nicht sparsam (Belzig, Wiesenburg). In Grochewitz wird es in einem Kästchen
niedergelegt. Da heute die Zahl der Paten in verschiedenen Ortschaften die Zwanzig erreicht, bzw. sogar überschritten hat, kann man sich nicht mehr an althergebrachte Platzvorschriften halten, und man legt seine Gabe dahin, wo unter oder neben dem beneidenswerten Erdenbürger noch Platz ist (Griebo, Mörz).
Nach der Taufe muß in Seehausen der jüngste Pate mit dem Täufling so schnell wie möglich aus der Kirche rennen, „damit das Kind gut laufen lernt“!
Auf keinen Fall darf man es loben und hübsch finden – man darf es nicht beschreien – oder man sagt dazu „unberufen“.
Das erste Lebensjahr
Vielfach ist es streng verboten, kleinen Kindern vor Ablauf des ersten Lebensjahres die Fingernägel abzschneiden, weil man sonst den Verstand abschneidet (Grimme, Kobbelsdorf, Baruth, Mügeln).
Nägel und Haare darf man nicht schneiden, weil es das Leben verkürzt (Görzke). Aber es ist gestattet, die Nägel abzubeißen. In diesem Zeitraum dürfen die Haare nicht gekämmt werden
(Waltersdorf), sonst stirbt das Kleine (Weiden). Das Kind soll nicht zum Fenster hinausgegeben werden oder aus dem Fenster klettern, sonst wir es ein Dieb (Ihlow). Kommen die ersten Zähne, so halte man es mit dem Gesicht in Brotteig (IIImersdorf).
Vorsicht vor Regen, das gibt in Düben und Straach Sommersprossen! Ferner ist es verhängnisvoll, wenn der kleine Liebling in den Spiegel sieht; er wird dann nämlich stolz! – Mancher Mensch hätte also besser getan, öfter in den Spiegel zu gucken! – Hat das Kind unter genauer Beobachtung aller Vorschriften das erste Lebensjahr glücklich hinter sich, dann kann es den Jahrestag begehen. Aber so ganz ohne ist dieser Tag auch noch nicht:
es dürfen keine Blumen geschenkt werden.
Warum? – Und dann vergeht die Zeit im Sauseschritt, immer umgeben von Vorsichtsmaßregeln, und am Lebensweg steht hier und da eine Warnungstafel mit dem bekannten Ausrufezeichen,
d.h. Achtung! Jetzt muß du das bedenken, jetzt das, sonst … !
Hochzeit
Überspringen wir eine Spanne Zeit! Das Mädel, das vor Regen geschützt werden sollte, hat manchen „Regenguß“ über sich ergehen lassen müssen, und der, der sie sich erwählt hat, nicht minder. Jetzt wollen sie einen eigenen Hausstand gründen. Gestern ist gepoltert oder „Klappott geschmissen“ (Leitzkau). Heute geht’s im feierlichen Zuge zum Dorfkirchlein, begleitet von vielen Lieben und Getreuen, die man einladen wollte oder mußte, die zum Teil von bangen Sorgen gereinigt werden,
„ob denn unse Lieschen o dran denkt, dasse –?“
Lieschen hat sich auch wirklich nicht umgesehen auf dem Wege zur Kirche, denn das bedeutet „UngIicke“! Das bedeutet, daß der Ehemann früh stirbt (Düben, Grochewitz, Jeserig).
Tritt es wirklich ein, dann heißt es in Leitzkau:
„Sei het sich joa na den zweeten Mann umekeken!“.
Heute sieht sich manche Braut aber schon um und setzt sich über die Bedenken hinweg. – Zum Glück ist sonniges Wetter, hätte es in den Brautkranz geregnet, so würden die Regenperlen Tränen bedeuten (Cobbelsdorf). Auch die andere Lesart besteht:
Soviel Tropfen Regen, soviel Gottessegen!
Schneit es hinein, so ist Reichtum gewiß.
– Lieschen drückt der eine Schuh, nicht weil er zu eng ist, sondern weil Geld hineingelegt ist. Nun wird das Geld in der Ehe nicht fehlen (Grimme). In Wittenberg wird es in das Kleid genäht – Und dann ist auch kein Wagen entgegengekommen, das erinnert nämlich an den Leichenwagen. Vom Turm des Kirchleins klingen die Hochzeitsglocken. Der Hochzeitszug ist vor der Kirchtür angelangt,
die von Neugierigen umlagert ist. Man will sehen, ob die Braut vor dem Bräutigam ihren rechten Fuß auf die Schwelle setzt (Jeserig, Hohenahlsdorf), dann hat sie das Regiment in der Ehe. Die
Traurede ist zu Ende, es folgt der Ringwechsel.
