Hüfner, Kossäten, Häusler

Die ländliche Bevölkerung unseres Heimatkreises gliedert sich seit Jahrhunderten der Hauptsache nach in Hüfner, Kossäten und Häusler. Diese Bezeichnungen trägt diese seit der Rückwanderung deutscher Ansiedler in die vormals von den Slawen oder Wenden (Sorben) besetzten Gebiete unserer Heimat, die mit Kaiser Heinrich I. kraftvoller einsetzte und mit dem 10. Jahrhundert als abgeschlossen gelten kann.

1. Die Hüfner.

Das den Wenden abgerungene Land wurde zunächst Eigentum des Königs, der den größten Teil als Lehen an die Adeligen, die ihm in den Kampf gefolgt waren, sowie an die Kirche, an weltliche und geistliche Herren verteilte. Diese wieder gaben den Teil, den sie nicht selbst bewirtschaften konnten oder wollten, an die herbeigerufenen deutschen Ansiedler.

In der Bauernküche
Zeichnung: Erich Viehweger
aus: Archiv HV WB

Wollte ein solcher Grundherr deutsche Bauern ansiedeln, so trat er entweder persönlich oder durch einen Unterhändler mit den Eingewanderten in Verbindung. Das zum Anbau bestimmte Land – meist Flächen von 30 bis 60 Hufen wurde unter die Ansiedler gleichmäßig verteilt. Eine Hufe, wie sie jedes Familienoberhaupt angewiesen erhielt, umfaßte so viel Land, als man an einem Tage mit einem Gespann Pferde umpflügen konnte; späterhin bezeichnet das Wort Hufe ein Feldmaß von etwa 30 Morgen. Von diesem Wort stammt der Name Hüfner als Bezeichnung für die bäuerlichen Ansiedler, der dann in der Folge auf die größeren bäuerlichen Besitzer überhaupt übergegangen ist.

Der Anführer der Ansiedler oder der Unterhändler, welcher die Ansiedelung vermittelte und die darüber gepflogenen Verhandlungen leitete, bekam seine Hufe abgabenfrei als erbliches Lehen zugewiesen – daher die Bezeichnung „Freibauer“.
Außerdem übernahm er gewöhnlich das Amt des Ortsschulzen, dem die niedere Gerichtsbarkeit im Dorfe (daher der Name Ortsrichter) und andere Vergünstigungen verliehen wurden.

Die angesiedelten Bauern, die Hüfner, erfreuten sich anfangs der größten Selbständigkeit in wirtschaftlicher wie in rechtlicher Hinsicht und der vollen persönlichen Freiheit. Kaufgeld für das ihnen überwiesene Land wurde von ihnen nicht erhoben; sie erhielten es gegen Entrichtung eines mäßigen Erbzinses in Geld oder Naturalien als festen Besitz. Gewöhnlich wurde dieser Zins vom Grundherrn für alle Hufen eines Dorfes gleichmäßig festgesetzt. So zinste z.B. jede Hufe an das kurfürstliche Amt in Pratau 29 Scheffel Hafer, 2 Scheffel Weizen, 2 Scheffel Roggen, 2 Scheffel Gerste und 4 Schillinge (1 Schilling = 12 alten Pfennigen).
Im Dorfe Splau gab jede Hufe 1½ Scheffel Roggen, 2 Scheffel Hafer, 2 Scheffel Hopfen, 5 Hühner, 10 Eier und 15 Groschen (1 sächsischer Groschen = 9 alten Pfennigen).
Bei den ursprünglichen Dorfhufen überwiegen die Naturalabgaben, während bei den später verliehenen der Geldzins vorherrscht.

Die bäuerlichen Güter konnten an männliche und weibliche direkte Nachkommen frei vererbt werden; nur Seitenverwandte waren von dem Erbgange ausgeschlossen. Erst seit dem 14. Jahrhundert kam mit der allgemeinen Verschlechterung der Besitzverhältnisse eine Erbschaftsgebühr in Anwendung, die in ihrer Höhe verschieden war und meist einen bestimmten Teil vom Werte des Besitzes oder auch den vollen Jahreszins betrug.

