1993.09.04. Mitteldeutsche Zeitung
Wenn das historische Brunnenhaus über seine Geschichte reden könnte
Bundesweit wird am 12. September der Tag des offenen Denkmals begangen. Dieser Tag ist eine gemeinsame Aktion der zuständigen Ministerien der Länder, der Landesdenkmalpfleger, der Landesarchäologen, der kommunalen Spitzenverbände, des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz, des Deutschen Heimatbundes sowie der Kirchen und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Das Wittenberger Hochbauamt hat sich entschlossen, an diesem Tag das Anfang 1992 rekonstruierte Brunnenhaus von 11 bis 17 Uhr zu öffnen. Ab 14 Uhr werden Führungen von einem Vertreter des Heimatvereins durchgeführt.
Man gelangt zum Luthersbrunnen, wenn man von Wittenberg in Richtung Jessen die Dresdener Straße entlang fährt. Es ist das letzte Gebäude elbseitig, ehe die Stadt verlassen wird. Einst war es eine begehrte Ausflugsgaststätte, die sowohl zu Fuß als auch mit dem Fahrrad bequem zu erreichen war. Aus überlieferten Schriften ist bekannt, daß
,,Luther, als er mit der Übersetzung der Bibel beschäftigt war, mit seinen Freunden Philipp Melanchthon, Caspar Cruciger, Mattheus Aurogallus und etlichen verständigen Bürgern und Handwerksleuten öfters zu einem Brunnen vor dem Elstertore gegangen sei. Dort habe er vor der lebendigen Springquelle an der Elbe öfters Gelegenheit genommen, von dem Samaritischen Brunnenwasser (zu trinken und) recht deutlich und einfältig zu schreiben“
Luther und seine Begleiter benutzten einen Weg, der vom Schießgraben vor dem Elstertor (in der Nähe des heutigen alten Friedhofs) geradeaus zum Luthersbrunnen führte. Er soll mit Linden und Eichen besetzt gewesen sein und spendete somit reichlich Schatten. Die Elbe hat im Laufe der Jahre diesen Weg überspült, so daß man heute davon nichts mehr vorfinden kann. Die Quelle wurde zunächst nur einfach mit Steinen eingefaßt. Spätere Einfriedungen scheinen immer wieder der Zerstörungswut der Menschen zum Opfer gefallen zu sein und es hat viele Querelen um diesen Ort gegeben.
Als August der Starke, wahrscheinlich am 17. Juni 1694, auf seiner Huldigungsfahrt nach Wittenberg am Luthersbrunnen vorbeikam, hat er ihn besucht und mit starken Mißfallen den Zustand der Verwüstung wahrgenommen. Ein nach langem Hin und Her begonnener Bau blieb wieder liegen. Die Studenten, die täglich zum Luthersbrunnen hinaus gelaufen, geritten oder gefahren sind, haben, so ist es überliefert, das angefangene Gebäude schlimm zugerichtet. Angebrachte eiserne Gitter wurden ausgebrochen und verschleppt. Die Pferde wurden in dem Bau untergestellt und der Mist zurückgelassen. Durch allerhand Unflätigkeiten wurde der Bau vollends ruiniert.
Die 200-Jahrfeier des Thesenanschlags wurde zum Anlaß genommen, um 1717 den Quell mit einem Brunnenhaus und anschließender Wohnung für den städtischen Förster und Wiesenaufseher zu versehen. Im Laufe der Zeit entstand daraus ein Gasthaus. Der damalige Bürgermeister Johann Paul Keil hat sich um die Errichtung dieses Hauses, dem heute noch bekannten „Luthersbrunnen“ verdient gemacht. Die spätere Ausflugsgaststätte war so eingerichtet, daß von der Straße aus das obere mit einem Saal versehene Stockwerk betreten wurde. Das Erdgeschoß hatte seinen Zugang von der Elbseite her. Hier befand sich die Gaststätte, während sich rechts daneben das kellerartige Gewölbe mit dem Quell befindet.
