Polizeistatistik – 1870

Im Jahre 1870 beschränkten sich die Dienstorte der Polizeidienststellen auf die Pfaffenstraße  21 bis 23
(heute: Jahnstraße), dort befand sich auch das Gefängnis)
und den Königsplatz 8.
Die „Reviere“ waren:
– das „Schloß- und Coswiger-Viertel“,
– das „Elster- und Jüden Viertel“,
– die „Schloßvorstadt“,
– die „Elstervorstadt“ und
– die „Friedrichstadt“.
Die Stadtpolizisten jener Zeit erfaßten:
Polizeiübertretungen, Störungen der öffentlichen Ordnung,
sie bekämpften groben Unfug und Widerstand,
Ungehorsamkeiten, Sittenwidrigkeiten und „Contravensionen“ (Zuwiderhandlungen) und andere mehr.
Zu den Diensten der Polizei gehörten:
– Feldpolizeiliche,
– Straßenpolizeiliche,
– Marktpolizeiliche,
– Feuerpolizeiliche,
– Sanitäts- und Sittenpolizeiliche Aufgaben.
Am Ende des Jahres 1870 meldete die Wittenberger Polizeiverwaltung „Polizei- Übertretungen in 119 Fällen,
die bestraft worden waren.
Die aufgeführten Delikte geben einen interessanten Überblick
über die Rechts- und Moralauffassungen jener Zeit.
Bestraft wurden:
– Störungen der Ruhe im Gemeindehaus,
– grober Straßenunfug,
– Widerstand gegen die Feldpolizei bei Felddiebstählen,
– eigenmächtiges Verlassen des Dienstes,
– unbefugtes Betreten der Festung,
– Ungehorsamkeit der Dienstboten,
– unerlaubte Abhaltung einer Tanzmusik.
– das Werfen von Steinen auf Personen.

Die Polizei bestrafte weiter:
– widerrechtliches Eindringen in Wohnungen,
– Widerstand gegen die Straßenpolizei,
– den Aufkauf königlicher „Montirstücke“
(militärische Bekleidung),
– Baumbeschädigungen,
– das „Nichteinbissen“ (Lockern des Zaumzeuges) von Pferden,
– das Nichterscheinen von Bürgern zum Löschdienst,
– dae Arbeiten während des Sonntags-Gottesdienstes,
– die unterlassene Schließung von Läden vor Schaufenstern
am Sonntag
– den Verkauf explodierender Körper,
– das aufsichtslose Umherlaufen von Hunden,
– das Zusammenleben im „Concubinat“
(eheähnliches Zusammenleben ohne Eheschließung)

Weit über 150 Jahre Zeitunterschied machen deutlich, wie sich mit der Veränderung von Rechts- und Moralanschauungen die Normen des bürgerlichen Zusammenleben und damit auch die Aufhaben der Polizei gewandelt haben.

Dr. Wolfgang Senst

aus: Wittenberger Bürgergeschichten