Rittergut Nudersdorf

Zu Dr. Martin Luthers Zeit finden wir das Rittergut Nudersdorf im Besitz der Herren von Leipzig und zwar derjenigen Linie, die in der Mark Brandenburg auf Bärwalde saß. Gottschalk von Leipzig sagt, daß er Nudersdorf für 4 000 Goldgulden bekommen hätte;
leider wissen wir nicht, wer die Besitzer waren, noch wer der Erbauer des Rittergutes ist.
Nudersdorf lag an dem alten Wege, der von Wittenberg über Burg Raben in die Mark Brandenburg hinein führte. In einem idyllischen Tale der „Nudersdorfer Schweiz“ lag das alte Schloß, das ehemals aus zwei rechtwinklig zusammenstoßenden Flügeln bestand, hinter hundertjährigen Bäumen versteckt.
Es hatte nicht die volle Bedeutung eines Rittersitzes.
Wohl waren ihm die Bauern des Dorfes Nudersdorf, die sich um den Rittersitz herum angebaut hatten, „dienstpflichtig  mit der Hand und mit Gespann“, doch hatte sich sein Frontkreis nicht weiter ausdehnen können, alle anliegenden Dörfer waren entweder der Kirche St. Marien in Wittenberg oder dem alten Rittersitz Kropstädt (damals noch Ließnitz genannt) zugeschlagen.
So hatte Nudersdorf als Rittersitz nur untergeordneten Rang, und Jahrhunderte lang ist es von den Herren auf Kropstädt
(vornehmlich den Herren von Löser) mit in Lehn genommen.
Vor dem dreißigjährigen Kriege ist noch ein Abraham von Leipzig auf Bärwalde Besitzer von Nudersdorf. Dieser lebte mit seinem Vetter Friedrich von Leipzig in jahrelangem Streit wegen eines Erbes.
Sie verglichen sich beide im Jahre 1606 dahin, daß Friedrich von Leipzig, der bereits schon Mitbelehnter von Nudersdorf war, diesen Rittersitz allein in Lehn erhalten sollte.
Sie erhielten auch vom Kurfürsten Johann Georg den Konsens dazu. Der Sohn Friedrich von Leipzigs, Hans Caspar von Leipzig, verkaufte am 2.Januar 1622 Nudersdorf an den Ritter Wilhelm Löser.
Ein Ritter Friedrich von Schlieben wurde bei diesem Kauf als Zeuge hinzugezogen. Wilhelm Löser war ein Neffe des im Jahre 1614 auf Schloss Pretzsch kinderlos verstorbenen „Kurfürstlich sächsischen Rates, Obersteuereinnehmers, Domprobstes des Stiftes Naumburg, Dechant zu Meissen und Assessor am Hofgericht zu Wittenberg“ Hans Löser V..
Hans Löser war bekannt geworden durch seine Teilnahme an dem Torgauer Landtage von 1592 und am Prozesse gegen den sächsischen Kanzler Krell .
Wilhelm Löser gab Nudersdorf an seine Nachkommen weiter.
Als solche erscheinen auf Nudersdorf zunächst 1630 ein Magnus Löser und nach diesem im Jahre 1641 George Heinrich Löser, der sich „Erbsaß auf Kropstädt und Nudersdorf“ nennt.
Aus dem Jahre 1658 ist ein Bericht des Amtsschöffens in Wittenberg, Benedikt Strauß, erhalten, der uns sagt, daß Nudersdorf im Jahre 1640 wegen der Kriegs – Troublen (Schwierigkeiten) gänzlich ruiniert“ sei.
Aus der gleichen Zeit ist uns bekannt, daß George Heinrich Löser mit seinem Schwager Günther von Bünau auf Pulznitz wegen Erbgeldforderungen in langwierige Auseinandersetzungen gerät, in deren Verlauf Rittergut Nudersdorf im Jahre 1643 und 1645 zur Versteigerung kommt.
Diese Streitigkeiten endigen erst mit einem Vergleich zwischen dem Nachkommen Günther von Bünaus, Heinrich von Bünau und Heinrich Löser, im Jahre 1649.
Im September 1658 übergab Heinrich Löser die von seinem Großvater, Wilhelm Löser, im Jahre 1622 von Veit Minßheimb gekaufte „Papiermühle vor Nudersdorf“ und das Schulzengericht in Schmögelsdorf“ an die Ehefrau seines Bruders Magnus Löser, Ludomilla geb. Saalin.
Benedikt Strauß stellte fest, daß Heinrich Löser kein Recht habe, das Schulzengericht in Schmögelsdorf abzugeben, weil es nie zu Nudersdorf gehört habe.
Von dieser Zeit an hören wir etwa 40 Jahre lang nichts von Nudersdorf.
Im September 1705 aber sagt Wilhelm Heinrich Löser auf Nudersdorf, daß er es, „1704 erhandelt“ hat.
Die Besitzverhältnisse von 1660 bis 1700 sind also unbekannt, wahrscheinlich ist aber, daß Nudersdorf trotzdem im Eigentum der Lösers gewesen ist, denn „Käufe“ zwischen Vater und Sohn waren auch damals schon üblich.
Mit Wilhelm Heinrich Löser wurden seine beiden Brüder Eustachius und Wolf Adam Löser Mitbelehnte. Wolf Adam Löser diente als Offizier „im Auslande“.
Im März 1715 wurde Eustachius Löser alleiniger Eigentümer von Nudersdorf, er starb im Jahre 1733.
Eustachius Löser hat umfangreiche Wirtschaftsgebäude auf seinem Rittergut errichten lassen; auch erbaute er in seinem Park ein „Badehaus“ und ein „Salonhaus“ der damaligen Mode entsprechend. Eustatius Löser hinterließ Nudersdorf seinen beiden Söhnen Jost Heinrich Löser und Eustachius Friedrich Löser.
