Paul Gerhardt

Zu seinem Todestag am 27. Mai 1676

Viele Jahre sind verflossen, seitdem der Liederdichter
Paul Gerhardt seine Augen zum letzten Schlummer schloß.

Paul Gerhardt

Da der Sänger, der mit seinen Liedern Tausenden Frieden, Trost und Mut ins Herz gesungen hat, ein Kind unserer Heimat ist und in enger Beziehung zu unserer Lutherstadt Wittenberg steht, so halten wir es für unsere Pflicht, seiner bei der Wiederkehr seines Todestages in unserem Heimatblatt zu gedenken.

„Wenn ein Mann unter den Dichtern des 17. Jahrhunderts liebenswürdig erscheint, so ist es Gerhardt. Wir sehen ihn seinem verzagenden Mitgeschlecht gegenüber mit einem herrlichen Mut ausgerüstet. Er ist durchgehend getrost und froh im Gemüte; kein Dichter dieser Zeit macht einen solchen Einbruck auf uns wie er. Er ist ein Charakter, ganz Volksmann und Dichter.“ (Gervinus.)

Ein literarisches Kunstwerk hat erst dann vollen Wert, wenn es in die Gedanken und Gefühlswelt des Volkes übergegangen ist und dessen Geist neu befruchtet. Das gilt von Paul Gerhardts geistlichen Liedern im vollsten Maße: Obgleich er einer uns recht fern liegenden geistigen und dichterischen Vergangenheit angehört, lebt er doch heute noch unmittelbar im Bewußtsein aller Volkskreise fort. Daß seine Lieder ausschließlich religiösen Charakter tragen, darf nicht als Einseitigkeit angesprochen werden; sie entsprechen ganz der Eigenart seiner durchweg religiös orientierten Zeit und sind daher gerade der typische Ausdruck jener Periode.

Auch noch aus einem anderen Grunde muß Paul Gerhardt als charakteristischer Vertreter seiner Zeit gelten:
In ihm erblicken wir die innere Trennung der Persönlichkeit von altkirchlicher Gebundenheit und theologischer Einseitigkeit und zugleich die Verkörperung eines selbständigen natürlichen Denkens und Empfindens. Und wenngleich er in den Überlieferungen der orthodoxen Vergangenheit wurzelt und an ihr festhält, so ragt er doch in seinen Dichtungen über sein Jahrhundert hinaus und hinüber in jene Zeit, da deutsches Geistesleben in der klassischen Dichtung seine Wiedergeburt feiert.

Der Geburtsort Paul Gerhardts ist das ehemals kursächsische Städtchen Gräfenhainichen, das damals etwa 1000 Seelen zählte. Diese Kleinstadt mit ihren zwar engen aber doch vielfach belebten Verhältnissen gab dem beweglichen Geiste des Knaben vielfache, dauernde Eindrücke. Seine Familie zählte zu den alteingesessenen und begüterten Familien des Ortes. Der Vater, Christian Gerhardt, betrieb die vom Vater ererbte Ackerwirtschaft, zu der auch eine Gastwirtschaft gehörte. Die Mutter Dorothea war die Tochter des verstorbenen Superintendenten Magister Kaspar Starke in Eilenburg. Später wurde Gerhardts Vater zum Bürgermeister gewählt und gewöhnlich mit diesem Titel benannt, wiewohl er dieses Amt nur im Nebenamt verwaltete.

Über den Geburtstag Paul Gerhardts ist viel gestritten worden, da er urkundlich nicht nachgewiesen werden kann, weil die Schweden am 11. April 1637 die Stadt Gräfenhainichen niederbrannten, wobei sämtliche Kirchenbücher und Urkunden ein Raub ber Flammen wurden. Aber aus dem Zeugnis des Gräfenhainicher Superintendenten Magister J. Chr. Sauereßig, der im Anfang des 18. Jahrhunderts sich mit einer Lebensbeschreibung des Dichters beschäftigte, geht einwandfrei hervor, daß sein Geburtstag der
12. März 1607 ist. (*
(* Vgl. Hermann Petrich, Paul Gerhardt, ein Beitrag zur Geschichte
des deutschen Geistes)