Seit dem Eindringen des römischen Rechts aber waren die Hüfner verpflichtet, jede Besitzveränderung von dem Gerichtsherrn, der zugleich der Grundherr zu sein pflegte, bestätigen zu lassen, was eine weitere Gebühr (Einweisungsgebühr) zur Folge hatte. Geichzeitig wurde diesem damit das Mittel in die Hand gegeben, den Verkauf oder andere Besitzveränderungen zu verhindern oder doch zu erschweren, die Freizügigkeit zu beschränken oder an erhöhte Leistungen zu knüpfen. Das dem Grundherrn zugewiesene Verkaufs- und Bestätigungsrecht gab diesem gleichfalls hinreichend Gelegenheit, die Besitzverhältnisse und die Bewegungsfreiheit der Hüfner zu schmälern oder gar deren Güter an sich zu reißen. Schon eine längere Verzögerung in der Entrichtung des Erbzinses sowie eine nachgewiesene oder auch nur behauptete Verschlechterung in der Bewirtschaftung des Gutes wurde als hinreichend erachtet, derartige Übergriffe des Grundherrn zu rechtfertigen.

Dorfidylle
Zeichnung: Erich Viehweger – um 1955
aus: Archiv HV WB

Auf der anderen Seite muß man freilich billigerweise dem Grundherrn eine Einwirkung auf die bäuerlichen Besitzverhältnisse zugestehen, da ohne diese das Zinslehen selbst, sowie die Leistungen daraus gefährdet werden konnten. Nur durfte dieser Einfluß nicht zur „Bauernlegung“ führen, wie es tatsächlich nicht selten geschah. Um derartigen Besitzerweiterungen der Grundherrn auf Kosten der Bauern zu begegnen, sahen sich die Fürsten besonders im 16. Jahrhundert wiederholt veranlaßt, die Veräußerung von bäuerlichem Besitz an andere Personen als Bauern zu verbieten oder doch von ihrer ausdrücklichen Genehmigung abhängig zu machen. Wegen politischer und finanzieller Nõte waren die Landesherrn freilich nicht immer imstande, den bedrängten Hüfnern beizustehen, obwohl sie mit richtigem Blick in einem zahlreichen, steuerkräftigen, wehrhaften Bauernstande das notwendige, heilsame Gegengewicht gegen die anmaßende Eigenherrlichkeit der Ritterschaft und der Stände erkannten. Immerhin griffen einzelne mit fester Hand ein; so z.B. der Verweser des Erzbistums Magdeburg, Friedrich von Brandenburg, der im Jahre 1592 dem Herrn von Klitzing die Ortschaften Jüterbog und Dahme wegnahm, weil dieser die erbuntertänigen Bauern mit neuen Fronden und Steuern zu arg belastete. Ganz wesentliche Verdienste um die Hebung des Bauernstandes haben sich in unserer Heimat die Kurfürsten Moritz und August von Sachsen erworben. Durch Aufteilung von Rittergütern, Amtsvorwerken und eingezogenen Klostergütern suchten sie die Zahl der bäuerlichen Bevölkerung zu mehren und durch allerlei Mittel deren Lage zu bessern. Von größter Bedeutung wurde die Neuordnung und Festlegung des Besitzrechts durch die „Constitutiones electoral. Saxon“ vom Jahre 1572. Ein Verlust des bäuerlichen Gutes konnte hiernach nur dann eintreten, wenn der Verpflichtete ständig die Entrichtung des Zinses verweigerte. Die ursprünglich freien Güter der Hüfner wurden wieder freivererbliches Eigentum ihrer Besitzer. Falls diese mit der Zahlung des Erbzinses im Rückstande blieben, stand dem Gläubiger, dem Grundherrn, nur das Recht der gerichtlichen Schuldklage aber keineswegs schon ein Besitzrecht auf das Gut zu.

Durch diese weisen Bestimmungen geschah, in unserer Heimat ein gewaltiger Schritt vorwärts: die Selbständigkeit der bäuerlichen Bevölkerung war gesichert und diese der Willkür des Grundherrn entzogen. Und wenn auch der Eigennutz dieser Erbherrn die klugen und segensreichen landesherrlichen Gebote oft noch offen oder heimlich umging oder durchbrach, sie wieder zu beseitigen gelang ihrer Macht doch nicht.

2. Die Kossäten und Häusler
…die Ernte wird eingebracht, dh.von den Apollensdorfer Elbwiesen nach Dobien – Etwa 8 km Fussmarsch mit Ochsengespann – um 1950

