Mit Errichtung des Elbhafens in Wittenberg und seiner Fertigstellung im Winter 1877/78, dem darauffolgenden Anschluss an das Eisenbahnnetz und der Entwicklung der Großbetriebe entlang des Hafens, hatte Wittenberg in Bezug auf die nutzbare Uferlänge von 2000 m einen vorzüglichen Umschlagplatz.
Nach einer Tabelle des Jahres 1900 nahm Wittenberg in dieser Hinsicht den 3. Rang unter den Binnenhäfen an der Elbe ein.
Der Umschlag bzw. die 17 Speicher lagen in den Händen der Firma „Speditions-Verein Mittelelbische- Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft Kleinwittenberg/ Wittenberg“.
Wie stand es mit den sozialen Bedingungen der Werktätigen in diesem Betrieb?
Für den täglichen Arbeitsablauf gab es eine Arbeitsordnung, die in einer Neufassung am 1. September 1934 in Kraft trat.
Die §§ 21 — Lohnzahlung bei Arbeitsunfähigkeit — und 24 — Urlaub — dieser Arbeitsordnung sollen bewusst werden lassen, welche Bedeutung die Beschlüsse des VIII. Parteitages für die Bürger unseres Staates haben.
Betrachten wir zunächst den § 21 — Lohnzahlung bei Arbeitsunfähigkeit.
Es heißt hier:
„Im Lohnverhältnis stehende Gefolgschaftsmitglieder erhalten im Falle von Arbeitsunfähigkeit durch Betriebsunfall Zahlung des tarifmäßigen Stundenlohnes für die Dauer von 6 Wochen.“ Tarifmäßiger Stundenlohn war aber nicht gleichzusetzen mit dem Durchschnittsverdienst, sondern sämtliche „Verantwortlichkeits- oder Funktionszulage“ blieb unberücksichtigt.
„Im Falle einer Erkrankung und vom Arzt bescheinigter Arbeitsunfähigkeit wird, sofern die Krankheit länger als 14 Tage dauert, dem Erkrankten ein Viertel der ihm zustehenden Lohnbezüge für folgende Dauer gezahlt:
bei einer Beschäftigungsdauer bei der Firma von mindestens 1 Jahr für 3 Tage, bei über 1 Jahr Beschäftigung für 6 Tage, bei über 2 Jahren Beschäftigung für 9 Tage, bei über 5 Jahren Beschäftigung für 12 Tage.
Die Weiterzahlung des Lohnes kann in solchen Fällen innerhalb des Dienstjahres, allerdings nur einmal, nach obiger Staffelung bezogen werden. Nach Anhören des Arztes und des Vertrauensrates konnte diese „Vergütung“ auch entzogen werden.
Im § 24 finden wir: „Jedes Gefolgschaftsmitglied hat nach einjähriger Tätigkeit im Dienste der Gesellschaft Anspruch auf Urlaub, und zwar:
– a) Arbeiter, Vorarbeiter und Handwerker im Alter bis 23 Jahre 6 Werktage, vom 24. bis 27. Lebensjahr 7 Werktage, vom 28. bis 35. Lebensjahr 8 Werktage, darüber jeweils 10 Werktage;
– b) Angestellte bis 20 Jahre alt 6 Werktage, vom 21. bis 27. Lebensjahr 8 Werktage, vom 28. bis 35. Lebensjahr 10 Werktage, vom 36. bis 45. Lebensjahr 12 Werktage, darüber 15 Werktage.“
Es versteht sich von selbst, dass auch der Sonnabend zu den Werktagen zählte.
Die Urlaubszeit erhöhte sich ab 10jähriger Betriebszugehörigkeit gestaffelt von 2 bis 5 Werktagen
„Lehrlinge unter 18 Jahren können unter gewissen Bedingungen einen Urlaub bis zu 18 Werktagen erhalten, wenn sie sich darüber mit dem Betriebsführer verständigen“,
hieß es im nächsten Abschnitt.
Das waren Arbeitsbedingungen, die in unserer Gesellschaftsordnung schon fast in Vergessenheit geraten sind.
Wir können stolz sein, dass der auf dem VIII. Parteitag beschlossene Weg der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik konsequent auch nach dem IX. Parteitag durchgesetzt wurde.
Diese Betriebsordnung gibt
Auskunft über das Regime
dieser Aktiengesellschaft.
Karl Jüngel †
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aus: Freiheit vom März 1983