Herbstwanderung über den Fläming

1955.07. Wittenberger Rundblick

Der „Wittenberger Rundblick“ 1. Ausgabe Juli 1955 letzte Ausgabe Juli 1957

Nudersdorf Grabo Michelsberg Jahmo Friedenthal Wüstemark

Eine Herbstwanderung über unsere heimatlichen Fläminghöhen hat seine besonderen Reize; die Natur bietet sich in ihrer schönsten Farbenpracht. Der Wechsel der vielen Farben, Altweibersommer und der Geruch von Laub sind unser ständigen Begleiter.
Bei herrlichstem Sonnenschein beginnen wir unsere Wanderung im freundlichen Nudersdorf, wohin uns die Straacher Bahn gebracht hat. Schon diese kleine Reise bietet so viel an Naturschönheiten. Wir fahren das Straacher Tal am Rischebach entlang, es verträgt schon einen kleinen Vergleich mit dem „großen“ Thüringen. Und wenn Wir noch um die geschichtlichen Belange dieser Landschchaft wissen, dann erwandern wir sie uns in der Erkenntnis, reich belohnt heimkehren zu dürfen.
Ringsherum von Wald umgeben, im Tale des Rischebaches eingebettet, liegt Nudersdorf, das „niedrige Dorf“. Es hat eine interessante geschichtlich e Vergangenheit . Noch lange trug es im Volksmund den Namen „Birkenbusch“, eigentlich „Brückes Busch“, nach dem Kanzler Brück, der zu Luthers Zeiten Kanzler dreier Kurfürsten war und großen Besitz in Nudersdorl‘ hatte. Die vielen Birken um den Ort herum mögen dann aber dazu beigetragen haben, daß „Birkenbusch“ daraus wurde. In der Südwestrecke des Ortes liegt die Zentralschule, das ehemalige Schloß, das 1702 erbaut wurde, dann aber mehrfach umgebaut worden ist. Das Schloß und der angrenzende Park mit altem Baumbestand haben viel erlebt und häufig den Besitzer gewechselt. In den Jahren 1853 bis 1873 präsentierte sich das Schloß als das Kurhaus des „Bades Nudersdorf“. Die Gebrüder Luther aus Dublin (Irland) waren es, die für das Bad eine Neuerung, eine Art römische Dampfbäder, mitbrachten, die für Nudersdorf ein Aufblühen des Badebetriebes zur Folge hatten. Aber schon der Nachfolger des Rittergutes Nudersdorf hatte am Kurbetrieb wenig Interesse, ihm lag mehr die wirtschaftliche Seite, d.h. Ziegelei und Braunkohlenabbau; hinzu kam der Waldreichtum, aus dem Kapital geschlagen werden konnte. So endete bereits nach 20 Jahren, im Gegensatz zu Pretzsch und Schmiedeberg, der für
die Zukunft des schön gelegenen Ortes verheißungsvoll begonnene Auftakt eines Kurortes.
Wenn wir dann noch erfahren, daß die Solewasser der „Hubertusquelle“ bis nach London und Zürich verschickt wurden, so kommen wir selbst zu der Einsicht, wie sehr doch dieser Ort mit seiner schönen landschaftlichen Lage gute Entwicklungsmöglichkeiten in sich trug.
Mit diesen Gedanken wandern wir die Dortstraße, die „Lindenstraße“ entlang, vorbei an dem alten Dorfbackofen. An der „großen Mühle“ erreichen wir den Rischebach und genießen nun den schönen Blick nach Norden in das waldumsäumte Straacher Tal. Bald haben wir die Gaststätte „Zur grünen Birke“ an der Chaussee Wittenberg-Straach passiert, um nun weiter auf der alten Post- und Handelsstraße Jüterbog-Zerbst, die nach Grabo führt, zu wandern. Hier an dieser Straßenkreuzung wurde früher der Gespannwechsel der Postkutschen vollzogen, und bis zum Frühjahr 1954 stand rechts der Straße im Grund noch ein kleines Gebäude, das hieran erinnerte.
Der nun beginnende leicht ansteigennde Weg nach Grabo (4 km), überdacht vom Blättergold der Birken, ist eine der schönsten Waldstraßen in unserem Fläming. Gleich anfangs grüßen uns rechts und links schöne Einfamilienhäuser mit ihren gepflegten Vorgärten, und der wenige Verkehr auf diesem Waldweg läßt uns ausgiebig echte Wanderfreude erleben. Bald sind wir völlig vom Walde eingeschlossen, und auf halbem Weg nach Grabo liegt rechts eine große Talmulde, in der sich nach dem Gefecht bei Teuchel am 2. Oktober 1760 ein Teil der Reichsarmee festgesetzt hatte, weil sie einen neuen Angriff der geschlagenen und bis nach Coswig zurückgedrängten preußischen Truppen erwartete. Ein dreiviertelstündiger Marsch hat uns die Höhe vor Grabo erreichen lassen. Der Blick ist frei. Eine prächtige Fernsicht ist die Belohnung für den Anstieg.
