In einem Heimatkunde-Lehrbuch des Kreises Wittenberg vergangener Zeiten (Herroses Verlag 1902) finden wir folgenden Hinweis bei der Beschreibung einer Wanderung von Wittenberg nach Kleinwittenberg:
„Südlich der Straße liegt der Hafen.
Hier hat man die Elbe durch ein künstliches, tiefes und breites Bett eine Strecke weit in das rechte Ufer hineingeleitet.
Am Rande des Hafens stehen Speicher. Daselbst werden die Waren aus den Schiffen in die Eisenbahnwagen und umgekehrt aus den Eisenbahnwagen in die Schiffe verladen (Umschlagstelle).
Eine besondere Eisenbahn (Hafenbahn) führt diese Güter von und nach dem Bahnhofe Wittenberg. Der Hafen gewährt auch den Schiffen während des Winters und bei Hochwasser Schutz.“
Diese Beschreibung unseres Hafens war zu dieser Zeit sehr zutreffend, denn der Aufschwung der Schifffahrt und die ständig steigende Zahl der verkehrenden Schiffe auf der Elbe forderte den Bau eines Schutzhafens, wie unseren Wittenberger Hafen.
Bis 1876 suchten die Schiffer Schutz in der Strengmündung, in der Mündung der Schwarzen Elster, dem Klödener Riss oder in einer Einbuchtung bei Pretzsch.
In diesen Häfen war man zwar sicher vor Eisgang, aber bei Hochwasser kam die Besatzung weder von noch an Bord. So entschloss man sich 1875, den Fischerey¬Graben mit den jetzigen Abmessungen auszubauen, um auch vor Hochwasser sicher zu sein. Der Ausbau des Hafens geschah ausschließlich manuell. Die Aushubmassen wurden in Feldbahnloren transportiert, ein Teil davon wurde zur Anlegung des „Hafendamms“ genutzt.
Zum richtigen Winterhafen entwickelte er sich ab 1883, als mit dem Bau von Umschlageinrichtungen begonnen wurde.
Der Unterschied zwischen Schutzhafen und Winterhafen besteht darin, dass bei letzterem, trotz Eisgang und Hochwasser, die Be- und Entladung möglich ist. Dieser Umschlag war bei bestimmten Ladungen für den Empfänger und Schiffseigner oft sehr wichtig und das Loseisen der Kähne, verbunden mit der Zuführung zu den Kränen, eine sehr anstrengende Arbeit.
Aus den Sandsteinen der alten Elbebrücke wurde die 115 m lange Kaimauer gebaut sowie zwei fahrbare und ein feststehender Dampfkran aufgestellt.
17 Speicher und Schuppen hatte der Speditionsverein „Mittelelbische Hafen- und Lagerhaus-Aktiengesellschaft“ neben den Umschlaganlagen errichtet, die zum Einlagern der Ladungen benötigt wurden.
Vom Bau der Anlage waren auch die Kleinwittenberger Fischer betroffen, denn fast die Hälfte ihres Netzplatzes ging dadurch verloren. Durch den Bau der Hafenbahn waren die bestmöglichsten Voraussetzungen zur Ansiedlung großer Fabriken gegeben und die entstandenen Firmen Eisenwerk, Kant, Steingut und auch das Schamottewerk nutzten die günstigen Frachttarife der Wasserstraßen.
War die Benutzung des Hafens zwar im Sommer kostenlos, gab es für die Winternutzung des reichsfiskalischen Hafens gestaffelte Tarife je nach Schiffstyp, Schiffsgröße und Nutzungsdauer.
Die Einnahmen flossen in die Staatskasse.
Der Grund, dass unser Hafen ein so beliebter Überwinterungsort war, lag an der sehr günstigen Ein- und Ausfahrt, seiner Größe und letztlich an der relativ sehr weiten Entfernung zum nächsten Winterhafen Torgau.
Die Benutzung war auch streng reglementiert, denn der vorgesehene Liegeplatz und die Reihenfolge der Einfahrt wurde einzig vom Hafenaufsichtsbeamten bestimmt.
Dieses rege Treiben gehört nun leider der Vergangenheit an.
Der Zahn der Zeit nagte stark an den Anlagen. Der letzte Dampfkran wurde bis 1953 betrieben, die Kaimauer wurde 1963 aus sicherheitstechnischen Gründen gesperrt.
Letzter Zeuge des Umschlags, der elektrisch betriebene „Langhals“ (Auslegerkran) wurde 1978 verschrottet.
So ist unser Wittenberger Hafen wieder nur noch Schutzhafen.
Die Benutzung ist durch widerstandsfähigere Schiffskörper, höhere Maschinenleistungen der Schiffe und durch Regulierungen des Oberlaufs der Elbe sehr selten geworden.
Das Kombinat Binnenschifffahrt und Wasserstraßen nutzt mit zwei Betrieben den Hafen zur Instandhaltung der Spüler, Schuten und Bagger sowie zur Wartung unserer Wasserstraße.
Durch die Wasserwirtschaftsdirektion Saale-Werra, Flussbereich Wittenberg, werden die abwassereinleitenden Betriebe an ihre Pflichten erinnert.
Auch ist für unsere beiden Fahrgastschifffe „Lunik“ und „Sputnik“ ein Platz für die Wintermonate reserviert.
Karl Jüngel †
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aus: Freiheit vom März 1980