Seinen ersten Unterricht empfing er in der Stadtschule von Gräfenhainichen durch dest „Judirector“ Johannes Zeiger und den Kantor Jakob Brück. Frühzeitig lernte er der Erde Leid und des Lebens Bitterkeit kennen; im Jahre 1619 starb der Vater, und ein Jahr darauf entriß der Tod ebenso frühzeitig den noch unversorgten Kindern auch die Mutter. Ein Jahr später verließ Paul Gerhardt das leergewordene Elternhaus und trat am 4. April 1622 im vollendeten 15. Lebensjahre in die Fürstenschule Grimma ein. Sein älterer Bruder Christian war ihm hierher bereits vorangegangen. Da er sich aber den Anforderungen der Schule nicht gewachsen zeigte, so verließ er diese Anfang 1623, um in Gräfenhainichen die Bewirtschaftung des elterlichen Besitzes zu übernehmen.

An Paul Gerhardt hat die berühmte Fürstenschule ihre Aufgabe erfüllt, wenngleich man füglich bezweifeln kann, ob ihre Erziehungs- und Lehrmittel für den künftigen deutschen Dichter geeignet waren. Nach fast sechsjährigem Aufenthalte, am 15. Dezember 1627, nach bestandener Prüfung verließ Paul Gerhardt Grimma.

Wenige Wochen später, am 2. Januar 1628, bezieht er die Universität Wittenberg, um Theologie zu studieren. Er blieb in unserer Stadt bis zum Jahre 1643 also 15 Jahre lang. Aber nicht das Studium selbst zwang ihn zu diesem langen Aufenthalte, sondern die Notwendigkeit, sich seinen Lebensunterhalt zu erwerben. Etwa um das Jahr 1635 trat er als Hauslehrer in das Haus des Archidiakonus der Stadtpfarrkirche Magister August Fleischhauer ein, der in der Collegienstraße, heute Haus Nr. 7 (Buchbindermeister Fischer gehörig) wohnte. Die Jahre dieses Wittenberger Aufenthalts waren voll Unruhe und Sorge, denn die Fluten des dreißigjährigen Krieges brausten immer näher an die Lutherstadt heran, und in ihrem Gefolge kamen Pest und Hungersnot, die unter der Einwohnerschaft schwere Opfer forderten. Im Jahre 1636 verzeichnet das Sterberegister 1356 und im Jahre 1637 sogar 2675 Tote, die überwiegend von der Pest hinweggerafft wurden. Aber die Unruhe und Not der Zeit hat der Dichtung Paul Gerhardts Anstoß und Richtung gegeben. Unverkennbaren Einfluß auf diese hat der Wittenberger Professor der Poesie und alten Sprachen, August Buchner, der „Vater des Daktylus“, ausgeübt, wenngleich aus Paul Gerhardts Wittenberger Zeit nur wenige und zwar minderbedeutende Lieder bekannt ind.

Wahrscheinlich im Jahre 1643 verließ Paul Gerhardt Wittenberg, um nach Berlin überzusiedeln, wo er – jedenfalls auf grund persönlicher Bekanntschaft – in das Haus des Kammergerichts-Advokaten Andreas Berthold, seines späteren Schwagers, eintrat offenbar wiederum als Hauslehrer. Die in Berlin verlebte Zeit bezeichnet den Höhepunkt von Paul Gerhardts dichterischem Schaffen. Den Kenner der Zeit kann es nicht wundern, daß dieses Schaffen fast ausschließlich der religiösen Dichtung gilt, denn in jenen schweren Tagen unseres Volkes war es das Wort Gottes und das geistliche Lied, aus welchen diesem immer wieder neue Kraft und Heilmittel und Stärkung geflossen sind. Das geistliche Lied ist der künstlerische Ausdruck jener Zeit, und Paul Gerhardt ist sein Klassiker.

