Am 22. Juli konnte in der „Freiheit“ nachgelesen werden, dass die Fahrten mit MS „Sputnik“ wegen Niedrigwassers eingestellt werden müssen. Nicht nur die Fahrgastschifffahrt ist vom geringen Pegelstand der Elbe betroffen, sondern auch die Frachtschifffahrt. Diese effektive Transportart ist nunmehr seit 3 Wochen gänzlich in unserem Streckenbereich eingestellt, und der Wasserstand zeigt fallende Tendenz.
Die zulässige Tauchtiefe der Elbe (nicht identisch mit dem Pegelstand — am 31. 7. 1983 wurden 130 cm gemessen) betrug am gleichen Tag lediglich 80 cm, wobei ein Sicherheitsmaß von 10 bis 30 Zentimetern zwischen Schiffsboden und höchster Sohlenlage der Elbe berücksichtigt wird.
Da die Frachtschiffe in der Regel einen:
Leertiefgang von minimal 90 cm haben, kann also nicht garantiert werden, dass die flachen Stellen im Strom, der Fachmann nennt sie „Sänder“ oder „Übergänge“, gefahrlos passiert werden können.
Eine Zuladung von Frachten wäre ohnehin nicht möglich.
Die Binnenschiffe der Reedereien CSPLO der CSSR haben in den Häfen entlang dem Elblauf Quartier bezogen, und die Schiffe unserer Binnenreederei sind, soweit möglich, auf anderen Relationen (Havel, Kanalstrecken, Märkische Gewässer usw.) eingesetzt.
Auch die Industriebetriebe sind durch diesen extrem niedrigen -Wasserstand betroffen, denn die .Versorgung der Magdeburger Großbetriebe mit Kohle aus dem nordböhmischen Raum muss jetzt per Schiene erfolgen.
Andererseits leiden die an der Elbe liegenden chemischen Betriebe der CSSR, da das benötigte Salz dieser Betriebe, ausschließlich unter Nutzung der Elbe aus der DDR importiert wird, abgesehen vom Stückgutverkehr und anderen Massengütern, die unter normalen Wasserbedingungen durch die Binnenschifffahrt transportiert werden.
Während für Hochwasser relativ genaue Vorschauwerte über Zeitdauer und Wasserstände gegeben werden können, ist bei Niedrigwasser keine Prognose möglich.
Dabei wirkt sich auch der überdurchschnittlich warme Sommer 1982 mit seinen wenigen Niederschlägen noch negativ aus.
Im Normalfall kann durch gezielte Zugabe von Stauwasser aus Wasserhaltungen in der CSSR und den Nebenflüssen der Elbe die Tauchtiefe in unserem Bereich bis zu 10 cm beeinflusst wer-den.
Da hier keine Kapazitäten zur Verfügung stehen, ist mit einem langanhaltenden Niedrigwasser, verbunden mit der weiteren Einstellung der Schifffahrt, bis zum Spätherbst zu rechnen.
Im Jahre 1911 wurde der regelmäßige Schifffahrtsbetrieb am 24. Juli eingestellt und im beschränkten Maße im Dezember des gleichen Jahres erst wieder aufgenommen.
Die Reedereien und Privatschiffer klagten über eine „besondere Notlage der Elbeschifffahrt“, die man auch 1912 nicht finanziell überwinden konnte.
Deshalb wurde auch von der Niedrigwasserkatastrophe 1911 gesprochen, denn alle Bemühungen der schifffahrtstreibenden Bevölkerung, Schiffer-Vereine und sonstigen Korporationen, die Regierung zur Ermäßigung von Steuern, Stützung der Frachtsätze und Erlass der Winterhafengebühren zu bewegen, blieben erfolglos. Ähnliche Wasserverhältnisse hatten wir in diesem Jahrhundert schon öfter, so in den Jahren
– 1904,
– 1934,
– 1935,
– 1952,
– 1964 und
– 1976.
Karl Jüngel †
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aus: Freiheit vom Juni 1983