1933/1934 Wittenberger Zeitung
Besuch in Dobien
Von Reinsdorf aus, das wir letztmalig besuchten, sind wir in ganz kurzer Zeit in Dobien, das sich uns ebenfalls als ein äußerst freundlich gelegenes Dorf vorstellt, dessen räumliche Ausdehnung noch immer weiter zu gehen scheint, da allenthalben sehr hübsche Neubauten entstehen;
alles schmucke solide Bauten, die einem Freude machen und wozu stets ein hübsches Gärtchen gehört.
Vor hundert Jahren war Dobien ein Bauerndorf mit nur 12 Häusern und 90 Einwohnern.
Unser alter kursächsischer Chronist Magister Leonhardi schreibt aus dem Ende des 18. Jahrhunderts über Dobien dieses:
„Dobien, ein an der Belziger Straße liegendes schriftsässiges dem Rate zu Wittenberg gehöriges Dorf mit einer Mutterkirche und 18 Hufen nebst guten Tongruben.“
Das ist alles!
Im Jahre 1912 werden für Dobien 586 Einwohner, ferner die Fabrikation von Papier und Tonwaren, die Mühle und die Ziegelei angegeben.
Um 1900 waren es noch 356, und im Jahre 1933 ist der Ort auf rund
1000 Seelen
angewachsen. Und immer scheint noch kein Ende der Entwicklungsmöglichkeiten des Dorfes abzusehen sein.
Wir haben Dobien zweimal besucht.
Das eine Mal sind wir die fabelhafte glatt asphaltierte Belziger Chaussee
hinaufgefahren und haben uns dabei besonders an dem drüben rechts liegenden alten Dorf gefreut, auf das die Kirche auf dem Berge so friedlich herabsieht.
Wir hätten es nie gedacht, daß uns noch einmal der Berichterstatterdienst in diese so überaus idyllische Ecke bringen würde. Und nun sind wir wieder in Dobien, und zwar sind wir, wie gesagt, vom benachbarten Reinsdorf her nach hier gekommen; der Weg führte an dem Reinsdorfer Strandbade vorüber. Der Bach, der zwischen dem alten und neuen Dobien hindurchfließt, wird von den Leuten der Rische (Rasche-) Bach genannt, nach der Karte ist es jedoch der
Krähebach,
der sich in den feuchten Wiesen um Mochau herum sammelt und allerlei Mühlen auf seinem Wege bis zum Rischebach zu treiben hat.
Dobien ist durch seine Tonwerke bekannt geworden, und alle Häuser im Dorf und in den Nachbarorten wurden zumeist aus den bekannten hellgelben Dobiener Steinen erbaut, woraus auch die Fabrikation-Gebäude des Werkes selbst ausgeführt wurden, die einen ziemlichen Raum für sich beanspruchen.
Erst in letzter Zeit ist wieder etwas Leben in diesen Betrieb hineingekommen, der ebenso unter der furchtbaren Wirtschaftskrise wie alle anderen Werke zu leiden hatte.
Früher wurden hier auch noch Braunkohlen gefördert, doch hat man den Betrieb wieder eingestellt.
Wenn man die Lage des Ortes genau betrachtet, so findet man, daß dieser eigentlich nur aus
zwei langen Hauptstraßen
und zwar der Alten Dorfstraße und der Belziger Straße besteht.
Den längsten Teil bildet die Belziger Straße, in der sich auch allerlei kleinere und größere Geschäfte befinden.
Auch ein Mühle haben wir festgestellt.
Geschichtlich ist zu merken, daß Dobien urkundlich im
Jahre 1180 als
Burgwart
zugleich mit Wittenberg genannt wird. Wir haben auch den kahlen Berg bei der Kirche gesehen, auf dem Markgraf Albrecht der Bär eine Grenzburg errichtet haben soll.
Und es geschah auch hier das übliche der späteren Ritterzeit, daß die Burgherren, wie auch auf Reinsdorf, Kropstädt usw., also genau so wie fast alle anderen, der Räuberei und der Wegelagerei huldigten, und daß hier bei Dobien manchem Kaufmannswagen, der von Brandenburg, Wittenberg oder Leipzig vorüber rollte, seine kostbare Fracht auf Geheiß der Raubritter von den Rittersknechten abgenommen wurde,
was natürlich für die Städte ein unhaltbarer Zustand war.
Der Sohn Albrecht des Bären, Herzog Bernhard, griff aber eisern zu und berannte mit Wittenberger Bürgern dieses feste Bergschloß, das dabei in Trümmern fiel.
Noch später entstand auf dem gleichen Berge, Wall-Berg geheißen, eine
Wallfahrtskapelle
die von frommen Leuten im Mittelalter vielfach besucht wurde.
Aber davon blieb nichts mehr seit der Reformation, die den mitteldeutschen Wallfahrtskirchen mit zuallererst den Garaus machte. Zerstört hat die Wallfahrtskapelle erst der 30 jährige Krieg, und zwar soll der gewaltsame Verfall derselben im Jahre 1637 erfolgt sein.
Das alles sieht man diesem kahlen Erdhügel aber gar nicht an.
