Land und Leute im Fläming

   In früheren Zeiten stand der Fläming in dem Rufe, ein reizloses und unfruchtbares Land zu sein. Bezeichnend dafür ist das alte Sprichwort:

„Bettler und Handwerksburschen
gehen sogar über den Fläming.“

Obschon nicht einzusehen ist, was Bettler und Handwerksburschen wohl dort hätten holen sollen, wenn die Gegend wirklich so erbärmlich gewesen wäre. Und dann darf man, wenn man das alte Vorurteil auf seinen wahren Wert zurückführen will, nicht vergessen, daß in früheren Jahrhunderten am Südhange sehr viel Weinbau, der sich bis heute noch in der Jessener Gegend gehalten hat, getrieben wurde. Vor dem 30jährigen Kriege zählte man 80 Weinberge, die über 1100 Tonnen Wein fährlich lieferten. Noch jetzt findet man vielfach die Flurbezeichnung Weinberg. Allerdings gibt es auch heute noch Strecken, auf denen man in losem Sande waten muß , dem jede Pflanzendecke fehlt, und der darum als Flugsand vom Winde fortgeweht wird. Nur auf diese Gegenden bezieht sich wohl Luthers Aeußerung:

„Auf dem Fläming ist immer
ein halbes Rittergut unterwegs.“

Die Stadt Wittenberg hat ja ihren Namen auch von den weißen Sandbergen, an deren Fuße es liegt.
Aber im allgemeinen darf man den Fläming heute weder als reizlos noch als unfruchtbar bezeichnen. Auf unfruchtbarem Boden wachsen nicht so herrliche Buchen und Kiefern, wie sie den größten Teil des Flämings in riesigen Wäldern bedecken. Auf unfruchtbarem Boden wächst auch nicht so herrlicher Weizen, wie man ihn kurz vor der Ernte im Planetal und in anderen Niederungen schnittreif sehen kann. Denn der Fläming besteht auch nicht nur aus Sand und Steinen, wie viele glauben. Unter dem Sande, der sich dem Auge zunächst bietet, liegt eine Schicht von Geschiebelehm, manchmal tiefer, manchmal aber auch ganz nahe der Oberfläche. Sie ist nicht stark, aber es scheint, als sei sie extra zu dem Zwecke eingebettet , um dem Boden Fruchtbarkeit zu geben. Nur muß es der, der das Land anbaut, verstehen, sie sich nutzbar zu machen. Er muß tief genug pflügen, um den Lehm für die Wurzeln der Gewächse zu erschließen, aber nicht tiefer . Denn unter dem Lehm liegen wieder Sand und Kies, und wenn der Lehm zu tief angerissen wird, sackt die Feuchtigkeit, die den Gewächsen nötigt ist, nach unten durch. Wenn man diese eigenartige Bodenmischung kennt, wird man erst verstehen, daß auf dem so Wasserarmen Fläming noch alles so wachsen und gedeihen kann. Denn das Wasser ist sehr rar im Fläming. Kein einziger See breitet sich aus, kein Fluß, von der den Südhang streifenden Elbe abgesehen, durchfließt ihn oder entspringt dort. Nur einige Bäche suchen aus den sandigen Bergen ihren Weg ins freie Land. Selbst die Beschaffung des nötigen Wirtschaftswassers hat in vielen Orten viel Not gemacht.

Fläming arm an Born,
Reich an Korn,

sagt ein altes, landläufiges Sprichwort. Und so ist es auch.
Wirklich unfruchtbare Strecken sind wenigstens im hohen Fläming selten.
Der ganze Fläming hat eine Länge von etwa 80 Kilometern, seine Breite schwankt zwischen 30 und 45 Kilometern. Er bedeckt also dieselbe Fläche wie der ganze Harz. Man unterscheidet den hohen und den niederen Fläming, dessen Grenze im Nuthetal, also etwa in der Linie Potsdam – Luckenwalde – Jüterbog liegt. Nur der westliche, hohe Fläming soll hier in den Kreis der Betrachtung gezogen werden.
Im allgemeinen ist der Fläming Hügelland, das von Hochflächen beträchtlicher Ausdehnung unterbrochen wird. Die Bergkuppen, die vorhanden sind, erheben sich meist nur wenig über das umgebende Land, weil dieses selber schon ziemlich hoch liegt. Umfassende Aussichtspunkte findet man nur vereinzelt, und diese werden es erst durch künstliche Bauwerke. Den hohen Fläming übersieht man am besten vom Aussichtsturme des Frauenberges oder vom Rundgange des Wiesenburger Schloßturmes.

