Karl Mehl war ein Original

Die Schiffsbesatzung eines Elbkahnes bestand in der Regel aus dem Schiffseigner und 2 Bootsleuten, manchmal kam dann noch ein Lehrling hinzu. Sie gehörten zur ständigen Besatzung des Schiffes.
Besonders zwischen dem I. und II. Weltkrieg nahm der Schiffseigner bei kritischen Wasserständen gern einen Haupter (Lotsen), trotz der zusätzlichen Kosten an Bord.
Während die Besatzung des Schiffes in der Regel 6 bis 7 Reisen zwischen Böhmen und Hamburg im Jahr absolvierte, begleiteten die Haupter die Schiffe nur talwärts und fuhren per Zug zum Ausgangsort zurück.
Vor der Jahrhundertwende ging man auch zu Fuß.
Diese Haupter, man sagte ihnen nach, dass sie „ins Wasser gucken“ können.
Vor der eigentlichen Regulierung der Elbe kamen dem Haupter noch andere Aufgaben zu.
Um die Gefahrenherde der Elbe besser bezwingen zu können, verbanden sich meist 5 bis 8 talwärts fahrende Kähne zu einer sogenannten „Kompagnie“.
Der Haupter hatte dann das Fahrwasser genau zu markieren.
Zu diesem Zwecke fuhr er mit einem kleinen Handkahn (Schluppe) dem Verband voraus und vermalte (kennzeichnete) die Fahrrinne. Das Kennzeichnen geschah mittels bohnenstangenähnlicher Buchenstangen, an deren oberen Ende ein Strohwisch (Mumme) angebracht war.
Der Haupter (auch früher Mummenstecker genannt) musste sich die Stangen noch selbst aus dem Wald holen.
Hinter der Flottille fuhr der „Stockplücker“, der diese Malstangen wieder einsammelte.
Während sich die meisten dieser Haupter durch Ruhe und fachliches Können auszeichneten, hatte einer von ihnen eine besondere Vorliebe für Eulenspiegeleien.
Die große Statur und der Nachname Mehl gaben Ausschlag für den entlang der Elbe bekannten Spitznamen „Mehlbulle“.
Ein Streich von ihm war das Vorhaben, ein vollbesetztes Fahrgastschiff umzukippen.
Dem talwärts treibenden Kahn, für den er als Haupter die Verantwortung hatte, kam das bewusste Fahrgastschiff entgegen. Es war ein sehr heißer Tag und für Mehlbulle war der bisherige Tagesablauf zu ruhig.
Den kippe ich um, rief er über Deck und sprang von der Spitze des Kahnes mit lautem Geschrei ins Wasser.
Die Fahrgäste amüsierten sich, rannten auf eine Seite des Fahrgastschiffes und das Wasser ergoss sich bereits durch die entsprechend der Wetterlage geöffneten Fenster der Küche bzw. des Maschinenraumes.
Dank der Besonnenheit des Kapitäns wurde eine Tragödie in letzter Minute vereitelt.
Die Post aus der Heimat wurde auch für Haupter in typischen Schifferkneipen hinterlegt.
Eines Tages wollte Mehlbulle die Post holen und sah vor dem Gasthof den Bierwagen. Er spannte sogleich ein Pferd aus und ritt in die Gaststube, neugierig, was der Wirt wohl für Augen macht.
Das Pferd fand den Weg anstandslos in die Gaststube, aber beim Wenden gab es Bruch, auch der Ofen legte sich auf die Seite.
Zum Glück war Sommer und der Ofen außer Betrieb.
Natürlich war dieser Abend für alle Anwesenden gelaufen, die Rechnung kam später, aber für den Schalk allein.
Es war Totensonntag, jegliche Art von Lustbarkeit war verboten. Aber Mehlbulle wollte seinen Durst im vornehmen Dresdner Hotel „Zum Waldschlößchen“ — (es besteht heute noch) gesellig löschen. Eine kleine Gruppe Musiker mühte sich, der Würde des Tages gerecht zu werden. Um etwas Stimmung zu machen, stieg Mehl auf das Podium und sang „La Paloma“, das Lied von der weißen Taube. Diese Solopartie, endete auf der Polizeiwache, eine empfindliche Geldstrafe folgte.
Trotz seiner Streiche ließen sich die Kleinwittenberger Schiffseigner gern von Mehl begleiten.

Wieder hat der Haupter Karl Mehl eine Reise beendet. Mit dem typischen Haupter-Gepäck, dem Pascher, verlässt er den Kahn „Friederike-Elsa“, um sich wieder elbaufwärts zu begeben um den nächsten Kahn sicher an seinen Bestimmungsort zu bringen.

Diese Aufnahme entstand 1925

 

Karl Jüngel †

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aus: Freiheit vom September 1980