Merkwürdige Männer

1927.08.04. Unser Heimatland

Jede Zeit hat ihre merkwürdigen Männer, ihre „Originale“, und die Stadt Wittenberg im besonderen ist nicht arm daran. Von einigen dieser merkwürdigen Männer und ihren eigenartigen Lebensschicksalen soll im Nachstehenden berichtet werden.

Da ist zunächst der Bürgermeister Hohnsdorf, der in den bewegten Jahren von 1517 bis 1534 die Geschichte der Stadt leitete. Es war wahrlich kein Wunder, daß er bei dem allgemeinen Widerstreit der Geister sein Ohr schlimmen Wahrsagungen öffnete. Der damals sehr berühmte Astronom Professor Johann Stöffler in Tübingen hatte eine Konjunktur des Saturn, Jupiter und Mars im Sternbild der Fische dahin gedeutet, daß im Februar 1524 eine große Sündflut kommen werde. Wie an vielen anderen Orten, so traf man auch in Wittenberg Anstalten, dem drohenden Unheil zu entgehen. Nicht wenige bauten sich nach Noahs Vorbild eine Arche, der Bürgermeister Hohnsdorf aber begab sich auf den wohlverwahrten Dachboden seines Hauses, ließ sich aber vorsorglicherweise ein Viertel Gebräude Bier dahin bringen, um – wie er sagte – „beim guten Trunk zu leiden“.
Das Wittenberger Bier, der „Guckuck“, wie es hieß, erfreute sich damals eines guten Rufes und wurde zu jener Zeit in 172 Häusern gebraut. Als aber die Biertonne geleert war, und die gefürchtete Sündflut noch immer nicht kommen wollte, da verließ Hohndorf seine hohe Zufluchtsstätte wieder und übernahm wiederum das Stadtregiment.
Die Weissagungen vom Weltuntergang waren in jenen bewegten Tagen übrigens nichts Seltenes. Auch der Pfarrer Stifel in Lochau, dem heutigen Annaburg, fühlte sich zum Propheten des Weltuntergangs berufen und ließ es sich angelegen sein, diesen von der Kanzel herab für den 19. Oktober 1533 seinen gläubigen Zuhörern zu verkünden. Die Bauern, in dem Bestreben, die letzten Erdentage noch so angenehm wie möglich zu verleben, verkauften, was sich von ihrem Besitz nur immer verkaufen ließ und lebten einige Wochen in Saus und Braus. Als aber der von Stiefel bezeichnete Termin verstrich und die Erde noch immer nicht Miene machte, unterzugehen, da wandte sich der Zorn der verarmten Leute gegen den unglücklichen Propheten, und nur mit großer Mühe gelang es dem Lochauer Schosser (Amtmann), ihn vor der Wut der Enttäuschten zu schützen. Stiefel wurde unter sicherer Bedeckung nach Wittenberg ge bracht, um durch das kurfürstliche Hofgericht abgeurteilt zu werden. Am Abend nach seiner Einlieferung zogen die Studenten vor dem Fenster seines Gefängnisses auf und fangen den noch heute bekannten Vers:, „Stiefel muß sterben!“ Dazu kam es nun freilich nicht; auf Luthers Fürsprache hin entließ der Kurfürst den irregeleiteten Mann nach kurzer Haft. Im Jahre 1535 erhielt er sogar – ebenfalls durch Luthers Vermittlung – wieder ein Pfarramt in Holzdorf. Er enthielt sich aber fortan klugerweise aller Weissagungen. Als 1547 Holzdorf durch spanische Soldaten völlig ausgeplündert wurde, ging er nach Jena, wo er eine Anstellung als Professor an der Universität erhielt und 1567 als berühmter Mathematiker starb.
Neben dem vorgenannten Bürgermeister Hohnsdorf wirkte als Kämmerer und Stadtrichter Ambrosius Reuter, der am Marktplatz ein neu erbautes stattliches Haus besaß. Ueber dessen Tür hatte er ein sonderbares Bild malen lassen: eine Sau, die auf seidenem Kissen saß und auf dem Kopfe eine goldene Krone trug. Daneben erblickte man die Gestalt Luthers, der mit einem langen Federkiel dem Papste die Tiara vom Haupte stieß – eine Anspielung auf dem bekannten Traum Friedrichs des Weisen – und Philipp Melanchthon, der den Papst mit einem Lineal schlug. Mit den Bilde der getrönten Sau wollte Reuter auf seine merkwürdige Befreiung aus der Gefangenschaft hindeuten, Der streng katholische Herzog Georg von Sachsen