Im Gegensatz zu den ursprünglich freien und selbständigen Hüfnern standen die Kossäten (Häusler, Gärtner). Sie waren persönlich unfrei und ohne eigenen Grundbesitz. In ihrer Hauptmasse bildeten sie die Überreste der wendischen Bevölkerung, die sich aber im Laufe der Zeit mit zu gewanderten Deutschen vermischt hatten. Ursprünglich gehörten sie zu den unfreien, besitzlosen Knechten, aber bei der umfassenden und schnellen Kolonisierung des Landes im 12. bis 13. Jahrhundert wurde es manchem von ihnen möglich, in den Besitz von Grund und Boden zu gelangen. Aus dem „Laßgut“, welches ihnen die Gnade des Grundherrn ausgetan, wurde nicht selten erbliches Eigentum. Doch gelang dies immerhin nur einem Teile dieser Eigenleute. Die Mehrzahl saß ohne Erbrecht auf ihrer Kate (Kote), daher die Bezeichunng Kossäte d.i Kotsasse. Sie bewirtschafteten ein kleines Stück Acker oder trieben ein Handwerk und waren im übrigen dem Grundherrn leibeigen und zu persönlichen Frondiensten verpflichtet. Seit dem 16. Jahrhundert trugen sie daher auch den bezeichneten Namen „Handfröner.“

Ihre Lage war ursprünglich im Gegensatz zu der der Hüfner die denkbar ungünstigste. Was sie an Besitz erwarben, wurde Eigentum des Grundherrn; nur das Nutzungsrecht blieb ihnen. Im Todesfalle fiel dem Grundherrn auch ihre gesamte Hinterlassenschaft zu. Der „Sachsenspiegel“ – eine zwischen 1215 bis 1235 durch Eike von Repgowe niedergeschriebene Gesetzessammlung, die in unserer Heimat Jahrhunderte hindurch als Rechtsquelle galt sagt darüber:

Dobiener Bauer beim Pflügen - um 1955
der Kossäte W. Schering beim Pflügen – um 1955

„Gibt sich jemand einem Herrn zu eigen, so nimmt nach seinem Tode der Herr zu Erbe und alle Kinder, die ihm gehören, und nach der Ergebung geboren sind.“ Die Unfreiheit ging sogar so weit, daß die aus Ehen zwischen Freien und Unfreien entsprossenen Kinder stets der „ärgeren Hand folgten“, d.h. unfrei wurden. Die fortschreitende Entwickelung schaffte auch hierin Milderung. Die Ansprüche des Grundherrn beschränkten sich beim Tode eines Unfreien auf das sogenannte „Buteil„, welches gewöhnlich die Hälfte des Nachlasses betrug. Späterhin wurde dieses Erbrecht auf eine bestimmte Geldsumme begrenzt, oder auch auf das „Besthaupt„, d.h. das beste Tier aus dem Stalle, oder in den „Gewandfall“, d.h. den Anspruch auf das beste Kleidungsstück oder die beste Waffe des Toten, herabgesetzt.

Gleichzeitig waren die Unfreien an die Scholle gebunden. Ohne Einwilligung des Grundherrn durfte keiner Hof oder Dorf verlassen, keiner ohne dessen Erlaubnis aus dem Kreise der Dorfgenossen hinaus heiraten. Für jede Heiratsbewilligung mußte dem Grundherrn eine Abgabe, die „bumede„, entrichtet werden. Frauen wendischer Abkunft waren im 13. Jahrhundert durchweg verpflichtet, bei ihrer Verheiratung die bumede zu zahlen. Es war ihnen aber auch nach „wendischem Rechte“ gestattet, ihren Mann gegen Zahlung der „Versenpfennige“ wieder zu verlassen. Der Sachsenspiegel bemißt diese Abgabe auf drei Schillinge oder mehr, je nach Gewohnheit der Gegend. Durch eine allgemeine Verordnung hatte der Magdeburger Erzbischof Wichmann die von jedem wendischen Mädchen zu entrichtende Heiratssteuer auf 1 Schilling festgesezt, wovon die eine Hälfte dem Grundherrn, die andere dem Dorfoberhaupt zufiel.

Jene Eigenleute wohnten als Dienstboten teils im Hause des Grundherrn, teils erwarben oder erhielten sie ein eigenes Häuschen und wurden dann Häusler genannt. Als Tagelöhner, Handfröner, waren sie gehalten, auf dem Herrschaftshof Frondienste zu leisten. Vielfach erlangten sie auch zur eigenen Bewirtschaftung ein Stück Feld oder Garten (daher die Bezeichnung Gärtner), wofür sie neben Hand- und Spanndiensten bestimmte Naturalabgaben zu leisten hatten. z. B. zinsten die Pratauer Gärtner 1531 dem kurfürstlichen Amte je 3 Hühner, die von Rahnsdorf zusammen 20 Hühner und die von Seegrehna je 2 Hühner und 4 Groschen Geld. Aus diesen Gärtnern haben sich unsere Kleinbauern Kossäten entwickelt.

