Seuchen und ihre Bekämpfung im Kurfürstentum Sachsen

Seuchen und ihre Bekämpfung im Kurfürstentum Sachsen
Erklärung am Textende

Das erste, was man tat, um die Einschleppung einer Seuche, vor allem der Pest zu verhüten, war die Sperrung der Jahrmärkte gegen alle fremden Kaufleute und Händler, die von dem betr. Stadtrat unter Ausdruck seines Bedauerns den Nachbarstädten mitgeteilt zu werden pflegte; so verfuhr der Fürst Joachim Ernst von Anhalt-Dessau am 6. November 1551, der Rat von Wittenberg am. 10. Dezember 1581 und 17. September 1582, wobei er besonders auf seine Verantwortung gegenüber den Studenten der Universität hinwies, desgleichen der Rat von Brandenburg-Neustadt am 11. November 1582, der seinen Katharinenmarkt schloss, aber auch kleinere Städte, wie Treuenbrietzen (21. Oktober 1582). 1584 erlässt der Rat von Wittenberg bereits wieder eine Pestordnung unter dem Titel: „Kurtzes vnd Eeinfeltiges Bedencken, wie es in itzo fürstehender vnd angehender Sterbensgefahr möge gehalten werden“, dahinter ist die Abschrift einer Pestordnung von Mittweida vom Jahre 1585 eingebunden; man sieht, wie die Städte damals ihre Erfahrungen und die Art der Seuchenbekämpfung untereinander austauschten. Die Mittweidaer ist noch eingehender und sorgfältiger als die Wittenberger von 1576. 1612/13 scheint die Pest besonders in der Mark Brandenburg gewütet zu haben; jedenfalls sperrten die Städte Niemegk, Großenhain, Belzig, Zahna und Coswig damals ihre Märkte. 1625 sah sich auch die Fürstin Magdalena von Anhalt, geb. Gräfin zu Oldenburg und Delmenhorst, genötigt, durch das Anhaltinische Wittumsamt in Koswig den dortigen Laurentiusmarkt Fremden zu schließen. Schon im folgenden Jahre 1626 unterhielt sich der Wittenberger Stadtrat eingehend über die zu treffenden Maßnahmen und schrieb dies nieder „zugedencken, was bey dem Rhate alhier vff die heutige gehabte Zusammenkunft zu erinnern“: 1.) da die Seuche sich nähert, darf in den Vorstädten keine „Markathenerei“ (Marketenderei) getrieben werden, 2.) dem Stadtkommandanten Kapitän Günterode ist eine Liste der auswärtigen, infizierten Orte einzureichen, aus denen niemand in die Stadt gelassen werden darf. 3.) die an der Seuche verstorbenen Soldaten und Schanzgräber sind von den dazu bestellten Weibern auf den Friedhof zu tragen, ihre Gräber jedoch von Soldaten zu machen, Geläut und andere Kosten sind zu sparen, außer wenn es besonders gefordert wird. 4.) die Amtsuntertanen sind gleich denen des Rats vor dem Tor zu begraben. 5.) bei einem Seuchenfall haben in der Vorstadt wie in der Stadt die Nachbarn auszuziehen. 6.) die Amtsuntertanen in der Vorstadt haben den gleichen Anspruch wie die des Rates betr. Aufnahme in das Hospital. 7.) man erwartet, dass der Rat das Reisig zum Bau von Laubhütten für pestkranke Soldaten und Schanzgräber auf der Kuhlache liefern, die Kapitäne es bezahlen werden, 8.) der Rat möge beim Superintendenten erlangen, dass die Pestleichen in der Morgenfrühe, ehe die Leute an die Arbeit gehen, hinausgetragen und bestattet werden, 9.) die beim Mag. Fabricius, Sebastian Crell, dem Riemer und dem Wiesigker Becker einquartierten Soldaten sind von dort fortzunehmen, 10.) jeden Abend soll der Rat dem Kapitän Günterode ein Verzeichnis der Erkränkten und Verstorbenen zustellen, 11.) alle Marketenderhütten sind vor den Toren zu entfernen und auf den Platz gegenüber dem Schießgraben zu verlegen.