Ein breites Tal, weit schweift das Auge über die waldbestandenen Hügel, dazwischen liegen verstreut die Flämingdörfer. Der Wechsel von Wald und Feld, dazu die Dörfer, das ist die typische Fläminglandschaft, die sichhier in ihrer Schönheit dem Naturfreund besonders offenbart. Im Nordwesten auf der Höhe sehen wir das anhaltische Dorf Senst herüberschauen, und tiefer im Tale davorgelagert, aus dem Bunt des Herbstlaubes ragend, den schlanken Kirchturm von Straach mit dem Orte selbst. Im Norden liegt Berkau mit dem Hirseberg (187 m), der die höchste Erhebung in unserem nördlichen Kreisgebiet darstellt. Von Kerzendorf lugen noch ein paar rote Dächer herüber, während Boßdorf und Weddin durch eine Waldecke unseren Blicken verborgen sind.
Man muß diesen Ausblick erlebt haben, wenn sich die ersten Knospen entfalten oder wenn, mit flammenden Farben von der Sonne zur höchsten Leuchtkraft entwickelt, der Herbst ins Land gezogen ist.
Im Zuge der Straße grüßt uns durch das Weiß und Gold der Birken die alte Flämingkirche von Grabo. Diese Feldsteinkirche verkörpert noch heute den Eindruck der Wehrkirche, niedrig und breit, als ob sie dem ganzen Orte Schutz bieten wolle. Unmittelbar zuvor überschreiten wir die alte Heerstraße Wittenberg-Belzig und weiter ins Brandenburgische, die vom Teucheler Exerzierplatz über die Krähe heraufkommt. Im sauberen Dorfgasthof lassen wir uns unser Frühstück bei einem frischen Trunk gut munden und verlassen nach kurzer Rast Grabo mit seinen fleißigen Einwohnern, die dem kargen Boden Jahr für Jahr seine Frucht abringen. Am Ort.sausgang rechts zeigt der Wegweiser nach Mochau, unser Ziel aber ist der geradeaus vor uns liegende Wald. Entlang der Fernsprechleitung nehmen wir den Weg. Hier treffen wir am Waldrain auf einen größeren Haufen zusammengetragener Feldsteine, auch typisch für den Hohen Fläming, Zeugnis davon ablegend aus der Zeit. da unsere Heimat noch mit dem ewigen Eis bedeckt war.
An der nächsten rechten Waldecke, dazwischen liegt. ein größeres Ackerstück, biegen wir nun ein. und es bedarf hier besonderer Aufmerksamkeit, (der Hauptweg führt nach Weddin) um den kaum sichtbaren, über dichten Kiefernnadelteppich führenden Pfad zum Michelsberg zu finden. Schöner Kiefernbestand, durchsetzt mit iungen Laubbäumen, säumen den nun zum festeren Weg gewordenen Steig. Eine Viertelstunde benötigten wir und stehen nun am Fuße des Michelsberges (185 m übel‘ NN). Sein Gipfel ist historischer Boden. Wir entdecken hier die mit Moos und Gras überwachsenen Fundamente der alten Weddiner Kirche, die erst in jüngerer Zeit auf Betreiben von Herrn Paul Hinneburg, Wittenberg, freigelegt wurden (1934). Ihm ist es zu verdanken. daß das Geheimnis um alle Erzählungen (Ritterburg, Kloster usw.) gelüftet wurde. Bis 1945 stand dicht daneben der hohe Feuerwachtturm; dieses Holzgerüst war bei gutem Wetter von Wittenberg aus sichtbar. Weiter findet der Wanderer hier einen gedeckten Tisch an Pilzen aller Art, ferner die unter Naturschutz stehenden Pflanzen, wie den Kolben-Bärlapp, der am Boden hinkriecht,
und deshalb im Volksmund den Namen „Schlangenmoos“ führt. Auch ist hier das ebenfalls geschützte einblütige Wintergrün zu finden; der zarte Duft seiner nickenden Blüte und seine lederartigen Blätter sind leider zur Seltenheit hier oben geworden. Nach Süden, hinweg über eine größere Senke, liegt der Schwarze Berg (178 m). Der Abstieg vom Kirchenfundament aus trifft auf den Verbindungsweg Mochau-Weddin, den wir überqueren, vorbei an einem größeren Schlag Heidelbeersträuchern, dem einzigen Standortgebiet im Nordteil unseres Kreises. Nun wird der Wald von Feldern unterbrochen, bis wir rechter Hand das von dichtem Unterholz bestandene Sumpfgebiet erreichen, in dem die Quelle der Zahna liegt.