Bei der wachsenden Zahl der Eigenleute war es auf die Dauer unmöglich, diese alle in der Landwirtschaft nutzbringend zu beschäftigen. Man veranlaßte sie daher, sich auch anderer Erwerbsarbeit zuzuwenden. Aus ihnen bildeten sich dann die dörflichen Handwerker, Schmiede, Zimmerleute, Maurer, Schneider, Töpfer, Leineweber usw. Ihre Reihen wurden noch verstärkt durch die Nachkommen der Angesessenen, denen es nicht vergönnt war, eigenen Landbesitz zu erwerben.

Es lag nicht im Interesse des Grundherrn, diese Leute dauernd als Hörige festzuhalten, da er – wie schon bemerkt – ihre Arbeitskraft nicht ausnutzen konnte. Viel vorteilhafter war es für ihn, jene für Erlaubnis des Aufenthaltes und gewährten Schutz zu einem „Schutzgelde“ zu verpflichten. Diese Einnahme mag nicht gering gewesen sein, denn nur daraus ist der rege Eifer erklärlich, mit dem die Grundherrn ihre dörflichen Handwerker schützten, als im 15. Jahrhundert ein heftiger Kampf der Städte gegen jene unbequemen Weltbewerber losbrach. Gestützt durch die Gunst des Landesherrn siegten schließlich die städtischen Innungen. Im 14. Jahrhundert schon verbot man die Ansetzung neuer dörflicher Handwerker in der Nähe der Städte, und im 15. Jahrhundert wurde der Handwerksbetrieb auf dem Lande überhaupt untersagt. Nur den Orten, die in weiterer Entfernung von der Stadt lagen, wurden die notwendigsten Handwerker erlaubt. Noch unter König Friedrich Wilhelm I. von Preußen durften auf dem platten Lande nur folgende fünf Handwerke betrieben werden: das der
–  Schneider,
– Zimmerer,
– Rademacher und
– Leineweber
– Schmied

Bei der namentlich anfangs so ungünstigen Lage der Unfreien kann es nicht wundernehmen, daß diese mit allen Mitteln die Auflösung dieses drückenden Verhältnisses erstrebten. Ganz besonders bewirkte das Aufblühen der Städte, daß zahlreiche Hörige ihrem Grundherrn entflohen und sich nach der Stadt wandten, wo ihnen neben persönlicher Freiheit die Gelegenheit, freien Besitz zu erwerben, verlockend winkte. „Stadtlust macht frei“, das war ein im Volksbewußtsein festgewurzelter Grundsatz. Und trotz aller entgegenstehenden Gebote des Landesherrn hielten die Städte mit Entschiedenheit daran fest, daß jeder, der in ihrem Weichbilde Aufnahme gefunden hatte, nicht zur Rückkehr in das verlassene Verhältnis gezwungen werden konnte, sofern er nicht binnen Jahresfrist zurückgefordert worden war.

Die Beteiligung an den Kreuzzügen verschaffte gleichfalls vielen Hörigen die Freiheit. Und wenngleich deswegen die Grundherrn eine solche Beteiligung höriger Leute nicht gern sahen, so konnten sie doch aus kirchlichen und anderen Gründen diese nicht gut untersagen. Daneben trugen mannigfache Ereignisse dazu bei, vielen Hörigen die ersehnte Freiheit zu geben. So erklärten manche Grundherrn, durch die Nähe des Todes in milde Stimmung versetzt, ihre Hörigen auf dem Sterbebette für frei. Andere wieder waren aus Geldnot bereit, gegen Zahlung einer größeren Summe das Hörigkeitsverhältnis zu lösen. Noch andere, von der richtigen Erkenntnis getrieben, daß ein freier Arbeiter mehr und Besseres leistet als ein gezwungener, unfreier, verliehen diesen Freiheit und erblichen Besitz gegen Zahlung eines Zinses. Weitblickende Fürsten, wie König Friedrich Wilhelm I. und Friedrich der Große, strebten die Aufhebung der Hörigkeit vor allem auf den ihrem unmittelbaren Einfluß unterstehenden Krongütern an. So lockerten sich mehr und mehr die Bande, welche die bäuerliche Bevölkerung in persönlicher Unfreiheit hielten. Eine völlige Aufhebung dieser unwürdigen Leibeigenschaft allerdings geschah in den alten preußischen Gebietsteilen infolge der Stein’schen Reformen erst 1810 und in den ehemals königlich sächsischen Teilen, zu denen auch unsere Heimat gehörte, 1819 und in den zum früheren Königreich Westfalen gehörenden Bezirken gar erst im Jahre 1825. Damit schließt eins der traurigsten Kapitel deutscher Geschichte und auch unserer Heimatgeschichte.

Richard Erfurth †

aus: O du Heimatflur! vom 13.01.2026