Im Jahre 1666 herrschte schon wieder die Pest an Rhein, Main und Weser, drang aber 1681 auch nach Kursachsen vor, so dass die Grafschaft Mansfeld, Sangerhausen, Mücheln, Aschersleben, Sandersleben, Oschatz, Meißen, Mühlberg, ferner Halberstadt und Magdeburg als infiziert galten. Dann hören wir lange Zeit nichts mehr von einer Seuche, erst 1708 (10. Juli) warnt der Freiherr von Herberstein den Wittenberger Amtmann Johann Jacob von Ryssel vor der in Polen und Oberschlesien überhandnehmenden Pest: Kalisch sei ganz ausgestorben. In Krotoschin seien in, 24 Stunden 60 Personen ihr erlegen, an der Amtsgrenze seien noch nicht Jungen, die nicht lesen noch schreiben könnten, sondern vernünftige Männer als Wachen aufzustellen, keine Juden und „giftfangende“ Güter dürften über die Grenze gelassen werden, auch sei die Quarantaine streng innezuhalten (der Ausdruck erscheint hier zum erstenmal in den Akten). Weiter wird verordnet, dass die Grenze von Kavalleriepatrouillen abzustreifen sei und überall an derselben Galgen errichtet werden müssten, an denen alle Fremden, die ohne gültigen Pass einzuschleichen versuchtem, aufzuhängen seien, vor allem dürften keine Juden ins Land hereingelassen werden. Ein erweitertes und verschärftes „Contagion-Mandat“ von 1709 enthält manches Neue: die Pest wüte auch schon in Pommern, jeder Verkehr und Warenaustausch mit den infizierten Gebieten wäre zu sperren, die Passkontrolle an der Grenze und noch mal an den Stadttoren ist ganz genau vorzunehmen, alle Nebenwege und Fußsteige sind abzugraben und zu sperren, die Brücken abzuwerfen, verdächtige Fremde, die sich nicht genau ausweisen können, sind sofort zu erschießen und zu verbrennen, neben den Galgen sind Warnungstafeln anzubringen, Bettler, Landstreicher, Zigeuner, vor allem Juden dürfen nicht über die Grenze, mit den Posten dürfen nur Fremde, die ausreichende Pässe und Atteste haben, befördert werden, alle Briefe und Pakete müssen durchräuchert werden, Vieh muss dreimal „geschwemmt“ werden und drei Wochen Quarantaine durchmachen, erst dann darf es über die Grenze, die fremden Viehtreiber aber überhaupt nicht, kein Untertan darf nach infizierten Orten reisen, im Kurfürstentum selbst befallene Orte sind sofort zu sperren, kein Einwohner darf daraus sich begeben. Endlich sollen überall in Stadt und Land Pest- und Quarantainehäuser angelegt, Pestmedici und Pestchirurgie bestellt werden. Das Mandat ist an den Toren öffentlich anzuschlagen. Es ist von Egon Fürst von Fürstenberg unterschrieben. Danach ist ein schöngedrucktes Formular eines Reisepasses in Seuchenzeiten eingeheftet: „Demnach Zeiger dieses …. von hier zu reisen willens, als werden alle und jede / Welche diesen Pass zu lesen und anzuhören vorkömt / nach Standesgebühr ersuchet./ solch Person / Maßen hiesigen Orthen durch Gottes Gnade keine ansteckenden Krankheiten zu vermercken / überall ungehindert paß- und repassiren zu lassen Urkundlich ist dieses mit des aller-gnädigst mir anvertrauten Creyß-Ambts-Insiegel besiegelt in Wittenberg, den ….. Königl. und Churfl. bestallter Creyß-Ambtmann Siegel D. Johann Jacob von Ryssel.