Wiesenburger Schloss
Fotos: privat
Blick vom Wiesenburger Schloss
Foto privat: 2022

Der Hagelberg, mit 201 Metern Meereshöhe der höchste Punkt des ganzen Flämings, hat keinen Aussichtsturm, und so ist nur der Blick nach Süden einigermaßen frei. Um ihn zu genießen, muß man aber auf den Windmühlenberg gehen, vom Denkmalsberge aus sieht man sehr wenig. Der Eisenhart in Belzig liegt lief im Tale. Freier ist die Aussicht bei Belzig, wenn man ein Stück die Wittenberger Straße hin aufgeht, weil man dort zu einer Meereshöhe von 140 Metern kommt. Den Südfläming übersieht man vom Schwarzen Berge (178 Meter) bei Mochau, 2 Stunden nördlich von Wittenberg. Tief eingeschnittene Täler sind nur wenige da. Wiesenburg liegt in einem Kessel, von Borne bis Belzig und weiter bis Schwanebeck dagegen zieht sich ein wirkliches breites Tal von großer landwirtschaftlicher Schönheit hin. Wer mit der Bahn von Wiesenburg nach Belzig fährt, wird an der langsamen Bewegung des Zuges merken, wie stark die Steigung aus dem Wiesenburger Kessel bis Borne ist, und wie schnell es dann nach Belzig hinuntergeht. (Wiesenburg ca. 150 , Borne ca.160, Belzig ca.100 Meter Meereshöhe).
Das zweite wirkliche Tal ist das Planetal, das oberhalb Raben beginnt und sich als ausgesprochenes Tal bis gegen Niemegk hinzieht. Seine größte Einschnittiefe beträgt, wie die des Belziger Tales, wenig mehr als 50 Meter, sie erscheint dem Auge aber größer, wie ja auch in wirklichen Gebirgen die Tiefe der Täler meist erheblich überschätzt wird. Als drittes Tal ist noch das einzige am Südrande, das Straacher Tal zu nennen, in dem der Rische Bach mit starkem Gefälle hin abfließt, und das sich bei Kleinwittenberg in das Elbtal öffnet. Es ist bei einer durchschnittlichen Randhöhe von gleichfalls etwa 50 Metern reichlich breit und bietet viele landschaftliche Schönheiten. Im nördlichen Teile hat der Fläming das Tal des Verlorenwasser und das Briesener Tal, die beide sehr schön, aber fast gar nicht bekannt sind, und den über 60 Meter hohen Steilabsturz in das freie Havelbruch. Alle anderen Täler sind nur flache Einschnitte und Mulden, von denen sich die jetzt fast durchweg trockenen Rummeln durch ihre scharfen Ränder auszeichnen. Diese Rummeln sind sehr zahlreich. Des Besuches wert sind vier von ihnen:
die große Rummel bei Neuendorf, die Garreyer Rummel nicht weit westlich von ihr, die zwei Wegstunden lange und vollkommen durch Wald führende Springer Rummel und die Brautrummel zwischen Grubo und Bergholz. Diese Rummeln liegen in ihrer Sohle ziemlich eben. Andere namentlich am Belziger Tal, tragen durch ihren steilen Abfall mehr den Charakter von Gebirgsschluchten. Diese kann man von der Bahn zwischen Wiesenburg und Belzig vom Zuge aus gut wahrnehmen. Eine liegt dicht vor Bahnhof Borne linker Hand, kurz vor Belzig im Walde schneiden gleich vier hintereinander die Bahn.