Wir nähern uns dem Orte Jahmo, schon weit sichtbar ragen die hohen Pappeln am Verbindungsweg nach Mochau gen Himmel. Den Ortseingang schmückt das alte, efeuumrankte Fachwerkhaus, das mit seinen 300 Jahren unter Denkmalschutz gestellt wurde, um unverändert weiter erhalten zu werden. Interessant ist ferner das alte strohgedeckte Fachwerkhaus in der Ortsmitte, das letzte dieser Gattung in unserem Kreis Wittenberg. Auf lichter Anhöhe gegenüber steht das ehrwürdige Kirchlein des Ortes, das aus dem 12. Jahrhundert stammt und das älteste Dorfgotteshaus im Kreise ist: Flämingwehrkirche, in Feldsteinbau aufgeführt, mit schönem Altarbild, das man der Cranachwerkstatt zuschrieb, aber wahrscheinlich aus noch früherer Zeit stammt. Im Orte trieb die junge Zahna als ihre erste Mühle die „Gäblersche“, die wir aber rechts liegen lassen, um links den Waldweg nach Friedenthai zu nehmen.
Nach einer weiteren Viertelstunde von Jahmo aus überschreiten wir die Berliner Chaussee und wandern den mit altem Kastanienbestand mit weitausladendem Goldblätterdach überschatteten Waldweg nach Friedenthal weiter. Dieses Stück Weg erfreut uns in seiner Herbstlaubfärbung ganz besonders. Die uns begleitende, tieferliegende Waldwiese rechts, von der Chaussee im Westen begrenzt und von den Riesentannen dahinter abgeschlossen. war in alter Zeit der große Forellenteich der Wittenberger Klöster. Die Gaststätte „Friedenthal“ ist wieder neuaufgebaut und ladet zur Einkehr ein; von der ehemaligen Mühle zeugt nur noch ein dem Verfall preisgegebenes Mühlenrad. Aber die dahinterliegende Waldwiese, mit Sitzgelegenheit versehen, läßt uns einen Augenblick ausruhen.
Weiter geht der Marsch nach dem ca. zwei Kilometer entfernten Wüstemark. Ursprünglich lag hier der im Hussitenkrieg zerstörte Ort Zernitzdorf, und auf der wüsten Dorfmark wurde später der Ort Wüstemark erbaut. Hier überschreiten wir nochmals die Zahna, um Zahna selbst in einer halben Stunde zu erreichen. Die feste Straße, zum größten Teil durch Wald führend, stößt auf Zahna im Nordosten zu, die wir ein Stück bergab laufen, um nun als Ende unserer Wanderung den Bahnhof Zahna zu erreichen.
Diese geschichtliche Wanderfahrt möge dazu beitragen, die Liebe zur Heimat zu vertiefen; und gerade der Herbst schenkt ihr das schönste Kleid mit den buntesten Farben. Zum Wandern ist er die beste Jahreszeit.

… Und nun aufz u froher Wanderfahrt…

(Die ganze Strecke Nudersdorf-Zahna beträgt ca. 18 Kilometer. Der Mittagszug ab Bahnhof „Elbtor“ liegt zeitmäßig günstig, da wir gegen 19 Uhr von Zahna aus nach Wittenberg Anschlußverbindung haben.)

Johs. Spremberg †

(Fahrplan im Jahre 2022:
Abfahrt Zahna Bahnhof mit RE 3 17.45;18.53; 19:46 usw.)