Aufgepaßt ! heißt es für die Umstehenden. Beim Ringwechsel darf man nicht loslassen (Grimme); die Braut hat den Ring zuletzt zu geben (Sernow).
Und dann beim Ja-Wort mit allem Nachdruck dem Bräutigam auf den Schuh treten (Düben, Grimme, Seyda) und den Daumen obenauf, „äwwerhand‘ (Mügeln)!
Dann folgt die Feier zu Hause oder im Gasthof mit allerlei auserlesenen Genüssen. Was kann solch Landmagen nicht alles vertragen, da bleiben wir mit unsenn Stadtmagen weit zurück. Ich kenne Bauernhochzeiten, auf denen in „Schichten“ gegessen werden mußte, da man einfach für alle zusammen den Platz nicht hatte. Die „Feierschicht“ besieht sich das Vieh, lobt aber nicht, weil es schädlich wirken kann. Nachher gibt’s Kaffee und Kuchen, viel Kuchen sogar! Die Braut durfte beim Backen des Hochzeitskuchens nicht in die Backstube. Selbstverständlich wird auch getanzt. Die
Braut tanzt den ersten Tanz im Brautkleid: dann führt sie bei jedem weiteren Tanz ein anderes Kleid vor, bis sie schließlich im Hauskleid tanzt (Griebo). Man sah’s auch gern, wenn die weiblichen Gäste eine Auswahl aus ihrem Kleiderschranke vorführten. – Das Abtanzen des Brautkranzes geschieht in verschiedenen Formen. In Kropstädt singt man dabei:
„Wir winden dir den Jungfernkranz“, und nach jedem Umgang wird der Braut eine Haarnadel herausgezogen. Schließlich findet auch diese Feier ein Ende, und mit Kuchenbündeln beladen ziehen die Gäste heim. Stammt die Baut aus einem anderen Dorfe, so darf sie vier Wochen nicht nach Hause.
Vom „Anbinden“ und „Schnurhalten „
Die Sitte des Anbindens oder Schnurhaltens ist sehr alt und wurde sogar gekrönten Häuptern gegenüber geübt. Aus dem Jahre 1544 hören wir: als der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen (Hannfried) von Torgau nach seinem Jagdschloß Lochau bei Annaburg reitet, mähen etliche Männer auf einer Waldwiese. Als sie den stattlichen Zug bemerken, eilen sie herbei, um mit einer Schnur den Weg zu sperren. Freilich, als der Kurfürst heran ist, haben sie die längst fallen lassen; denn sie haben bemerkt, daß er einem der Begleiter etwas zuruft. Enderlein von Weidenhain greift in die Tasche und wirft ihnen Münzen hin! (Nach Fr. Stoy.) Und die Maurer und Steinmetzen, die zu der Zeit auf Schloß Hartenfels in Torgau arbeiteten, hatten mit dem alten Brauch auch Erfolg.
Beides, das Anbinden und Schnurhalten, ist heute noch überall bekannt. Angebunden wird der, der eine Arbeit zum ersten Mal tut. Wer seine erste Arbeit im Busch leistet, muß sich durch einen Liter
„Süßen“ lösen (Grimme, Görzke). Erscheint der Förster zum ersten Mal bei der Kulturarbeit, so „muß der sich was merken lassen“ (Grimme, Serno). Die erste Erntearbeit kostet Kuchen u.ä. (Niemegk, Wittenberg); auch den Arbeitgeber binden die Landarbeiter an (Görzke). Wer erstmalig die „Spinte“ (Spinnstube) besucht (Ihlow) oder „plijet, jrawet, Mist bret’t“, muß sich loskaufen.
Im Frühjahr „ward e natt beoakt“ (Blönsdorf). Lösegeld muß man bei seiner ersten Patenschaft zahlen (Grochewitz, Borne, Kropstädt, Waltersdorf) oder der Hebamme ein Geschenk und der Taufgesellschaft eine Festgabe liefern (Mörz). Dabei sagt man einen Lösespruch, wie:
Heute ist ein schöner Ehrentag,
Wo man den jungen Herrn anbinden mag,
Nicht zu lose und nicht zu feste,
Er wird sich lösen aufs allerbeste.
Eine Torte oder eine Flasche Wein
Wird uns allen willkommen sein!
Auch junge Eheleute, die zum ersten Mal zusammen zum Männerfastnachten gehen (Düben) oder jemand besuchen (Griebo), bleiben nicht verschont. – In Grubo wird das Geburtstagskind in der
Schule an die Bank gebunden.
