Die Tätigkeit auf den Schiffen erfordert ausgebildete und erfahrene Schiffer. Das war auf den Flößen, segelnden Schiffen, Dampfschiffen, eine zwingende Notwendigkeit.
Selbst der Leiter des Leinenzugs (König der Bomätscher) musste an bestimmten Elbstrecken „schifffahrtskundig sein, und ein Patent zum Betriebe der Segelschifffahrt auf der Elbe erlangt haben“ (Gesetz von 1882)
Bereits ab 1821 mussten sich die Schiffsführer einer Prüfung beim zuständigen Wasserbaubeamten ihres Heimatortes unterziehen und erhielten den „Nachweis der Qualifikation zur Führung von Schiffen und Flößen“.
Beginnend mit dem Jahre 1855 wurden in Sachsen die ersten Elbschifferfachschulen gegründet.
Diesem Vorbild folgte Böhmen 1878 und richtete drei derartige Schulen ein.
Kleinwittenberg konnte sich rühmen, bereits im Jahre 1889, neben Aken und Tangermünde, eine der ersten staatlich unterstützten Schifferschulen zu betreiben.
In Elster gab es etwas später eine private Schifferschule.
Der erste Kursus wurde noch im alten Pfarrhaus in Kleinwittenberg durchgeführt und mit Fertigstellung des Schulgebäudes in der Lug Straße im Jahr 1890 verlegte man den Unterricht dorthin.
Jeder Interessent, der den Abschluss der Volksschule nachweisen konnte,- hatte das Recht, einen Antrag an den Lokalschulvorstand, Pfarrer Herwig, zu richten.
Meist arbeiteten die Jungen nach Abschluss der Volksschule aber erst einmal für ein Jahr bei einem Fischer als Gehilfe, um sich an das Wasser „heranzubeißen“.
Nur die Kinder der ‚Schiffseigner wurden gleich auf dem elterlichen Schiff mit dem Schifferberuf vertraut gemacht.
Das Schulgeld für einen Kursus betrug 3 Mark.
Die Schule fand nur innerhalb der drei Wintermonate statt, entsprechend der jeweiligen Wetterlage zwischen 15. Dezember und 15. März.
Da vormittags Volksschulunterricht war, ging man in allen Orten grundsätzlich nachmittags von 13 bis 17 Uhr zur Schule.
Die Kleinwittenberger Schifferschule wurde durchschnittlich, von zehn Schülern frequentiert, in der Amtssprache nannte man diese auch Frequententen.
Gelehrt wurden die Fächer Handelslehre, Rechnen, Deutsch, Schiffbau, Korrespondenz, Geografie, Samariterdienst, Schiffsdienst und Strompolizei oder Gesetzeslehre.
Im Fach Korrespondenz übte man sich in der Anfertigung von Havarieprotokollen, Frachtabschlüssen und Anstellungsgesuchen. Im Fach Aufsatz wurde 1905 der Heimatort von einem Schiffer folgendermaßen beschrieben:
„Mein Heimatort Kleinwittenberg liegt an der Elbe.
Auch liegt er nahe bei der Stadt Wittenberg.
Die Hauptstraße, welche Wittenberg und Coswig verbindet, führt dicht an unserem Ort vorüber.
Weil wir viele große Fabriken haben, welche ihre Güter auf der Elbe hinwegschaffen müssen; haben sich in meinem Heimatort viele Schiffer angesiedelt.
Auch gibt es hier viele Fischer, die ihres Berufes und wegen der Lage des Ortes hierhergekommen sind.“
Nach drei Jahren bestand die Möglichkeit, einen Antrag an den Königlichen Wasserbauinspektor in Wittenberg zur Ablegung der Steuermannsprüfung unter Beifügung folgender Unterlagen:
– Dienstbuch über 5jährige praktische Tätigkeit auf der Elbe,
– Führungsattest, ausgestellt vom Schiffsführer, bei dem der Antragsteller zuletzt beschäftigt war und
– ein handgeschriebener Lebenslauf zu richten,
– das Zeugnis der zuständigen Polizeibehörde über die Unbescholtenheit der Person vorausgesetzt.
Die Prüfungskommission bestand aus drei Mitgliedern, dem Bezirks-Wasserbauinspektor und zwei Schifffahrtskundigen.
Nicht jeder bestand die Prüfung.
Im Jahre 1921 mussten von vier Prüflingen zwei zur Wiederholung, die aber erst 12 Monate später stattfand.
Das Schifferpatent galt für die Elbe von Melnik bis Hamburg und für die Moldau von Prag aus abwärts.
Die Schifferschule Kleinwittenberg (unser Bild) wurde bis zum I. Weltkrieg betrieben und nahm kurzzeitig in den 20er Jahren den Betrieb nochmals auf. Danach mussten die Kleinwittenberger nach Elster und noch später die Prüfung in Torgau ablegen.
Heute werden alle Lehrlinge des VEB Kombinat Binnenschifffahrt und Wasserstraßen zentral in der Berufsschule „Karl Meseberg“ in Schönebeck an der Elbe ausgebildet und schon früh mit der modernen Technik vertraut gemacht.
Karl Jüngel †
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aus. Freiheit vom Februar 1980