Wie in fast allen Schifferorten war es natürlich auch in Kleinwittenberg und Elster Brauch, jährlich im Winter den Schifferball durchzuführen.
Selbst die Schiffer, die zwangsweise in anderen Häfen überwinterten, richteten es ein, an diesem Ereignis ihres Heimatortes teilnehmen zu können.
Jeder Schifferverein hatte natürlich sein eigenes Fest. Die umfangreichen Vorbereitungen wurden jeweils rechtzeitig begonnen und richteten sich auf den großen Festumzug, die Einladungen, Beschaffung der Preise für die Tombola und die Einholung der polizeilichen Genehmigung.
Am langwierigsten waren die Vorbereitungen für die Schifferfrauen und deren ballfähige Töchter. Jede wollte die andere in Bezug auf Eleganz übertreffen.
Es sind nicht nur Einzelfälle bekannt, dass Damen während des Balles dreimal die Garderobe wechselten.
Eine andere äußerst wichtige Vorbereitung war das Schmücken des Saales. Selbstverständlich stand der Saalschmuck, wie alles, was den Schiffer umgab, mit seinem Beruf in Zusammenhang. Namenswimpel, Schiffsmodelle, Staken, Malstöcke und sonstiges Gerät wurden sorgfältig im Saal des Gasthauses „Zum Elbhafen“ aufgestellt. Selbst die Theke war inbegriffen und mit dem Hinweis „Trinkwasser für Schiffer“ versehen.
Die Frauen forderten aber unmittelbar daneben das „Ankerverbotsschild“.
Nur einmal, im Jahre 1925, als der Schifferverein „Viktoria“ sein 50jähriges und der Schifferverein „Vorwärts“ das 25jährige Stiftungsfest feierte, machte man eine gemeinsame Veranstaltung, allerdings dann auch noch im Saal des Schützenhauses (heute Kulturhaus „Hermann Kürschner“).
Bei diesem Anlass hatte man sogar die komplette Kommandobrücke eines Seitenraddampfers zum Kleinwittenberger Marktplatz geschafft.
Die Einladungen zum Schifferball erfolgten in den einzelnen Orten recht unterschiedlich. Der Festausschuss legte Einladungslisten an. Jedes Vereinsmitglied konnte eine bestimmte Anzahl Freunde und Bekannte einladen. Darüber gehörten die Persönlichkeiten des Ortes, Geschäftsleute, Spediteure, Segelmacher und Schiffbauer zum Kreis der Auserwählten.
Die Delegationen der Brudervereine (bis zu 20) aus anderen Schifferorten fehlten auch nicht. Diese Delegationen waren natürlich in allen Punkten Gäste der balldurchführenden Schiffer.
In einer Festschrift des Jahrgangs 1927 wird diese Gastfreundschaft folgendermaßen bestätigt:
„Leider hat von den hier weilenden 400 Fremden nicht jeder Kamerad einen Tischgast bekommen, da bescheidene Schiffer nur 15 Mann zum Essen mitgenommen hatten.“
Die im Winterhafen anwesenden Schiffer wurden ebenfalls durch ein Ständchen der Kapelle zur Teilnahme am Ball aufgefordert.
Die Vereinsfahne wurde feierlich vom Vereinslokal „Zum goldenen Schiff“ zum Ballsaal „Zum Elbhafen“ in Verbindung mit dem großen Festumzug überführt. Dieser berührte den ganzen Ort.
Da sich die Schiffer während des Jahres nur im Vorbeifahren sahen, war auch eine gewisse Trinkfestigkeit erforderlich, um den Ball ungefährdet zu überstehen.
Doch eines ist kennzeichnend für alle Schifferbälle und dies gilt für alle Schifferorte, es ging äußerst diszipliniert zu.
Nach Beendigung des offiziellen Teils wurde noch in den Morgenstunden mit dem Abschmücken des Saales begonnen und die Vereinsfahne an ihren alten Platz im Vereinslokal gebracht.
Dies übernahmen meist die jüngeren Schiffer.
Schiffervergnügen dieser Art gehören, wie viele andere Bräuche, der Vergangenheit an.
Karl Jüngel †
***
aus: Freiheit vom Mai 1980