Gleich daneben befindet sich der Kirchberg, der fast die gleiche Höhe wie jener hat, auf dem inmitten des kleinen Kirchhofs
die Dorfkirche
steht, deren Turm erst 1936 errichtet wurde, wie dieses die Zahl in der Wetterfahne verrät und wie uns dieses auch einer der Herren Lehrer, der unser Führer durch das Gotteshaus war, bestätigt.
Ob nur der Turm 1926 restauriert wurde?
Vom Kirchhof hier oben genießen wir einen herrlichen Blick über das im Grunde liegende Dorf, das sich so friedlich darbietet.
Auch auf der anderen Seite fällt das Auge auf hübsche,
hügelige Landschaftspartien und man erlebt Eindrücke,
die man nie wieder vergißt.
Bei klarem Wetter kann man sehr gut bis Wittenberg sehen.
Das Innere der Kirche ist äußerst schlicht gehalten
und hat als interessantes Objekt nur den gleichfalls etwas herb anmutenden Kanzelaltar.
Die Gefallenen-Gedenktafel weist 22 Namen auf; auch diese ist äußerst einfach ausgestaltet worden.
Ein Kriegerdenkmal fehlt bisher der Gemeinde noch.
Das äußere Gewand der Kirche ist auch durch den Verputz von Schiff und Turm wenig aufschlußreich.
Die langen, kleinscheibigen Fenster lassen auf das 18. Jahrhundert schließen, und der Kanzelaltar weist stilistisch den Beginn des 19. Jahrhunderts auf.
Wir wollen nicht die beiden links und rechts des Altars stehenden Grabsteine vergessen zu erwähnen, die dem Gedächtnis in Dobien wirkender Geistlicher gerecht wurden.
Auf einem lesen wir den Namen des Pastors Thalwitzer, der aus Wittenberg stammte, in Wittenberg studierte und hier 26 Jahre, bis 1829, wirkte.
Sonst finden wir nichts Besonderes weiter in der Kirche vor.
Noch einmal stehen wir hier oben und lassen die Augen auf die hügelige Fläminglandschaft gehen, obwohl uns der trübe Tag nicht allzuviel von der Schönheit der Umgebung erkennen läßt.
Gegenüber der Kirche befindet sich das ebenfalls sehr einfach aus roten Backsteinen erbaute
Schulhaus
in dem von zwei Lehrern 150 Kinder unterrichtet werden.
Noch einmal von unten aus einen Blick auf die Kirche werfend, stellen wir fest, daß das Haubendach des Kirchturms etwas an thüringische Dorfkirche erinnert und also in die hügelige Landschaft hineinpaßt, obwohl die felssteinerne, massige Felsstein-Fläming-Kirche hier landesüblicher wäre. Wie schon Leonhardis Zitat sagt, war Dobien früher dem Rat der Stadt Wittenberg gehörig, und zwar ging es Anno
1301 in den zinspflichtigen Besitz des Rates über.
In der alten Dorfstraße, die einige interessante alte Bauten aufweist, leben noch bis heute einige kleine Landwirte, wenngleich der Boden dieser Gegend nicht sehr ertragreich ist. Hauptsächlich jedoch wohnt in
Dobien Bevölkerung der industriell Tätigen, die hauptsächlich Lohn und Brot drüben in den Reinsdorfer Sprengstoff-Werken finden.
An der Länge gemessen, dehnt sich Dobien
über einen Kilometer
aus, da ja die Besiedlung hauptsächlich nebeneinander in der Belziger Straße stattfindet, wodurch das Dorf immer länger wird.
Eigenartigerweise hat Dobien nur einen Dorfkrug;
Reinsdorf dagegen vier, doch steht einer derselben auf Dobiener Boden an der Belziger Straße in Dobien hinein, wodurch sich dann der Ort auch zweier Dorfkrüge rühmen kann.
Wenn die Zahl stimmt, sollen auf der ehemaligen Braunkohlengrube „Anna“ im Jahre 1866 jährlich
104 000 Tonnen
Kohle gefördert worden sein.
Durch die hier vielfach industriell tätige Bevölkerung ist auch ein gewisser Wohlstand in das Dorf gekommen, da beinahe jede Familie Besitzer eines Hauses ist, was sich natürlich auch auf die Geschäfts- und Handwerkerbetriebe des Ortes auswirkt.
Ein sehr hübsches Landschaftsbild bietet übrigens das Niederungsland zwischen dem alten und neuen Dorf, das aber durch seine Feuchtigkeit nicht als Bauland zu brauchen ist. Dafür bleibt aber dem Dorfe ein gewisses Stück dörflicher Romantik erhalten.
Wie schon oben gesagt, liegt Dobien an einer alten Handelsstraße, die in früheren Zeiten von Brandenburg über Wittenberg nach Leipzig und Süddeutschland führte.
Die Mark Brandenburg hat diese alte Straße noch nicht wieder so dem Verkehr erschlossen, wie es in vorbildlicher Weise der Kreis Wittenberg getan hat.
Hoffen wir, daß diese Straßenverbindung eines Tages noch nach heutigen verkehrstechnischen Grundsätzen hergestellt wird, damit Dobien wieder besseren Anschluß an eine sehr wichtige Straße des Fläminglandes findet.
Karl Demmel †