Trajuhn
1929.11.02. Wittenberger Zeitung
Vor einiger Zeit ist ein Mann aus der Umgegend Wittenbergs dahingegangen, der in der Oeffentlichkeit nicht viel von sich redens machte, aber im Stillen treu und aufrichtig seine Berufspflichten erfüllte: der Besitzer des Gasthofs „Stadt Mailand“, Leonhard Schmidt, der bekanntlich rechts der Landstraße Wittenberg – Berlin gelegen ist. Abbildung und im Laufe der Zeit vielen, vielen unserer Mitbewohner aus Stadt und Land angenehme Stunden der Erfrischung, der Erholung und der Zerstreuung geboten hat und bieten wird. Schmidt war gelernter Bierbrauer, eignete sich alle für das Gastwirtsgewerbe recht gut. Er übernahm den Gasthof in den 1870er Jahren, der vor jetzt über 100 Jahren von einem Wittenberger Bürger errichtet, bald ein beliebter Ausflugsort für die Wittenberger Einwohnerschaft wurde.
Nicht, wie sonst allgemein, liegt der Gasthof „Stadt Mailand“ als Dorfkrug inmitten des Dorfes Trajuhn, nein, ein ganzes Stück von diesem weggerückt. Daß das so war, damit hatte es eine eigene Bewandtnis. Wittenberg war noch nicht entfestigt, und deshalb lebten die Bewohner in engen Straßen und Gassen zu sammengedrängt. Das Studentenleben brachte es mit sich, Handel und Gewerbe wollten es so haben. Die Bürger, Studenten und Gelehrten von damals, wochentags an ihren Beruf gebunden und an ihren Wohnort gefesselt, erkannten immer mehr, daß es die schönste Erholung wohl doch draußen im Freien und dann im Dorfwirtshause gibt, in dem alten Gasthofe, wo es sich der Wirt als eine hohe Ehre schätzte, Gäste zu bewirten und schließlich je nach Herkunft und Ziel, beherbergen zu können. Wir haben genug Beweise, daß gerade die Dorfwirtshäuser um Wittenberg herum in dem guten Rufe standen, schon seit altersher einen guten Trunk bieten zu können.
Also, Trajuhn gehörte dem Rat der Stadt Wittenberg und hier suchte ein Wittenberger Bürger die Genehmigung nach, bei dem Dorfe Trajuhn einen Gasthof errichten zu dürfen, und da er von dessen Einfünften wohl nicht leben konnte, vom Gasthof gegenüber eine Schmiede anzulegen. Man war zuständigerseits diesem Plane gar nicht abgeneigt, doch hat es Schwierigkeiten gekostet, ehe der Gasthof „Stadt Mailand“ und ihm gegenüber die Dorfschmiede (heute Friedrich Matthias gehörig) entstanden ist. Die „Stadt Mailand“ war damals schon eigentlich nicht die erste Trajuhner Dorfschänke, diese befand sich vielmehr schon seit altersher in der Wolterschen Gutswirtschaft. Den Einwohnern von Trajuhn, war es zum Teil, dem Gesinde ganz verboten, im Gasthof „Stadt Mailand“ einzukehren, da sie in der Dorfschänke genug Bier hätten. Nur zum Erntefeste sei es allen gestattet, sich in „Stadt Mailand“ zu vergnügen, auch das Gesinde. So sehen wir, daß des Gasthof „Stadt Mailand“ sich anfangs keiner besonderen „Gewerbefreiheit“ erfreuen durfte. Gasthof und Schmiede an ihrer heutigen Stelle errichtet zu haben, dafür wird auch der Grund mitgesprochen haben, daß Napoleon die Straße nach Berlin anlegen ließ, um dadurch etwas Fremdenverkehr zu haben, da ja die Dorfschänke doch im Wettbewerbe stand. Und dennoch hat sich der Gasthof „Stadt Mailand“ immer von der besten Seite gezeigt, besonders wenn es galt, nicht nur Gast-, sondern auch Pflegehaus – eine besondere Erscheinung an den früheren Gasthäusern – zu sein. Als z.B. in Wittenberg die Cholera wütete, wurden die Erkrankten nach „Stadt Mailand“ gebracht, und lange Zeit hat der Gasthof auch eine „Badestube“ unterhalten, sodaß kein Wittenberger einen Spaziergang nach „Bad“ Trajuhn zu bereuen brauchte. Damals! Und nun, du altes, liebes Gasthaus, in der es gute Pflege, einen kühlen Trunk, eine gute Taffe Kaffee oder auch gutes Essen gibt, in dem sich so viele Wittenberger und solche, die um die alte Lutherstadt wohnen, wohl sein ließen, wenn auch die Räume einen Vergleich mit den neuzeitlichen Vergnügungsstätten der modernen Welt nicht aushalten, wachse, blühe und gedeihe noch weitere hundert Jahr in Ruhe und Frieden! Das wünschen wir dir herzlich !
M.Sch.