hatte Reuter wegen seines Bekenntnisses zu Luthers Lehre in Leipzig in den Gefängnisturme ein sperren lassen. Am Tage vor seiner Verurteilung bemerkte der Gefangene durch das vergitterte Fenster, wie eine Sau vom Stadtgraben her an dem Turmè wühlte. Er erblickte darin ein Zeichen vom Himmel und untersuchte die Mauern seines Gefängnisses, wo er an jener Stelle wirklich einige gelockerte Steine fand. Es gelang ihm, diese zu entfernen, durch die so gebrochene Oeffnung zu kriechen, im Dunkel der Nacht den Stadtgraben zu durchwaten und zu entfliehen. Die Mauern von Leipzig mögen damals nicht allzu fest und der Stadtgraben nicht sehr tief gewesen sein. Nach mancherlei Irrfahrten gelangte Reuter nach Wittenberg, wo er es zu Wohlstand und Ansehen brachte. Zum Andenken an seine wunderbare Rettung ließ er an seinem Wohnhause das beschriebene Bild anbringen. Er starb im Jahre 1564. Sein Grabmal, auf dem er in lebensgroßer Figur abgebildet ist, befindet sich neben dem Südportal unserer Stadtkirche.
An dieser unserer ältesten Kirche wirkte fast zu derselben Zeit als Küster ein Mann, der einst auf seinem Haupte drei Kronen vereinigte, nämlich die Königskrone von Dänemark, Schweden und Norwegen. Der Diakonus Fröschel berichtet über ihn:
Der Ministrant, der zum Altar diente, war König Christian von Dänemark, der fleißig auf den Altar wartete und sich so tief demütigte, daß er allewege mit dem Diakono, so die Messe hielt, vor dem Altar niederkniete und mit ihm das Confitear betete“.
Dieser Christian VII. von Dänemark, der „Böse“, hatte seiner Gemahlin Isabella, der Schwester Kaiser Karls V., die Treue gebrochen, um mit der von ihm geliebten Düwecke ein recht bedenkliches Verhältnis einzugehen. Die sittenlose Mutter dieser seiner Freundin trieb ihn nach Schweden und verleitete ihn zu dem furchtbaren „Stockholmer Blutbad vom 8. November 1520, bei welchem er seine Gegner heimtückisch überfallen und töten ließ. Er suchte dabei die von Wittenberg ausgehende Reformation seinen selbstsüchtigen politischen Plänen dienstbar zu machen. Hatte er in Schweden die Hilfe der dortigen Geistlichkeit angerufen, so ließ er nach Dänemark Bugenhagen zur Unterstützung seiner Politik kommen. Im Jahre 1523 aber vertrieb ihn der Adel seines Landes, und er suchte Schutz bei den Reformatoren in Wittenberg, wo er sich sehr bußfertig stellte. Aber sein unruhiger Geist hielt es nicht lange in dem stillen Elbestädtchen aus. Später wandte er sich wieder der katholischen Partei zu. Als er wieder nach Dänemark zurüdkehrte, wurde er 1531 gefangen und 28 Jahre lang bis zu seinem Tode in strenger Saft gehalten. Seine Anwesenheit in Wittenberg mag Veranlassung zu der Erzählung gegeben haben, daß der sagenhafte Prinz Hamlet von Dänemark in Wittenberg studiert und in dem „Hamlethaus“, dem Hirschfeldschen Geschäftshaus am Holzmarkte, gewohnt habe.
Damit ist die Reihe der merkwürdigen Männer, die längere oder kürzere Zeit in Wittenberg lebten, selbstverständlich noch nicht erschöpft. Es sei hier nur noch an den Professor D. Karlstadt, den Anführer der „Bilderstürmer“ erinnert, der nach seiner Vertreibung aus Wittenberg als Bauer im nahen Seegrehna lebte und an den Marktagen die Erzeugnisse seiner Wirtschaft nach der Stadt brachte. Später schloß sich der unruhige Mann den Baueraufständen in Thüringen und Franken an, in denen er ein unrühmliches Ende fand.
Endlich gedenken wir kurz noch des 1638 verstorbenen Professors Taubmann, der als lustiger Rat des Kürfürsten zu einer eigenartigen Berühmtheit gelangte. Noch heute werden von ihm zahlreiche Anekdoten erzählt. Durch eine Stiftung, die nach ihm benannten Taubmannschen Wiesen, wird sein Andenken auch noch in anderer Weise wach erhalten.

R. Erfurth

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