Die Flämingsdörfer liegen nur in den großen Waldgebieten weit voneinander, sonst beträgt der Abstand meist nur eine halbe bis zu einer Stunde. Sie sind alle freundlich und sauber; wer glaubt, dort in eine „Hundetürkei“ zu kommen, irrt sich. Die Gastwirtschaften sind dem geringen Verkehr entsprechend einfach, nicht überall kann man auf Nachtquartier rechnen; wenn es in einem Dorfe nicht glückt, dann in einem anderen. Wenn man schon übernachten muß, kann man sich getrost dem Zufall überlassen. Nur darf man nicht allen „Komfort der Neuzeit“ verlangen. Die Wirtsleute sind, wie die Flämingleute überhaupt, durchaus freundlich und entgegen kommend. Nur eins vertragen sie schlecht: lärmenden Ton und Anmaßung. Das widersteht ihrem Wesen. Man stelle sich schlicht um schlicht zu ihnen, dann werden sie auch, was e sonst nicht sind, gesprächig.
Der Volksschlag ist kräftig, treu und ziemlich unvermischt; vielfach wird man noch heute mit biederem Händedruck begrüßt. Das ist dort keine leere Form, darum erwidere man ihn herzlich, wenn er geboten wird. Die Flämingbewohner sind, wie schon der Name erkennen läßt, keine eigentlichen Märker. Sie sind, wenigstens zum Teil, die Nachkömmlinge der Flamländer, die einst Albrecht der Bär hier im Wendenlande ansiedelte, und die sich bei der jahrhundertelangen Abgeschlossenheit ihres Landes ihre völkische Eigenart erhielten. Sie sprechen ein reines, etwas gedehntes Deutsch mit niedersächsischem Einschlag:
das ick, dat und wat,
das namentlich in dem Berliner Tonfall sich über große Teile der Mark Brandenburg ausgebreitet hat, hört man hier nicht oder doch nur ganz vereinzelt. Ueberhaupt erfreuen sich die Berliner, die das Berlinertum besonders unterstreichen, keines besonderen Ansehens. Die kleinen Bauern, ja sogar die einfachen Arbeiter wissen recht gut, daß sie ihren Platz in der Welt genau so gut ausfüllen wie die Großstädter und lassen sich durch Großtuerei nicht imponieren. Darauf möge jeder, wer im Fläming wandert, Rücksicht nehmen.
Die alten Volkssitten hatten sich im Fläming, wieder eine Folge der abgeschlossenen Lage , ziemlich lange erhalten. Nun sind auch sie, mit ihnen die Trachten, so gut wie verschwunden. Es scheint, als passe Eigenart überhaupt nicht mehr in unsere Zeit. Auch die ganze Wirtschaft hat sich ja den Zeitverhältnissen gemäß umgestellt. Schafzucht und Flachsbau, diese alten Besonderheiten des Flämings, gehören der Vergangenheit an. Rindviehzucht und Getreidebau bringen besseren Ertrag. Namentlich wird sehr viel Roggen gebaut und bringt fast immer reiche Ernten. Aber den gesunden, rechtlichen Sinn, das bedächtige Wesen, das richtige Germanentum haben sich die Flämingleute bis jetzt bewahrt. Mögen sie noch recht lange an diesem festhalten!
Eigenartig sind auch gewisse Formen harmlosen Aberglaubens, die hier noch haften geblieben sind. Nur einiges davon sei mitgeteilt:
Junge Katzen muß man sich im Spiegel besehen lassen, weil sie sonst im Hause nicht heimisch werden. Schlachttiere darf man nicht bemitleiden, weil sie sonst beim Schlachten besonderen Schmerz empfinden. Ein Schwein, dessen gutes Aussehen laut bewundert wird, stirbt bald eines natürlichen Todes. Den Menschen bekommt das Essen nicht, wenn die Totenglocken dabei läuten.

aus: Wanderführer „Fläming“
von Bernhard Heese

Das Heimatdorf -1926
Im Wollen liegt die Kraft 

Im Wollen liegt die Kraft
In allen deinen Nöten,
Wer sich nicht selbst aufrafft,
Den rettet auch kein Beten.

Was blüht auf bunter Flur,
Das blüht aus eigenen Säften;
So hilft auch Gott dir nur
Mit deinen eignen Kräften.

Das ist ein recht Gebet,
Das Stärke heischt im Wollen;
Wer wollend früh aufsteht,
Dem blühen alle Schollen.

Heinrich Sohnrey