Die Quelle wurde in ein kreisrundes aufgemauertes Becken gefaßt und darüber ein gotisches Gewölbe gespannt. In der Mitte des Gewölbes hing eine Lampe. Das sich torartig öffnende Brunnenhaus wird durch eine starke eichene Lattentür abgeschlossen und ersetzt die schon vor 300 Jahren gestohlene eiserne Tür. Noch heute wird das Lattentor von dem Bild der Stadtkirche verziert.
Daß in dem Haus Bier und Branntwein ausgeschänkt wurde, stieß auf Schwierigkeiten mit der Universität. Sie erklärte:
„außerdem sei eine neue Verführung der zum Laster so schon geneigten Jugend zu befürchten, da der Ort zum Aufenthalt liederlichen Gesindels geeignet sei“
Im Brunnenhaus befinden sich noch heute mehrere, teilweise gut er- haltene Inschriften. Professor Heinrich Heubner hat sie aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt:
„Unter dem Schutz des allgütigen und allmächtigen Gottes ist diese Quelle, die von dem göttlichen Helden Luther, dessen Namen sie noch jetzt trägt, eins besucht und allenthalben gefeiert wurde, aber dann durch der Menschen und Zeiten Unbill nicht nur einmal verwüstet wurde, endlich zur Zeit der zweiten Jahrhundertfeier (der Reformation) im Jahre Christi 1717 aus den Trümmern wiederhergestellt und durch neue Gebäude vergrößert worden auf Kosten des Rates von Wittenberg, als Paul Keil aus Oelsnitz im Vogtland regierender Bürgermeister, Laurentius Kettner und Gottfried Zimmermann Bauherrn waren. „
Eine kleine, darunter angebrachte, Inschrifttafel sagt übersetzt aus: „Wer Du nur auch, o Leser, den Schritt zum Hause gelenkt hast, weigere die Danksagung nimmer dem gütigen Gott. Mehr Wert ist’s, aus Luthers lebendigem Borne zu kosten, als wer jegliche Bucht sämtlicher Meere besucht.“
Diese Inschrift steht auch im Vorraum zum Brunnen in deutscher Sprache an der Wand.
Nach dem 2. Weltkrieg hat sich die Ausflugsgaststätte als nicht mehr lohnend erwiesen. Die jahrhundertealte Schankgerechtigkeit wurde aufgehoben. Seit 1951 war hier ein Zweitbetrieb des Jugendwerkhofes untergebracht. Zuletzt wurde das Gebäude zweckentfremdet als Lager der Zivilverteidigung genutzt.
Nun soll hier wieder eine Gaststätte errichtet werden. Die Besucher hätten dann wieder Gelegenheit, einen ausgedehnten Spaziergang oder eine Tour mit dem Fahrrad zum Luthersbrunnen zu unternehmen.
Aus dem Buch „Das Guldene und Silberne Ehren-Gedächtnis Lutheri“ von Christian Junker, Rektor am Schleusinger Gymnasium, aus dem Jahre 1706, stammen folgende Verse über den Luthersbrunnen:
„Gott der die Flüsse, Meere und Brunnen hat gemacht
hieß mich ein kleines Teil von seinem Wasser werden.
Und ob mein Quell schon tritt aus enggefaßter Erden,
bin ich doch als Werk des großen Herrn geacht‘.
Nun dies ist Jammers wert, daß man so liederlich
mein reines Wasser läßt im nächsten Schlamm vergehen.
Der grobe Bauer mag mich nicht mal sehn
und sorget so am wenigsten für mich.
War‘ meine Nachbarin nur eine bess’re Stadt
man würde mich gewiß auf’s allerschönste fassen.
Doch was kümmert mich des Bauern Tun und Lassen?
Mein Wasser halt die Güt‘, die es schon lange hat.
Es bleibt in reiner Art mein unverfälscht Kristall,
das fromm‘ und böse Leut‘ mit gleichem Recht genießen,
denn da mein Schöpfer mich läßt reichlich fließen,
geb‘ ich mein Wasser auch umsonst hin überall.
Der Reich‘ und Arme trinkt mich ohn‘ Entgelt.
So kommt und lernt an mir, wie gut Gott zu erkennen;
den müssen wir drum den milden Vater nennen,
weil er mit Segenskraft die arge Welt erhält.“
Rudolf Lipinski