Es ist bezeichnend für sein Wesen, daß er nicht aus eigenem Antriebe, sondern erst auf Anregung von anderer Seite hin mit seinen Dichtungen an die Öffentlichkeit trat. Im Jahre 1647 ließ der Kantor der Berliner St. Nikolaikirche, Johann Crüger, bei Christoph Runge in Berlin ein Gessangbuch unter dem Titel „Praxis pietatis melica“*) erscheinen. ( *) D. i. „Übung der Gottseligkeit in christlichen und trostreichen Gesängen)
In ihm befanden sich die ersten 18 Lieder Paul Gerhardts, darunter:

„Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“
„O Welt, sieh hier dein Leben“
„Wach auf, mein Herz, und singe“
„Nun ruhen alle Wälder“
„Auf, auf, mein Herz mit Freuden“.

Johann Crüger besitzt nicht allein das Verdienst, Paul Gerhardt dem deutschen Volke zuerst bekannt gemacht zu haben, sondern er hat dessen Lieder auch mit ansprechenden Melodien versehen und sie damit der Gemeinde ins Herz gesungen.
Erst in einer späteren Zeit der gesanglichen Verarmung haben diese teils älteren teils jüngeren Weisen den Platz geräumt.

Im Jahre 1651 erhielt Paul Gerhardt endlich sein erstes Amt. Auf die warme Empfehlung des geistlichen Ministeriums in Berlin wählte ihn der Magistrat der Stadt Mittenwalde zum Propste dieser Stadt, Nach erfolgter Ordination trat er kurz vor Weihnachten des genannten Jahres sein Amt an. Er kam in eine durch Krieg, Pest und Feuersnot heimgesuchte und verarmte Gemeinde, deren Einwohnerzahl auf 700 bis 800 Seelen herabgesunken war. Mit Treue und unermüdlichem Fleiß hat er sich seiner Gemeindeglieder angenommen und ihnen in ihren mannigfachen seelischen Nöten Trost und Hilfe gespendet. Neben seiner pfarramtlichen Tätigkeit pflegte er auch in Mittenwalde eifrig seine Liederkunst.

Die im Jahre 1653 erschienene 5. Auflage der „Praxis pietatis melica“ enthält von Gerhardts Liedern u. a. folgende:

„Wie soll ich dich empfangen“
„Fröhlich soll mein Herze springen“ –
„Nun laßt uns gehn und treten“
„Befiehl du deine Wege“
„Gott Lob, nun ist erschollen das edle Fried- und Freudenwort“
„Ich singe dir mit Herz und Mund“
„Ist Gott für mich, so trete“
„Warum sollt‘ ich mich denn grämen“,

während das bekannte Passionslied

„O Haupt voll Blut und Wunden“

in der im Jahre 1656 erschienenen 6. Auflage enthalten ist.

In Mittenwalde war es ihm endlich möglich geworden, sich einen eigenen Hausstand zu gründen, woran ihn die Ungunst der Verhältnisse bisher gehindert hatte. Am 11. Februar 1655, im Alter von fast 48 Jahren, vermählte er sich mit der 32 jährigen Anna Maria Berthold, der Tochter des Kammergerichts-Advokaten Andreas Berthold (des Älteren) in Berlin.
Er hat in seiner Ehe viel Leid erfahren müssen; von seinen fünf Kindern blieb nur ein Sohn – Paul Friedrich – am Leben.

Nikolai Kirche – Berlin
Foto: 2023

Im Mai 1657 erhielt der Dichter ein Schreiben des Magistrats von Berlin mit der erfreulichen Nachricht, daß man ihn einstimmig zum Diakonus an der St. Nikolaikirche gewählt habe. Mit dankbarer Freude nahm er den Ruf an und trat bereits im Juli das neue Amt an, das ihm das für damalige Verhältnisse immerhin ansehnliche Gehalt von insgesamt 300 Reichstalern gewährte.