“ Im August 1710 wird nochmals strengstens auf das Mandat hingewiesen, 1713 ein neues, ähnliches Contagion-Mandat herausgegeben, dahinter aber erscheint ein in kleinem Format gedrucktes Heftchen: „Nachricht / wie sich bei jetzigen besorglichen Zeiten das gemeine Land- und Bauer-Volck in den Churfl Sächsischen Lande vor der hier und wieder grassierenden Kranckheit praeserviren . . . und sich selbst curiren möge. Dressden bey Johann Jacob Wincklern /1713.“ Darin werden die Bauern ermahnt, nicht feige zu sein, wie bei der Seuche 1680, sondern getrost Zeichen einer Ansteckung seien Mattigkeit in allen Gliedern, Übelkeit ums Herz. heftiges Drücken Brechen, Rückenschmerzen, Dehnen und Spannen in den Fleischteilen, in den Achseln und gegen den Schoß, geringer bis starker Frost, Kopfschmerzen, große Hitze trockene Zunge. Bräune, Phantasieren, auch Pestbeulen hinter den Ohren, unter den Achseln und im Schoß. Damals waren übrigens Prag, Regensburg. Hamburg und Bremen wieder seuchenverdächtig Die Fremden, die, mit ausreichendem Pass versehen, die Grenze überschreiten durften, hatten außerdem aber noch einen besonderen Eid abzuleisten, dass sie und die Waren, die sie hereinbringen wollten, seuchenfrei und unverdächtig seien. Nachdem auch noch Graz in der Steiermark und die Grafschaft Castell am Main von der Pest befallen worden war, drang der König-Kurfürst durch ein neues Mandat auf die Erbauung von Lazaretten und „Probierhäusem“ (Quarantainegebäuden); auf dem Lande konnten dazu die Hirten- und Gemeindehäuser genommen werden, zur Deckung der Unkosten erlaubte der Landesherr den Städten, Anleihen aufzunehmen Da sich zur Krankenpflege naturgemäß nur wenig Menschen meldeten, wurde erlaubt, arbeitsfähige Bettler zwangsweise dazu heranzuziehen, die im Weigerungsfalle aus dem Lande verwiesen werden konnten; es wurde betont, dass die Pestleichen innerhalb von 24 Stunden zu begraben waren, dass sie nicht öffentlich zur Schau gestellt werden durften, mit Kalk in den Gräbern, die besonders tief anzulegen waren, bestreut werden mussten. Adelige Leichen durften vorläufig nicht in Kirchen beigesetzt werden. Erfreulich in dem düsteren Pestjahr 1713 war der gute und reichliche Ausfall der Ernte; daher forderte der Landesherr in einem „Patent“ vom 2. November zu einer freiwilligen Abgabe an Getreide besonders die Ritterguts- und Gutsbesitzer auf, zumal wegen der Grenzsperre gegen Böhmen von dort kein Getreide eingeführt werden durfte und die Untertanen im Grenzgebirge in Not zu geraten drohten. Das Getreide sollte in den Ämtern abgegeben und von dort aus weiterbefördert und verteilt werden. Im Juni 1714 wurde die Pest in Österreich und seinen Nebenländem als erloschen erklärt und die strenge Grenzsperre aufgehoben; jedoch durften nach wie vor weder Federn, Pelzwerk, alte Kleider noch Juden und Bettler hereingelassen werden. Aber bereits 1715 wurde wegen Seuchengefahr die Grenzsperre in alter Strenge wieder eingerichtet; aus diesem Jahre stammt auch ein gedruckter Warnungszettel, wie sie neben den Galgen angeschlagen wurden (35 zu 22 cm) „Hiermit werden alle Reysende verwarnet / das diejenigen / so aus Böhmen und Mähren / von inficierten / oder / der Infection halber / verdächtigen Orthen kommen / und sich ins Land hereinzuschleichen / unterstehen / und betreten werden / (dabei ertappt werden) — alsofort aufgehängt / oder tod geschossen werden sollen, welche aber aus reinen und unverdächtigen Orthen kommen / haben sich bey der