Innungsfachschule der Barbiere und Friseure

100 Jahre Innungsfachschule der Barbiere und Friseure

Am 01 April 1888 gründete die Zwangsinnung der Barbiere und Friseure unseres Kreises in der „Elementar- und Gewerbeschule für Knaben“, Töpferstraße, eine eigene Fachschule, weil die noch bestehende Gewerbeschule der Wittenborger Gewerbeinnung nicht die Anforderungen an einen modernen berufsbezogenen Unterricht erfüllte. Vier Meister erteilten 41 Lehrlingen zunächst in 26 Wochen im Jahr, später ganzjährig in 4 Wochenstunden Unterricht in Fachkunde, praktischem Arbeiten, Modellzeichnen und in der Anfertigung von eigenen Entwürfen. Als aus allen Nachbarkreisen Lehrlinge am Unterricht teilnahmen, fand er von nun an in der „Herberge zur Heimat“ Zimmermannstraße statt.

In Saal wurden bis zu 87 Lehrlinge gleichzeitig unterrichtet, Modelle waren die wandernden Gesellen der Innungen: „Durchreisende“ wurden unentgeltlich bedient. Diese Einrichtung bestand bis 1938 als Zeugnis eines über Jahrhunderte ruhigen traditionsreichen Berufsstandes.

Dis heutigen Bader und Barbiere (seit 1920 einheitliche Friseure) haben große Vorgänger:
Peter Saskendorf 1510,
Andreas Engelhardt 1514,
Joachim Flöricke 1550
waren in ihrer Zeit zugleich Wundärzte Luthers und des Kurfürsten, sie sezierten an der Wittenberger Universitat vor Studenten der Medizinischen Fakultät.
1526 sezierte ein Wittenberger Barbier als erster öffentlich einen menschlichen Schädel und am 21 April 1610 führte der Bader Jeremias Trautmann unter Leitung von Professor Sennert den ersten Kaiserschnitt in Deutschland mit Erfolg aus.
Über Jahrhunderte waren Wittenberger Bader und Barbiere „Wundärzte“ und „Chirurgen“.
Nach 1722 demonstrierten sie im Anatomischen Theater Chirurgie vor Studenten und Berufskollegen und waren so berufsbildend tätig.

Die Wittenberger Bader führten 3, die Barbiere 9 – Messingbecken als Zunftzeichen. Die Zahl gab an, für welche Tätigkeiten sie ausgebildet waren:
z. B. Hauptwaschen, Schneiden der Haare, Schröpfen, Aderlassen, Salbenherstellen, Zähne ziehen u. a..
Die Lehrlinge der Barbiers wurden durch einen Doctoreo mediciniae examiniert. Viele heutige gesundheitspflegerischen und medizinische Berufe haben ihren Ursprung in der Tätigkeit der Bader und Barbiere.  1608 regelt die „Wittenberger Backscharren – Bade-, und Barbierstuben-Gerechtsame“ die Belange dieses Berufsstandes und ihrer erblichen Privilegien.
In den Regeln für Lehrlinge dieser Zeit konnte man lesen:

„Putze deines Herren Schuhe und der Gesellen, vergiß die Eigenen nicht, das ist ein Amt und deine Pflicht“.

„Sperre nicht Dein Maul wie ein Karrengaul!“

In den 3 Bade- und 6 Barbierstuben unserer Stadt in dieser Zeit waren mehr als 100 Gesellen und Lehrlinge beschäftigt.
Wer ein „Geschäft“ übernehmen wollte, mußte 6 Jahre gewandert sein, sich mit 5 Gulden bei der Zunft einkaufan, 5 Gulden Werkgeld an den Rat und für die Werkstatt selbst 50 Gulden zahlen oder unter Umständen die Meisterwitwe heiraten (das Alter spielt keine Rolle).

Zur „Kreis-Lade“ Wittenberg gehörten: Jessen, Schönwalde, Herzberg, Schlieben, Liebenwerda, Wahrenbrück, Uebigau, Annaburg, Prettin, Schmiedeberg, Kemberg, Düben, Domnitzsch, Pretzsch, Gräfenhainichen, Zahna, Seyda, Niemegk, Belzig. Gommern, Brück.

Für den gesamten „Chur-Chreiß“ bescheinigte der Innungsvorsteher (Obermeister) den Lehrlingen mit einem

„beglaubigten  Scheyn“ und „beruflicher Urkunt“, daß
„ihr handwargk retlich und recht erlernt

hätten.

aus: Wittenberger Bürgergeschichten

Dr. Wolfgang Senst †