Gedenktafel Paul Gerhardt
Foto: 2023

Die ersten fünf Jahre in Berlin flossen ihm in ruhiger, gesegneter Arbeit dahin, bis auch er in den zwischen dem lutherischen und dem reformierten Bekenntnis entbrannten heftigen Streit hinein gezogen wurde – ein Streit, der nur einen kleinen Ausschnitt aus dem großen Kampfe zweier Zeitalter und Geschlechter bildet. Wie in Kursachsen so war auch in Berlin und Kurbrandenburg das Volk streng lutherisch. Mit dem Übertritt des Kurfürsten Johann Sigismund von dem lutherischen zum reformierten Bekenntnis im Jahre 1613 brach aber das Verhängnis über das bisher glaubenseinige Land herein. Zwar ließ der Kurfürst öffentlich erklären, „daß er zu diesem Bekenntnis keinen Untertanen öffentlich oder heimlich zwingen wolle“ und brachte damit unzweideutig den Grundsatz der Gewissens- und Glaubensfreiheit zum Ausdruck, aber sein Glaubenswechsel wurde doch das Signal dazu, daß der schon vorher zwischen der lutherischen und reformierten Kirche bestehende Kriegszustand noch erbitterter wurde. Die verwerflichste Gesinnungsschnüffelei trieb ihre Giftblüten, und mancher Theologe machte einen Beruf daraus, aus jedem Lehrstück tiefgehende Unterschiede aufzuspüren und aus jedem Satze des Gegners einen höchstgefährlichen Glaubensirrtum zu drechseln. Und wer dem Streite sich fernhielt, der geriet in den Verdacht, es heimlich mit dem Feinde zu halten.

In dieser Zeit war es, da Paul Gerhardt aus der Stille von Mittenwalde nach dem heißen Boden von Berlin zurückkehrte. Er war gewiß seinem ganzen Wesen nach keine Kampfnatur; in seinen Predigten und Liedern ist keine Spur von Polemik zu finden. Wenn er trotzdem in den Streit der Geister hineingezogen wurde, so geschah es sicher ohne innere Neigung hierzu, und nur weil die Verhältnisse seinem Gewissen ein untätiges Beiseitestehen nicht gestatteten.

Kurfürst Friedrich Wilhelm, der 1640 seinem schwachen Vater Georg Wilhelm in der Regierung des brandenburgischen Staates gefolgt war, sah die Zwiespältigkeit in Glaubens Sachen als eine Gefahr und als ein Unheil für sein Land an und war deshalb bestrebt, „eine brüderliche Verträglichkeit“ zwischen dem lutherischen und dem reformierten Bekenntnisse zu schaffen. Wenn – so folgerte er – Brandenburg eine Zukunft beschieden sein soll, so muß ein starker Staatsgedanke das Auseinanderstrebende zusammenhalten. Nicht ein Bekenntnis darf in politischen Fragen entscheiden, sondern allein die „Staatsraison“.

Wenn daher Paul Gerhardt gleich den übrigen lutherischen Geistlichen seiner Zeit überzeugt war, die rechte Gewissensberatung nur bei der theologischen Fakultät der Universität Wittenberg, als der Quelle der lutherischen Rechtgläubigkeit, zu finden, so war Friedrich Wilhelm der entgegensetzten Ansicht. Er sah in Wittenberg nur die Giftquelle, aus der die Geistlichen seines Landes mit Widerstreben gegen seine kirchenpolitischen Maßnahmen und Absichten erfüllt wurden. In drei Edikten an die Konsistorialräte und an die Stände forderte er, daß aller unzeitiger und unchristlicher Haß und Verbitterung eingestellt bleiben, der so hochnötige Kirchenfriede oder, bis derselbe erlanget, eine Christliche tolerantz und evangelische Bescheidenheit mit besserem Ernst und Eifer gesucht und befördert werde.“

Und da er die Universität Wittenberg als die Stelle ansieht, „da Unser Untertanen zum Ungehorsam und Widersetzlichkeit wider Uns als Ihre von Gott vorgesetzte und angeborne hohe Landesfürstliche Obrigkeit aufgewiegelt und irre gemacht werden,“ so ordnet er an, daß keiner seiner Untertanen künftig in Wittenberg Theologie oder Philosophie studieren dürfe, die aber bereits dort sind, müßten binnen drei Monaten jene Stadt verlassen.