Beide Brüder dienten als Offiziere in der sächsischen Armee, Jost als „Kapitain“ (Hauptmann) und Eustachius Friedrich als Premier-Leutnant.
Da sich keiner von beiden entschließen konnte, dem Soldatenberuf zu entsagen, verkauften sie Nudersdorf an die Herren von Leyser. Ob diese Herren von Leyser der alten Wittenberger Gelehrtenfamilie entstammten, kann nicht ohne weiteres beantwortet werden.
Mag diese Frage einer anderen Abhandlung vorbehalten bleiben.
Im Jahre 1795 bestand das Rittergut Nudersdorf, zu welchem die wüste Mark Gallun als Vorwerk und Teile der Mark Niebersche gehörten, aus folgenden Gebäuden:
– dem Schloss mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden und einer Veranda, dem Hofmeisterhause,
– den Ställen für Pferde, Kühe, Schafe, Schweine,
– Geschirrkammer,
– Wagenüberbau,
– Scheunen,
– Geräteschuppen,
– dem Brauhause,
– der Brennerei dem Hofe mit Wohnung für den Brenner,
– auf dem Hofe stand noch ein Badehaus.
Im Rittergutsgarten stand das schon von Eustachus Löser errichtete „Badehaus“ und das „Salonhaus“, beides waren herrliche Überbleibsel aus der Rokokozeit und eine Zierde des ganzen Gartens. Außerhalb der Rittergutsgebäude lag noch eine Ziegelei mit Brennofen, Wirtschaftsgebäuden und einer Töpferei.
Zum Rittergut gehörten weiter zwei Wassermühlen, die sogenannte große und die kleine Mühle.
Das Vorwerk Gallun bestand aus einem Haus für den Verwalter und aus verschiedenen Wirtschaftsgebäuden.
Der letzte Besitzer der Herren von Leyser, sächsischer Generalmajor August Wilhelm Friedrich von Leyser , trennte im Jahre 1795 die beiden Mühlengrundstücke vom Rittergut Nudersdorf und gab sie durch Erbpacht-Kontrakt vom 22. Juli 1795 in Erbpacht an den Müller Johann Christoph Dreßler.
Zwanzig Jahre später – 1816 – erwarb der Müller Leberecht Koch die „große Mühle“ käuflich.
Der Generalmajor August Wilhelm Friedrich von Leyser verkaufte das Rittergut Nudersdorf im Mai 1815 an den preußischen Oberforstmeister Alexander Friedrich von Erdmannsdorf.
Er konnte nicht ahnen, daß dieses der erste Schritt zu einem fortwährenden Wechsel Nudersdorfs – daß die Herren Löser Jahrhunderte lang besessen hatten – bedeuten sollte. Oberforstmeister von Erdmannsdorf gab das Rittergut im Dezember 1840 weiter an den Rittergutsbesitzer und Kammerherrn auf Wiesenburg, Leetza und Ottmannsdorf Karl Friedrich Gottlob von Watzdorf.
Nach dessen Tode erbten im Jahre 1848 seine Witwe Ernestine von Watzdorf, geborene von Hügel und seine beiden Kinder Kurt Friedrich Ernst von Watzdorf und Elisabeth Luise Lieselotte von Watzdorf Nudersdorf.
Ein Jahr später – im April 1849, -wurde der Amtmann Johann Friedrich Pfau Besitzer von Nudersdorf.
Pfau, ein praktischer Landwirt aus dem Anhaltinischen, merkte sofort, daß er in Nudersdorf nichts werden konnte.
Er verkaufte das Rittergut deshalb schon im September desselben Jahres an die beiden Brüder Doktoren der Medizin Gustav Luther und Karl Wilhelm Luther, beide aus Dublin (England).
Beide Luthers waren Nachkommen Dr. Martin Luthers, und dieses war vielleicht der einzige Grund des Kaufes.
Daß sie es als besonderen Vorzug betrachteten, dort, wo ihr großer Vorfahre gelebt und gewirkt hatte, ein Rittergut ihr eigen zu nennen. Der ältere Bruder, Dr. Gustav Luther, starb im Juli 1856; sein jüngerer Bruder, Dr. Karl Wilhelm Luther, übernahm von da ab den Anteil seines verstorbenen Bruder. Dr. Karl Luther gab ein Büchlein über die „Vorfahren Dr. Martin Luthers“ heraus. Es klärte viele Lutherkenner über manchen strittigen Punkt auf, so vor allen Dingen darüber, aus welchem Grunde der Vater Dr. Martin Luthers von seinem Besitz in Möhra hinweg gegangen und Bergmann geworden war.
Böse Zungen behaupteten allerdings damals von dem Herausgeber der kleinen Schrift, daß Dr. Karl Luther damit nach der Verleihung des Adelstitels gewinkt habe
(Luthers Vorfahren hatten den Adelstitel abgelegt).
Wie weit dieses auf Richtigkeit beruht, vermögen wir heute nicht mehr festzustellen. Fest steht aber, daß die Herren Luther in der Zeit ihrer Herrschaft auf Nudersdorf verschiedene Häuser, vornehmlich Gesindehäuser, an kleine Leute in Nudersdorf verkauften.
Im März 1872 kaufte der belgische Konsul Hans Emil von Oppenfeld aus Berlin Rittergut Nudersdorf.
Dieser fand in Nudersdorf schwefelhaltige Quellen. Er war ein tüchtiger Kaufmann, der im selben Jahre folgende Firma gründete: „Braunkohlenbergbau Aktien-Gesellschaft auf Rittergut und Bad Nudersdorf zu Berlin“.
Er ließ das Badehaus und das Salonhaus im Gutsgarten erneuern und baute zu diesen beiden noch ein „Logierhaus“ hinzu.