Das Schnurhalten hängt mit dem Anbinden insofern eng zusammen, als der „Leidtragende“ – wie wir bereits oben sahen – sich auch hier lösen muß. Wenn das Brautpaar vom Standesamt kommt oder die
Kirche verläßt, versperrt die Dortjugend mit einer Schnur den Weg. Der Bräutigam löst sich dann meist mit Pfennigen (Cobbelsdorf, Baruth, Frankenfelde, Hohenahlsdorf, Mörz). So mancher junge
Ehemann ist in eine schwierige Lage gekommen, wenn er sich als Ortsfremder, nicht vertraut mit den Gebräuchen dieses Ortes, nicht mit dem nötigen Kleingeld versehen hatte. In Grubo löst man sich mit Semmeln. Eine bevorzugte Stellung nimmt der Bräutigam in Merzdorf ein; er braucht sich nicht zu lösen, da es der Brautvater zu tun hat. – Bis zu einem gewissen Grade ist eine Sitte in Grimme mit der vorigen verwandt; die von auswärts kommende junge Frau mußte früher vom Leiterwagen herab, auf ihren Betten thronend, Semmeln unter die Jugend werfen.
Todesfall
Mancherlei Bräuche bei Todesfallen sind uns erhalten, und aus sehr vielen läßt sich das Bestreben feststellen, mit diesen Bräuchen mehr den Lebenden, Zurückbleibenden zu dienen, als dem Toten.
Von ihm strahlen allerhand Kräfte aus, die man sich nicht klar vorstellen kann und deshalb „Geister“ nennt. Man muß sie vertreiben. Stirbt jemand im Hause , dann sofort die Fenster auf!
Die Seele des Toten muß ins Freie gelassen werden.
In vielen Orten verhängt man im Sterbezimmer den Spiegel
(Düben, Borgisdorf, Kropstädt, Wiesenburg), „damit der Tote sich nicht sieht „, „damit sein Gesicht nicht im Spiegel bleibt“.
Der Nächste, der in den Spiegel sieht, folgt dann bald nach. Vielfach wird der Spiegel von der Totenfrau aus dem Zimmer getragen (Raben) . Weiter hält man die Uhr an, „damit man die Sterbestunde sieht“ (Grubo, Höfgen, Leitzkau, Welsickendorf). Solche Orte, in
denen früher die Aufbahrung im Hausflur stattfand, kennen beide Bräuche nicht (Hohenseefeld).
Dem Toten legt man allerlei auf die Augen, damit die Lider durch die Schwere des draufgelegten Gegenstandes geschlossen bleiben. Mann nimmt dazu Knöpfe (Meinsdorf, Kreis Zerbst, Zahna), Geld (Senst, Baruth, Zahna), ein Zwei-Pfennig-Stück (Görzke).
Nun gibt’s hierfür noch eine Erklärung: man legt dem Toten ausgerechnet Geld auf die Augen oder in den Mund (vereinzelt in
Treuenbrietzen) oder auch in den Sarg (Grochewitz), damit er „Reisegeld“ hat. Wir finden hier ein Gegenstück zum Brauch in
Alt-Griechenland, wo man dem Toten einen Obolus, eine kleine
Geldmünze, zwischen die Lippen steckte, damit Charon, der Fährmann in die Unterwelt, Fährgeld bekäme.
Zum Frischhalten (!) bedeckt man die Augen mit einem feuchten, vielfach mit Essig getränkten Lappen (Mügeln). Der Leichnam darf kein Band, keinen Schlips tragen; kommt das betreffende Stück durch Zugluft in den Mund, „so folgt bald noch einer nach“ (Wiesenburg) .
Dasselbe gilt, wenn der Tote über Sonntag steht oder das Grab einfällt (Jeserig) , was im sandigen Fläming natürlich leicht geschehen kann. Die Rolle des Käuzchens und der Krähe gilt hier wie anderswo; sie melden mit ihrem Ruf einen Todesfall an. In Bräsen besorgt dies ein Hund, der mehrere Tage hintereinander „dudelt“, in der Gegend von Dahme der Maulwurf durch einen
frischgestoßenen Haufen. – Trägt man den Sarg zum Friedhof, so müssen die Stühle, auf denen der Sarg stand, umgekippt werden, „sonst bleibt ein grauel zurück“ (Ihlow); erst nach der Rückkehr ins
Trauerhaus werden sie wieder aufgerichtet (Möllensdorf). Wer Blumen vom Grabe pflückt, dem widerfährt Unglück; den Geruch verliert der, der an solchen Blumen riecht (Jeserig). Auch dem Vieh
auf dem Grundstück wird der Tod des Herrn mitgeteilt. So werden in Hohenahlsdorf die Bienenstöcke gerückt, in Grimme jagte man früher im Stall die Pferde und Kühe auf. In der Dahmer Gegend sagt man dabei: „Euer Wirt ist gestorben!“ Wir haben es hier im letzten Fall sicher mit einer wendischen Sitte zu tun; sie ist in Serbien auch bekannt.
Sammlung Günter Göricke †
aus: http://www.treuenbrietzen.de/stadt/buch/flaebrau.htm