Nach der Vogelwiese noch köstlich amüsiert

Was man früher außer „Gruß und Kuß“ noch auf Ansichtskarten schrieb

Die große Zeit des Schreibens von Kartengrüßen ist angebrochen. Die Post hat alle Hände voll zu tun, denn manche Empfänger warten darauf, ein Lebenszeichen zu erhalten, damit man beruhigt ist, daß alle gut angekommen sind.
Viele dieser hübschen Karten fanden an Bilderrahmen und an Spiegeln eine Zeitlang ihren Platz, bis sie anderen, neueren, weichen mußten.

Inzwischen haben sich aber neue Formen des Kartensammelns herausgebildet. Es sammelt nicht nur der einzelne, sondern ganze Gruppen von Gleichgesinnten gehören zu den Menschen, von denen schon Goethe sagte, daß Sammler zu den glücklichen Leuten gehören.
Aber auch hier gibt es längst Spezialisten, die Motive sammeln oder solche Ansichtskarten festhalten, die aus vergangenen Jahren stammen.

Nun sind, wenn man solche Belege aus der Zeit von vor 90 Jahren oder nicht ganz so alte Karten betrachtet, auch Mitteilungen zu lesen, die nicht nur vom schönen Wetter handeln, sondern ganz persönliche Dinge erwähnen.
Ist es unfair, solche Sachen näher zu beleuchten?
Kaum. Nach so vielen Jahren werden die ehemaligen Schreiber es nicht übel nehmen, zumal sie wohl nicht mehr unter den Lebenden weilen und bereits damals anonym waren, die Mariechens, Roberts, „die Kinder“ und Tante Anna.

Da erfahren wir, daß sich die kleine Lisa in Wittenberg gut erholt und es auch den anderen hier gut gefällt, während eine Karte aus dem Jahre 1905 berichtet, daß man hier ein neues Wohnhaus sah, „zu unserem Erstaunen“, und daß man sich „gestern nach der Vogelwiese noch köstlich amüsiert hat“.
Auch der „Schweizergarten“ wurde 1908 besonders erwähnt,
wo man sich ebenfalls gut amüsierte, zumal die „Leipziger Krystall-Palast-Sänger“ dort auftraten.

Aber man tat auch etwas für die Bildung, indem die „Lutherstuben“ besichtigt wurden. Nicht jeden Tag besuchte man die „Vogelwiese“, wo man das .“neue Schützenhaus“ betrachtete im Jahre 1912;
„alle trafen sich bei Tante Anna, seit gestern Nachmittag sind wir in Piesteritz“, heißt es.
Auch 1917 besuchten die Verwandten die Schloßkirche und dann die Propstei, „wo kein leerer Stuhl war“.
Unterm 13. November 1911 erfahren wir, daß
„Ihr erst am 7. Dezember schlachten könnt. Unserem Schlächter ist es früher nicht möglich. Alle Leute wollen ihre Schweine los sein, hat keiner Kartoffeln und die Futtermittel so teuer, dabei die Schweine billig“.

Recht eigenartig berührt im Kriegsjahr 1918 die Bitte eines Jägers, der trotz der schweren Kämpfe auf den Schlachtfeldern hier noch Gelegenheit hatte, seiner Jagdleidenschaft nachzugehen, wenn er schreibt:
„Würdest Du wohl so gut sein, mir folgende Patronen in guter Qualität zu bestellen“ (und nun folgen die Kaliber und die Stückzahl). Da ist doch eine Kartenmitteilung aus dem Jahre 1905 erfreulicher, wo „Walter und Käthe bekanntgeben: Soeben ein strammer Junge angekommen!“.

Heinrich Kühne †

aus: Mitteldeutsche Zeitung vom 03.08.1996

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