Das zweite kurfürstliche Toleranzedikt vom 16. September 1664 führt diejenigen Ketzernamen und Ketzerlehren einzeln auf, die allen Geistlichen „gnädigst und ernstlich bei Vermeidung der remotion (Entlassung) von ihrem Amte“ verboten sind, der Gegenpartei anzuhängen oder aufzubürden. Für seine Innehaltung sollten sich alle durch einen Revers verpflichten.

Dieses Verlangen des Landesherrn erzeugte unter den lutherischen Geistlichen eine ungeheure Bestürzung. Das geistliche Ministerium von Berlin erhob deswegen beim Kurfürsten Vorstellung, erhielt aber von ihm einen ungnädigen Bescheid. In ihrer Gewissensbedrängnis wandten sich die lutherischen Geistlichen an die theologischen Fakultäten von Wittenberg, Jena und Helmstädt. Namentlich die Wittenberger Theologen gaben ihr Urteil dahin ab, „daß kein aufrechter und rechtlehrender Diener des göttlichen Wortes mit unverletztem Gewissen das kurfürstliche Edikt unterschreiben noch stillschweigend hinnehmen dürfe.“

Dieses Einholen von auswärtigen Gutachten über seine landesherrlichen Anordnungen erregte in hohem Grade den Zorn des Kurfürsten. Da mit anderen Geistlichen auch Paul Gerhardt um des Gewissens willen trotz erneuter Aufforderung sich weigerte, den Revers zu unterschreiben, so wurde er am 6. Februar 1666 seines Amtes entsetzt. Trotzdem Magistrat und Bürgerschaft sich für ihn beim Kurfürsten verwandten, blieb es bei der Amtsentsetzung. Aber jene Vorstellungen scheinen doch auf Friedrich Wilhelm nicht ohne Eindruck geblieben zu sein, denn am 9. Januar 1667 ließ er dem Magistrat mitteilen:
„Weil er von Paul Gerhardts Person keine Klage außer der vernommen, daß er den Edikten zu subskribieren sich entzogen, S. Kurfl. Durchlaucht aber davor halten müßten, daß er die Meinung der Edikte nicht recht begriffen, so wollen wir ihn plene hiermit restituiert und ihm sein Predigtamt nach wie vor zu treiben verstattet haben.“

Trotz dieser unerwarteten Rechtfertigung wollte bei Paul Gerhardt doch keine Freude darüber aufkommen. Er fühlte sich in seinem Gewissen bedrückt und richtete darum die Bitte an den Magistrat, ihm vor Wiederaufnahme seines Amtes die Churfl. gnädigste Vergünstigung verschaffen, daß ich negst gnädigster erlassung des gehorsambst der Edicta bey allen meinen Lutherischen Bekenntnissen, namentlich der Formal. Concordiae unverrückt verbleiben möge, Allso daß ich auch nach derselben Meine Gemeine und Zuhörer unterweisen dürffe.“ Der Kurfürst trug jedoch in seinem Bescheide den Gewissensnöten Gerhardts keine Rechnung und ordnete die anderweitige Besetzung seiner Pfarrstelle an, die nicht ohne Schwierigkeiten im August 1668 geschah. Bis dahin verblieb diesem sein bisheriges Gehalt sowie auch die Dienstwohnung in der Stralauer Straße. So war Paul Gerhardt im eigentlichen Sinne ein Märtyrer seines zarten Gewissens geworden.

