Richard Erfurth – Lutherschule

Richard Erfurth – Lutherschule
Erfurth, Richard um 1934

1899 übernahm
er in Wittenberg
eine Stelle als Lehrer
an der Lutherschule im heutigen Lutherhaus,
die er bis zu seinem Ruhestand 1932
versah.

Von »Lutherkindern« und »Lutherschlüssen« –
die Lutherschule im Lutherhaus

Stand die Lutherhalle in ihren ersten Jahrzehnten in enger Verbindung mit dem Predigerseminar, so ist die Lutherschule
noch weit mehr als das Museum ein Kind des Predigerseminars.
Die Schule wurde am 1. September 1834 eröffnet und besaß Räumlichkeiten unter anderem im Erdgeschoss des Lutherhauses. Auch ihr Ende ist Teil der wechselvollen Geschichte des Predigerseminars, da sie 1937 ihren Betrieb ein­stellen musste, nachdem der nationalsozialistische Staat 1934 das Seminar kurzzeitig geschlossen und danach gleichgeschaltet wiedereröffnet, ihm also den Status einer unabhängigen Korporation entzogen hatte. Die Schule war dann als Privatschule mit dezidiert christlicher Ausrichtung nicht mehr zu halten.1

Über 100 Jahre hatte die Lutherschule also Bestand, die ihren Namen übrigens keiner offiziellen Benennung, sondern dem alltäglichen Sprachgebrauch verdankte. Sie war eine Volksschule
mit zwei Klassen für Jungen und Mädchen, eine Elementar­schule ohne Schulgeld und vor allem als Übungsschule für die Kandidaten gedacht, als ein Praxisfeld für ihre pädagogische Ausbildung. Sie stand unter der Aufsicht des Direktoriums des Predigerseminars und hatte laut der ministeriellen Verfügung die Aufgabe,
»den Seminaristen des Königlichen Predigerseminars zu Wittenberg Gelegenheit zu geben, sich mit dem Schulwesen näher vertraut zu machen und sich in der Unterrichtskunst zu üben«.2
Die beiden hauptamtlichen Lehrer wohnten fast durchweg im Lutherhaus und im Melanchthonhaus — übrigens in althergebrachter Rangfolge:
der erste Lehrer bei Luther,
der zweite Lehrer bei Melanchthon.
Unter ihrer Anleitung übten die Kandidaten sich insbesondere im Fach Religion, das mit fünf Schulstunden in der Woche mehr als
zum Beispiel Rechnen gelehrt wurde. Sie wurden aber auch in den anderen Fächern eingesetzt, z.B. ab 1861 im Turnunterricht. Daneben erhielten sie von den Lehrern grundsätzliche Einführungen in die Didaktik, bis die pädagogischen Vorlesungen 1891 dann von einem Predigerseminardirektor übernommen wurden. War die Schule anfänglich eine Armenfreischule gewesen, so schickten zunehmend auch die Wittenberger Bürger ihre Kinder hierher, um ihnen die programmatisch christliche Erziehung angedeihen zu lassen. Die Leidenschaft der Kandidaten für den schulischen Unterricht, den sie anfäng­lich nur ein Semester, ab 1891 dann für zwei Semester gaben, war naturgemäß recht unterschiedlich ausgeprägt. Offensichtlich aber kam es nicht selten, etwa bei Spielnachmittagen im Garten, auch zu herzlichen Kontakten zwischen den Kandidaten und ihren »Lutherkindern«.
Auch in diesen Angelegenheiten ist Otto Dibelius ein wortreicher Erzähler, wenn er etwa davon berichtet, dass die Kandidaten im Sommer um sieben Uhr, im Winter um acht Uhr mit den Kindern
das Morgenlied anstimmten, der Lärm der Schüler vom Hof hoch erschallte oder gar gemeinsame Sedanfeste mit Wettspielen und Adlerschießen durchgeführt wurden.
Am Ende der Woche hielt man dann gemeinsam Schlussandacht, den sogenannten »Lutherschluss«, der von einem Kandidaten gestaltet wurde.3

Erklärung

1 Hansjürgen Schulz (Red.): Mit Luther im Gespräch. Studientexte für die Gemeindearbeit, Berlin 1983, S. 45-70, 97-   121. Von Wittenberger Aktivitäten der Seminaristen ad honorem Lutheri ist nur wenig bekannt: Zu nennen ist hier die Veröffentlichung von Hermann Stein, der 1883 eine 45-seitige »Geschichte des Lutherhauses« herausbrachte. Vgl. einige biografische Daten bei Dibelius (wie Anm. 1), S. 385, Nr. 849 (im Predigerseminar: 1882-84); außerdem die Mitwirkung von vier Kandidaten am Lutherfestspiel von 1892 anlässlich der Einweihung der Schlosskirche; der Darsteller Luthers erhielt vom Kaiser eine signierte Fotografie. Vgl. Reichelt (wie Anm. 13), S. 102.
2 Vgl. Ehrke (wie Anm. 16), S. 41.
Zitiert nach Ronny Kabus: Die Wittenberger Lutherschule zwischen 1834 und 1937. Zur Geschichte der im Lutherhaus begründeten Armenfreischule, in: Schriftenreihe der Staatlichen Lutherhalle.
3  Zitiert nach Ronny Kabus: Die Wittenberger Lutherschule zwischen 1834 und 1937. Zur Geschichte der im Lutherhaus begründeten Armenfreischule, in: Schriftenreihe der Staatlichen Lutherhalle