Sputnik setzt Tradition fort

In der Stadt Aken waren auch viele Schiffer beheimatet.
Es gab zwei große Schiffswerften und auch drei Schiffsvereine mehr als in Kleinwittenberg, aber die Akener Schiffseigner und Steuerleute mussten den Käptn des Dampfers schon sehr gut kennen oder zureden, damit wenigstens eine Stunde „gestellt“ wurde. Deshalb entwickelte sich hier ein gesondertes Gewerbe, die Ranfahrer. Sie kannten durch die Schifffahrtsvertretung die Reihenfolge der Kähne und versorgten so die Schiffer mit Aufmerksamkeiten der Familie, auch brachten sie Gegenstände an Bord, die mit der Eisenbahn schlecht zu transportieren waren, bzw. nicht jeder unbedingt sehen musste.
Das war nicht nur in Aken so, auch ein Fuhrunternehmer Kleinwittenbergs musste noch oft genug in angegrauter Stunde seine Pferde in Richtung Elbe anspannen.
Während der Blütezeit der Elbschifffahrt von 1880 bis 1940 hatten fast alle Reedereien oder Gesellschaften in Kleinwittenberg ständige Vertretungen, die die Fahrzeuge registrierten, telefonisch die Entladungen im Bestimmungsort klarmachten oder gesonderte Order an den jeweiligen Schiffsführer erteilten.
Teilweise unterhielten diese Reedereien im Zusammenwirken mit dem Speditionsverein, Kleinwittenberg Frachtverbindungen zu allen erreichbaren Binnen- und Seehäfen Deutschlands, besondere Spezialität „Eildampfer-Verkehre“.
Bergwärts waren alle Kähne auf „Dampf“ angewiesen, aber talwärts wurden meist nur die Kähne der Gesellschaften geschleppt.
Der Schiffseigner ersparte hier die Schleppgebühren und nahm bei günstigen Windbedingungen das Segel, zum Bundesgenossen.
Da der Flusslauf der Elbe oft seine Richtung ändert, wurde es zur Notwendigkeit (auch Schinderei), die Segel nicht nur bei Brückenpassagen einzuholen und zu raffen.
Ein Kleinwittenberger Schiffer hat es 1920 geschafft, die, 725 km‘ lange Strecke von Melnik bis Hamburg, allerdings bei sehr günstigen Wasserverhältnissen, in fünf Tagen talwärts treibend ohne eigenen Antrieb zu bewältigen.
Mit Recht kann man behaupten, dass um die Jahrhundertwende Kleinwittenberg als Schiffer- und Fischerort Profil hatte.
Obwohl der Ursprung Kleinwittenbergs bei den Fischern zu finden ist, übten 1907 nicht weniger, als 104 Männer den Schifferberuf aus bzw. waren durch ihre Tätigkeit mit den Fahrensmännern verbunden.
Die Kleinwittenberger Kapitäne, Steuerleute und Haupter (Lotsen) zeichneten sich auf den besten Dampfschiffen und Kähnen durch große Fachkenntnisse und besondere Treue aus.
Diese Feststellung traf ebenso auf die Schifffahrtstreibenden aus Elster zu.
Sehr beliebt unter der Bevölkerung unserer Umgebung war schon früher die Personenschifffahrt.
Der erste 1920/21 in Wittenberg beheimatete Personendampfer war der 1863 in Riesa gebaute „Willy“.
Auf ihm hatten 600 Personen Platz.
Danach betrieb ein Kleinwittenberger Schiffseigner die Personenschifffahrt mit dem ebenfalls seitenradgetriebenen Dämpfer „Patriot“ von 1925 bis 1935.
Dieser war für 420 Personen zugelassen und bevorzugt wurden die Sieglitzer Berge (unterhalb Vockerode) und das Vockeroder Schwedenhaus als Ausflugsziel.
Von 1936 bis 1941 und nach dem 2. Weltkrieg bis 1950 war Kleinwittenberg sogar unterste Talstation der Sächsisch-Böhmischen Dampfschifffahrt AG Dresden (jetzt Weiße Flotte Dresden).
Der Fahrscheinverkauf erfolgte über die Buchhandlung Wunschmann.
Mit Inbetriebnahme unseres Fahrgastschiffes „Sputnik“ 1964 wird diese Tradition fortgesetzt.

Karl Jüngel †

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aus: Freiheit vom Mai 1980