Traurige Ostern im Wittenberger Land

Ein Brief Luthers
aus dem Jahre 1539

Die ersten warmen Sonnestrahlen der Frühlingssonne geben der wachenden Natur neue Kraft. Auch wir Menschen fühlen uns wieder stärker und nehmen Anteil an diesem sich wiederholenden Wechselspiel. Die Ostertage mit all ihren Sitten und Gebräuchen, ihren Märchen und Sagen zeigen so recht, wie der Mensch seit altersher diese Wandlung der Natur zu deuten versuchte, und wie er immer wieder von neuem vom Zauber des Frühlings gepackt wurde. Volkslied, Volkstanz in der schmucken Volkstracht drücken dies auch nach außen hin aus.

Wie oft im Wandel der Zeiten hat die Natur in reichem Maße den Menschen gegeben, was sie bedurften. Aber Gier und Geiz der Besitzenden haben oftmals Hunger und Elend in die vier Wände des werktätigen Volkes einziehen lassen. Von solchen traurigen Ostertagen in unserer Heimat soll uns ein Brief Luthers an den Kurfürsten Johann Friedrich berichten.
Er schreibt darin wörtlich:

„Es ist hier zu Lande eine plötzlicne Teuerung und unvorhergesehener Hunger eingefallen, daß wir gezwungen werden, Euer Kurfürstliche Gnaden anzurufen um Hilf und Rat. Was vor Vorrat allhier zu Wittenberg sei, wissen Euer Kurfürstliche Gnaden ohne Zweifel zu rechnen. Jetzo nun Wittenberg die Städtlein Kemberg und Schmiedeberg mit gebackenem Brote speisen, daß der Rat mir saget, es gehe mehr Brots hinaus aufs Land, denn hier in der Stadt verspeiset wird. Noch halten etliche, daß solche Teuerung nicht sogar aus Mangel, als aus Geiz und Bosheit der reichen Junker komme, und ist des Redens mancherlei und seltsam, davon ich nichts sagen kann. Wohl sagt man, daß N. N. habe sich lassen hören, er wolle kein Körnlein verkaufen, bis ein Scheffel gelte 1 alt Schock oder 1 Gulden; dazu soll das Korn aus dem Lande geschafft und verführet sein. Doch tut die Elbe uns hierzu viel, daß man nicht mahlen noch backen kann, weil die Schloß-Mühle muß vor Wasser stille stehen. Es ist eine kleine Anfechtung, die doch groß wird werden, wo Euer Kurfürstliche Gnaden nicht hierinnen Hilfe und Rat schaffet. Sind doch die vom Adel ohnedies reich genug, daß nicht not ist, armer Leute Leben durch Hunger zu nehmen.

Mittwoch in Ostern, anno 1539.

Martin Luther D.“

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Hier spricht der kämpferische Luther zu uns, indem er sich rückhaltlos für die Unterdrückten und Armen einsetzte. Sein klarer Blick erkannte, daß es keine „gottgewollte“ Strafe für die, ach, von einen Zeitgenossen oftmals so böse hingestellten Menschenkinder war. Nein, er sagte klipp und klar, daß es der Geiz und die Bosheit der reichen Junker waren, die zur plötzlichen Teuerung und zum unvorhergesehenen Hunger führten.
Plötzlich und unvorhergesehen wie aus heiterem Himmel kommend, war diese Ernährungkrise also künstlich vom Landadel erzeugt worden. Man hatte absichtlich das Getreide zurückgehalten oder sogar aus Kursachsen hinausgeschafft und anderweit zu Wucherpreisen verkauft. Die organisierte Ritterschaft saß auf den prallen Säcken und hatte Zeit, sie konnte abwarten.
Wir hören, daß der Preis für 1 Scheffel Getreide erst bis auf
„1 alt Schock oder 1 Gulden“ steigen sollte.
Die Tatache, daß auch noch Wasserschwierigkeiten in der kurfürstlichen Amtsmühle am Schloß auftraten, diente zur Betonung der allgemeinen Notlage.
Wichtiger ist der Hinweis, daß auch noch die Städte Kemberg und Schmiedeberg mit Brot aus Wittenberg versorgt werden mußten. Welche Not mußte damals herrschen, daß diese Orte mit ländlichem Charakter sich nicht mehr selbst ernähren konnten!
In der richtigen Erkenntnis, wer allein schuldig an dem Elend des Volkes zu sprechen ist, schleudert Luther dem Fürsten die Worte entgegen:

„Sind doch die vom Adel ohne ohnedies reich genug, daß nicht not (nötig) ist, armer Leute Leben durch Hunger zu nehmen.“

Ob die Lutherworte beim Kurfürsten Gehör fanden, wissen wir nicht. Er hatte seine eigenen Sorgen, seine Hausmacht zu erhalten, denn schon zeichneten sich dunkle Wolken am Himmel ab.
Acht Jahre später, fast auf den Tag genau – am 24. April 1547 – , wurde er im Schmalkaldischen Krieg besiegt und gefangengenommen. Wittenberg hörte auf, Residenzstadt zu sein. Wieder mußte unsere Bevölkerung Not und Elend ertragen, als zur Osterzeit fremde Söldnerheere plündernd und mordend durch unsere Heimat zogen.

Auch hieraus ersehen wir, daß frohe Ostertage nur im Frieden ihren Sinn behalten. Johannes R. Bechers Worte mögen in unseren Herzen nachklingen, wenn er die Ostertage und den erwachenden Frühling begrüßt:

Wenn der Frühling läßt empor
Hoch den Himmel steigen,
Summt es in uns wie ein Chor
Nach des Winters Schweigen:
Friede, Friede Friede, sei auf Erden!
Menschen wollen Menschen werden.

aus: Freiheit vom 17.04.1954

Heinrich Kühne †