Contagions-Gräntz-Postirung / mit Vorzeigung richtiger / neu-datirter obrigkeitlichen Attesteten und fede-Briefen (war im Mittelalter jemand mit Gefängnis oder Landesverweisung bestraft worden, dann schwur er „Urfehde“ sich dafür nicht rächen zu wollen, so mussten auch hier die Reisenden Fehdebriefe ausfüllen und unterschreiben) darinnen sich nach ihrer Statur, Alter, Farbe der Haare, Kleidung und sonst umständlich beschriben / zu fernerer Verfügung / nach Befinden / anzugeben. Beigegeben sind wieder die gedruckten Formulare „derer Feden oder Pässe auf Personen“ und „Formulare deren Feden auf Wahren““. Nachdem im August die Pest in Böhmen und Mähren und Schlesien für erloschen erklärt worden war, wurden alle Wachen, auch die „Dorff-Wachten“ aufgehoben, aber wiederum Bettelei ohne besondere Erlaubnis verboten. 1721 und 1722 war Frankreich von der Pest befallen, weshalb jeder Verkehr von uns nach diesem Lande für Personen und Güter gesperrt wurde, 1723 wurde er wieder erlaubt. Aber nicht nur Menschen, sondern auch Tiere werden ja von Seuchen oft todbringender Art heimgesucht, auch ihnen muss entgegengetreten werden, und so ist es nicht verwunderlich, dass unser Urbarium Bc 38 auch darüber Auskunft gibt: Am 14. August 1682 gibt der Kurfürst Johann Georg III. dem Rat bekannt, dass in der Schweiz eine Viehkrankheit ausgebrochen sei, und fordert Bericht, ob auch in Wittenberg die Seuche aufgetreten sei. Mit dem kurf. Schreiben trafen zugleich zwei interessante gedruckte Rezepte gegen die Seuche ein: „Recept gegen die Kranckheit des Viehes, welche voritzo an verschiedenen orten grassirt zu Roremonde gedruckt bey Leonhard Ophoven im Jahre 1682“ und ferner „Sehr köstliche Rindvieh-Cur oder unterschiedliche herrliche Recept- und Artzney-Mittel usw. 1682“. Von 1712 stammt ein „Mandat Wie sich wegen des Vieh-Sterbens … In einen und anderen zu verhalten, unter anderem wird befohlen, dass gefallenes Vieh sofort von dem Caviller (Abdecker) oder Feldmeister „aufzuhauen“ und sorgfältig nach der Todesursache untersucht werden soll.“ Endlich ist 1717 das Gutachten einer Ärztekommission über Befund der Seuche, ihre Bekämpfung und Heilung erhalten, die sich aus „deputierten Medici und Physici“ zusammensetzte. Es handelt sich um eine „giftige, hitzige, ansteckende Seuche mit Auswurf.“ Damit schließen die Akten unseres Stadtarchivs über die Seuchen und ihre Bekämpfung. Sie haben uns gezeigt, mit welcher sich steigernden Vorsicht und Sorgfalt man schon im XVII. und XVIII. Jahrhundert in Sachsen dem unheimlichen Gast den Einzug ins Land zu wehren versuchte.

Wittenberger Rundblick, von Prof. Heubner
2. Jahrgang, Jan. 1956, Nr. 1, Seiten 3-8.

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Dobien – bis 1815 Kurfürstentum Sachsen

ab 30.04.1815 ging Wittenberg (Kurkreis) an Preußen über. Preußen teilte den neuerworbenen Landesteil nach der „Verordnung über die verbesserte Einrichtung der Provinzialbehörden“ vom 30. April 1815 neu auf. Der preußische Staat sollte aus zehn, jeweils in zwei oder mehrere Regierungsbezirke geteilten Provinzen bestehen. Das Gebiet um Wittenberg wurde der Provinz Sachsen zugeordnet und zählte zu dessen Regierungsbezirk Merseburg. Zum 1. Oktober 1816 wurde eine Einteilung in Kreise anbefohlen, und es entstand damit der Kreis Wittenberg.