Länger als drei Jahre – vom Februar 1666 bis Mai 1669 – war er ohne Amt. Aber gerade diese Zeit innerer und äußerer Bedrängnis brachte die Krönung seines dichterischen Schaffens. In den kampfreichen Jahren 1666 und 1667 erschienen – vom Nachfolger Crügers, Joh. Georg Ebeling, herausgegeben – zehn Hefte, von denen jedes 12 Gerhardt’sche Lieder enthielt, die im letzgenannten Jahre unter dem Titel „Pauli Gerhardi Geistliche Andachten“ zu einem Buche vereinigt wuren. Es bildet den Schwerpunkt und Schlußpunkt seiner geistlichen Dichtung. Nach 1667 ist kein geistliches Lied mehr von ihm erschienen, nur einige Gelegenheitsdichtungen sind noch entstanden. Wenn er auch mit den Seinen in der amtlosen Zeit keine wirkliche Not gelitten hat, so traf ihn doch ein anderer bitterer Schmerz: Die treue Gattin, die bereits seit Jahren kränkelte, wurde ihm am 5. März 1668 durch den Tod entrissen.

Im Herbst desselben Jahres wählte ihn der Rat der Stadt Lübben im Spreewalde einstimmig zum Archidiakonus, und er nahm das angetragene Amt, das ihn wieder nach Kursachsen zurückführte, an. Notwendige Bauten an der Pfarrwohnung und die Krankheit seines einzigen noch lebenden Kindes – des damals sechsjährigen Paul Friedrich – verzögerten den Amtsantritt bis Ausgang Mai 1669. Über die in Lübben verlebten letzten sieben Jahre seines Lebens fehlen leider zuverlässige Nachrichten. Wir dürfen aber annehmen, daß es Jahre ruhiger und friedlicher Amtstätigkeit gewesen sind. Als er in das 70. Lebensjahr eingetreten war, fühlte er sein Ende herannahen, und weil er wußte, daß er seinem nunmehr 13 jährigen Sohne im Jünglingsalter leider kein Führer mehr sein durfte, so gab er diesem in einem Testament eine Reihe kluger und frommer Lebensregeln, die noch einmal den ganzen edlen Menschen nach seinem innersten und wahrsten Wesen zum Ausdruck bringen,

Wie über seinen Geburtstag so hat auch über Paul Gerhardts Todestag längere Zeit Ungewißheit bestanden. Mit Sicherheit ist aber der Mittwoch nach Pfingsten, der 27. Mai 1676, als solcher nachgewiesen. Am 7. Juni wurde er in der Lübbener Kirche in der Nähe des Altars beigesetzt.

Leider hat Paul Gerhardt bei seiner Zeit nicht die ihm gebührende Würdigung gefunden. Der damals herrschende Pietismus verhiehlt sich dem Dichter gegenüber ebenso gleichgültig wie die ihm folgende Zeit der Aufklärung, die sogar mit täppischer Hand verunstaltend in seine Lieder griff. Erst nach den Freiheitskriegen mit dem Erwachen eines neuen, andachtbedürftigen Glaubenslebens und der Rückkehr des deutschen Volkes zu dem eigenen nationalen Gütern der Literatur und Kunst ist Paul Gerhardt zu der Anerkennung gelangt, die er beanspruchen darf. Aber erst 200 Jahre nach seinem Tode, 1876, wurde seine letzte Ruhestätte in der Kirche zu Lübben durch eine Gedenktafel bezeichnet, und im Jahre 1907 wurde ihm vor der Kirche ein Denkmal errichtet.

Die Geburtsstadt Gräfenhainichen hat das Gedächtnis ihres großen Sohnes durch eine „Paul Gerhardt Kapelle“ und ein „Paul-Gerhardt-Haus“ geehrt, während die Lutherstadt Wittenberg sein Andenken im „Paul-Gerhardt Stift“ und der „Paul-Gerhardt-Straße“ festhält.

Das schönste und bleibendste Denkmal aber hat sich der Dichter selbst in seinen Liedern gesetzt. Von den 134 Liedern, die von Paul Gerhardt bekannt sind, haben mindestens 30 in der evangelischen Kirche Bürgerrecht erlangt und fehlen in keinem Gesangbuche. Viele Tausende haben aus ihnen Trost, Mut und Freudigkeit geschöpft, und so werden sie weiter fortklingen, der Christenheit zur Erbauung und Erhebung.

Richard Erfurth