Streifzüge durch Alt-Wittenberg im Jahre 1750

Die Geschichte ist die große Lehrmeisterin der Zeiten und Völker, sie soll, wie der berühmte Historiker Ranke zu sagen pflegte, uns zeigen, wie es denn nun eigentlich gewesen ist.
Darüber hinaus aber hat sie Liebe zum Volke und zur Heimatscholle zu wecken, die uns alle wie ein heiliges Sakrament bindet.
Wer mit empfänglichem Herzen in den noch vorhandenen Akten, Urkunden und Chroniken blättert, dem sind diese Überreste aus längst verklungenen Tagen keine tote Materie mehr, nur würdig eines Bücherwurms oder Wissenschaftlers, sondern warm pulsierendes Leben.
Da sieht man im Spiegel der Vergangenheit Menschen, die liebten und lebten wie wir, sieht im Geiste die Vorfahren, die mit all den Sorgen und Nöten des Alltags zu kämpfen hatten wie unsere moderne Zeit.

In einem alten Reisebericht aus dem Jahre 1750 finden wir eine interessante Notiz über Alt-Wittenberg.
Hier heißt es:

Den 19ten Julius 1750 bin ich aus Berlin gereist über Potsdam, Belitz, Treuenbrietzen nach Wittenberg (12 Meilen).
Der Ort ist keine sonderliche Festung, sie hat nur einen Wall, dabey aber einen breiten Graben. Durch drey starte gewölbte Bogen, so als drey Thore anzusehn, kommt man durch das Schloßthor.
Das Elbthor hat nur einen Schwibbogen.

Die hier befindliche Universität soll soll jetzt an 400 stark seyn; diejenigen, so die Rechtsgelahrtheit studieren, machen davon die größte, die hingegen, so die Arznengelahrtheit erlernen, die geringste Anzahl aus, der nur zwölf seyn sollen.
Es bekommt ein jeder der Studenten, er mag reich oder arm seyn, jährlich 2 Thaler Accisefreyheit (Steuerfreiheit) so alle halbe Jahr mit einem Thaler ausgezahlt wird, dadurch man die Anzahl der Studenten alle halbe Jahr sicher erfahren kann; wer nicht darnach frägt, schenkt es seinem Wirth; ein jeder muß bey Empfang der 2 Thaler die Matriculation vorzeigen.
In der Communität sind 18 Tische, ein jeder zu 12 Personen; ein jeder Bursche zahlt wöchentlich 6 Groschen.
Bey der Universität sind weit über 200 Stipendien, daher kommt es auch, daß die lUniversität noch so frequent ift.

Es wird der Tintenfleck gewiesen, da Dr. Luther nach dem Teufel das Tintenfaß geworfen. Der Zar PeterI. hat rußisch darüber einige Worte geschrieben, welche so viel heißen sollen:
Es kann seyn, die Tinte ist aber noch neu.
An die Thüre dieser Stube hat der Zar seinen Namen geschrieben, russisch, beydes mit Kreide welche Namensschrift eingefaßt und ein Glas darüber gemacht ist.

Von Gelehrten habe ich allhier gesprochen: den Hofrath von Beyser. Er ist bey seiner großen Gelehrsamkeit ein sehr höflicher Mann.

Den Hofrath Crell, einen gleichfalls sehr würdigen Mann.
Seit einigen Jahren ist er blind.
Er sagte, daß ihm dieses Unglück, als er ein hitziges Fieber und dabey große Schlaflosigkeit gehabt, durch gegebenes Opium, darauf er 24 Stunden geschlafen, widerfahren sey. Er ist sehr übel mit diesen Medicis, welche der verstorbene Dr. Stenzel und sein eigener Bruder seyn sollen, zufrieden.
Diese haben sich entschuldigt, daß sie deßhalb zu solcher Cur geschritten, weil sie nicht anders geglaubt, als daß er doch sonst sterben müßte.

Auf der Bibliothek, die auf dem großen Collegio steht, zeigt man Taubmann’s Lorbeerkranz, welcher in einer Schachtel verwahrt wird.
– Das Leiden Christi von Dr. Luthers Frau in Gold und Silber gestickt.
– Das Bild ihres Gemahls von derselben lebhaft in Seide gestickt.
– Das Paternoster, so Dr. Luther getragen.
– Ein Ring von einem Offizier geschenkt, darin ein großer Stein, darauf arabische Buchstaben.
– Dr. Luthers Bildniß mit der Feder sauber gerissen und durchgehend auch mit der Feder sauber und fein beschrieben;
in seinen krausen Haaren steht sein Lebenslauf.
– Stücke von Dr. Luthers Trinkglas; ein reformierter Prediger soll das größte Stück davon 1746 haben fallen lassen, dadurch es völlig zerbrochen.
– Die Medicinischen Bücher sind die Wenigsten, ungefähr nur 300 Stück. Hiernächst steht auf der Bibliothek ein Quadrant und Sextant von 10 zu 10 Secunden mit Dioptern.
– Ein Globus von Metzing. – “

Hier endet der Reisebericht über Alt-Wittenberg im Jahre 1750.

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aus: Blätter für Heimatgeschichte vom März 1936