Nudersdorf sollte sicher Weltbad werden; aber eins fehlte, und das waren die Badegäste!

Gasthof Nudersdorf – Zur grünen Birke
PK: Roland Steche

So wurde aus diesem Plan nichts. Konsul von Oppenfeld aber erbaute anstelle der Gutsziegelei eine moderne Dampfziegelei mit Ringofen, Maschinen, Kessel- und Preßhaus, eine Schmiede, Zechenhaus und Lokomotivschuppen.
So übergab er im Mai 1875 Nudersdorf an seinen Sohn und Vizekonsul und Bankier Emil von Oppenfeld in Berlin .
Dieser verkaufte das Rittergut im März 1884 an den Kaufmann Arnold Herzfeld aus Berlin.
Und nun wechselten die Besitzer in bunter Folge.
– Zunächst auf den Rentier Julius Schleißner aus Berlin,
– dann Rittergutsbesitzer Benno Roebbelen aus Dubran bei Priebus; – 1895 ist Julius Schleißner wieder Besitzer:
– zehn Jahre darauf – 1905 – erhalten das Rittergut seine beiden Kinder, Fräulein Martha Schleißner und Gutsbesitzer Konrad Schleißner.
– Im September 1911 ist Graf Benno von Limburg-Stirum aus Berlin Herr auf Nudersdorf;
– im März 1917 kaufte es der Bankier Waldemar von Böttinger auf Rittergut Ahrensdorf.

um 1910 – Nudersdorf
aus: Archiv des HV WB

Seit Oktober 1920 war der Rittergutsbesitzer Scheibler auf Nudersdorf; dieser verkaufte es zu Anfang des Jahres 1921 an die Firma Quott & Kohler GmbH in Reuß. Im März 1922 ging Rittergut Nudersdorf an die drei Gebrüder Kolsmann über.
In einem im Jahre 1933 erfolgenden Zwangsversteigerungsverfahren erwarb eine Schweizerische Bank das Rittergut.
Heute, in ganz anderer neuer Zeit, befindet sich in seinen Mauern ein Arbeitsdienstlager. Wahrlich eine schöne Zweckbestimmung des alten Rittergutes Nudersdorf, der es sich nicht zu schämen braucht.
Viele Geschlechter hat Rittergut Nudersdorf kommen und gehen sehen und wohl steht ihm der alte Spruch
Im alten Haus ward viel erlebt!“
mit dem wir diese Abhandlung schließen wollen

Robert Ernst †

aus:  Deutsche Heimat vom 04.06.1933

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weitere Info, unter: Rittergut Nudersdorf